Interview mit Rainer Klain aka Otarion
Per Email im Juni 2021 geführt

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Otarion nennt sich der deutsche Musiker Rainer Klein, der seit 1997 seine elektronische Musik veröffentlicht. Im Laufe der Jahre hat sich sein Stil immer weiter entwickelt und weist unter anderem auch rockige, teils Postrock artige Elemente auf. Im Frühjahr 2021 ist sein neuntes Soloalbum unter dem Titel „No Time Was Lost“ erschienen.

Rainer, du veröffentlichst seit 1997 mit dem Album „Es werde Licht“ elektronische Musik. Wie bist du zu dieser Musikrichtung gekommen?

Anfang der 1980er Jahre spielte ich in einer Schülerband. Unsere Besetzung bestand aus Drums, 2 Gitarristen, Bass und 2 Keyboardern. Wir spielten nur eigene Musik, welche mein Keyboard-Kollege und ich komponierten. Wir alle waren geprägt von progressiver Rockmusik. Grobschnitt, Eloy, Pink Floyd, Gensesis etc. Zur Musikrichtung der elektronischen Musik kam ich, wie viele andere EM-Künstler, durch das Hören der damaligen Bands bzw. Musiker von Tangerine Dream, Klaus Schulze, Jean-Michel Jarre, Kitaro und Co.

Auf den letzten Alben hast du auch rockige Elemente, die an Postrock erinnern mit in deinen Sound gebracht. Dabei findet auch immer die E-Gitarre Einzug in Deine Musik.

Ich wollte von Anfang an nie pure EM machen, sondern Elektronik mit „natürlicher“ Instrumentierung. Klassische Instrumente, wie Streicher, Bläser, Piano usw. In meinem Debütalbum „Es werde Licht“ spielte dann auch im letzten Stück, der Gitarrist unserer damaligen Band als Gastmusiker den Gitarrenpart ein.

Wieviel Instrumente spielst Du und wie hast Du sie erlernt?

Tasteninstrumente wie Piano/Klavier, Orgel und Synthesizer. In jungen Jahren hatte ich ein paar Stunden Klavier und Orgelunterricht. Von unseren beiden Gitarristen habe ich mir das Gitarre spielen angeeignet, wenn wir nach den Proben noch zusammensaßen und mit den Akustikgitarren Passagen von Grobschnitt oder Pink Floyd nachspielten. Das Saxophonspiel brachte mir mein Cousin bei.

Die Schlagzeugrhythmen klingen auf deinen Produktionen immer sehr organisch. Wie erstellst du diese?

Es ist Virtuelles Drum-Studio. Das heißt, dass der Klang von einem echten Schlagzeug aufgenommen wurde, und ich unterschiedliche Studioumgebungen und Mixereinstellungen selbst gestalten und einstellen kann.

Hört sich für mich auf jeden Fall sehr authentisch und passend an.

Genau – so soll es auch sein. Habe mir diese „Drums“ nach der „Under Surface“ angeschafft. Da hatte ich noch mit reinen Sample-Loops und Drum-Synthis gearbeitet, was wesentlich schwieriger war, authentisch zu klingen.  

Welche Musik hörst du selber bzw. was sind deine musikalischen Vorbilder/Inspirationsquellen?

Ich schaue bzw. höre mich immer wieder nach neuen Bands um. Zur Zeit läuft bei mir des Öfteren Riverside, Gazpacho, Björn Riis, Tides From Nebula, Mono und Mogwai, um ein paar Bands bzw. Künstler zu nennen.

Inspiriert wurde ich bei „Under Surface“ u. a. von Anathema „The Optimist“. Allerdings sind das keine Vorbilder, sondern Inspirationsquellen, welche stilistisch und soundtechnisch neue Ideen auslösen. So war das auch mit dem Postrock. Als ich Collapse Under The Empire hörte, merkte ich, dass ich bei meiner „Constellations And The Red Thread“ die Gitarre schon ähnlich spieltechnisch eingesetzt hatte. Als ich dann auf Mono gestoßen war dachte ich, in dieser Art und Weise kann ich auch in meiner Musik pure Emotion ausdrücken.

Deine letzten aufeinander aufbauenden Alben „Prayer From The Deep“ und „No Time Was Lost“ sind von christlichen Themen bestimmt. Das kommt aber nicht von ungefähr, denn wenn man sich deine bisherigen Alben anschaut, dann hatten sie fast immer einen Bezug zum Glauben. Bist du ein sehr gläubiger Mensch?

Ja, ich glaube an Jesus Christus und sein Evangelium. Und wenn man sich zu ihm bekennt, muss das auch nach außen für andere Menschen sichtbar sein. Darum möchte ich meine Musik auch dazu nutzen, das Interesse am Wort Gottes zu wecken. Und das liest man in der Bibel.  

Viele andere Elektronikmusiker haben oftmals Weltraumthemen, was ja oft auch zu dem Instrumentarium passt. Was bewegt dich gerade diese christlichen Themen für deine Musik und ihre Titel auszuwählen?

Meine Themen handeln immer von Dingen auf der Erde, dem Leben und Erleben. Der Weltraum bietet sicher ein breites Spektrum für fantasievolle Musik, aber emotional finde ich hier persönlich meine Themen. Nicht alle meine Alben haben bzw. hatten christliche Themen. Da ich mich in den letzten Jahren immer intensiver mit dem Studium der Bibel beschäftige, ergaben sich thematisch jede Menge Ideen. Und so entstanden die Alben „Prayer From The Deep“ und „No Time Was Lost“. Die kommende CD wird thematisch vom Leben und Wirken Jesus im Neuen Testament handeln.

Deine ersten Produktionen waren in der traditionellen elektronischen Musik verortet. Seit den letzten Alben sind auch Elemente in deine Musik eingeflossen, die sehr rockig, teilweise nach Postrock klingen. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Ich habe die Möglichkeit und das Glück, meine Musik über ein Plattenlabel zu veröffentlichen, das den Künstler in seiner Kreativität unterstützt. In jedem meiner Alben setze ich neue Ideen um, die sich ganz bewusst klanglich, stilistisch und kompositorisch von dem Vorgängeralbum unterscheiden. Keine CD ist wie die Andere. Doch eine Sache muss immer sein – Sie muss die Zuhörer emotional abholen. Der Postrock bietet hier eine breite Palette von Möglichkeiten, meinen persönlichen Stil, den ich in der traditionellen elektronischen Musik schon hatte, weiter auszubauen. Es sind aber auch andere Elemente, wie z.B. aus dem Progressiv- oder Artrock, die ich gerne in meinen Kompositionen verwende. Wie gerade schon erwähnt, arbeite ich schon an der nächsten CD. Die wird dann wieder etwas anders sein, da ich die Synthesizer noch betonter in den heftigeren Parts einsetzen möchte.

Du hast deine ersten Alben bei Manikin Records und beim britischen Label Neu Harmony herausgebracht. Seit 2013 erscheinen deine Alben bei MellowJet Records. Wie ist der Kontakt zustande gekommen und wie wohl fühlst du dich bei Bernd Scholl’s Label?

Als ich 2013 meine Musik für die „Out Of Eden“ produziert hatte, verschickte ich sie an verschiedene Label. Ich wollte eine Neuorientierung in Bezug auf Musik und Label. Es vergingen kaum 2 Wochen, da meldete sich Bernd Scholl, und sagte, dass er gerne dieses Album mit mir veröffentlichen möchte. Wir verabredeten uns zu einem Treffen in einem großen Musikhaus in Köln, um uns auch persönlich kennen zu lernen. Schnell merkten wir, dass die Chemie zwischen und stimmte. Und so fühle ich mich bei MellowJet Records sehr wohl. Denn, wie gerade schon erwähnt, erhalte ich als Künstler viel Unterstützung. Danke hierfür an Bernd Scholl.

„Faces Of The Night“ aus 2004 war dein letztes Album bei Neu Harmony. Warum hat es neun Jahre gedauert bis zum Nachfolger „Out Of Eden“, dem ersten bei MellowJet Records? Hattest du dir eine musikalische Pause genommen?

Ja, das war es . Aber mir war nicht bewusst, wie lange ich nichts mehr veröffentlicht hatte. Die Pause hat meiner Musik gut getan. Wie gesagt, ich wollte eine Neuorientierung. Mit der „Out Of Eden“ hatte ich mir eine neue Basis geschaffen, auf der sich die nachfolgenden Alben sehr gut weiter entwickeln konnten. Weg von der traditionellen elektronischen Musik. In der „Out Of Eden“ hatte ich mit vielen Klängen mittelalterlicher Instrumente gearbeitet.  

Du hast Sounds mittelalterlicher Instrumente benutzt.  Kannst du das noch etwas erläutern?

Es sind bzw. waren virtuelle Software-Instrumente. So, wie ich meine ganzen klassischen orchestralen Instrumente über einen Sampleplayer einspiele, habe ich hier z.B. CelticHarp, Fiddle, Zitter, Scottish Highland Bagpipes usw. verwendet.

Hast du Resonanz auf deine stilistische Weiterentwicklung bekommen? Wie reagieren die Hörer der elektronischen Musik darauf?

In den sog. Sozialen Medien erlebe ich ein recht zustimmendes Echo. Sicher werden sich bei stilistischen Weiterentwicklungen auch mal Hörer abwenden. Gleichzeitig kommen dadurch auch wieder neue Hörer hinzu. Musik ist nun mal Gefühlssache, sie muss einen abholen. Wenn sie mich anspricht, kaufe und höre ich sie auch. Ich sehe auch, dass meine kontinuierliche Weiterentwicklung in allen CD Besprechungen und Rezensionen positiv erwähnt wird.

Die Cover deiner Alben sind immer von außergewöhnlicher Qualität und sehr ästhetisch. Woher bekommst du diese tollen Grafiken?

Vielen Dank für Dein Lob. Ja, das Cover ist für mich ein wichtiger Bestandteil einer CD. Viele Motive, so wie auch die letzten Beiden hat mir Marcus Hildebrandt erstellt. Er hat sie nach meinen Vorstellungen entworfen. Wir kennen uns seit den 1990er Jahren, wo er unter dem Namen Driftin' Thoughts EM veröffentlicht hat. Die Gestaltung bzw. das endgültige Artwork der Cover bespreche ich mit Bernd Scholl, welches dann von MellowJet fertig gestellt wird. Auch hier gilt ihm mein Dank für seine Akzeptanz meiner gestalterischen Freiheit.  

Du hattest mir gesagt, dass du zu viele Stücke für das Album, „Prayer From The Deep“ hattest und Bernd Scholl vorschlug statt einem Doppelalbum den Nachfolger „No Time Was Lost“ mit zusätzlich neu komponierten Tracks später herauszubringen. Die beiden Alben wirken in sich stimmig und kompakt. War es schwierig die Stücke für „Prayer From The Deep“ auszuwählen und wie bist du dann an die Komposition der weiteren Stücke für „No Time Was Lost“ herangegangen?

Das Album sollte ja die komplette Geschichte vom Propheten Jona musikalisch umsetzen. Als die maximale Spielzeit einer CD schon weit überschritten war, hätte ich Musiktitel kürzen oder rausnehmen müssen. Doch das wollte ich schon mal gar nicht. Im Gespräch mit Bernd Scholl ergab sich dann der Plan, die Geschichte auf zwei CD´s mit zeitlichem Abstand zu veröffentlichen. Das hatte für mich den besonderen Charme, dass der Charakter der „No Time Was Lost“ trotz derselben Geschichte sich von der „Prayer From The Deep“ unterscheiden konnte. Schwierig war es nicht. Im Gegenteil, ich hatte mehr Raum bzw. Spielzeit, für die einzelnen Kapitel. So konnte ich die Zeit auch für die ruhigeren Passagen ausnutzen, was den beiden Alben in der Tat einen stimmigen Gesamteindruck geben konnte.

1995 entstand auf Initiative von Bernd Braun (Arcanum) und Rolf Herzog die Konzertreihe „Klang-Raum-Wort“. Du gehörtest seit 1998 zum festen LineUp. Zum zehnjährigen Jubiläum im Jahr 2004 erschien dann das Album von Arcanum & Friends „Klang-Raum-Wort X“. Erzähl doch bitte etwas über die Konzerte und das Konzept.  

Bernd Braun lernte ich auf einer Veranstaltung des damaligen Schwingungen Clubs kennen. Er war auch bei Manikin Records von Mario Schönwälder unter Vertrag. Ich besuchte Bernd in Köln und nahm einige Synties von mir zu einer lockeren Session mit. Wir Improvisierten und verstanden uns wortlos. Er sprach mich eine kurze Zeit später auf sein Projekt „Klang-Raum-Wort“ an, ob ich Interesse hätte dabei mitzumachen. Es fand immer während der Adventzeit in einer Kirche in Köln- Frechen statt. Wir spielten Elektronische Musik in Kombination mit gesprochenen Bibelstellen, welche sich thematisch von der Genesis im ersten Buch Mose bis zur Offenbarung erstreckte. Dies allein gab den Konzerten schon einen besonderen Charakter. Zusätzlich beleuchteten wir den ganzen Kirchenraum mit Teelichter-Kerzen, was eine phantastische Atmosphäre erzeugte.

Du bist ja auch schon live aufgetreten. 2003 habe ich dich zusammen mit Bernd Braun und Bas Broekhuis beim EMIL-Festival in Langenfeld gesehen. In den letzten Jahren hab ich aber keine Liveaktivitäten von dir wahrgenommen. Wie sahen deine Liveaktivitäten bisher aus?

Außer bei "EMIL" Elektronische Musik in Langenfeld am 15.03.2003 spielte ich live nur noch beim "10 Jahre Manikin - 36 Stunden Festival in Bad Sulza" vom 05. - 07.03.2002. Als ich dann 2013 bei MellowJet meine neue Musik herausbrachte, fragte mich Bernd Scholl, ob ich mir vorstellen könnte, ein Konzert im Planetarium im LWL-Museum für Naturkunde in Münster zu geben. Dem konnte ich natürlich nicht widerstehen. Ich hatte schon die meisten Stücke für die „Genius“ eingespielt, und konnte so mit Bernd „Moonbooter“ Scholl zusammen das Konzert „Elektronische Zeitreise“ im Planetarium Münster am 22.11.2014 geben. Danach trat ich im Rahmen der Konzerte "Cosmic Night" am 10.09.2016 und "Electronic Music" am 24.11.2018 im Planetarium Münster auf.

Bist du mehr ein Tüftler an den Instrumenten oder kannst du dir in Zukunft auch wieder Liveauftritte vorstellen?

Wenn ich in meiner knappen freien Zeit, in meinem Studio komponiere, an Sounds tüftle kann ich wunderbar meine Gedanken und Emotionen in Musik umsetzen. Das ist der kreative Prozess, der mir nun einmal sehr viel Spaß macht. Da ich Musik und Beruf unter einen Hut bekommen muss, habe ich auch schweren Herzens Angebote zu Liveauftritten ablehnen müssen. Grundsätzlich möchte ich in Zukunft gerne wieder auf der Bühne stehen.

Stephan Schelle, Juni 2021

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