Grobschnitt live mit dem Philharmonischen Orchester Hagen
Theater Hagen, Hagen, Juni 2012

 


Der Walzer, die Symphonie und ein Märchen

    

Es war einmal, und ist doch noch gar nicht so lange her, da träumte ein kleiner Junge einen Traum. Gerade einmal 12 Jahre war er alt und es hatte ihn erwischt. Nicht nur ein bisschen - nein, er war völlig aus dem Häuschen. Was war geschehen? Nun, der Junge hatte nichts weiter gemacht, als ein Rockkonzert zu besuchen. Klar: nicht irgendein x-beliebiges Phonzahlen-Massaker angloamerikanischer Knödler und Saitenquäler. Die Hagener Band „Grobschnitt“ war es gewesen. Was aber hatte nun diesen Traum in dem Jungen erweckt? War es die powervolle Stimme des wildschweinigen Frontmannes, das virtuose Gefrickel des Leadgitarristen oder prügelte der Trommler einen Rhythmus, wo jeder mit muss? Oder… oder… oder…?

    

     

Das alles gefiel dem Jungen, sicher - aber seine Liebe gehörte nicht nur der Musik. In einer Zeit, da die Kids sich einen Blockbuster nach dem anderen im örtlichen Kino reinzogen, träumte dieser Bursche von so was Zeitlosem wie Theater. Und, wie ja alle landauf und -ab wissen: „Grobschnitt“ waren und sind nicht nur für ihre filigrane Handwerksarbeit in Sachen Rock berühmt-berüchtigt, sondern auch für ihre aufregenden Shows. Licht, Rauch, Feuer und Kostüme beschworen jene unvergleichliche Magie herauf, die die Fans der Gruppe bis heute lieben. Poesie und Klamauk gaben sich die Hand, Comedy traf Fantasy und alles in allem war und ist das eben eines: ein Paradebeispiel in Sachen Musiktheater.

    

    

    

Die Jahre gingen ins Land und „Grobschnitt“ kehrten der Bühne den Rücken. Sie hinterließen eine klaffende Wunde in der deutschen Rockszene. Alle Versuche anderer Musiker, das Erbe der sauerländischen Frohnaturen anzutreten, schlugen fehl. Es gab keine Medizin, die Wunde heilte nicht.

     

    

Viele Jahre gingen ins Land, doch unser Junge träumte seinen Traum weiter: einmal „Grobschnitt“ mit großem Orchester in einer echten Theaterproduktion auftreten zu lassen… das wär’s! Und so träumte er seinen ganz eigenen „Grobschnitt“-Traum. Aber er war nicht der einzige - viele Fans der legendären Kultband hatten ihre eigenen Gespinste von mitreißender Musik, farbenfrohem Spektakel und jenem einzigartigen Feeling, für das es eben nur einen Namen gibt: „Grobschnitt!“

    

    

                   

Im Jahr 2007 schließlich trat die „Next Generation“ auf den Plan und das Imperium schlug endlich wieder zu: Die Söhne der Ex-Stars Willi Wildschwein und Milla Kapolke machten den einstigen Rockgrößen klar: diese Musik ist viel zu großartig, um nicht mehr live gespielt zu werden. Um die alten Hasen Toni Moff Mollo (voc, lightshow), Rolf Möller (drums), Willi Wildschwein (voc, git) und Milla Kapolke (voc, bg) formierten sich Tastenmann Tatti Tattva (keys), sein Sohn Demian Hache (drums, percussion), Willis Junior, Stefan „Nuki“ Danielak (git, voc) und Millas Nachwuchs Manu (git, voc).

    

    

Eine beispiellose Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf - die alten Fans kamen wieder, neue und junge Anhänger pilgern aus allen Ecken und Enden der Republik, aber auch aus England, Holland, Argentinien, der Türkei, aus Kanada und weiteren Ecken und Enden des Globus zu den Konzerten der neuen Formation.

     

    

Der Junge ist mittlerweile Chefregisseur der Oper am Stadttheater Hagen geworden. Als er nun in der heimischen Stadthalle die alte Lieblingsband wieder live erleben konnte, war ihm eins klar: es gab nur eine Möglichkeit, für das 100jährige Jubiläum des Stadttheaters etwas wirklich Einzigartiges zu schaffen: seinen alten Traum. Der Kontakt zur Band wurde hergestellt und bald konnte bekannt gegeben werden: „Grobschnitt“ würden ihr Rockmärchen „Rockpommel’s Land“ als Theaterinszenierung mit großem Orchester aufführen.

    

    

     

Über ein Jahr lang fieberten die Fans der Gruppe diesem Ereignis entgegen, die Erwartungslatte war immens hoch: würden „Grobschnitt“ hinüber kommen oder wären sie lieber darunter abgetaucht? Denn natürlich gab und gibt es bei einem solchen Unterfangen immer auch Skeptiker: allzu oft ist das Experiment „Rockband meets Orchestra“ kläglich in blubberndem Geigensumpf ersoffen.

    

    

Als nun am 03.06.2012 endlich die Tore des Theaters geöffnet wurden, war die Spannung im Saal greifbar. Nach einer kurzen Ansage enterte erst mal nur das Orchester die Bühne und spielte einen Walzer. Na, eigentlich DEN Walzer: „Geschichten aus dem Wienerwald“. Dieses Kabinettstückchen hatte in den vergangenen Jahren im Vorprogramm der Konzerte das baldige Eröffnen des Gigs angekündigt - aber eben nur vom Band. Es nun live zu hören, und zu wissen: gleich kommen die Musiker unseres Herzens dazu, ließ schon einen kleinen Kloß im Hals entstehen.

    

    

Es hatte sich ausgewalzert und „Grobschnitt“ wurden erwartet - aber zunächst legte das Philharmonische Orchester Hagen mit brachialer Gewalt los - und, wem sich bei diesen Klängen nicht vor Entzücken die Nackenhaare sträubten, der ist wahrscheinlich schon kompostiert: die Tonfolge dürfte jedem Fan der Hagener Rockzauberer mehr als nur vertraut gewesen sein - aber so hatte man sie einfach noch nicht gehört: „Symphony“, das Vorzeigestückchen aus dem allerersten Album. Die Band kommt hinzu und die Aufführung dieses (leicht gerafften) Monumentalepos versprüht soviel Energie und Aufbruchsstimmung, dass man meinen könnte, hier stünden Newcomer auf der Bühne, die alles dransetzten, Megastars zu werden. Willi setzte mit seinem Scatgesang Akzente voller Feeling und Power und die Band tat es ihm nach: ungebremste Spielfreude donnerte da von der Bühne und die Klassikfraktion zeigte den Rockern nachhaltig, dass auch sie weiß, was ein Brett ist!

    

    

Die erste Hälfte de Abends strotzte nur so von neuen Ideen - längst aus dem Liverepertoire verschwundene Songs wurden entstaubt und reaktiviert, teilweise in „unplugged“-Manier neu definiert: „Traum und Wirklichkeit“ aus dem „Jumbo“-Album oder „Drummer’s Dream“ aus „Ballermann“ gehörten dazu. Die aktuellen Bearbeitungen klingen frisch und luftig - dass diese Songs einfach zeitlos sind, wird hier aufs Beste demonstriert. Kleine Patzerchen am Rande? Klar - aber gegen Premierenfieber hilft eben nicht mal Solar-Müsli!

    

    

Schließlich ist das Orchester wieder mal alleine dran und spielt eine gar liebliche Melodei. Moment, mal - was’n das? Mendelssohn, der Oldy mit dem Barth? Nö! Moussorgsky? Hmmmm - neeee! Debussy? Keine Ahnung, jedenfalls fließt dem Zuhörer ein Soundtrack zu einem stillen Film in die Gehörgänge und ergreift Kopf und Sinne. Und da ist es: das Wiedererkennen: „Silent Movie“, das zarte Instrumental aus dem ansonsten eher ruppigen „Illegal“-Album ist es, was Streicher und Bläser hier höchst gefühlvoll zelebrieren. Sollte das als Single veröffentlicht werden, gibt’s mal wieder Klassik in den Charts, so viel ist gewiss - und „Elias Grobschnitt“ wird in die Weihen der Großen des Komponistenolymp aufgeführt werden.

    

    

Das noch von der „Next-Party“-Tour bestens in Erinnerung gebliebene Medley für Gesang, Laminat- und Holzgitarren entzückt, vor allem das knifflige „Waldeslied“ zeigt, wie viel Liebe diese Rockmusiker auch der akustischen Gitarre entgegenbringen - Manus kurzer Gastauftritt an der Triangel war dem Publikum sogar einen augenzwinkernden Szenenapplaus wert.

    

    

Der erste Set endet mit „Film im Kopf“ - und auch hier zeigt sich, wie fantastisch das Zusammenspiel von Rockband und Orchester klingen kann. Pause - und man hat sie auch nötig. Wie gesagt, die Erwartungen waren sehr hoch gesteckt und bereits im ersten Set wurden sie locker übertroffen. Das wollte erst mal verarbeitet werden.

    

    

Der nun folgende Hauptteil des Abends, die Aufführung von „Rockpommel’s Land“ war fast schon unerträglich schön. „Unerträglich“ nicht im Sinne von Schmalz und Kitsch - aber, wenn mein Herz sich an diesem Abend wegen Überfüllung geschlossen hätte - ich wäre nicht verwundert gewesen. Der Arrangeur Andres Reukauf hatte alle Register gezogen - das Orchester war weit mehr als nur wuchtiger Background für eine gewöhnliche Rockkomposition. Vielmehr hatte man die innere Wunderfertigkeit der ursprünglichen Stücke herausgearbeitet. Und selbst als Fan, der ich das Original schon x-fach gehört habe, musste feststellen, dass die volle Pracht dieses Musikmärchens nun erst zu voller Blüte kam. So, als hätte ein ohnehin edel gewandeter Schmetterling sich ein zweites Mal entpuppt und flöge nun als unbeschreibliches Lichtwesen am Himmel. Sorry… das is’ hier ja eigentlich ‚ne Rezi, aber das übliche Kritikervokabular reicht für diesen Abend nicht aus.

    

    

Die Ouvertüre war nun wirklich wie die einer klassischen Oper gestrickt und ein Schauspieler schlüpfte in die Rolle von Mr. Glee, um die Geschichte vom kleinen Ernie zu erzählen. Dieser reist mit einem Zaubervogel, dem liebenswerten Marabu, nach „Rockpommel’s Land“. dort befreit man die von den monströsen „Blackshirts“ inhaftierten Kinder.

    

    

Die evokativen Kompositionen werden mit Theatereffekten umgesetzt: die düstere Stadt „Severity Town“ wird von über die Bühne bretternden Autos symbolisiert, die Steinmonster des Fabellandes trotten in Persona durch den Raum und Marabu himself schwebt von der Theaterdecke herab… dazu eine poetische Lichtelegie sondergleichen und viel Nebel.

    

    

Wie sehr die Band ihre Fans schätzt, war auch an einem besonders schönen Detail spürbar: beim letzten Konzert der vorangegangenen Tour hatten die Fans beim Auftauchen von Ernie in der Show sich rote Mützen übergestreift - ebenso, wie der Märchenheld eben auch eine trägt… an just dieser Stelle der Show zogen sich nun alle Orchestermitglieder inklusive des Dirigenten diese modischen Accessoires über!

    

    

Das ohnehin schon tränentreibende Finale des märchenhaften Rockopus wurde durch die philharmonische Unterstützung zum absoluten Tear-Jerker.

    

    

Die nun folgenden „standing ovations“ waren mehr als verdient. Der Theatersaal tobte und sowohl die Band als auch das Orchester wurden gebührend gefeiert. Zugaben? Klar - es war schließlich ein mehr als nur schöner Tag und so durfte der legendäre „Vater Schmidt“ keinesfalls fehlen. Und zum Abschluss schließlich das stille, intime „Beyond“, das bislang noch nie live aufgeführt worden war… der Applaus wollte nicht enden, selbst dann nicht, als klar war: nun is’ wirklich Schluss.

                   

    

Andere Künstler muss man oft ewig lang zu einer mickrigen Zugabe bitten - bei „Grobschnitt“ wird einfach nicht gegangen, da muss man niemand lange bitten und die klatschenden Zuschauer schenken den Musikern ihres Herzens eine eigene Zugabe: und so wurde auch hier wieder einmal „Oooo, wie ist das schön…“ intoniert. Zu Recht!

    

     

Ist es nicht wunderbar, wenn Träume in Erfüllung gehen? In diesem Falle ein hundertfacher Hattric: der Regisseur hat sich einen Jugendtraum erfüllt - und gleichzeitig noch die von mehreren hundert Menschen. Kann es was schöneres geben? Bleibt nur zu hoffen, dass es für diese Bahnbrechende Produktion nach 4 Aufführungen nicht endgültig „Vorhang fällt!“ heißt! Dazu ist das Werk viel zu großartig.

    

    

Und selbst, wenn dereinst der letzte Vorhang gefallen ist, sollte das Ganze für die Nachwelt erhalten bleiben - sonst glauben uns unsere Nachfahren ja niemals, dass es so was jemals gegeben hat - wenn schon nicht den Himmel auf Erden, dann doch ein leibhaftiges Märchen inmitten unserer Realität!

    

    

Günter Klößinger, Juni 2012

 
   

 

 

 
  Bericht Stephan Schelle  

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Grobschnitt live mit dem Philharmonischen Orchester Hagen 2012