Der
deutsche Multiinstrumentalist Thomas Glönkler hat im Oktober 2023 sein
drittes Album „Tiefenland“, das ein Konzeptalbum darstellt,
herausgebracht. Da liegt es nahe, mal genauer nach dem Inhalt, der
Produktion und den Zukunftsplänen zu fragen.
Du
spielst auf dem aktuellen Album unter anderem Gitarren, Bass, Keyboards,
Programming und Glockenspiel. Hast du dir alles autodidaktisch
beigebracht oder hattest du Musikunterricht?
Als
Jugendlicher hatte ich für ein paar Jahre Gitarrenunterricht. Den Rest
habe ich mir tatsächlich autodidaktisch angeeignet. Es sehe das für
mich als Vorteil, da ich so meist sehr intuitiv an die Musik herangehen
kann. Zu viel von etwas zu verstehen, ist nicht immer nur positiv.
Du
bist im Hauptberuf als Lehrer tätig. Da liegt die Vermutung nahe, dass
du unter anderem Musik unterrichtest. Ist das richtig?
Richtig
getippt. Ich bin im Grundschulbereich tätig und da unterrichtest du im
Prinzip alles, aber Musik – und auch Kunst – ist bei mir natürlich
ein Schwerpunkt.
Bevor
du im Jahr 2005 dein erstes Soloalbum „Auszeit“ herausgebracht hast,
warst du in den 90’er Jahren Mitglied der Band ICU (ausgesprochen „I
see you“?). Welchen Stil hat die Band damals gespielt und wie war die
Zeit für dich/euch?
ICU
war eine Band, die Progrock gespielt hat. Wir haben in den 90ern drei
Alben veröffentlicht und viele Konzerte gespielt. Damals war die Szene
noch recht überschaubar und man konnte leichter als heute national und
auch international auf sich aufmerksam machen. Unsere zweite Scheibe NOW
AND HERE wird in manchen Progkreisen noch immer hoch geschätzt und ich
bekomme bis heute regelmäßig Anfragen dazu. Auf meiner Bandcamp-Seite
sind diese Alben in speziellen Editionen alle wieder erhältlich.
Die
Alben sind auf Bandcamp ja digital und als CDRs erhältlich. Waren das
damals auch schon CDRs oder handelt es sich dabei um Nachpressungen? Wie
ist das dann mit dem Artwork?
Die
ursprünglichen Alben waren damals alle regulär gepresst, sind aber
–bis auf die dritte ICU – alle schon lange vergriffen. Das
selbstbetitelte dritte Album ist, bis auf das Replica-Booklet, noch
Originalbestand. Die beiden anderen Alben habe ich 2015, als ich die
Liveaufnahmen von ICU aufgearbeitet habe, als CDR-Editionen und mit viel
Bonusmaterial neu aufgelegt. Das sind jeweils 3CD-Editionen teilweise
auch mit Videomaterial, in schöner Verpackung mit Linernotes und überarbeitetem
Artwork mit neuen Fotos. Ich würde sie als Sammlerstücke bezeichnen,
da ich sie alle selbst herstelle und teilweise nummeriere und signiere.
Und von diesen gibt es auch die Liveaufnahmen, die ich in verschiedenen
Ausgaben anbiete. Ich finde, es lohnt sich, da sie nicht besonders teuer
sind.
Ist
das Projekt ICU endgültig ad acta gelegt? Hast du denn noch Kontakt zu
den früheren Bandmitgliedern und sind die musikalisch auch noch tätig?
Ich
denke, dass da nichts mehr laufen wird. Wir sind zu verstreut
mittlerweile und jeder führt sein eigenes Leben. Kontakt haben wir aber
noch regelmäßig. Der einzige, der musikalisch noch was macht, ist
Hartwig, unser Bassist. Er spielt schon lange in einer
Crossover-Rockband.
Welches
sind deine musikalischen Vorbilder?
Einflüsse
gibt es viele. Die 80er haben mich sehr geprägt und natürlich auch die
70er, die ich mit den Platten meiner Eltern vor der heimischen
Stereoanlage verbracht habe. Das geht von Pop bis Klassik oder
Filmmusik. Im Progbereich sind die größten Einflüsse sicherlich
Marillion und Genesis. Als Gitarristen schätze ich Steve Rothery sehr.
Ich denke, dass er mich – bewusst und unbewusst – in meinem Spiel am
meisten beeinflusst hat.
Du
hast dir zwischen „Goldstadt“ und „Tiefenland“ 13 Jahre Zeit
gelassen. Neben Corona, dass ja so viele Musiker zeitlich zurückgeworfen
hat, war der Grund dafür auch die aufwendige Produktion (du hast ja so
viele Instrumente selbst eingespielt) und dein Hauptberuf?
Das
Album war schon vor Corona fertig. Die lange Entstehungszeit ist hauptsächlich
meiner beruflichen Situation geschuldet, die oft nur wenig Zeit zu zusätzlicher
Kreativität zulässt. Und du hast natürlich recht: Wenn man so gut wie
alles alleine einspielt, dauert es naturgemäß länger als mit einer
Band, die eine ganz andere Dynamik entwickeln kann.
Im
2010’er Album „Goldstadt“ ging es um die Auswirkungen der Städte,
die im 2. Weltkrieg beschädigt wurden (ein Thema das durch gerade
stattfindende Kriege leider derzeit aktueller denn je ist). Thematisch
geht es dieses Mal um die Ungewissheit unseres Ursprungs, unseres Seins
und Werdens. Also woher wir kommen, was wir sind und wie wir uns
entwickeln. Erzähl doch bitte was dich zu diesem Thema bewogen hat.
Mein
Sohn hat mich draufgebracht. Als er klein war hat er oft erzählt, er
komme aus einem „Tiefenland“. Das waren sehr inspirierende kleine
Geschichten, die sofort meine Fantasie in Gang gebracht haben. Nach
einer Weile war klar, dass das Album so heißen und auch diese
philosophischen Themen unseres Daseins in der Welt zum Inhalt haben
muss.
Stellt
der Junge auf dem Frontcover dein junges „Ich“ dar? Und ist von dir
persönlich auch viel in das Album eingeflossen?
Der
Junge auf dem Cover ist tatsächlich mein Sohn zu damaliger Zeit. Kurz
nach der Idee zum Album entstanden die Bilder spontan während einem
Wanderurlaub im Berchtesgadener Land. Da es auf der Platte u. a. auch um
die Dinge geht, die wir im Leben verloren haben, kann man deine
Interpretation mit dem jungen „Ich“ auf dem Cover sicher so stehen
lassen. Die Texte sind ja teilweise zusammen mit meinem alten Freund
Detlef Schwieger entstanden. Das hat sich alles über die Jahre
entwickelt und teilweise haben sie auch persönliche Hintergründe.
„Kleine Seele“ handelt z. B. von einem ehemaligen Schüler von mir.
Ich
hatte beim Betrachten des Covers auch sofort den Königsee im Kopf. Wie
muss man sich denn die textliche Zusammenarbeit zwischen dir und Detlef
Schweiger vorstellen?
Genau,
das ist der Obersee, ein paar Schritte hinter dem Königsee. Ein
wunderbarer Platz, wenn nicht gerade zu viele Leute dort unterwegs sind.
Detlef hat ja schon zu ICU-Zeiten einige Texte beigesteuert, die ich
dann vertont habe. So ähnlich lief das auch bei meinen beiden letzten
Alben. Er schickt mir seine Ideen und ich wähle dann aus, was für mich
passt oder schicke etwas zurück. Die Hälfte der Texte sind dann meist
Kollaborationen, den Rest schreibe ich alleine.
Wie
sah deine Arbeitsweise bei dem komplexen Album aus? Hattest du erst den
Text oder waren die Musik oder Teile davon schon vorher da?
Das
ist ganz unterschiedlich. Meistens kommt bei mir die Musik zuerst und
die Worte später. Bei „Die Endlichkeit der Welt“ war es aber z. B.
andersrum. Da entstand der Text bei einem Waldspaziergang in sehr kurzer
Zeit und die Musik danach am selben Tag. Das sind die besten Momente,
wenn es einfach herausfließt und man sozusagen von der Muse geküsst
wird.
Neben
dir wirkten ja auch noch Sänger Alex Hanafi und zahlreiche Gastmusiker
mit. Hast du Musik und Text schon komplett fertig gehabt oder konnten
sich die anderen Beteiligten auch noch persönlich einbringen?
Was
den Gesang angeht: Da hatte ich bereits alles fertig und wir haben meine
Gesangsdemos als Grundlage genommen und damit gespielt. Alex hat die
Linien beim Einsingen dann quasi „verbessert“. Die arrangierten Bläser
waren auch fix und mussten nur eingespielt werden. Bei Harmonica und
Saxophon hatten die Musiker mehr Freiheiten, da hatte ich nur grobe
Ideen dazu.
Deine
Musik ist ja eine Mischung aus Artrock, Progressive-Rock, Deutschrock
und Popmusik. Wie würdest du sie selbst beschreiben und welche
musikalischen Einflüsse haben dich dabei geprägt?
Das
ganze Album ist sicher im Artrockbereich verortet. Da es – wie du
sagtest - recht vielschichtig ist und all diese Richtungen bedient, die
du erwähnt hast, ist es schwer ein „Label“ dranzuhängen. Ich denke
von der Form ist es ganz klar ein Konzeptalbum in der Tradition der großen
Alben der 80er wie „Misplaced Childhood“ oder auch „The Wall“.
Ich mochte immer schon diese Mischung aus Eingängigkeit und großem
konzeptionellem Wurf. Und bitte: Damit möchte ich mein Album nicht auf
dieselbe Stufe stellen wie diese grandiosen Werke – nur meine
Herangehensweise ist eine Ähnliche.
Ich
denke, dass die Platte auch durchaus für breitere Hörerschichten
abseits des Genres interessant sein dürfte, da sie neben den
komplexeren Stücken eben durchaus auch mal „mainstreamig“ klingt.
Auf
den letzten beiden Stücken des Albums wirkt auch der Schulchor der
Schlehengäuschule Gechingen mit. Ist das deine Schule bzw. sind das
deine Schüler?
Das
waren Kinder meiner ehemaligen Schule in Gechingen bei Calw. Die
Aufnahmen dazu waren tatsächlich etwas nervenaufreibend, aber das
Ergebnis kann sich hören lassen. Der Schulchor zieht sich übrigens wie
ein Leitmotiv durch das ganze Album und taucht direkt zu Beginn und
immer wieder auf, bis er am Ende der Scheibe seinen großen Auftritt
hat.
Wie
war die Arbeit mit den Kindern/Jugendlichen und wie fanden sie es auf
einer solchen Produktion mitzuwirken (da fällt einem ja sofort Pink
Floyds „Another Brick In The Wall“ ein)?
Während
der Aufnahmen war es den Kindern nicht bewusst, was da mal draus werden
wird. Ich war mir ja auch nicht sicher, ob die Takes überhaupt
funktionieren würden. Erst als ich ihnen jetzt, ein paar Jahre später,
das fertige Produkt geschickt habe, waren sie natürlich sehr angetan.
Im Nachhinein bin ich sehr froh und stolz, dass diese Aufnahmen so gut
rauskamen.
Das
Album ist ja sehr kompakt, aber gibt es für dich ein Lieblingsstück
darauf?
Es
ist schwierig für mich, ein Stück herauszugreifen. Im ganzen Album
steckt sehr viel Herzblut von mir. Am ehesten würde ich „Die
Endlichkeit der Welt“ nennen, da dieser kurze Song so etwas wie das
emotionale Zentrum des Albums ist.
Die
Erstauflage ist in einer limitieren Auflage mit einer BonusCD
erschienen. Wie groß ist die Auflage und wie weit ist sie schon
abverkauft?
Zusätzlich
zur CD erschien das Album ja auch als Doppel-LP im Gatefoldcover mit
Bonus-CD. Die CD hat eine
500er Auflage, von der Vinyl gibt es 300 Stück. Im Moment habe ich noch
mehr als die Hälfte der Exemplare. Leider sind die Leute nicht mehr so
kauffreudig wie noch vor ein paar Jahren. Ich kann nur sagen: Wer
neugierig ist, den lade ich dazu ein, auf meiner Bandcamp-Seite
vorbeizuschauen. Da gibt es einige nette Angebote. Für mich als unabhängigen
und „kleinen“ Musiker macht tatsächlich jeder Käufer den
Unterschied.
Was
hat dich dazu bewogen, ein so aufwendiges und kostenintensives Produkt
als DoppelCD und DoppelLP plus BonusCD herauszubringen? Ist das
materielle Risiko in Zeiten von Spotify, youtube & Co. nicht zu groß?
Doch
natürlich. Finanziell ist es nicht zu rechtfertigen. Leider hat sich
– wie schon erwähnt – der Markt sehr verändert. Das ist sehr
schade, da ich finde, dass die Verpackung und Haptik eines Musiktonträgers
eine tragende Rolle beim Musikhören spielt – da bin ich ganz
oldschool. Für mich geht das eine nicht ohne das andere. Der Markt
entwickelt sich leider in die entgegengesetzte Richtung. Aber nach 13
Jahren Arbeit wollte ich mir diesen Vinyltraum einfach erfüllen und es
war mir wichtig, dass die Vinyl und die CD auch diese Ausstattung haben.
Dafür gibt es von außen auch viel Lob, das freut mich natürlich. Aber
gut, was die finanzielle Seite angeht …nennen wir es einfach
Idealismus - gepaart mit Optimismus.
Das
kann ich gut nachvollziehen, da ich auch recht „oldschool“ bin und
das Haptische an Alben für mich einen besonderen Reiz hat, denn man
kann sich in der Musik und der Verpackung (Cover, gedruckte Texte,
Grafiken etc.) förmlich verlieren. Besitzt du selbst auch eine größere
Plattensammlung?
So riesig ist sie nicht, ca. 2,5m.
Das meiste davon habe ich in den 80ern zusammengesammelt und später
Gottseidank nie wegegeben. Jetzt kommen stetig neue Sachen dazu. In
Freiburg gibt’s einen tollen Plattenladen, den ich regelmäßig
aufsuche. Meist gehe ich nicht ohne zwei oder drei der alten Scheiben
wieder raus. Plattenhören hat so etwas wunderbar Entschleunigendes, das
hab ich die letzten Jahre wieder sehr zu schätzen gelernt.
Du
hast mit dem Blue World Studio ein eigenes Studio. Nutzt du das nur für
deine Soloprojekte? Wie muss man sich dein Studio vorstellen?
Das
darfst du dir als klassisches Homerecordingstudio vorstellen. Um
heutzutage Musik aufzunehmen, brauchst du nicht mehr viel Equipment, da
das meiste über den Computer möglich ist. Neben meinen Instrumenten
benötige ich hauptsächlich ein paar richtig gute Mikrofone und ein
ordentliches Audiointerface mit guten Preamps. Und ja, ich benutze mein
Aufnahmesetting nur für meine eigenen Projekte.
Wie
sieht deine musikalische Zukunft aus? Kannst du dir vorstellen das
Konzeptwerk mal live aufzuführen?
Das
nächste Album ZAUBERWALD ist schon in Planung und wird nicht so lange
dauern wie TIEFENLAND. Für TIEFENLAND ist eine Livedarbietung in
irgendeiner Form angedacht. Konkretes gibt es dazu aber momentan noch
nicht.
Ich
danke dir für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen.
Sehr
gerne. Ich danke dir für dein Interesse.
Stephan Schelle
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