Interview mit Harald Grosskopf
Ende Mai / Anfang Juni 2008 per E-Mail geführt

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Stephan: Deine beiden Partner, mit denen du unter verschiedenen Namen Musik gemeinsam machst, Steve Baltes und Axel Heilhecker, sind sie zusammen mit dir die Grundlage für deine unterschiedlichen Projekte?

Harald: Das hat sich im Laufe der Zeit scheinbar zufällig so ergeben. Ich traf Steve 1994. Wir lebten beide in der gleichen Stadt. Jemand erzählte mir von einem kleinen Musikstudio und gab mir eine Telefonnummer. Als ich dann Steve an der Strippe hatte merkten wir, trotz unseres Altersunterschieds, sofort den gemeinsamen Draht zur elektronisch erzeugten Musik. Steve produzierte neben Soloalben auch jede Menge Remixe für das Label "Der Kleine Prinz". Ich war quasi auch das erste Mal mit Techno konfrontiert und angenehm überrascht, was es da alles gab. Vor allem die Frische und die Körperlichkeit dieser Musik gefielen mir sehr. Ich hatte aber keinen Schimmer von dieser Musik.

Im Laufe der Zeit entstanden dann mit Steve die N-Tribe Projekte, die stilistisch neben allen Fronten lagen. Die EM-Fraktion hielt es für Techno. Die Technofraktion für nicht kompatibel zu der sehr engen Sichtweise der damaligen Technolabel.

Im gleichen Jahr, übrigens auf dem KLEMdag, traf ich einen jungen Menschen aus Frankfurt, der als Journalist und Promotor für das Technolabel "Recycle Or Die" von DJ Sven Väth tätig war. Er kannte meinen gesamten musikalischen Werdegang und lud mich nach Offenbach ein, wo das Label ansässig war. Nach ein paar Wochen fuhr ich hin und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das Label hatte ein ganzes Stockwerk eines Industriegebäudes belegt und es summte wie in einem Bienenstock. Hinter jeder Tür saßen junge Menschen, die entweder Grafik gestalteten, DJ Promoting betrieben oder sonstige Verwaltungsarbeit machten. An jedem Ende des langen Flures gab es zwei Studios. Ich lernte Oliver Lieb kennen, der gerade an einem Ambush Album arbeitete. Diese urbane, tribalistisch angelegte Musik ging mir unter die Haut. Oliver lud mich spontan ein mitzumachen. Ein paar Wochen später lud er mich ein mit Ambush live auf dem Montreux Jazzfest aufzutreten. Der Auftritt war sensationell. In Montreux lernte ich Helmut Zerlett kennen, der auf dem "Recycle Or Die"-Label Solosachen veröffentlicht hatte. Helmut spielt in der Harald Schmid Show die Keyboards. Er wohnte damals im selben Haus, in dem Axel sein Studio hatte. So lernte ich Axel kennen. Axel ist ein sensationeller Gitarrist. Musikalisch, wie technisch. Dazu kam, dass er ein Faible für elektrische Musik hatte. Axel bot mir an, ein Soloalbum in seinem Studio zu produzieren. Dieses Album wurde dann die erste SUNYA BEAT Scheibe, welche wir mehr als 9.000 Mal verkaufen konnten. Als dann Live Gigs anstanden holte ich Steve mit ins Boot. Seither sind wir in dieser Formation am Start. Es gibt keine Stagnation. Ständig werkeln wir an neuen Ideen und technischen Umsetzungen herum. Das Wesentliche, ist dieser physische Groove, den diese Band hat.  

Stephan: Bist du auch komplett Solo tätig?

Harald: Ich bastele eigentlich ständig an Solostücken herum, ohne das konkrete Ziel zu verfolgen, eine CD daraus machen zu wollen. Wenn ich genügend Material am Start habe, werde ich sehen was ich damit mache. Jetzt bin ich auch endlich in der technischen Lage meine Ideen 1:1 umsetzten zu können. Ich brauche auch ziemlich lange bis ich mit mir zufrieden bin, daher dauert es immer ewig, bis ich mal was auf den Markt werfe. Bis vor ein paar Jahren war ich mit meinem Equipment nie ganz zufrieden. Ich komme ja noch aus der analogen Studiozeit und an deren Qualität hat man sich erst jetzt zu 95 % angenähert. Steve war technisch immer eine Nase Voraus und das gefiel mir. Außerdem ist er ein hervorragender Arrangeur. Ich bin eher der Abfahrer und finde damit oft kein Ende. Axel ist der Akustikfreak unter uns Dreien. Er hat ein hervorragendes Gehör und seine Produktionen klingen immer sehr analog, was ich sehr schätze. Ich arbeite seit einiger Zeit mit CUBASE 4.0 und ABLETON LIVE SUITE 7,03. Seit neuestem besitze ich ein ROLAND TD9 KX Drumkit. Ein sensationelles Gerät. Ich war, nachdem ich mein DDRUM vor einigen Jahren wieder in die Ecke gestellt hatte skeptisch, was elektrische Trommeln betrifft. Die Dinger waren früher entweder zu laut, oder zu leise. Ohne Kompressor ging da gar nichts. Die Ansprechgeschwindigkeit und der Dynamikumfang beim TD9 KX haben mich positiv überrascht. ROLAND hat ja traditionell immer schon coole Trommelsounds in den Geräten.

Man schwitzt am E-Kit und das ist gut so! Jede Nuance wird umgesetzt. Dazu kommt ein übersichtliches Editing und eine Fülle von Drumsounds, die man schnell zu neuen Kits zusammenstellen kann, mit denen man sich soundmässig in zu begleitenden Stücke bestens integrieren kann.

Stephan: Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Dir, Steve und Axel aus?

Harald: Einiges habe ich ja schon angedeutet. Wir treffen uns in unregelmäßigen Abständen. Ich habe drei neue, unfertige Stücke zum Steve geschleppt und wir haben daraus zwei der neuen Stücke gemacht, die wir auf Burg Satzvey uraufgeführt haben. Jeder bringt seine Ideen ein. Axel hat vor einigen Wochen eine Midigesteuerte Echomaschine an den Start gebracht. Da sind vier trackige Stimmen möglich, die exakt vom Ableton in der Timingspur gehalten werden. Wir hatten alle eine Gänsehaut als wir das zum ersten Mal hörten. Erinnert ein wenig an Robert Fripps "Frippertronics" (King Crimson) Experimente, nur noch besser wie ich finde.

Stephan: Werden von allen quasi zeitgleich Stücke geschrieben, bei denen dann später entschieden wird, auf welchem Album sie landen, ihr unterstützt euch schließlich bei den eigenen Projekten, oder plant ihr die Komposition von gemeinsamen Stücken vorher?

Harald: Da ist eigentlich gar keine Planung in diesem Sinne. Vieles entsteht spontan. Die Tracks entstehen meist einzelkampfmässig im stillen Kämmerlein. Die Fragmente, welche allen gefallen, werden in den gemeinsamen Digital-Topf geworfen. Steve hat danach die Haupteditierarbeit für die Livegigs am Bein. Er macht das aber auch gerne und steigert sich derartig rein, dass er nächtelang an Stücken schrauben kann. Ich kenne kaum jemand fleißigeren, als Steve. Er bringt regelmäßig Tranceproduktionen in den USA auf den Markt und ist dort häufig live zu erleben. Gerade am letzten Wochenende hat er 16.000 Fans in San Francisco begeistert. Dort ist er ein Star in der wachsenden Trance-Gemeinde. Axel ist eher für die Musik auf den SUNYA BEAT CD Alben verantwortlich. Er bringt übrigens sehr schöne, hörenswerte Soloalben (Fishmoon) heraus, die natürlich auf Gitarrensounds basieren. N-Tribe ist irgendwo in der Versenkung verschwunden. Das Dreierprojekt hat sich jetzt in SUNYA BEAT verdichtet.

Stephan: Wie sieht die Arbeitsteilung bei Liveauftritten, wie zuletzt beim Konzert auf Burg Satzvey, aus? Von Außen hat es den Anschein, als sei es Steves Aufgabe, den Auftritt in organisierte Bahnen zu lenken. Ist das richtig?

Harald: Wir arbeiten auf der Bühne wie schon gesagt mit der aktuellen ABLETON LIVE Musiksoftware. Einer genialen Loop-orientierten Musiksoftware. Das heißt konkret, die Dramatik unserer Musik ist in diverse, so genannte Szenen aufgeteilt, welche wir in unseren Studios zeitaufwendig vorbereiten. Darin liegt die Hauptarbeit. Diese Szenen beinhalten einzelne Instrumente, Sequenzen und Melodielinien und können beliebig lange Audioloops oder Midi-Triggerspuren sein. So bauen wir Intros, Abfahrten, Breaks etc. Einzelne Szenen können beliebig lange gespielt werden. Auch die Einzelsegmente dieser Szenen, also die Instrumente, Sequenzen, Melodielinien etc., können, wann immer man es will, ein- und ausgeschaltet werden. Der Rechner schaltet sie dann jeweils nach dem ergangenen Befehl erst mit dem nächsten Taktbeginn ein oder aus, bzw. man kann das sog Launchen auch noch vielseitig manipulieren. In jedem Fall aber immer timinggenau!

Wie Du schon richtig bemerkt hast ist Steve derjenige, der die Dramaturgie unserer Musik dirigiert. Er gibt uns Zeichen auf die wir dann reagieren. Es kommt vor dass ich diese Zeichen nicht mitbekommen, weil ich in meiner Trance oft die Augen geschlossen habe oder gerade in eine andere Richtung schaue. Da muss Steve dann irgendwie durch. Das gibt nach den Gigs immer Anlass für humoristische Bemerkungen seinerseits.

Steve drückt natürlich nicht nur Knöpfchen auf der Bühne. Er hat die Parts aufwendig mit peripheren Software-Bearbeitungstools innerhalb der Software und außerhalb mit einem Keyboard verknüpft, von dem aus er jederzeit Filterbewegungen, Echos usw. manipulieren kann. Natürlich spielt er auch von Hand Akkorde, Melodien und Solostimmen ein.

Stephan: Wie hoch ist der Anteil an Improvisationen bei den Livegigs?

Harald: Steve improvisiert quasi die gerade beschriebenen Spannungswechsel und die Sound-Manipulations-Tools. Das hängt ganz von seiner Stimmungslage ab. Durch dieses offene Prinzip können wir so lange auf einer Spannungsebene bleiben, wie es uns gefällt. Auf diese Weise wird auch die Spannung, die ein Publikum ausstrahlt mit einbezogen. Ich habe vor fast 20 Jahren in Ost-Berlin mal einen Gig von TD gesehen bei dem offensichtlich nur CD`s abgespielt worden sind, zu denen dann live ein paar Saxophon und Gitarrensolos gespielt worden sind. Es gab auch keinen durchgängigen, homogenen Sound. Jedes Stück hatte eine fremdartige Dynamik und Klangstruktur. Die Musiker saßen oder standen wie die Salzsäulen auf der Bühne herum und schienen von der Intensität der Musik überhaupt nicht berührt zu sein, so, als hätten sie nicht das Geringste damit zu schaffen. Auf großen Screens waren die Atari-Oberflächen der damals aktuellen CUBASE Sequencer-Software zu sehen, die aber gar nicht angeschaltet war. Sehr Strange das Ganze. Da fand ich ihre Auftritte in den Siebzigern wesentlich lebendiger. Ich nahm mir damals vor nie auf diese Weise zu arbeiten.

Was Axel und mich betrifft improvisieren wir zu jeder Zeit alles was von uns zu hören ist. Natürlich gibt es gewisse Absprachen was Tonarten betrifft und Vorbereitungen für diese "Szenen" die ich gerade beschrieb. Da wir, wie sonst bei Bands unüblich, nur ganz peripher proben, bleibt es auf der Bühne immer spannend. So kann es passieren dass Steve nach einem letzten Treffen noch einiges ergänzt hat, was mir dann erst auf der Bühne zum ersten Mal begegnet. Er hat immer Überraschungen parat. Ich hatte früher die Erfahrung dass Bands Musik kaputt proben können. Das kommt durch das oftmalige Wiederholen ein und derselben Geschichte. Bei uns ist immer alles frisch, zumindest in der immer wieder neuen Kombination. Einzelne Segmente der Musikstücke hat man dann im Vorfeld natürlich auch schon bis zum Abwinken wiederholt gehört.

Stephan: Am 20.09.2008 wirst du zusammen mit Bernhard Wöstheinrich beim Electronic Circus in Bielefeld auftreten. Bisher hast du mit ihm noch nicht zusammengearbeitet, wie wird da der Gig aussehen? Wie bereitet Ihr euch auf den Auftritt vor?

Harald: Doch, wir hatten schon das Vergnügen zusammenzuarbeiten. Die Gelegenheit ergab sich während eines Live-Radiogigs bei einem Dortmunder Uni-Sender vor ein paar Wochen (Codos Traumreisen > immer Mittwochs von 22 bis 24 Uhr). Wir haben zwei Stunden lang improvisiert. Wobei er das Basismaterial mitgebracht hatte. Ich habe auf ROLAND Handpercussion-E-Drums gespielt. Bei dieser Gelegenheit hat sich ein Konzept herausgebildet. Gestern (Anmerkung 30.05.2008) haben wir uns dann in meinem Studio getroffen und einige Stücke von mir zusammen ausgewählt und einige von seinen Materialien in meinen Rechner übertragen. Bernhard arbeitet gern mit Hardware Synthi-Workstations. Die haben wir mit ABLETON LIVE verbunden und jede Menge Loops aufgenommen. Ich werde in den nächsten Tagen und Wochen daran arbeiten mein großes E-Drums zu bearbeiten. Das heißt Drumsounds auszuwählen, welche sich gut in das Klangbild dieser Stücke einfügen und zu Drumkits zusammenstellen, die ich dann in der Livesituation auf Knopfdruck aufrufen kann. Dazu bearbeite ich diese Materialien von Bernhard weiter. Im Gegenzug schicke ich Bernhard eine DVD mit den Ergebnissen dieser Arbeit und meinen Kompositionen, damit er auch daran weiter schrauben kann. In Bielefeld wird es drei bis vier Stücke geben, die deutlich von mir geprägt sind. Der Rest ist auch hier totale Improvisation. Ich liebe improvisieren. Da ist das maximale Risiko gegeben, auch scheitern zu können. Aus meiner Erfahrung heraus immer ein emotionaler Gewinn. Das ging bei mir selten auch schon mal daneben. Dagegen viel öfter während der Begleitung festgelegter Programmmusik.

Stephan: Viele Elektronikliebhaber verbinden deinen Namen unweigerlich mit deinem Stück „So weit, so gut“, das jahrelang die Titelmelodie der Schwingungen-Sendung war. Deine aktuellen Stücke haben sich stilistisch aber weit davon entfernt. Welche Resonanz erhältst du?

Harald: Es ist im nächsten Sommer (2009) genau 30 Jahre her als ich „So Weit So Gut“ in Udo Hantens Dachgeschosswohnung in Krefeld aufnahm. Da ist inzwischen viel Wasser den Rhein runter gelaufen. Ich bekomme auf meine aktuelle Musik weltweit viel positive Resonanz. Bei der eingeschworenen EM-Gemeinde bin ich mir nicht so sicher, ob sie meine diversen Wandlungen nachvollziehen. Viele der EM-Jünger scheinen mir  einem konservativen Geschmack anzuhängen. Alles was über den KS- und TD- Rand hinausschaut wird ignoriert. Schade eigentlich, denn es hat sich in der Entwicklung des musikalischen Ausdrucks und auch der technischen Mittel unglaublich viel spannendes getan, seit wir in den frühen Siebzigern angetreten sind etwas Neues zu wagen.

Die Bandbreite der Musikrichtungen, welche mit elektronischen Gerätschaften gemacht sind, hat sich unendlich vervielfacht. Bspw. ist Techno nicht einfach auf Bumm-Tschik Bumm-Tschik Bumm-Tschik zu reduzieren und hat übrigens seinen kulturellen Höhepunkt vor etwa 15 Jahren überschritten. Neu ist das nicht wirklich mehr. Wer nur BummTschik wahrnimmt hat nicht hingehört. Selbst in der Technoszene beobachtete ich von Anfang an diese konservative Haltung, vor allem Seitens der Label. Alles was nicht in spezifisch technisch, musikalische Raster hineinpasst, wird nicht akzeptiert. Mit unserem N-Tribe Projekt hatten wir dieses Problem. Für EM-Anhänger Techno, für Technofreaks undefinierbares Zeugs, zwischen allen Stühlen angesiedelt. Die Grenzen zu elektronisch und analog produzierter Musik sind inzwischen auch kaum noch zu erkennen. Inzwischen wird eigentlich jede Art von Musik mit Hilfe von Computern produziert. 98% der Analogstudios in Deutschland sind entweder pleite oder haben umgerüstet.

Ich kümmere mich wenig um Schubladen. Musik kommt in erster Linie aus dem Gefühl und nur fragmentarisch aus dem Hirn. Sie berührt oder eben nicht. Ich halte mich offen für Neues. Gerade diejenigen, welche etwas wagen und Grenzen einreißend zu neuen Ufern gelangt sind, sind mir sympathisch. Leider habe ich kaum Zeit um diese neuen Musiken zu entdecken. Am liebsten beschäftige ich mich aber mit meinem eigenen Kram und experimentiere gern und ausgiebig.

Stephan: Trifft dein neuer Stil (z. B. von Sunya Beat) den Geschmack von Musikliebhabern anderer Stilrichtungen? Deine aktuelle Musik würde ich eher der Rock- als der Elektronikmusik zuordnen.

Harald: Was Reaktionen via E-Mail und auf meine Internetpräsenz, Myspace vor allem, betrifft, scheint die Bandbreite der Anhänger relativ groß zu sein. Ich habe ja vor meinen Begegnungen, Anfang der Siebziger, mit Klaus (Schulze), Manuel (Göttsching) und Edgar (Froese) Rockmusik gemacht. Danach langweilte sie mich weitestgehend und ich löste mich von Wallenstein. Aber selbst bei Ashra und auf Moondawn etc. habe ich mit einem traditionellen Rockdrumkit gespielt und schon damals meist eine durchgehende Bassdrum getreten, wie später beim Techno üblich. Da hat sich nie einer beschwert. Was ich sagen will ist, dass Rockmusik meine musikalische Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat. Vor allem diese aggressive, vitale Lebenskraft. Mit Strohhälmchen kann man nicht wirklich trommeln. Dann hat ja auch ASHRA immer Rockgitarren verwendet. Manuels E2 E4 Album ist ausschließlich mit Gitarre gemacht und ist das Kultalbum der internationalen Techno DJ Szene.

Durch das Mitwirken Axel Heilheckers, der ja in erster Linie aus der Rockszene kommt, ist der Einfluss der Rockmusik auf die Sunya Beat Musik deutlicher denn je. Wie gesagt, ich kümmere mich nicht um eine Einordnung meiner und unserer Musik in bestimmte Schubladen. Ich mache was mir gefällt. Kategorisierungen sollen andere vornehmen.

Stephan: Darüber hinaus ist deine Musik auch durchzogen von ethnischen Klängen. Welche Einflüsse halten aus deiner Sicht Einzug in deine bzw. eure Musik?

Harald: Diese Abteilung ist aus meiner Sicht inzwischen abgelegt. Es gab Phasen in meiner Entwicklung in denen mich vor allem afrikanische Rhythmik fesselte. Auch meine Reisen nach Süd-Ostasien und Indien haben sicher ein gewisses Interesse an exotischer Musikkunst bei mir geweckt. Heute interessiert mich das eher weniger. Unterbewusst mag das aber alles noch eine Rolle bei der Entwicklung meiner Kompositionen spielen.

Stephan: Bei eurem Auftritt beim Burg Satzvey-Elektronikfestival im April 2008 habt ihr auch das Stück „So weit, so gut“ gespielt. Schon die Ankündigung sorgte für großen Applaus. Die Version, die ihr gespielt habt, war allerdings sehr rockig und energiegeladen, so dass man es kaum wieder erkannte. Glaubst du, dass du damit einige Elektronikpuristen vor den Kopf gestoßen hast?

Harald: Ich hoffe nicht. Das Ganze war als einmalige Reminiszenz an die kleine EM-Gemeinde auf Burg Satzvey gedacht. Leider hatten wir nur sehr wenig Vorbereitungszeit, um das Stück noch weiter an die Urfassung anzupassen. Was Du gehört hast war unter diesen Bedingungen das Bestmögliche. Ich fand diese Version ganz OK. Am liebsten hätte ich aber mit den Originalaufnahmen gearbeitet. Leider ist das inzwischen technisch kaum machbar. Ich weiß auch nicht ob die 1/4 Zoll 8 Spur Tapes nach 30 Jahren in meinem Keller überhaupt noch abspielbar sind. Eine 8-Spurmaschine ist kaum mehr aufzutreiben. In ein paar Jahrzehnten kann sich dann die Leitung des Harald Großkopf Museums um dieses Problem bemühen ;-) .

Stephan: Du bist mit Sunya Beat u. a. auf dem Burg Herzberg-Festival aufgetreten. Wie war das für dich vor so vielen Menschen zu spielen, denn in der Elektronikszene sind die Besucherzahlen doch eher mäßig?

Harald: Da standen so gut und gerne 15.000 Leute vor der Bühne. Ich muss dann immer kurz vorher aufs Klo. Adrenalin pur. Geniale Situation, von der man als Anfänger immer geträumt hat. Habe ich das erste Mal 1971 erlebt. Ein Rockfestival in Landshut (Bayern). 10.000 Besucher. Es regnete. Am nächsten Tag waren wir in Deutschland bekannt und hatten sieben oder acht Einladungen zu Plattenfirmen. Heute gibt es in der Sommerzeit an die 90 Festivals unterschiedlichster Größe in Deutschland. Da verpufft die Wirkung einer guten Performance vor großen Zuschauerzahlen wie Eis in der Sonne. Ich habe mir zum Prinzip gemacht mich immer ins Zeug zu legen. Egal ob 15 Leute oder 20.000. Ich komme aus einer Zeit in der man als Musiker doch recht verwöhnt war mit Zuschaueransammlungen. Bei Wallenstein waren in den Siebzigern fast nie unter 500 bis 1.000 anwesend.

Die reine EM-Schar ist in der Tat auf ein kleines Häufchen zusammengeschrumpft. Mit Ashra hatten wir 97 in Eindhoven auf dem KLEMdag noch ca. 1.300 gezogen. In Japan sieht es da schon ganz anders aus.

Stephan: Anfang der 80’er, als dein Album „Synthesist“ erschien, hast du auch die Synthies selber sprechen lassen. Überlässt du das heute Steve und konzentrierst dich auf dein Schlagzeug, oder arbeitest du manchmal auch noch an den Tasten?

Harald: Da muss ein falscher Eindruck erweckt worden sein. Die Tracks zu meinen Soloplatten stammen zu mehr als 80% aus meiner Arbeit an den Keyboards. Steve bearbeitet streckenweise meine Midifiles mit Sounds aus seiner großen Wundertüte. Er hat da einen viel größeren Fundus als ich. Dann ist er begnadeter Arrangeur, was meinen Stücken zugute kommt. Ebenso was das Mastering betrifft. Ich gebe ihm 50% meiner Anteile, weil ich das fair finde. So entsteht möglicherweise der Eindruck die Musik sei von uns beiden. Wie gesagt alle Basics sind von mir an den Tasten hergestellt. Da ich kein Keyboarder bin, würde ich mich nie auch Live daransetzen. Meine virtuosen Fähigkeiten sind da sehr begrenzt. Da fühle ich mich viel eher an den Drums zu Hause.

Stephan: Apropos „Synthesist“, das Album ist kürzlich auf CD erschienen. Erzähl doch bitte etwas über die Wiederveröffentlichung.

Harald: „Kürzlich“ war übrigens 1999.

Stephan: Da hab ich wohl in Satzvey nicht richtig hingeschaut, als ich das Album in neuem Cover sah.

Harald: Während unserer Ashra Japantour, im Frühjahr 1997, lernten wir Kalle Becker kennen, der dort als unser Tourmanager fungierte. Er lud uns ein auf seinem jährlich stattfindenden Burg-Herzberg-Festival zu spielen. Er war der Initiator dieser Veranstaltung. Parallel hatte er ein Recordlabel (Think Progressive) auf dem wir einige Veröffentlichungen, auch mit SUNYA BEAT hatten. Unter anderem auch „Synthesist“. 

Stephan: Wie sehen deine weiteren musikalischen Zukunftspläne aus?

Harald: Die Zeit rennt. Ende nächsten Jahres bin ich 60. Meine Zeit ist bemessen. 20 - 25 Jahre vergehen wie im Flug. Die Zeit reicht nie! Meine Ideen sind zu zahlreich, als das ich sie in diesem Leben alle noch hinbekommen werde. Ich arbeite regelmäßig an meinen Musikstücken, deren Strukturen zum Teil auch in die Teamarbeit mit anderen wieder einfließen. Neben der Musik ist Fotografie ein Thema. Ich bemühe mich so viel wie möglich noch hinzubekommen. Unser Haus wartet auf einige Umbaumaßnahmen, die ich machen werde. Dann bin ich ja auch seit Viereinhalb Jahren Vater von Zwillingen. Die beanspruchen mich. Da ist die Übung Loslassen und Geduld angesagt. Kinder zu behüten ist, neben der Anstrengung, mit sehr viel Spaß verbunden. Kinder bringen eine unglaublich fröhliche Energie ins Leben. Ich hoffe, dass mir noch viel Zeit bleibt. Einige der Musikkollegen aus alten Zeiten sind ja schwer krank. Gott sei Dank bin ich noch ziemlich fit bisher. Trommeln ist Sport. 1979 habe ich mal Buddy Rich in Berlin live an den Drums gesehen. Der Mann war Jahrgang 1917 und damals 62 Jahre alt. Mein Vater war Jahrgang 1917. Mir stockte der Atem welch enorme physische Dynamik von diesem „alten Sack“ ausging.

Stephan: Dann wünsche ich dir noch viele schöne und gesunde Jahre und uns noch ne Menge Musik von dir. Danke für’s ausführliche Interview.

Stephan Schelle

   
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