Im gleichen Jahr, übrigens auf dem
KLEMdag, traf ich einen jungen Menschen aus Frankfurt, der als
Journalist und Promotor für das Technolabel "Recycle Or Die" von DJ Sven
Väth tätig war. Er kannte meinen gesamten musikalischen Werdegang und
lud mich nach Offenbach ein, wo das Label ansässig war. Nach ein paar
Wochen fuhr ich hin und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das Label
hatte ein ganzes Stockwerk eines Industriegebäudes belegt und es summte
wie in einem Bienenstock. Hinter jeder Tür saßen junge Menschen, die
entweder Grafik gestalteten, DJ Promoting betrieben oder sonstige
Verwaltungsarbeit machten. An jedem Ende des langen Flures gab es zwei
Studios. Ich lernte Oliver Lieb kennen, der gerade an einem Ambush Album
arbeitete. Diese urbane, tribalistisch angelegte Musik ging mir unter
die Haut. Oliver lud mich spontan ein mitzumachen. Ein paar Wochen
später lud er mich ein mit Ambush live auf dem Montreux Jazzfest
aufzutreten. Der Auftritt war sensationell. In Montreux lernte ich
Helmut Zerlett kennen, der auf dem "Recycle Or Die"-Label Solosachen
veröffentlicht hatte. Helmut spielt in der Harald Schmid Show die
Keyboards. Er wohnte damals im selben Haus, in dem Axel sein Studio
hatte. So lernte ich Axel kennen. Axel ist ein sensationeller Gitarrist.
Musikalisch, wie technisch. Dazu kam, dass er ein Faible für elektrische
Musik hatte. Axel bot mir an, ein Soloalbum in seinem Studio zu
produzieren. Dieses Album wurde dann die erste SUNYA BEAT Scheibe,
welche wir mehr als 9.000 Mal verkaufen konnten. Als dann Live Gigs
anstanden holte ich Steve mit ins Boot. Seither sind wir in dieser
Formation am Start. Es gibt keine Stagnation. Ständig werkeln wir an
neuen Ideen und technischen Umsetzungen herum. Das Wesentliche, ist
dieser physische Groove, den diese Band hat.
Stephan:
Bist du auch komplett Solo tätig?
Harald:
Ich bastele eigentlich ständig an Solostücken herum, ohne das konkrete
Ziel zu verfolgen, eine CD daraus machen zu wollen. Wenn ich genügend
Material am Start habe, werde ich sehen was ich damit mache. Jetzt bin
ich auch endlich in der technischen Lage meine Ideen 1:1 umsetzten zu
können. Ich brauche auch ziemlich lange bis ich mit mir zufrieden bin,
daher dauert es immer ewig, bis ich mal was auf den Markt werfe. Bis vor
ein paar Jahren war ich mit meinem Equipment nie ganz zufrieden. Ich
komme ja noch aus der analogen Studiozeit und an deren Qualität hat man
sich erst jetzt zu 95 % angenähert. Steve war technisch immer eine Nase
Voraus und das gefiel mir. Außerdem ist er ein hervorragender Arrangeur.
Ich bin eher der Abfahrer und finde damit oft kein Ende. Axel ist der
Akustikfreak unter uns Dreien. Er hat ein hervorragendes Gehör und seine
Produktionen klingen immer sehr analog, was ich sehr schätze. Ich
arbeite seit einiger Zeit mit CUBASE 4.0 und ABLETON LIVE SUITE 7,03.
Seit neuestem besitze ich ein ROLAND TD9 KX Drumkit. Ein sensationelles
Gerät. Ich war, nachdem ich mein DDRUM vor einigen Jahren wieder in die
Ecke gestellt hatte skeptisch, was elektrische Trommeln betrifft. Die
Dinger waren früher entweder zu laut, oder zu leise. Ohne Kompressor
ging da gar nichts. Die Ansprechgeschwindigkeit und der Dynamikumfang
beim TD9 KX haben mich positiv überrascht. ROLAND hat ja traditionell
immer schon coole Trommelsounds in den Geräten.
Man schwitzt am E-Kit und das ist gut
so! Jede Nuance wird umgesetzt. Dazu kommt ein übersichtliches Editing
und eine Fülle von Drumsounds, die man schnell zu neuen Kits
zusammenstellen kann, mit denen man sich soundmässig in zu begleitenden
Stücke bestens integrieren kann.
Stephan:
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen
Dir, Steve und Axel aus?
Harald:
Einiges habe ich ja schon angedeutet. Wir treffen uns in unregelmäßigen
Abständen. Ich habe drei neue, unfertige Stücke zum Steve geschleppt und
wir haben daraus zwei der neuen Stücke gemacht, die wir auf Burg Satzvey
uraufgeführt haben. Jeder bringt seine Ideen ein. Axel hat vor einigen
Wochen eine Midigesteuerte Echomaschine an den Start gebracht. Da sind
vier trackige Stimmen möglich, die exakt vom Ableton in der Timingspur
gehalten werden. Wir hatten alle eine Gänsehaut als wir das zum ersten
Mal hörten. Erinnert ein wenig an Robert Fripps "Frippertronics" (King
Crimson) Experimente, nur noch besser wie ich finde.
Stephan:
Werden von allen quasi zeitgleich Stücke geschrieben, bei denen dann
später entschieden wird, auf welchem Album sie landen, ihr unterstützt
euch schließlich bei den eigenen Projekten, oder plant ihr die
Komposition von gemeinsamen Stücken vorher?
Harald:
Da ist eigentlich gar keine Planung in diesem Sinne. Vieles entsteht
spontan. Die Tracks entstehen meist einzelkampfmässig im stillen
Kämmerlein. Die Fragmente, welche allen gefallen, werden in den
gemeinsamen Digital-Topf geworfen. Steve hat danach die
Haupteditierarbeit für die Livegigs am Bein. Er macht das aber auch
gerne und steigert sich derartig rein, dass er nächtelang an Stücken
schrauben kann. Ich kenne kaum jemand fleißigeren, als Steve. Er bringt
regelmäßig Tranceproduktionen in den USA auf den Markt und ist dort
häufig live zu erleben. Gerade am letzten Wochenende hat er 16.000 Fans
in San Francisco begeistert. Dort ist er ein Star in der wachsenden
Trance-Gemeinde. Axel ist eher für die Musik auf den SUNYA BEAT CD Alben
verantwortlich. Er bringt übrigens sehr schöne, hörenswerte Soloalben (Fishmoon)
heraus, die natürlich auf Gitarrensounds basieren. N-Tribe ist irgendwo
in der Versenkung verschwunden. Das Dreierprojekt hat sich jetzt in
SUNYA BEAT verdichtet.
Stephan:
Wie sieht die Arbeitsteilung bei Liveauftritten, wie zuletzt beim
Konzert auf Burg Satzvey, aus? Von Außen hat es den Anschein, als sei es
Steves Aufgabe, den Auftritt in organisierte Bahnen zu lenken. Ist das
richtig?
Harald:
Wir arbeiten auf der Bühne wie schon gesagt mit der aktuellen ABLETON
LIVE Musiksoftware. Einer genialen Loop-orientierten Musiksoftware. Das
heißt konkret, die Dramatik unserer Musik ist in diverse, so genannte
Szenen aufgeteilt, welche wir in unseren Studios zeitaufwendig
vorbereiten. Darin liegt die Hauptarbeit. Diese Szenen beinhalten
einzelne Instrumente, Sequenzen und Melodielinien und können beliebig
lange Audioloops oder Midi-Triggerspuren sein. So bauen wir Intros,
Abfahrten, Breaks etc. Einzelne Szenen können beliebig lange gespielt
werden. Auch die Einzelsegmente dieser Szenen, also die Instrumente,
Sequenzen, Melodielinien etc., können, wann immer man es will, ein- und
ausgeschaltet werden. Der Rechner schaltet sie dann jeweils nach dem
ergangenen Befehl erst mit dem nächsten Taktbeginn ein oder aus, bzw.
man kann das sog Launchen auch noch vielseitig manipulieren. In jedem
Fall aber immer timinggenau!
Wie Du schon richtig bemerkt hast ist
Steve derjenige, der die Dramaturgie unserer Musik dirigiert. Er gibt
uns Zeichen auf die wir dann reagieren. Es kommt vor dass ich diese
Zeichen nicht mitbekommen, weil ich in meiner Trance oft die Augen
geschlossen habe oder gerade in eine andere Richtung schaue. Da muss
Steve dann irgendwie durch. Das gibt nach den Gigs immer Anlass für
humoristische Bemerkungen seinerseits.
Steve drückt natürlich nicht nur
Knöpfchen auf der Bühne. Er hat die Parts aufwendig mit peripheren
Software-Bearbeitungstools innerhalb der Software und außerhalb mit
einem Keyboard verknüpft, von dem aus er jederzeit Filterbewegungen,
Echos usw. manipulieren kann. Natürlich spielt er auch von Hand Akkorde,
Melodien und Solostimmen ein.
Stephan:
Wie hoch ist der Anteil an Improvisationen bei den Livegigs?
Harald:
Steve improvisiert quasi die gerade beschriebenen Spannungswechsel und
die Sound-Manipulations-Tools. Das hängt ganz von seiner Stimmungslage
ab. Durch dieses offene Prinzip können wir so lange auf einer
Spannungsebene bleiben, wie es uns gefällt. Auf diese Weise wird auch
die Spannung, die ein Publikum ausstrahlt mit einbezogen. Ich habe vor
fast 20 Jahren in Ost-Berlin mal einen Gig von TD gesehen bei dem
offensichtlich nur CD`s abgespielt worden sind, zu denen dann live ein
paar Saxophon und Gitarrensolos gespielt worden sind. Es gab auch keinen
durchgängigen, homogenen Sound. Jedes Stück hatte eine fremdartige
Dynamik und Klangstruktur. Die Musiker saßen oder standen wie die
Salzsäulen auf der Bühne herum und schienen von der Intensität der Musik
überhaupt nicht berührt zu sein, so, als hätten sie nicht das Geringste
damit zu schaffen. Auf großen Screens waren die Atari-Oberflächen der
damals aktuellen CUBASE Sequencer-Software zu sehen, die aber gar nicht
angeschaltet war. Sehr Strange das Ganze. Da fand ich ihre Auftritte in
den Siebzigern wesentlich lebendiger. Ich nahm mir damals vor nie auf
diese Weise zu arbeiten.
Was Axel und mich betrifft
improvisieren wir zu jeder Zeit alles was von uns zu hören ist.
Natürlich gibt es gewisse Absprachen was Tonarten betrifft und
Vorbereitungen für diese "Szenen" die ich gerade beschrieb. Da wir, wie
sonst bei Bands unüblich, nur ganz peripher proben, bleibt es auf der
Bühne immer spannend. So kann es passieren dass Steve nach einem letzten
Treffen noch einiges ergänzt hat, was mir dann erst auf der Bühne zum
ersten Mal begegnet. Er hat immer Überraschungen parat. Ich hatte früher
die Erfahrung dass Bands Musik kaputt proben können. Das kommt durch das
oftmalige Wiederholen ein und derselben Geschichte. Bei uns ist immer
alles frisch, zumindest in der immer wieder neuen Kombination. Einzelne
Segmente der Musikstücke hat man dann im Vorfeld natürlich auch schon
bis zum Abwinken wiederholt gehört.
Stephan:
Am 20.09.2008 wirst du zusammen mit Bernhard Wöstheinrich beim
Electronic Circus in Bielefeld auftreten. Bisher hast du mit ihm noch
nicht zusammengearbeitet, wie wird da der Gig aussehen? Wie bereitet Ihr
euch auf den Auftritt vor?
Harald:
Doch, wir hatten schon das Vergnügen zusammenzuarbeiten. Die Gelegenheit
ergab sich während eines Live-Radiogigs bei einem Dortmunder Uni-Sender
vor ein paar Wochen (Codos Traumreisen > immer Mittwochs von 22 bis 24
Uhr). Wir haben zwei Stunden lang improvisiert. Wobei er das
Basismaterial mitgebracht hatte. Ich habe auf ROLAND
Handpercussion-E-Drums gespielt. Bei dieser Gelegenheit hat sich ein
Konzept herausgebildet. Gestern (Anmerkung 30.05.2008) haben wir uns
dann in meinem Studio getroffen und einige Stücke von mir zusammen
ausgewählt und einige von seinen Materialien in meinen Rechner
übertragen. Bernhard arbeitet gern mit Hardware Synthi-Workstations. Die
haben wir mit ABLETON LIVE verbunden und jede Menge Loops aufgenommen.
Ich werde in den nächsten Tagen und Wochen daran arbeiten mein großes
E-Drums zu bearbeiten. Das heißt Drumsounds auszuwählen, welche sich gut
in das Klangbild dieser Stücke einfügen und zu Drumkits zusammenstellen,
die ich dann in der Livesituation auf Knopfdruck aufrufen kann. Dazu
bearbeite ich diese Materialien von Bernhard weiter. Im Gegenzug schicke
ich Bernhard eine DVD mit den Ergebnissen dieser Arbeit und meinen
Kompositionen, damit er auch daran weiter schrauben kann. In Bielefeld
wird es drei bis vier Stücke geben, die deutlich von mir geprägt sind.
Der Rest ist auch hier totale Improvisation. Ich liebe improvisieren. Da
ist das maximale Risiko gegeben, auch scheitern zu können. Aus meiner
Erfahrung heraus immer ein emotionaler Gewinn. Das ging bei mir selten
auch schon mal daneben. Dagegen viel öfter während der Begleitung
festgelegter Programmmusik.
Stephan:
Viele Elektronikliebhaber verbinden deinen Namen unweigerlich mit deinem
Stück „So weit, so gut“, das jahrelang die Titelmelodie der
Schwingungen-Sendung war. Deine aktuellen Stücke haben sich stilistisch
aber weit davon entfernt. Welche Resonanz erhältst du?
Harald:
Es ist im nächsten Sommer (2009) genau 30 Jahre her als ich „So Weit So
Gut“ in Udo Hantens Dachgeschosswohnung in Krefeld aufnahm. Da ist
inzwischen viel Wasser den Rhein runter gelaufen. Ich bekomme auf meine
aktuelle Musik weltweit viel positive Resonanz. Bei der eingeschworenen
EM-Gemeinde bin ich mir nicht so sicher, ob sie meine diversen
Wandlungen nachvollziehen. Viele der EM-Jünger scheinen mir einem
konservativen Geschmack anzuhängen. Alles was über den KS- und TD- Rand
hinausschaut wird ignoriert. Schade eigentlich, denn es hat sich in der
Entwicklung des musikalischen Ausdrucks und auch der technischen Mittel
unglaublich viel spannendes getan, seit wir in den frühen Siebzigern
angetreten sind etwas Neues zu wagen.
Die Bandbreite der Musikrichtungen,
welche mit elektronischen Gerätschaften gemacht sind, hat sich unendlich
vervielfacht. Bspw. ist Techno nicht einfach auf Bumm-Tschik Bumm-Tschik
Bumm-Tschik zu reduzieren und hat übrigens seinen kulturellen Höhepunkt
vor etwa 15 Jahren überschritten. Neu ist das nicht wirklich mehr. Wer
nur BummTschik wahrnimmt hat nicht hingehört. Selbst in der Technoszene
beobachtete ich von Anfang an diese konservative Haltung, vor allem
Seitens der Label. Alles was nicht in spezifisch technisch, musikalische
Raster hineinpasst, wird nicht akzeptiert. Mit unserem N-Tribe Projekt
hatten wir dieses Problem. Für EM-Anhänger Techno, für Technofreaks
undefinierbares Zeugs, zwischen allen Stühlen angesiedelt. Die Grenzen
zu elektronisch und analog produzierter Musik sind inzwischen auch kaum
noch zu erkennen. Inzwischen wird eigentlich jede Art von Musik mit
Hilfe von Computern produziert. 98% der Analogstudios in Deutschland
sind entweder pleite oder haben umgerüstet.
Ich kümmere mich wenig um Schubladen.
Musik kommt in erster Linie aus dem Gefühl und nur fragmentarisch aus
dem Hirn. Sie berührt oder eben nicht. Ich halte mich offen für Neues.
Gerade diejenigen, welche etwas wagen und Grenzen einreißend zu neuen
Ufern gelangt sind, sind mir sympathisch. Leider habe ich kaum Zeit um
diese neuen Musiken zu entdecken. Am liebsten beschäftige ich mich aber
mit meinem eigenen Kram und experimentiere gern und ausgiebig.
Stephan:
Trifft dein neuer Stil (z. B. von Sunya Beat) den Geschmack von
Musikliebhabern anderer Stilrichtungen? Deine aktuelle Musik würde ich
eher der Rock- als der Elektronikmusik zuordnen.
Harald:
Was Reaktionen via E-Mail und auf meine Internetpräsenz, Myspace vor
allem, betrifft, scheint die Bandbreite der Anhänger relativ groß zu
sein. Ich habe ja vor meinen Begegnungen, Anfang der Siebziger, mit
Klaus (Schulze), Manuel (Göttsching) und Edgar (Froese) Rockmusik
gemacht. Danach langweilte sie mich weitestgehend und ich löste mich von
Wallenstein. Aber selbst bei Ashra und auf Moondawn etc. habe ich mit
einem traditionellen Rockdrumkit gespielt und schon damals meist eine
durchgehende Bassdrum getreten, wie später beim Techno üblich. Da hat
sich nie einer beschwert. Was ich sagen will ist, dass Rockmusik meine
musikalische Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat. Vor allem diese
aggressive, vitale Lebenskraft. Mit Strohhälmchen kann man nicht
wirklich trommeln. Dann hat ja auch ASHRA immer Rockgitarren verwendet.
Manuels E2 E4 Album ist ausschließlich mit Gitarre gemacht und ist das
Kultalbum der internationalen Techno DJ Szene.
Durch das Mitwirken Axel Heilheckers,
der ja in erster Linie aus der Rockszene kommt, ist der Einfluss der
Rockmusik auf die Sunya Beat Musik deutlicher denn je. Wie gesagt, ich
kümmere mich nicht um eine Einordnung meiner und unserer Musik in
bestimmte Schubladen. Ich mache was mir gefällt. Kategorisierungen
sollen andere vornehmen.
Stephan:
Darüber hinaus ist deine Musik auch durchzogen von ethnischen Klängen.
Welche Einflüsse halten aus deiner Sicht Einzug in deine bzw. eure
Musik?
Harald:
Diese Abteilung ist aus meiner Sicht inzwischen abgelegt. Es gab Phasen
in meiner Entwicklung in denen mich vor allem afrikanische Rhythmik
fesselte. Auch meine Reisen nach Süd-Ostasien und Indien haben sicher
ein gewisses Interesse an exotischer Musikkunst bei mir geweckt. Heute
interessiert mich das eher weniger. Unterbewusst mag das aber alles noch
eine Rolle bei der Entwicklung meiner Kompositionen spielen.
Stephan:
Bei eurem Auftritt beim Burg Satzvey-Elektronikfestival im April 2008
habt ihr auch das Stück „So weit, so gut“ gespielt. Schon die
Ankündigung sorgte für großen Applaus. Die Version, die ihr gespielt
habt, war allerdings sehr rockig und energiegeladen, so dass man es kaum
wieder erkannte. Glaubst du, dass du damit einige Elektronikpuristen vor
den Kopf gestoßen hast?
Harald:
Ich hoffe nicht. Das Ganze war als einmalige Reminiszenz an die kleine
EM-Gemeinde auf Burg Satzvey gedacht. Leider hatten wir nur sehr wenig
Vorbereitungszeit, um das Stück noch weiter an die Urfassung anzupassen.
Was Du gehört hast war unter diesen Bedingungen das Bestmögliche. Ich
fand diese Version ganz OK. Am liebsten hätte ich aber mit den
Originalaufnahmen gearbeitet. Leider ist das inzwischen technisch kaum
machbar. Ich weiß auch nicht ob die 1/4 Zoll 8 Spur Tapes nach 30 Jahren
in meinem Keller überhaupt noch abspielbar sind. Eine 8-Spurmaschine ist
kaum mehr aufzutreiben. In ein paar Jahrzehnten kann sich dann die
Leitung des Harald Großkopf Museums um dieses Problem bemühen ;-) .
Stephan:
Du bist mit Sunya Beat u. a. auf dem Burg Herzberg-Festival aufgetreten.
Wie war das für dich vor so vielen Menschen zu spielen, denn in der
Elektronikszene sind die Besucherzahlen doch eher mäßig?
Harald:
Da standen so gut und gerne 15.000 Leute vor der Bühne. Ich muss dann
immer kurz vorher aufs Klo. Adrenalin pur. Geniale Situation, von der
man als Anfänger immer geträumt hat. Habe ich das erste Mal 1971 erlebt.
Ein Rockfestival in Landshut (Bayern). 10.000 Besucher. Es regnete. Am
nächsten Tag waren wir in Deutschland bekannt und hatten sieben oder
acht Einladungen zu Plattenfirmen. Heute gibt es in der Sommerzeit an
die 90 Festivals unterschiedlichster Größe in Deutschland. Da verpufft
die Wirkung einer guten Performance vor großen Zuschauerzahlen wie Eis
in der Sonne. Ich habe mir zum Prinzip gemacht mich immer ins Zeug zu
legen. Egal ob 15 Leute oder 20.000. Ich komme aus einer Zeit in der man
als Musiker doch recht verwöhnt war mit Zuschaueransammlungen. Bei
Wallenstein waren in den Siebzigern fast nie unter 500 bis 1.000
anwesend.
Die reine EM-Schar ist in der Tat auf
ein kleines Häufchen zusammengeschrumpft. Mit Ashra hatten wir 97 in
Eindhoven auf dem KLEMdag noch ca. 1.300 gezogen. In Japan sieht es da
schon ganz anders aus.
Stephan:
Anfang der 80’er, als dein Album „Synthesist“ erschien, hast du auch die
Synthies selber sprechen lassen. Überlässt du das heute Steve und
konzentrierst dich auf dein Schlagzeug, oder arbeitest du manchmal auch
noch an den Tasten?
Harald:
Da muss ein falscher Eindruck erweckt worden sein. Die Tracks zu meinen
Soloplatten stammen zu mehr als 80% aus meiner Arbeit an den Keyboards.
Steve bearbeitet streckenweise meine Midifiles mit Sounds aus seiner
großen Wundertüte. Er hat da einen viel größeren Fundus als ich. Dann
ist er begnadeter Arrangeur, was meinen Stücken zugute kommt. Ebenso was
das Mastering betrifft. Ich gebe ihm 50% meiner Anteile, weil ich das
fair finde. So entsteht möglicherweise der Eindruck die Musik sei von
uns beiden. Wie gesagt alle Basics sind von mir an den Tasten
hergestellt. Da ich kein Keyboarder bin, würde ich mich nie auch Live
daransetzen. Meine virtuosen Fähigkeiten sind da sehr begrenzt. Da fühle
ich mich viel eher an den Drums zu Hause.
Stephan:
Apropos „Synthesist“, das Album ist kürzlich auf CD erschienen. Erzähl
doch bitte etwas über die Wiederveröffentlichung.
Harald:
„Kürzlich“ war übrigens 1999.
Stephan:
Da hab ich wohl in Satzvey nicht richtig hingeschaut, als ich das Album
in neuem Cover sah.
Harald:
Während unserer Ashra Japantour, im Frühjahr 1997, lernten wir Kalle
Becker kennen, der dort als unser Tourmanager fungierte. Er lud uns ein
auf seinem jährlich stattfindenden Burg-Herzberg-Festival zu spielen. Er
war der Initiator dieser Veranstaltung. Parallel hatte er ein
Recordlabel (Think Progressive) auf dem wir einige Veröffentlichungen,
auch mit SUNYA BEAT hatten. Unter anderem auch „Synthesist“.
Stephan:
Wie sehen deine weiteren musikalischen Zukunftspläne aus?
Harald:
Die Zeit rennt. Ende nächsten Jahres bin ich 60. Meine Zeit ist
bemessen. 20 - 25 Jahre vergehen wie im Flug. Die Zeit reicht nie! Meine
Ideen sind zu zahlreich, als das ich sie in diesem Leben alle noch
hinbekommen werde. Ich arbeite regelmäßig an meinen Musikstücken, deren
Strukturen zum Teil auch in die Teamarbeit mit anderen wieder
einfließen. Neben der Musik ist Fotografie ein Thema. Ich bemühe mich so
viel wie möglich noch hinzubekommen. Unser Haus wartet auf einige
Umbaumaßnahmen, die ich machen werde. Dann bin ich ja auch seit
Viereinhalb Jahren Vater von Zwillingen. Die beanspruchen mich. Da ist
die Übung Loslassen und Geduld angesagt. Kinder zu behüten ist, neben
der Anstrengung, mit sehr viel Spaß verbunden. Kinder bringen eine
unglaublich fröhliche Energie ins Leben. Ich hoffe, dass mir noch viel
Zeit bleibt. Einige der Musikkollegen aus alten Zeiten sind ja schwer
krank. Gott sei Dank bin ich noch ziemlich fit bisher. Trommeln ist
Sport. 1979 habe ich mal Buddy Rich in Berlin live an den Drums gesehen.
Der Mann war Jahrgang 1917 und damals 62 Jahre alt. Mein Vater war
Jahrgang 1917. Mir stockte der Atem welch enorme physische Dynamik von
diesem „alten Sack“ ausging.
Stephan:
Dann wünsche ich dir noch viele schöne und gesunde Jahre und uns noch ne
Menge Musik von dir. Danke für’s ausführliche Interview.
Stephan Schelle