Interview mit Günter Grünebast aka Johannssohn
Per Email im Dezember 2023 geführt

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Günter Grünebast, der eine musikalische Ausbildung im Bereich Klavier, Kirchenorgel, Akkordeon sowie Harmonielehre, Tonsatz und Ausbildung zum D-Kirchenmusiker im Fach Orgel absolvierte, und hauptberuflich Diplomingenieur der Elektrotechnik ist, hat im Herbst 2023 sein Debütalbum „Minoan Encounters“ veröffentlicht. Stephan Schelle stellte ihm zu seinen musikalischen Vorlieben, seinem Werdegang und dem Album einige Fragen.

Günter, du hast ähnlich wie Johannes Schmoelling (u. a. Solo, ex-Tangerine Dream, ex-Loom) eine Ausbildung als Kirchenorganist absolviert. Erzähl doch bitte zunächst, was dich bewogen hat diesen musikalischen Weg einzuschlagen.

Schon im Vorschulalter klimperte ich gerne auf einer Philicorda herum, die im damaligen Elternhaus stand. Nach kurzer Zeit wurde die Philicorda gegen eine deutlich größere Farfisa getauscht, zwei Manuale und Pedal - wow! In den 70er Jahren waren Heimorgeln absolut angesagt und ich bekam erstmalig Unterricht. Wenige Jahre später entschieden sich meine Eltern für die Anschaffung eines Klaviers. In der großen Ludgeri-Kirche meiner Heimatstadt Norden befindet sich die aufgrund ihres Klanges und ihrer außergewöhnlichen Anordnung an einem Vierungspfeiler weltberühmte Arp-Schnitger-Orgel, die ich als Kind schon sehr beeindruckend fand. Kurz nach Beginn des Klavierunterrichts entschied ich mich, an der hiesigen Musikschule zusätzlich Kirchenorgel-Unterricht zu nehmen. Über viele Jahre habe ich später in verschiedenen Kirchen Ostfrieslands den sonntäglichen Gottesdienst an der Orgel begleitet und damit auch ein wenig mein Elektrotechnik-Studium finanziert.


Foto: Klaus Ortgies

Wie bist du dann zur elektronischen Musik gekommen und welche Vorbilder hast du aus diesem Musikbereich?

Mit etwa 13 Jahren fand ich erstmalig größeres Interesse für die Elektrotechnik. Da lag es natürlich nahe, sich auch mit der elektronischen Tonerzeugung zu befassen. Mit 16 Jahren begann ich mit dem Bau eines eigenen Synthesizers. Insbesondere die Musik von Jean-Michel Jarre beeindruckte mich damals sehr. Nach dem Kauf der Klassiker „Oxygene“ und „Equinoxe“ hatte ich kurze Zeit später die ersten Alben von Klaus Schulze und Tangerine Dream in der Hand. Der etwas sperrige selbst gebaute 4-stimmig polyphone Synthesizer fand schließlich Anwendung in der zu Schulzeiten gegründeten Prog-Rock-Band „Peacock“. Einige Jahre später kamen auch „Industrie-Produkte“ auf der Bühne zum Einsatz. Nach dem Abitur musste ich mich zwischen einem Musik- oder Elektrotechnik-Studium entscheiden. Die Musik ist bis heute als Hobby geblieben. Nach vielen Jahren „Peacock“ folgte dann „Morphelia“.

Du hast vor „Minoan Encounters“ in der Band Morphelia gespielt und mit ihnen die beiden Alben „Prognocircus“ und „Waken The Nightmare“ veröffentlicht. Existiert die Band noch?

Fast 20 Jahre habe ich mit den Jungs von Morphelia zusammen Musik gemacht. Es war eine schöne Zeit mit vielen Konzerten auch im europäischen Ausland. Wir haben zwei tolle Alben veröffentlicht, die auch international hohe Anerkennung fanden. Aber wie so oft, ist irgendwann die Luft raus. Wir haben die Band vor einigen Jahren aufgelöst.

Du hast im Herbst 2023 dein erstes Soloalbum unter dem Pseudonym Johannssohn veröffentlicht. Habe ich das richtig interpretiert, dass dies einen Bezug zu deinem bereits im Jahr 1988 verstorbenen Vater darstellt (das Album „Minoan Encounters“ hast du ja deinen verstorbenen Eltern Hedwig und Johann gewidmet)?

Privat und auch dienstlich bin ich die letzten Jahre öfters ins Ausland gereist. Mit meinem kantig-klingenden bürgerlichen Namen, der zudem noch zwei „ü“ enthält, konnte ich im Ausland nicht wirklich punkten. Besonders problematisch wurde es, wenn die beiden „ü“ durch die Umlaute „ue“ ersetzt wurden. Der Name war damit für viele quasi unaussprechlich. Also musste für das Album ein Künstlername her. Die Musikalität habe ich von meinem Vater geerbt. So kam ich als Sohn von Johann auf den Namen Johannssohn.

Auf deiner Internetseite habe ich gelesen, dass die Inspiration zu deinem Album einige Griechenlandreisen war, die du mit deiner Frau unternommen hast. Dabei haben dich vor allem die Ausgrabungsstätten der minoischen Paläste beeindruckt, die sich auf Kreta befinden. Was war das Besondere daran, sie in musikalische Rundgänge zu vertonen?

Schon bei meiner ersten Kreta-Reise in den 1990er Jahren war ich von den archäologischen Hinterlassenschaften der Minoer schwer beeindruckt. Man bedenke, wie fortschrittlich die Minoer zu ihrer Zeit bereits waren. Bei späteren Griechenland-Reisen zusammen mit meiner Frau habe ich mir mehrere Fachbücher, die es vor Ort sogar in deutscher Sprache gab, über die minoische Kultur und insbesondere über deren Paläste gekauft. Bei einer der letzteren Kreta-Reisen kam mir bei einem wiederholten Besuch der minoischen Paläste die Idee, ob es nicht irgendwie möglich sein sollte, diese beeindruckenden Bauwerke zu vertonen - gesagt, getan!


Foto: Klaus Ortgies

Hast du dich bei der Erstellung der Musik gedanklich in deine Urlaube versetzt oder hattest du als Grundlage Fotos oder Videoaufnahmen zur Verfügung?

Zum einen hatte ich die Paläste noch gut vor Augen, zum anderen hatte ich unzählige Fotos gemacht und mit den vor Ort gekauften Büchern konnte ich auf fachlich exzellente Nachschlagewerke zurückgreifen. Dabei haben mich auch viele Abbildungen in den Büchern inspiriert, welche in Form von farbigen Zeichnungen versuchten, die Paläste so darzustellen, wie sie möglicherweise in früheren Zeiten einmal ausgesehen haben könnten - wenn auch teilweise sehr umstritten. 

Bei der Thematik hätte sich ja besonders angeboten, stilistisch wie der griechische Elektronikmusiker Evangelos Odysseas Papathanassiou, der besser bekannt unter seinem Künstlernamen Vangelis ist, zu klingen. Das ist aber nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Du hast vielmehr eine stilistische Vielfalt in die Stücke eingebaut.

Jede der vier Tondichtungen beschreibt einen Rundgang durch den jeweiligen minoischen Palast in der Jetzt-Zeit und der Vergangenheit zugleich. Dabei werden mindestens 10 verschiedene Räumlichkeiten durchlaufen, bzw. archäologische Artefakte des Palastes aufgegriffen. Ich benötigte somit auch mindestens 10 verschiedenen musikalische Themen pro Palast. Zum einen zur musikalischen Umsetzung, aber auch zur möglichen gegensätzlichen Unterscheidung bzw. Abgrenzung habe ich mich verschiedener musikalischer Stile oder Elemente bedient. Die Kirchenorgel als sakrales Element und Königin der Instrumente taucht beispielsweise an mehreren Stellen auf und repräsentiert etwas Imposantes oder Wichtiges wie z.B. das Megaron der Königin. Besonders spannend war die musikalische Umsetzung des weltbekannten Diskos von Phaistos. Um auf eine Interpretation der Inschrift des Diskos zu verzichten - da derzeit ohnehin keine anerkannte Entzifferung vorliegt, bzw. niemand wirklich weiß, ob der Diskos tatsächlich echt ist - habe ich eine mathematisch pragmatische Methode verwendet, die zu einer Tonfolge der Zwölftontechnik führte. Aufgrund meiner eher klassisch geprägten Ausbildung sind in jedem der vier Tondichtungen auch mehrere klassische Elemente z.B. als mehrstimmige Sätze enthalten. Da ich zuvor über 30 Jahre Progressive Rock in zwei Bands gemacht habe, ist auch in „Minoan Encounters“ diese Musikrichtung in instrumentaler Form gekoppelt mit der Elektronikmusik vordergründig.


Foto: Klaus Ortgies

Hast du musikalische Vorbilder im Bereich der Elektronikmusik?

Wie eigentlich jeder Musiker hat man so seine musikalischen Vorbilder. Allerdings habe ich versucht, der Musik zu den vier minoischen Palästen einen eigenen Stempel aufzusetzen und bewusst auch, wie schon weiter oben beschrieben, verschiedene musikalische Stile bzw. Elemente verwendet. Dennoch lassen sich mögliche Ähnlichkeiten zu meinen musikalischen Helden wie z.B. Jean-Michel Jarre oder den beiden leider viel zu früh verstorbenen Klaus Schulze und Edgar Froese sicherlich nicht leugnen. 

Auch griechische Klangfarben hast du nur sporadisch im Part „In The Theatral Area Of The West Court“ im Stück „The Palace Of Phaistos“ eingesetzt. Hast du dich da ganz bewusst zu entschlossen um die Musik offener zu gestalten?

Ja, die Musik bewegt sich zwar vorwiegend im Bereich der Elektronik und des instrumentalen Progressive Rock, dennoch wollte ich gerne, wenn auch nur kurz, einen Bezug zu dem Land herstellen, in welchem die minoischen Paläste zu bewundern sind, nämlich Griechenland. Ich konnte es mir daher nicht verkneifen, für einige Passagen musikalisches Material zu erarbeiten, welches sich an typische Elemente der griechischen Pop- und traditionellen Musik anlehnt und damit auf verschiedenen, den uns bekannten, Kirchentonarten basiert - da schließt sich der Kreis wieder. 

Du hast in die vier Tracks jeweils sehr viele musikalische Ideen verarbeitet, von denen andere Musiker gleich mehrere Alben produziert hätten. Wie bist du bei der Komposition der einzelnen Teile vorgegangen und wie hast du sie dann zusammengesetzt?

Für jeden Palast hatte ich mir an Hand von Grundrisszeichnungen aus verschiedenen Fachbüchern zunächst eine Art Rundgang durch den Palast bzw. auch der Außenanlage erstellt. Dabei musste ich mich auf einige wesentliche Räume, Orte oder Artefakte beschränken, sonst hätte es gänzlich den Rahmen gesprengt. Jedem Raum, Ort oder Artefakt musste nun ein passendes musikalisches Thema zugeordnet werden. Einige Themen hatte ich bereits bei den letzten Besuchen der minoischen Paläste im Kopf. Andere sind danach zu Hause im Studio z.B. beim Betrachten von eigenen Fotos oder von Bildern in Fachbüchern entstanden. Des Weiteren habe ich auf musikalisches Material zurückgegriffen, welches ich bereits in früheren Zeiten mal aufgenommen hatte und welches sich nun, z.T. jedoch mit Änderungen, als durchaus passend erwies.

Wie lange hast du für das Komponieren, die Einspielung und die Produktion gebraucht und wann hast du damit begonnen?

Ooh, gute Frage. Die kann ich nicht wirklich präzise beantworten. Alleine zum Schluss das Mastering und die Gestaltung des Albums haben über ein Jahr in Anspruch genommen. Für die Komposition und Einspielung sind mehrere Jahre ins Land gegangen. Ich konnte neben meiner hauptberuflichen Tätigkeit immer wieder nur etappenweise und sporadisch (<= kommt übrigens aus dem Griechischen :-)) daran arbeiten.


Foto: Klaus Ortgies

Sehr gut finde ich auch, dass du die einzelnen Parts in den Stücken mit Zeitangaben im Booklet aufgelistet hast. Damit kann man die musikalischen Rundgänge sehr gut nachvollziehen. War dir das ein Anliegen, dass man beim Hören der Musik dies so erleben soll?

Ja, mir war sehr wichtig, dass der Hörer durch die den jeweiligen Räumlichkeiten bzw. Artefakten zugeordneten musikalischen Themen einen wiedererkennbaren Bezug hat. Vielleicht verschlägt es ja den einen oder anderen auf die griechische Insel Kreta und beim Besuch eines minoischen Palastes kommt vielleicht eines der vielen musikalischen Themen in Erinnerung.

Das Album hast du im Alleingang mit einem sehr schönen 16-seitigen Booklet herausgebracht, das ist ja schon ein finanzielles Risiko. In welcher Auflage ist das Album erschienen und wie läuft der Absatz?

An dieser Stelle noch einmal ganz herzlichen Dank an Sylvia Barkhoff für die tolle und umfangreiche graphische Gestaltung des Albums. Da die Musik doch eher speziell ist, bin ich zunächst mit einer 500er Auflage gestartet. Das Album kann über meine Homepage im Online-Shop bezogen werden. Bezüglich ergänzender Vertriebswege stehe ich derzeit mit mehreren Online-Händlern im In- und Ausland in Kontakt.

Wie sehen deine weiteren musikalischen Zukunftspläne aus? Wird es ein weiteres Soloalbum von dir geben?

Durchaus, vielleicht reise ich musikalisch dann nicht ganz so weit und bleibe in meiner Heimat - der Nordseeküste und Ostfriesland.

Ich danke dir für die Beantwortung meiner Fragen und wünsche dir viel Erfolg mit dem grandiosen Album „Minoan Encounters“.

Sehr gerne und herzlichen Dank.

Stephan Schelle

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