Interview mit Ron Boots
am 16.08.2008 in Essen geführt

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Beim Schallwende Grillfest im Essener Grugapark hatte ich am 16.08.2008 die Gelegenheit mit Ron Boots kurz vor seinem Auftritt ein Interview zu führen. Er hat mir sehr ausführlich auf meine Fragen zu seinen letzten Alben und auch zu dem, was ihn zu „Acoustic Shadows“ und dem darum rankenden Thema beschäftigt, geantwortet. Das Ergebnis findet ihr nachstehend. Viel Spaß dabei.

Stephan: Hallo Ron, du hast mit deinen letzten drei Alben stilistisch und auch thematisch Neuland betreten. Ein Grund für mich darüber mit dir zu sprechen.

Zwischen „Movement Area“ und deiner SoloCD „Acoustic Shadows“ lagen drei Jahre. Dazwischen hast Du in 2004 mit Frank Klare zusammen noch die CD „Monumental Dreams“ eingespielt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Ron: Frank hatte ja vorher schon zwei CDs bei uns (Anmerkung: bei Groove Unlimited) herausgebracht. Er hatte für seine damalige CD drei Stücke, mit denen er zwar zufrieden war, er aber zu mir meinte, dass es toll wäre, wenn ich noch etwas dazu spielen könnte. Es gab den Raum in den Stücken, wo man am Anfang, im Mittelteil oder am Ende noch etwas ergänzen konnte. Ich hab mir dann die drei Stücke angehört und die Musik auf mich einwirken lassen. Drei bis fünf Mal hörte ich mir die Stücke an und hab dann locker aus dem Handgelenk die Partien dazugespielt, die ich wollte. Ich fand es im Endeffekt auch sehr gelungen. Ich hab ihm dann die Aufnahmen geschickt und er fand sie auch ganz gut. So ist das entstanden.

Stephan: Was hast du denn zwischendurch noch gemacht? War das zwischen „Movement Area“ und „Acoustic Shadows“ deine einzige musikalische Arbeit und hast du dich mehr um Groove und das E-Live-Festival gekümmert?

Ron: Ich hab in der Zeit zwei große Musikbörsen organisiert. Das waren zwei große Börsen in Form von DJ-Börsen. Das hat nichts mit Musikmachen zu tun, sondern mit den Geräten, also mit dem Werkzeug der Musiker. Da sind dann jeweils 2.500 bis 3.000 Leute gekommen. Letztendlich habe ich aber immer an der CD „Acoustic Shadows“ gearbeitet, weil das Thema so persönlich für mich war.

Stephan: Du bezeichnest „Acoustic Shadows“ nach der CD „Detachment Of Worldly Affairs“ als Dein persönlichstes Album. Erzähl doch ein bisschen etwas zu den Hintergründen.

Ron: Das Thema ist ja nicht fröhlich. Es ist ja kein Thema wo man sagt „Da setz ich mich mal schön hin und spiel mal was“. Am Anfang war die Musik auch düsterer, als sie dann schließlich auf der CD geworden ist. Als ich die ersten Aufnahmen durchgehört habe, hab ich gedacht: „Das Thema ist ja schon nicht fröhlich, da darf man das auch nicht so düster angehen, weil das Album ja auch noch ein bisschen Hoffnung ausstrahlen sollte.“ Obwohl es all diese schlechten Sachen gibt, über die die Musik handelt, können schließlich aus diesen schlechten Sachen auch einige positiven Dinge entstehen. Die Sinnlosigkeit vom Beginn eines Krieges und das letztendlich ein Krieg, nachdem er beendet ist, doch noch positive Seiten haben kann, das war eigentlich das Thema der CD. Als Beispiel hatte ich da schon den amerikanischen Bürgerkrieg angesprochen. Der Grund für den Krieg war völlig unsinnig, weil sich die Südstaaten von der Union ablösen wollten. Letztendlich hat dieser Krieg aber dazu geführt, dass die Sklaverei in Amerika aufgehoben wurde. Unter diesem Gesichtspunkt muss man die CD sehen.

Der erste Weltkrieg war ein Streit zwischen drei, vier, fünf Neffen, die zufälliger Weise Könige von Ländern waren. Und da sterben dann 20 Millionen Leute, das ist unfassbar. Der erste Weltkrieg ist ein sehr befremdlicher Weltkrieg für mich, wo eine Ursache die nächste ergibt und so weiter und letztendlich sind dann 20 Millionen Leute tot. Und das Ganze hatte gar keinen Sinn. Der erste Weltkrieg hat gar nichts gelöst, hat keine Hoffnung gebracht sondern nur zerstört. Und da sage ich dann „Das ist wirklich ein sinnloser Krieg“.

Stephan: Deswegen zeigt das Cover auch einen sehr düsteres und bedrückendes Kriegsbild?

Ron: Ja genau, das ist der erste Weltkrieg. Das ist für mich auch ein unfassbares Etwas. Das war der erste richtig moderne Krieg den es gegeben hat, also mit Flugzeugen, mit Gasangriffen, mit Flammenwerfern und diesen Grabenkämpfen, wo um hundert Meter zu erobern, eine halbe Millionen Leute fallen. Ich habe die CD aber so angelegt, dass ich keine Beschuldigungen ausspreche.

Stephan: Das merkt man auch.

Ron: Da will ich auch weit von entfernt sein, jemanden zu beschuldigen. Nur die Ursache dieses Krieges ist so undurchsichtig und dumm, dass junge Leute mit Verstand da mitgemacht haben. Im Anfang des 19. Jahrhunderts gingen doch alle zur Schule und hatten eine Ausbildung bekommen. Und trotzdem haben sie sich alle zur Schlachtbank führen lassen. Das hat mich immer fasziniert. Ich glaube auch nicht, dass das in der heutigen Zeit noch passieren würde. Hier in Westeuropa glaube ich das nicht mehr, dafür sind wir mittlerweile zu friedlich geworden. Es gibt natürlich immer noch Ecken in der Welt, wo das noch passiert, wir haben es ja erst vor wenigen Tagen in Georgien mitbekommen. Und das ist ja in der Tat auch nicht so weit weg. Das hat man ja auch damals mit Serbien im Balkankrieg gesehen. Eigentlich passierte vor 15 Jahren dort das, was im frühen 19. Jahrhundert im Rest von Europa los war.

Stephan: Mit deinem Album „Acoustic Shadows“ sprichst du ein sehr ernstes Thema an. Im Booklet steht, dass du eine Fernsehsendung der BBC gesehen hast. Was es das, was dich dazu bewegt hat?

Ron: Ich bin ein großer Liebhaber von Dokumentarsendungen. Ob es jetzt englische, amerikanische oder deutsche sind, ich verschlinge alles, was Dokumentarsendungen sind. Ich lese auch viele geschichtliche Bücher. Am liebsten sind mir die Sachen, die wahrheitsgetreu sind.

Von der BBC gibt es die Serie „The great War“, weil in England der erste Weltkrieg als der große Krieg gesehen wird, handelt die Serie davon. Der ist für die Engländer eigentlich wichtiger als der zweite Weltkrieg, denn im ersten Weltkrieg sind über fünf Millionen englische Soldaten gefallen, im zweiten nicht mal eine halbe Millionen. Das nur mal als Maßstab, wo für die Engländer der Unterschied liegt. Das ist eine sehr schöne 18teilige Serie, die wirklich diese Sinnlosigkeit zeigt. Drei bis vier Sendungen handeln alleine nur über diesen Grabenkrieg, wo in sieben Monaten eine Millionen Leute auf englischer, französischer und deutscher Seite sterben. Und das alles um sonst. Aus England gehörten ja viele der Soldaten der Mittelklasse an, die richtig studiert hatten und die saßen da in einem Graben und Leichen lagen überall drum herum und die haben das alles überstanden. Und ich denke mir, dass es unfassbar ist, dass ein Mensch das aushalten, verdauen und auch noch zulassen kann. Es müsste doch irgendjemand an einem Punkt aufstehen und sagen, „Jetzt ist es genug“. Es hätte doch jemand sagen müssen „Lasst uns aufhören und nach Hause gehen“. Letztendlich ist das aber nicht passiert und das befremdet mich.

Stephan: Zwischen den Stücken bzw. in ihnen hört man oft eingebaute Sätze, die sich danach anhören, als stammten sie aus einer Fernsehsendung. Ist das richtig?

Ron: Ja, das stimmt. Ich hab unter anderem aus der Serie „The great War“ und aus der sehr schönen Dokumentarserie vom amerikanischen Bürgerkrieg etwas eingebaut. Der amerikanische Bürgerkrieg hat mich auch immer fasziniert. Ich glaube eigentlich nicht an Reinkarnation, aber bei allem was ich vom amerikanischen Bürgerkrieg lese oder sehe rieche ich, wie es damals war. Ich bin immer noch nicht davon überzeugt, dass es Reinkarnation gibt, aber irgendwie fasziniert mich dieser Krieg mehr als jeder andere. Vielleicht auch, weil Familien gegeneinander gekämpft haben. Das war wirklich so ein Krieg, wo auf der einen Seite der Vater und auf der anderen Seite der Sohn gekämpft hat. Komplette Familien und Dörfer haben sich getrennt, je nachdem für welche Seite sie waren.

Stephan: Ich finde diese Passagen machen die CD auch wesentlich kompakter. Man bekommt dadurch noch mal einen besseren Bezug zur Musik und dem Thema. Was ja bei Instrumentalmusik eh immer etwas schwieriger ist.

Ron: Es sind zwei Stücke mit gesprochenem Teil auf dem Album, mit denen ich sehr zufrieden bin. In einem spricht eine Frau und bei dieser Frau hört man die Verzweiflung aus ihrer Stimme heraus. Das Gedicht, was sie da vorträgt, wurde auch von einer Frau im Jahr 1863 geschrieben. Das gibt wirklich die Gemütslage der Leute wieder. Das fängt die Atmosphäre der CD wirklich gut ein. Es gibt dadurch etwas Beklemmendes.

Stephan: Ja, das stimmt.

Ron: Und das darf es auch ruhig sein. Wenn man das Booklet sieht, da sind keine schönen Fotos drauf. Es ist aber nicht um zu schockieren. Wenn man das Booklet liest, ich hab so viel wie möglich an Informationen dort aufgenommen, dann kann man sich vielleicht vorstellen, wie es damals war.

Stephan: Ich hatte beim Hören auch das Gefühl, als wenn du sehr objektiv an das Thema herangegangen bist. Ich kann es aber auch nicht anders beurteilen, weil ich aufgrund meines Alters ja nicht selbst dabei gewesen bin. Du bist, wie ich finde, sehr behutsam mit der Wahl deiner Töne und auch Deiner Linernotes mit dem Thema umgegangen. Ja du hast mit dem Stück „Dresden“ die Bombardierung der deutschen Stadt vertont. Ich empfinde das als deutscher, der zwar den Krieg nicht am eigenen Laib miterleben musste, sehr wohltuend, dass ein Niederländer, dessen Landsleute im zweiten Weltkrieg unter den deutschen Besatzern sehr gelitten haben, sich so objektiv ausdrückt. Hat sich da das Verhältnis zwischen Niederländern und Deutschen verbessert?

Ron: Ich sag mal jein. Holland war im zweiten Weltkrieg als eines der letzten Länder von den Deutschen besetzt. Bis zur Kapitulation war der Norden von Holland immer noch besetzt. Holland ist auch eines der wenigen Länder gewesen, die im Winter 1944 eine Hungersnot gehabt haben. Und dadurch gibt es immer noch Leute, im nördlichen Teil Hollands, die das nicht vergessen haben. Ich wohne unter den Revieren. Es ist schon ein Unterschied, ob du in Holland über dem Rhein oder unter dem Rhein wohnst. Diesen Unterschied gibt es schon seit 1500 bzw. 1600. Aber durch den zweiten Weltkrieg sind die Gräben noch mal tiefer geworden, denn die haben alle bis zuletzt durchhalten müssen. Was uns in Holland allgemein mehr beschäftigt, ist das wir 1974 im WM-Finale verloren haben (lacht). Bis auf bei den alten Leute ist der zweite Weltkrieg nicht mehr in den Köpfen. 1974 haben viele Holländer noch mehr in Erinnerung.

Jedem Holländer ist wohl bewusst, dass nur ein kleiner Funke in Deutschland dazu geführt hat, unter anderem auch durch die neuen Medien wie Radio etc., das es diese Hysterie in den Jahren 1938/39 bis 1942/43 gegeben hat. Ich gehe davon aus, dass dies in vielen anderen Ländern auch hätte passieren können. Das es letztendlich hier passiert ist, naja, es sei so. Es sind vielleicht auch 10.000 bis 15.000 Leute schuld daran, und diese Leute haben meiner Meinung nach auch alle ihre Bestrafung bekommen. Das wollte ich mit dem Dresden-Thema ja auch ausdrücken, dass auch Sachen passiert sind, die von westlicher Seite erfolgten und nicht gut geredet werden können. Die Engländer und Amerikaner wussten, dass Dresden mit Flüchtlingen voll gepackt war und doch haben sie die Stadt bombardiert, nur um den Russen zu zeigen, „Guckt mal Jungs, wir können auch immer noch kämpfen. An eurer Seite, wenn wir wollen“. Das gleiche gilt für den Atombombenkrieg. Die zwei Atombomben, die geworfen wurden … Den Abwurf der ersten kann man vielleicht noch verstehen, aber die zweite ist doch eher, sage ich mal, ein Verbrechen. Die zweite Atombombe auf Nagasaki ist genau so ein Verbrechen wie die Bombardierung Dresdens. Und in jedem Krieg, auf jeder Seite kommen Verbrechen vor, das ist nun mal so.

Früher waren es zwei, drei Heere, die ihre Streitigkeit gegenseitig auf einem Schlachtfeld ausgetragen haben. Da wurden die Soldaten auch gut für bezahlt, aber seit dem ersten Weltkrieg ist das vorbei und die Bevölkerungen werden mit in diese Auseinandersetzungen hineingezogen. Dagegen können wir halt nichts machen.

Stephan: Wie gehst du an neue Stücke heran? Steht zunächst ein Konzept bzw. ein Name für die Produktion fest oder entwickelt sich das im Laufe des Entstehungsprozesses bzw. betitelst du die Stücke wenn sie fertig sind?

Ron: Ich fang eigentlich erst an Musik zu machen und während dieses Prozesses, wenn ich zwei oder drei Stücke fertig habe, dann fällt mir ein Thema ein, das zur Musik passt. Und das ist dann meistens von Büchern oder halt von anderen Sachen beeinflusst. Daher kommt dann das Konzept. Die Stücke für „Acoustic Shadows“ waren schon fertig, waren mir aber doch etwas zu düster. Da habe ich mir dann gesagt, wenn du dieses Thema nutzen willst, dann musst du es etwas anders angehen. Das gilt auch für die letzte und eigentlich für jede CD. Bei „Area Movement“ war es wirklich so, das bei mir zu viele Stücke zu filmisch waren. Ich hab dann zwei Stücke auch noch umgeschrieben, so dass es etwas mehr zur Elektronikmusik zurückging. Das ist dann kein Kompromiss, denn mir gefällt jede Art von Musik, ich habe nämlich einen ganz breiten Geschmack. Es entsteht letztendlich ein Konzept während des Musikmachens. Ich setz mich jetzt nicht hin und sage dann, dass ich ein Album z. B. über das Thema Zirkus mache, so funktioniert das bei mir nicht.

Stephan: In 2005 hast du eine CDR unter dem Titel „Fanta Magic“ herausgebracht. Sie kommt ohne Booklet und enthält für deine Verhältnisse recht ungewöhnliche Tracks, da sie mit Gesang unterlegt sind. Erzähl doch ein wenig über die Produktion.

Ron: Ja. Es gibt in Holland eine ganz große LAP-Szene, Live Action Playment oder so ähnlich. Diese Leute verkleiden sich wie Ritter oder Elfen und spielen dann Fantasyszenen. Jedes Jahr gibt es eine sehr große Börse und die heißt Fanta Magic. Zu dieser Börse wurde ich eingeladen um live zu spielen. Da hab ich mir dann gedacht, „okay, da kannst du ruhig spielen und da kannst du auch etwas anderes als normal machen“.

Im Grunde mache ich neben Elektronikmusik auch viel andere Musik, nur die hört man meistens nicht. Ich produziere viele Rock- und Popbands. Und für mich war das eine Gelegenheit aus der gewöhnlichen Elektronikschiene rauszukommen und etwas anderes als ich normal mache, zu tun. Und daraus ist dann „Fanta Magic“ geworden. Ich habe eine bestimmte Anzahl an CDR’s nur für die Börse gemacht. Ich hatte aber einige übrig und die habe ich mit nach Hause genommen und über die Webseite angeboten. Es war aber nie gedacht, diese Musik als richtiges Album herauszubringen.

Es ist ähnlich wie diese Liveaufnahme, die wir in Schweden aufgenommen haben (Anmerkung: gemeint ist die CDR „BAH – Live in Schweden“). Das ist auch nur eine CDR. Ich hasse das Medium CDR. Ich finde dass jeder sich selbst respektierende Musiker der CDRs rausbringt, sich nicht wirklich selbst respektiert. Das sage ich so knallhart und sage das auch zu allen anderen Musikern, weil mittlerweile eine CD wirklich Kostendeckend zu produzieren ist, wenn du wirklich gute Musik machst. Das lässt sich auch besser als eine CDR verkaufen. Das Problem mit CDRs ist, wenn du sie einen Tag in die Sonne legst, kannst du sie wegschmeißen. Das hat man bei der CD nicht. Mit einer CD hat man etwas zeitloses, was über 20 oder 30 Jahre immer noch funktioniert.

Das ist die Geschichte zu „Fanta Magic“. Es ist etwas anderes, als das, was man von Herrn Ron Boots sonst gewohnt ist.

Stephan: Deswegen stand auch dein Name nicht auf der CD.

Ron: Ja. Es ist auch wirklich so für dieses Festival gedacht. Ich hab die restlichen ca. 150 Stück über meine Internetseite angeboten, weil es Leute gibt, die alles von einem Musiker haben wollen.

Stephan: Da gehöre ich auch zu.

Ron: Dann sollen die auch das schlechte nehmen (lacht). Obwohl, schlecht ist es nicht. Es ist anders.

Stephan: Dann lass uns mal zu deinem neuen Album „See Beyond Times, Look Beyond Words“ kommen. Auf dem hast du dir wieder - wie schon bei „Bookworks“ - das Thema Bücher ausgewählt. Dabei geht es nicht nur um Romane, sondern auch um Geschichte etc. Du hast vorhin schon erwähnt, dass du sehr viel liest. Welchen Anteil haben Bücher in deinem Leben? Was bedeutet Lesen für dich?

Ron: Im Grunde nichts und im Grunde auch wieder viel. Ich würde mal sagen, dass ich nicht mein Leben um Bücher herum aufgebaut habe. Aber ich liebe es zu lesen, wenn ich Zeit habe, vor allem im Urlaub, oder wenn ich mal ein paar Tage frei habe. Dann nehme ich mir ein Buch und lese es so schnell wie möglich durch. Das kann ein Dokumentarbuch sein, ich hab gerade ein Buch mit dem Titel den „Der letzte Sommer“ gelesen. Es handelt vom letzten Sommer vor dem ersten Weltkrieg. Ich hab aber auch den letzten Jack Vance gelesen, das ist Science Fiction. Daneben habe ich auch ein englisches Buch über den amerikanischen Freiheitskrieg, wo die Amerikaner sich von den Engländern getrennt haben, gelesen. Irgendwie ist Lesen für mich Entspannung. Und wenn ich dann lese, dann möchte ich mir gern etwas vornehmen, wo ich auch etwas lerne, was mich vielleicht auch etwas bereichert. Liebesromane oder der neue Bond, so etwas interessiert mich nicht.

Stephan: Erstmals hast du auf einem reinen Soloalbum mit mehreren Musikern zusammengearbeitet (mit Ausnahme von Harold van der Heijden, der dich ja oft schon begleitet hat). Was war für dich die Intention mit Gert Emmens, der auf dem Eröffnungstrack ein Solo spielt, Paul Ellis, Frank van Bogaert oder auch Henri Peeters zusammenzuarbeiten? Ist das jetzt der neue Ron Boots?

Ron: Ich hab ja live immer schon mit anderen Leuten Musik gemacht.

Stephan: Ja, aber dann unter dem Namen Ron Boots & Friends.

Ron: Genau. Das schöne daran ist, wenn man mit anderen Musikern arbeitet, da bekommt man eine Art von „Kreuzbestäubung“ (man befruchtet sich gegenseitig). Schlagzeuger sind sowieso komische Leute, die können mit Händen und Füßen gleichzeitig unterschiedliche Sachen machen, was wir anderen nicht können. Schlagzeuger denken rhythmisch auch anders und das ist schön, denn es gibt meiner Musik eine besondere Würze. Gitarre habe ich immer gemocht, ich hab ja auch schon mit Klaus Hoffmann-Hoock zusammen auf meinen CDs gespielt. Gitarre hat für mich einen bestimmten Reiz. Der Henri (Anmerkung: er spielt Gitarre auf dem neuen Album) ist ein guter Freund von uns. Er hat bei seiner Band aufgehört und da haben wir gesagt, „Wenn du Lust hast, mach doch mal bei uns mit“. Das hat gut funktioniert. Ein Stück („Radar“) auf der neuen CD ist von meinem Kollegen, Martijn Ruissen, er ist mein Arbeitskollege im Musikgeschäft. Er hat ein Stück gemacht, das er für ein Ballett komponiert hat. Das haben wir dann auch weiterentwickelt. Ich muss sagen, Musik mit anderen Leuten zu machen, macht oft mehr Spaß als man denkt.

Mit Paul Ellis war es ganz einfach. Paul hat mir ein Stück geschickt (Anmerkung: er ist in den Vereinigten Staaten zu Hause) und hat - wie Frank Klare es gemacht hat – gesagt „Guck mal, ich hab ein Stück, das ist nicht ganz fertig. Ich weiß nicht wie es weitergehen soll. Hast du Lust?“. Und ich hatte Lust. Paul Ellis ist für mich einer der besten Elektronikmusiker die es gibt. Von der amerikanischen Szene her finde ich den wunderbar. Er macht wirklich supergeile Musik. Das gilt eigentlich auch für Gert Emmens. Ich hatte dieses Stück „Hour Of The Wolf“ fertig. Aber irgendwie dachte ich mir, „Wenn du da wieder ein Ron Boots-Solo reinbringst, dann ist es wieder nur typisch Ron Boots“. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt gerade Gert’s letzte CD zum Mastern vorliegen. Und ich dachte mir, das er eigentlich sehr gute Soli spielt und warum ich ihn dann nicht fragen sollte, ob er da ein Solo reinspielt. Ich wollte ihn das machen  lassen, weil er einen bestimmten Stil hat, den Leute gleich raushören können. Die wissen dann auch gleich das es Gert ist, aber es ist trotzdem Bestandteil meiner Musik. Es hat funktioniert. Ich hab Gert das Stück geschickt, hab das Solo zurückbekommen und es in das Stück reingemischt. So ist das Stück dann entstanden.

Stephan: Du hast also zwei Stücke, das „Radar“ und das „Boellistian“, auf deinem Album, die nicht von dir stammen.

Ron: Die sind nicht komplett von mir komponiert.

Stephan: Alles andere stammt aber von dir, bei denen andere Musiker dann als Ergänzung mitgewirkt haben?

Ron: Ja. Wobei „Boellistian“ zu 70 % und das Stück „Radar“ zu ca. 50 % fertig waren. Als Grundlage war es von den beiden fertig, ich hab dann noch meinen Teil dazu beigetragen. Das hat gut funktioniert und beide Musiker waren mit den Ergebnissen zufrieden. Ich mag es mit und für andere Leute zu arbeiten.

Stephan: Ich komme noch einmal auf Henri Peeters zurück. Du hast vorhin gesagt, dass du auch Rockbands produzierst. Hast du Henri dadurch kennen gelernt?

Ron: Nein. Henri ist ein Neffe von Harry, ein Mitarbeiter von E-Live und E-Day ist. Henri ist auch Nachbar von Harold van der Heijden. Es ist alles Inzucht (lacht).

Bei den Bands die ich produziere handelt es sich um junge Bands, die gerade am Anfang stehen und ihre Aufnahmen in einem Studio gemacht und es professionell abgemischt haben wollen. Ich besitze ein professionelles Produktionsstudio, wo alles vorhanden ist, was es auch in großen Studios gibt.

Stephan: Wird Henri zukünftig bei Ron Boots Produktionen mitspielen oder war das eine einmalige Sache?

Ron: Die Idee ist eigentlich, dass wir zu dritt einen neuen Weg gehen wollen. Das wird dann nicht unter dem Titel Ron Boots sein. Das wird wahrscheinlich unter einem eigenen Namen laufen, obwohl es auch sehr in die Musikrichtung gehen wird, die ich mache. Es wird aber auch etwas rockiger und symphonischer. Elektronikmusik á la Ron Boots wird es in Zukunft aber auch weiter geben.

Stephan: Wie sehen deine weiteren Planungen aus, außer deinem Auftritt gleich hier beim Grillfest? Was steht außer dem kurz bevorstehenden E-Live, bei dem du ja auch wieder organisatorisch tätig bist, an?

Ron: Ja, das E-Live findet am 11.10.2008 statt. Es werden unter anderem Radio Massacre International und Fanger & Schönwälder auftreten. Auch Arthur Brown, der bei Klaus Schulze auf den CDs „Live“ und „Dune“ gesungen hat, wird dabei sein. In diesem Konzept, also der Zusammenarbeit mit Klaus Schulze, haben Arthur Brown, White Noise und Mark Jenkins zu dritt ein neues Projekt gestartet. Wir sind gespannt, wie das wird. Das wird wahrscheinlich wunderschöne Musik. Was ich so schon im Vorhinein gehört habe, wird es was ganz Besonderes. Beim E-Live wird es dann die Uraufführung geben. Na gut, nach dem E-Day mit Tangerine Dream kann es ja nicht mehr viel besser werden. Das Konzert hat für uns auch wieder eine ganze Reihe neuer Ideen und Leute gebracht. Wer weiß, was sich daraus weiter entwickelt.

Zu meiner Musik kann ich sagen, dass Anfang bis Mitte des nächsten Jahres bekannt wird, was es Neues von mir geben wird. (Nachtrag: Nach dem Interview kam die Info, dass vielleicht aber auch schon zum kommenden E-Live ein neues Album von Ron fertig sein wird).

Stephan: Es wird dann nicht wieder zwei Jahre dauern, bis ein neues Album von dir kommt?

Ron: Ich verspreche nichts. Aber Ideen habe ich genug.

Stephan: Ich danke dir für das nette Gespräch.

Ron: Hab ich gerne gemacht.

Stephan Schelle, 22.08.2008

   
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