Interview mit Harald Blüchel (Cosmic Baby)
am 19.09.2006 per Telefon geführt

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Harald Blüchel ist in der Musikszene kein unbekannter, hat er doch schon zwei CDs zusammen mit Christopher von Deylen, der besser unter dem Namen Schiller bekannt ist und seit 1991 mehrere SoloCDs unter seinem Pseudonym Cosmic Baby herausgebracht. Vor allem als Cosmic Baby hatte Harald sich in der Dance- und Technoszene einen Namen gemacht, so brachte es sein Titel „Loops Of Infinity“ bis weit in die Charts. Aber auch für Theater und Film sowie zu Hörspielen hat er für die musikalische Untermalung gesorgt.  Im Herbst 2006 erscheint sein aktuelles Album „Die Toteninsel“, das Harald unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlicht. Grund für mich, ein ausführliches Interview mit dem Musiker zu führen. Harald hat mir in diesem Gespräch einen sehr persönlichen und aufrichtigen Einblick in sein Leben und sein Schaffen gegeben, wofür ich mich sehr bedanke. Aber macht euch selbst ein Bild davon.

Stephan: Zuerst stellt sich mir die Frage, warum du dein Pseudonym abgelegt hast und nun unter deinem bürgerlichen Namen die CD veröffentlichst. Cosmic Baby hört sich ja etwas jugendlich an. Soll die Änderung bedeuten, dass du mittlerweile den „Kinderschuhen“ entwachsen bist?

Harald: Auf jeden Fall. Also das ist genau der Punkt. Ich hab mir gerade im letzten Jahr noch mal Gedanken über den Namen Cosmic Baby gemacht und kam eigentlich jetzt erst drauf, das ich mir damals, als ich mir den Namen gegeben habe, das war zu der Zeit als ich von Nürnberg, meine Heimatstadt, nach Berlin zum studieren gegangen bin, da wollte ich dann als Künstler die Identität Cosmic Baby haben. Retrospektiv erkläre ich mir das sehr stark mit dem Willen, das Bürgerliche, die Existenz meiner Kindheit in Nürnberg, in Berlin hinter mir lassen zu wollen, um komplett und sehr konsequent in einer Welt zu leben, die ich dann musikalisch letztendlich transformieren kann. Der Name Cosmic Baby bringt den Wunsch auf den Punkt, was ich eigentlich damit sein wollte, nämlich auf der einen Seite Cosmic, was strahlendes, was sehr offenes, was fast schon einen überirdischen Idealismus zeichnen möchte und gleichzeitig aber fast dialektisch das Baby dahinter, so quasi als Aussage „Ich bin im werden, ich bin eigentlich noch ganz klein“. Und das zusammen ist für mich so ein codiertes Persönlichkeitsportrait, als das, was ich damals gerne sein wollte.


Harald Blüchel 2006

Stephan: War das zu der Zeit, als du dich mehr in diesem Techno-/House-Bereich aufgehalten hast?

Harald: Aber ganz klar. Ich kam 1987 nach Berlin und hab mich in Nürnberg schon nach meiner klassischen Ausbildung über Tangerine Dream und Kraftwerk für die elektronische Musik begeistert. Ich hab da auch mehr die Möglichkeit gesehen, mich erst mal musikalisch zu verwirklichen, als jetzt bei der klassischen Musik zu bleiben, oder eine Karriere als normaler moderner klassischer Komponist zu machen. Mich hat damals schon sehr Elektronik interessiert. Ich hab ja auch in Berlin Komposition mit der Priorität auf elektronische Musik studiert. Und als ich in Berlin ankam, steckte gerade diese Technobewegung in den absoluten Kinderschuhen. Als ich kam gab’s dann die erste Technomusik zu hören, die kam aus Chicago, die sich ja wiederum eigentlich auf die europäische Musik á la Kraftwerk berufen hat, aber viel rudimentärer geklungen hat. Das fand ich damals großartig, weil ich ja selbst genau in der gleichen Entwicklung war, das ich von Kraftwerk und Tangerine Dream begeistert war, aber in keinster Weise mir damals so ein Equipment leisten konnte, um eine ähnliche Klangfülle oder Klangsprache zu entwickeln. Ich hatte nur sehr kleine und günstige Geräte, die ich mir damals als Schüler und Student leisten konnte. Und das waren natürlich auch genau die Geräte, die die Leute in Chicago oder Detroit hatten. Das waren billige alte Rhythmusmaschinen, billige alte Synthesizer und mit denen wollte ich auch Musik machen. Die klangen witzigerweise so ähnlich, wie das, was ich dann von anderen Leuten gehört habe. Und dann kamen ja zu dieser Zeit in Berlin auch diese ersten ganz kleinen Partys mit 30, 40, 50 Enthusiasten auf, die sich für diese Art von Musik interessiert haben. Und das war für mich ganz großartig, genau im Prinzip zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, um da dann gleich in so einer Art, das kann man so sagen, musikalischen Freundeskreis aufgenommen zu werden. Wenn man dann auch erst einmal so ein Feedback bekommt, oder man bewegt sich in einer Gruppe und alle bestärken sich gegenseitig, das wir an einer neuen Art von Musik arbeiten, die es so noch nicht gibt, das setzt, wenn man Musik macht, eine unglaubliche Energie frei. Das ist sehr, sehr schön.

Stephan: Wenn man deine Biografie liest, verwundert dein Werdegang schon, denn du hast schon mit sechs Jahren eine klassische Klavierausbildung und zwei Jahre später ein Hochbegabtenstipendium am Konservatorium in Nürnberg bekommen. Von der klassischen Musik (Chopin, Mozart etc.) bis hin zum Techno liegt doch ein ganz schöner Unterschied. Du hast ja gerade schon diesen Zwischenschritt betont, aber was hat dich letztendlich als ausgebildeter Pianist am Techno gereizt?

Harald: (lacht) Ja. Der Punkt ist ja, was ist Musik, was kann Musik, warum lieben viele Leute Musik oder umgeben sich zumindest mit der Musik? Das liegt daran, dass sie einen emotional treffen kann. Chopin, Schumann, Mozart und Beethoven, die haben mich sehr schnell getroffen. Sie haben mir mit ihrer Musik Zustände und Gefühle mitgeteilt, die ich als Kind verstehen konnte. Sie haben mich auch sehr schnell dazu gebracht das, was ich denke und was ich vielleicht als Kind auch gar nicht unbedingt gegenüber anderen Kindern oder meinen Eltern so verbal ausdrücken wollte, in Musik über zu führen. Ein emotionaler Gehalt in der Musik, ist nicht unbedingt abhängig von der Zeit, in der die Musik entstand oder von den Instrumenten oder von den kulturellen Verhältnissen, mit bzw. in denen die Musik gemacht wird. Es gibt immer wieder Beispiele, und das sind natürlich immer die allerschönsten, das eine Musik fasziniert oder trifft, die erstmal mit der eigenen Gegenwart anscheinend gar nichts zu tun haben kann, weil sie vielleicht 1.000 Jahre alt ist oder weil sie aus einer Gegend kommt, zu der man eigentlich gar einen Bezug haben kann. Und trotzdem können über Musik diese Bezüge hergestellt werden. Das ist, glaube ich schon, die Faszination an der Musik. Dieser Sprung von der reinen klassischen Musik, die ich bis zu meinem 13, 14 Lebensjahr fast exklusiv betrieben bzw. auch gehört habe, zu Kraftwerk oder auch zu Tangerine Dream, lässt sich einfach dadurch erklären, dass für mich beispielsweise Kraftwerk eine ganz starke moderne Brücke geschlagen hat, von der Musik der 20’er und 30’er Jahre in Europa, speziell in Deutschland, der klassischen Musik und bei Tangerine Dream habe ich für mich immer … Es ging los, ich glaube das war die „Ricochet“ mit diesem wunderbaren Mellotron-Flöten-Intro und es hat mich absolut sofort an Debussy erinnert, den ich auch sehr gemocht habe. Im Prinzip waren das impressionistische Klanggebilde, die sie mit ganz anderen Instrumenten, natürlich auch ganz anderen Möglichkeiten erzeugt haben. Was mich immer schon an der klassischen Musik fasziniert hat, waren Oszinati, zu deutsch Sequenzen, Arpeggios. Ich hab als Kind schon furchtbar gern Stücke gespielt, die im Bassbereich endlos Sequenzen wiederholt haben. Und das habe ich dann in der elektronischen Musik plötzlich so richtig als prägendes Stilmittel gehört und das hat mich natürlich absolut fasziniert. Deswegen war eigentlich der Sprung überhaupt kein so ein großer, wie man sich das normalerweise vorstellt. Zumal ja noch dazukommt, dass ich dann im Alter von 15, 16 Jahren natürlich auch in die Disco gegangen bin und auch nach einer tanzbaren Komponente in der Musik gesucht habe. Das war dann in der elektronischen Musik auch schon da, aber immer verbunden mit dem Anspruch der über die reine Funktion „So, jetzt machen wir mal bum, bum, bum, tanz, tanz, tanz“ hinausgeht. So etwas hat mich immer sehr interessiert, da war es dann folgerichtig, dass ich aus dieser Biografie heraus, über die klassische Musik und dann über die, sagen wir mal klassischen Pioniere der deutschen Elektronik, meine eigene Musik machen wollte, an der ich dann gearbeitet hab. Ich wollte nicht nur kopieren und so ähnlich klingen, was sowieso nicht ging, weil ich ja gar nicht die Instrumente hatte, aber ich wollte schon immer das ausdrücken, was ich selber bin.

Stephan: Hörst du selber heute noch Musik von Tangerine Dream, Kraftwerk und dergleichen?

Harald: Ich gehe zum Beispiel am Donnerstag zum Tangerine Dream-Konzert in Berlin. Da muss ich natürlich hin. Ich besuche das mit dem Kollegen von Deylen zusammen. Ich bin schon gespannt. Es ist so, das mich das, was Tangerine Dream in den letzten 15 Jahren gemacht haben, nicht mehr interessiert bzw. eher enttäuscht hat. Und trotzdem muss ich sie immer wieder sehen und hören, weil letztendlich gerade diese Gruppe, die haben bei mir einen so großen Stein im Brett, soviel für mich getan hat, indem sie einfach existierten. Gerade zwischen 1974 und 1985. Ich bin natürlich immer noch gebannt dabei und versuche auch immer zu verfolgen, was die Herren Schmoelling, Baumann und Franke so machen. Das ist für mich weiterhin wichtig (lacht).

Stephan: Da bist du aber auch nicht alleine, vor allem was so die Liebe zu den früheren Tangerine Dream-Alben bis Mitte oder Ende der 80’er betrifft.

Harald: Genau. Das interessiert mich natürlich und das ist auch Musik, die ich mir weiterhin gerne anhöre. Und danach hört es eigentlich auch auf. Als Schmoelling bei Tangerine Dream ausgestiegen ist, da musste ich mich dann auch verabschieden. So ähnlich ging es mir mit dem Herrn Schulze auch. Mich betrifft seine 70’er-Jahre-Phase weiterhin. Als auch er dann so probiert hat, neue Wege zu gehen, was ja schon richtig ist, da konnte ich halt irgendwie nicht mehr mithalten. Ich war natürlich auch selber schon mit meiner eigenen musikalischen Generation beschäftigt, in der man sich quasi von seinen so genannten Eltern auch trennen und rebellieren muss sowie was dagegen halten möchte.

Stephan: Da ging es mir anders. Ich konnte mit Schulze erst gar nichts anfangen und bin erst mit seinem Konzert in Duisburg, als ich ihn das erste mal live gesehen habe, zu seiner Musik vorgedrungen. Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Seitdem liebe ich seine Musik, auch die neueren Sachen.

Harald: Und wann war das Konzert?

Stephan: Das war so um 1997 rum. Das war die Zeit als es bei ihm mit Technorhythmen losging. Das hat mir sehr gut gefallen.

Harald: Alles klar.

Stephan: Aber kommen wir wieder auf dich zurück. Du warst vor allem in der Dance- und Technoszene sehr bekannt und beliebt und bist dort sehr schnell aufgestiegen. Du wurdest auch als „Technowunderkind“ bezeichnet. Wie stehst du heute dazu?


Cosmic Baby live 1994

Harald: Das war natürlich für die damalige Zeit für mich traumhaft, was ich da erleben durfte. 1989, da gab es Techno so anderthalb bis zwei Jahre, da waren gerade mal 150 Menschen, die über den Kuhdamm gerannt sind und da war ich dabei. Das aus diesem kleinen Haufen, diesem begeisterten, wirklich bescheuerten Haufen etwas geworden ist, was auf der ganzen Welt zu einer künstlerischen Größe geworden ist, das wollen wir jetzt erst einmal gar nicht weiterdiskutieren, sondern wir müssen einfach mal festhalten, plötzlich ist eine Bewegung entstanden, eine elektronische Musik, die überall auf der Welt von verschiedenen Leuten entwickelt worden ist. Das allerschönste daran war ja, dass die Musik erst einmal überhaupt nicht uniform klang, sondern im Prinzip gab es eine Anzahl von ca. 1.000 Individuen, die diese Musik gemacht haben. Dann ist etwas bei mir passiert, was mich absolut glücklich gemacht hat, dass ich über diese Musik oder mit meiner Musik die ganze Welt bereisen durfte und das in Strukturen, die in keinster Weise kommerziell ausgebeutet waren. Das waren kleine Zellen, die untereinander versucht haben miteinander zu kommunizieren und sich gegenseitig einzuladen. Ich würde mal sagen 1993 war das eine Sache, die bedingungslos musikalisch lief und dann, als die Industrie und auch die Mainstreammedien gemerkt haben, „Das ist mehr, als wir jemals für möglich gehalten haben. Wir dachten immer, das sind ein paar Idioten, die irgendwie komische Musik machen, die laut ist.“ Als man dann gemerkt hat, dass da sowohl von den Gripsen, die daran beteiligt sind, mehr dahinter steckte, als auch das quantitative dann irgendwann so groß wurde, war dann auch ein Interesse da, diese Musik dann in den Griff zu kriegen bzw. auch daran teilhaben zu können. Ab dem Moment setzten die Strukturen ein, die immer einsetzen, wenn eine Sache so langsam aus den Kinderschuhen herauskommt und entdeckt wird, das dann natürlich komischerweise das Publikum sehr stark zunimmt, die Informationen über die einzelnen bekanntesten Exponenten dieses Feldes riesig zunimmt, die Musik komischerweise aber immer beliebiger bzw. gleichgeschalteter geworden ist. Und das ist da eben auch passiert. Als das für mich unerträglich geworden ist, und das war sehr früh, also noch lang bevor diese Musik überhaupt ihren kommerziellen Höhepunkt gehabt hat, den ich so auf 1998 bis 2002 sehe, da hab ich mich 1996 schon entscheiden müssen, da wieder raus zu gehen, weil ich nicht mehr wirklich zu dieser ganzen Art bzw. dem Zwang eine Rolle zu entsprechen, die dann doch eingefordert worden ist, stehen konnte. Da musste ich mir dann die Frage stellen „Willst du jetzt quasi die nächsten Jahre das verwalten oder aus dem Herrn Cosmic Baby eine Marke machen, die eventuell funktioniert á la Paul van Dyk, Westbam, Sven Väth oder sonst jemanden, oder willst du Musik machen und willst dich vor allem auch selber als Mensch weiterentwickeln?“ Denn irgendwann, da komme ich wieder zurück auf den Eingang unseres Gesprächs, war mir auch klar, dass ich nicht ewig Cosmic Baby sein will, sondern das dieser Harald Bülchel-Anteil, also das, was ich eigentlich real bin, dass das letztendlich für meine Entwicklung wichtiger werden musste. Sowohl als Mensch, als auch als Musiker.

Stephan: Wenn man deine Alben hört, dann hast du entweder sehr melodische Stücke, die manchmal auch etwas Melancholie verströmten, wie zum Beispiel auf „Thinking About Myself“, sehr rhythmische Sachen, wie zum Beispiel auf „Kinetik“ oder auch nur Klanggebilde wie auf „Stunde Null“ gemacht. Auf deinem Neuen Album „Die Toteninsel“ hast du eine Menge an Klanggebilden entwickelt, die bis auf den letzten Satz weniger auf Melodie oder Rhythmus, dafür aber mehr auf Stimmungen setzen. Du hast ganz tolle Sounds gemacht, die in diesen Stücken so richtig zur Geltung kommen. Das lässt die CD auch sehr volumenreich klingen. Der dritte Satz zeigt dann wieder sehr eingängige Melodien, die mir sehr gut gefallen und die streckenweise an „Thinking About Myself“erinnern. Ist das der neue Harald Blüchel, der beides miteinander kombiniert?

Harald: Da wäre ich selber gerade vorsichtig, diese Frage positiv zu beantworten, weil wir müssen festhalten, dass „Die Toteninsel“ erst einmal Bestandteil einer Trilogie (Anmerkung: die Trilogie trägt den Titel „Zauberberg“) ist. Ich werde jetzt nach „Die Toteninsel“ so in vier Monatsintervallen die zwei danach folgenden Teile auch veröffentlichen. Diese Trilogie als, sagen wir mal Gesamtwerk, dokumentiert eigentlich für mich die Suche nach einer Identität Harald Blüchel. Das heißt, die Suche nach einer musikalischen Ausdrucksform, die Schritt halten kann, synchronisiert ist, mit dem, wie ich mich als Mensch entwickelt habe. Dieser erste Teil, „Die Toteninsel“, war für mich so diese klare Entscheidung „So jetzt fängst du an dich mal so richtig von Cosmic Baby zu lösen.“. Ich wollte auch gar nicht versuchen, das Gute ins Töpfchen und das Schlechte ins Kröpfchen zu werfen, sondern loszulassen, von dem was vorher war und anfangen zu suchen, wie ich relativ widersprüchliche und komplizierte Fragen, die ich mir stelle, in eine Form umzusetzen. Bei „Die Toteninsel“, das hast du genau richtig beschrieben, merkt man, dass meine Musik im Prinzip nicht heterogen ist, also das man nicht sagen kann „Aha, da hat er jetzt eine Klangsprache erfunden, die geht von A bis Z durch.“ Man kann natürlich dazu stehen und sagen, die ist gut oder die ist schlecht. Aber nicht mal das hört man, sondern man hört – so habe ich auch angefangen zu arbeiten. Ich habe erst einmal eine Bestandsaufnahme dessen gemacht, was ich als Musiker machen, wie ich Musik erzeugen kann? Das ging bis hin zur MIDI-Technik, die sich natürlich bewährt hatte. Da wollte ich mal versuchen, ob ich auch mit dieser Technik, über akustische Aufnahmen, also Klavier – echte Instrumente aufnehmen – bis zur Untersuchung von Geräuschen und konkreten Klängen, auch woanders hinkomme. Ich glaube, ich habe in dieser Zeit, als ich merkte, das passt in den Komplex „Die Toteninsel“ herein, bestimmt 50 bis 70 Musikstücke gemacht, die erstmal alle nur unter dem Aspekt gesehen wurden, „Das passt zum Thema“. Das hat aber handwerklich oder vom produktionstechnischen her gesehen nichts miteinander zu tun. Ich wollte erst einmal ausprobieren und hab mich dann darangesetzt und versucht, aus diesen ganzen Mosaiksteinchen eine taugliche Einheit zu machen. Daraus sind dann diese drei Sätze geworden, die in sich relativ geschlossen sind. Als ich dann weitergemacht habe und diese Sprache weiterentwickelte, wurde die Sache auch homogener. Die nächste Produktion, die heißt „Caged“, ist ein Wortspiel aus „gefangen sein“ und dem Komponisten John Cage. Die wurde vom Klangbild sehr homogen. Auf der Produktion habe ich nur echte Instrumente verwendet und vollkommen auf Synthesizer und Electronica verzichtet.

Stephan: Du bist also multiinstrumentalistisch angelegt? Was spielst du neben Klavier und Synthesizer noch für Instrumente?

Harald: Ich spiele keine anderen Instrumente, aber Gott sei dank gibt es großartige Musiker, mit denen man zusammenarbeiten kann. Was ja auch ein Punkt war, der für mich sehr wichtig war, weil ich als Elektroniker natürlich immer autistischer geworden bin und eigentlich irgendwann danach geschrieen hab, mich auch wieder mal mit anderen Menschen im Zusammenspiel auseinanderzusetzen. Das ist in der elektronischen Musik nicht so leicht. Da gibt es vielleicht mal Duos, aber danach wird es eigentlich schon schwierig. Es ist, denke ich, schöner wenn man mal in einem Ensemble zusammenspielt oder wenn da wirklich drei oder vier Leute zusammen musizieren. Das geht natürlich sehr gut mit klassischen Instrumenten, gerade wenn man auch klassische Musiker kennt, die auch ein Interesse daran haben, mal was Neues auszuprobieren.

Stephan: Bedeutet das, dass du bei der Produktion mehr als Dirigent fungierst oder wie kann man sich das vorstellen?

Harald: Ein gutes Beispiel ist Philip Glass, der hat ja in seinen ersten 20 Jahren sehr oft in seinem Ensemble mitgespielt. Er ist Writer und hat es komponiert, hat aber gleichzeitig als Instrumentalist in einem Ensemble seine Kompositionen gespielt. So sieht das dann aus. Außerdem ist es so, dass ich Dinge für andere Instrumente aufschreibe. Ich bin aber sehr stark auf die Kompetenz der Musiker angewiesen, ob das so, wie ich das aufgeschrieben habe, überhaupt spielbar ist oder Sinn macht. Oft geben mir die dann auch Tipps und sagen „Ich mach dir mal einen Vorschlag. Ich weiß was du willst, aber ich spiele dir das mal so vor.“  Und dann wird es richtig gut. Da bekomme ich auch sehr viel Input von den anderen Leuten. Ich wünsche mir natürlich, dass ich immer besser mit den einzelnen Instrumenten umgehen und gute Sachen für echte Instrumente schreiben kann.


Harald 1994 in Brooklyn

Stephan: Wie vermittelst du deine Wünsche dann den anderen Musikern? Notierst du …

Harald: Ja.

Stephan: … oder sagst du denen, was sie spielen sollen? Du schreibst also die Noten auf.

Harald: Genau. Ich schreibe Noten auf. Es gibt natürlich auch Dinge, die kann man schlecht notieren. Das Dilemma hatten die Komponisten spätestens seit 1910, 1915, da gibt es ja auch einige Partituren, die sehen ganz anders aus. Ich fixiere es aber schon und dann wird versucht das zu spielen bzw. es wird darüber diskutiert, wie man es besser machen kann.

Stephan: Du sagtest bereits, dass nach „Die Toteninsel“ mit „Caged“ die zweite betitelt ist. Steht der Titel für die dritte CD auch schon?

Harald: Der Titel steht auch schon, und zwar heißt die „Electric Chamber Music“, also elektronische Kammermusik. Und da setze ich dann auch wieder elektronische Instrumente ein. Aber in einer anderen Form, also definitiv unter diesem Begriff zu verstehen, was könnte elektronische Kammermusik sein. Da stellt man sich natürlich sehr intime kleine Gruppen von Instrumenten vor, die miteinander Musik machen. Da kommen dann Konstellationen zum tragen, die mich einfach interessiert haben. Beispielsweise wie klingt ein Cello mit einer 303, also mit so einem alten Acid-Synthie zusammen. Da passieren dann Dinge, die sehr minimalistisch sind, die auch nicht so ein grobes Konzept wie „Die Toteninsel“ oder „Caged“ haben, die über 50 oder 60 Minuten drei Sätze abarbeiten, wie so eine Art Sinfonie. Das sind dann Miniaturen. Es sind, glaube ich, fünf kleine Suiten á drei bis fünf Stücke. Das ist so die dritte Ebene gewesen, mit der ich mich in dieser Zeit beschäftigt habe. Man kann ja nicht immer nur ganz hochtrabende, große Sachen machen. Manchmal gibt es ja auch sehr kleine Sachen, die richtig Spaß machen und die manchmal sogar noch besser auf dem Punkt sind, weil man sich da nicht so anstrengen muss diesen Ausdruck durchzuhalten, den man sich vorgenommen hat.

Stephan: Heißt das, dass die beiden anderen Teile schon aufgenommen sind und Du sie praktisch nur noch mastern musst?

Harald: Genau, so sieht das aus. Klar, die Sachen sind ja ….. „Die Toteninsel“ ist zwischen 1999 und 2001 entstanden, „Caged“ war 2002 fertig und die Werke von der „Electric Chamber Music“ sind auch insgesamt zwischen 1999 und 2005 entstanden und die sind alle fertig.

Stephan: Wie kam es denn dazu, dass soviel Zeit zwischen den Aufnahmen von „Die Toteninsel“ und ihrer Veröffentlichung liegt?

Harald: Ja, das ging für mich nicht anders. Ich war natürlich, das geben Musiker nicht gerne zu, aber ich  kann das für mich vertreten, ich war natürlich auch erst einmal unsicher. Es ist immer ganz schön, wenn man ganz genau weiß, was man will. In dem Moment, wo man es nicht weiß und nur eine Vorstellung im Kopf hat, sie aber erst entwickeln muss, ist ja auch eine gewisse Unsicherheit da. Gerade wenn man jemand wie ich ist, der schon aussagekräftige Dinge veröffentlichen will und nicht einfach nur irgendetwas veröffentlicht, weil es einigermaßen gut klingt, oder weil es mal wieder an der Zeit ist. Da musste ich mich halt gedulden und auch durch viel, sagen wir Mal Zweifel und Widerstände gehen. Und dann wollte ich halt lieber warten. Ich fragte mich, wie geht es weiter, habe ich da einen Ausblick, bin ich auf dem richtigen Weg? Und als ich dann für mich soweit war, dass ich gesagt habe „Hey, ich kann jetzt wieder sehr selbstbewusst diese Musik unterstützen und folglich auch veröffentlichen“, dann hab ich mich auf den Weg gemacht, die Strukturen so aufzubauen, dass das funktioniert. Für mich war halt auch noch wichtig, und das hat die Sache natürlich auch noch mal etwas in die Länge gezogen, dass ich nicht mehr mit großen Plattenfirmen zusammenarbeiten wollte. Weil ich diese Diskussionen absolut Leid war, „Du musst doch auf den Markt achten und wir investieren Geld in dich und das muss sich auch einspielen. Und das können wir nicht machen. Und da muss zumindest ein Gegengewicht her.“ Ich wollte das nicht mehr sein, ich wollte mich wirklich ganz klar darauf konzentrieren, was ich tun möchte und das wollte ich dann auch irgendwann genau so umsetzen. Das ist dann natürlich für jemanden, der zwar Freunde hat, die einen unterstützen möglich, aber letztendlich sitze ich allein am Schreibtisch und muss alles organisieren. Das dauert alles seine Zeit und da musste ich auch furchtbar geduldig sein. Klar möchte ein Musiker dann auch zeigen, was er gemacht hat und er möchte ein Feedback haben. Er möchte am liebsten gelobt werden, das ist ja auch klar. Oder er möchte zumindest eine Kritik bekommen, über das, was er tut, eine Standortbestimmung. Da musste ich ganz langsam einen Schritt nach dem anderen tun um mich dann nicht verrückt zu machen.

Stephan: Wenn man „Die Toteninsel“ hört, das ist eine Musik, da muss man sich wirklich drauf einlassen. Man muss sie in Ruhe hören. „Stunde Null“ ist ja auch eine CD, als ich sie gehört habe, war ich auch erst etwas irritiert, da hab ich gar nicht mit gerechnet.

Harald: lacht

Stephan: Da muss man sich wirklich drauf einlassen. Es ist schon ein sehr krasser Unterschied, wenn man dein „Loops Of Infinity“ kennt und hört jetzt beispielsweise „Stunde Null“.

Harald: Das ist ein krasser Unterschied.

Stephan: Das ist auch sehr schwierige Musik. Ist das vielleicht auch der Grund? Du kommst quasi von ganz oben, was den Erfolg angeht, hast dann etwas gemacht, was eben nicht Massenkompatibel ist, was ich total klasse finde, den Weg zu gehen, zu sagen „Jetzt will ich aber das machen, was mir gefällt“. Die Resonanz, die dann kam, könnte ich mir vorstellen, war sicherlich auch verstörend. Wie war das?


Cosmic baby live 1997

Harald: Aber sicher. Also erstens muss ich davor noch mal sagen, ich hab immer das gemacht, was mir gefallen hat. Selbst hinter „Loops Of Infinity“ kann ich voll dahinter stehen, weil ich genau gewusst habe, warum ich das so gemacht habe, wie ich es gemacht habe. Ich kann zu jedem Musikstück eine Geschichte erzählen und weiß, warum es so passiert ist. Es gibt natürlich immer Stücke, wo ich sage „Ah, das hättest du jetzt nicht gebraucht“, aber ich würde eben nicht sagen, das ich damals angepasster war und jetzt werde ich krasser und jetzt wird es schwieriger und jetzt bin ich nicht mehr angepasst. So würde ich es auf keinen Fall sehen. Der Punkt ist aber schon, das für mich klar war, und das war - weil du sagst, ich komme von oben - in dieser Zeit, wo ich sehr weit oben war, da wurde mir dieser Druck zuviel, das ich im Studio oder am Klavier sitze und ich sitze eigentlich nicht mehr alleine da, sondern da gucken mir virtuell, was weiß ich, 50.000 Leute dabei zu. Und diese Leute rühren sich auch immer in meinem Kopf und sagen „Hey, das wollen wir aber nicht hören, das wollen wir aber.“ Da wurde es für mich interessant, weil ich wissen wollte, wie ich mich zu diesem Problem, zumindest für mich ist es eins gewesen, verhalte. Diese Motivation, zu gefallen oder diese, man könnte auch sagen Verlockung, weil, man wird ja auch sehr hofiert, und es ist wunderbar, wenn man eingeladen wird und kann in Australien spielen und dann geht es nach Japan und dann wieder nach Amerika, das ist natürlich alles super. Aber dafür zahlt man auch den Preis, dass man so viel zu tun hat, dass man über sich selber und die eigene Entwicklung nicht mehr nachdenken kann, sondern man eilt von Eindruck zu Eindruck und es wird immer schwieriger, diese Eindrücke in irgendeiner Form zu ordnen. Und ich bin ein Mensch, der eine gewisse Ordnung braucht, auch im Kopf. In dem Moment, wo mir etwas über den Kopf wächst, und das war in dieser Zeit so, weil immer mehr passiert ist und dann Plattenfirmen gesagt haben „Cosmic, wir haben die Superidee. Wir haben schon mit Vanessa Mae gesprochen und ihr zwei macht jetzt ne Super Pop-Klassik-Scheibe. Zwei Wunderkinder zusammen, optimal. Ihr seht gut aus, das wird super.“ Das sind Dinge, die wollte ich so nicht haben, weil, das hätte mit mir nicht mehr viel zu tun gehabt. Ich wäre ein Darsteller wie XY geworden, der sich letztendlich abhängig von dem macht, was von Außen passiert. Dafür war mir dann die Musik definitiv zu wichtig, das kann ich aus tiefster Seele so sagen, dafür sehe ich die Musik, die ich machen kann als Geschenk an, und das kann ich nicht wegschmeißen. Auch was weiß ich, für was für Vergünstigungen oder Preise oder Geschrei, das ist es für mich dann nicht wert gewesen. Ich hab den Eindruck, dass ich jetzt quantitativ kleiner geworden bin, was aber meinen kreativen Aktionsradius ausmacht, bin ich viel größer geworden. Und das ist mir sehr wichtig. Und wenn ich davon einigermaßen leben kann, von dem, was ich freiwillig tue, mit was ich mich beschäftige, mit was ich mich manchmal auch abquäle, ob es was wird oder nicht, dann wäre das für mich die größte Sache der Welt, wenn ich das so zu meinen Bedingungen schaffen könnte. Das ist mir wichtiger, als wenn ich fremdbestimmt einen so genannten Erfolg habe, der aber ständig hinterfragt wird „Wie sind die Quoten? Wieviel hast du verkauft? Wir haben so und soviel investiert, da müssen wir jetzt noch mehr machen, da müssen wir was flankieren, da musst du das machen, da müssen wir ins Fernsehen.“ Ich möchte nicht in eine Talkshow und so reden und so agieren, wie diese ganzen anderen gleichgeschalteten Menschen. Das ist nicht mein Ding.

Stephan: Das kann ich gut verstehen. Ich denke auch, dass es am wichtigsten ist, dass man mit dem, was man macht zufrieden ist und dass es einem damit gut geht.

Harald: Genau. Das ist natürlich so ein Punkt, dieses zufrieden sein. Ich werde natürlich nie zufrieden sein, weil ich immer etwas im Kopf habe und ich möchte das möglichst ideal transformieren. Und das wird mir nie gelingen, ich habe aber auch mein Leben lang Zeit, da immer weiter dran zu arbeiten. Das ist auch das Schöne daran. Das ist auch eine Form von Zufriedenheit, auf jeden Fall.

Stephan: Du hast gerade gesagt, dass du viel im Kopf hast, auch Bilder. Auf dem Cover zur CD „Die Toteninsel“ ist ein sehr schönes Gemälde zu sehen, ich weiß im Moment nicht von wem es stammt. War das Bild als solches jetzt auch Inspiration für die Musik, die du gemacht hast?

Harald: Hundertprozentig. Gerade dieses Bild, es ist von Arnold Böcklin, einem Romantiker. Der nächste große Maler aus dieser Zeit hinter Caspar David Friedrich. Dieses Bild, das begleitet mich, ich würde sagen, schon 20 Jahre. Ich habe es sehr, sehr oft auf Fotos gesehen. Ich habe es bestimmt schon zehnmal in Ausstellungen erlebt, es steht ja auch bei uns in der alten Nationalgalerie (Anmerkung: in Berlin). Das faszinierende an diesem Bild, und gleichzeitig ist es das, was für mich immer das faszinierende an Kunst überhaupt ist, ist die Tatsache, dass ich hier vor einem Sudjet eines Menschen stehe und dieses Sudjet tut etwas mit mir. Dieses Bild übt so eine Faszination und Gravitation auf mich aus, dass ich zu denken und zu fühlen angeregt werde. Ich bekomme Assoziationen, ich bekomme Ideen, ich kann reflektieren, mir werden Wünsche und Dinge klar, an die ich anders gar nicht rankommen würde. Das ist zum Beispiel das großartige an diesem Bild, dass es für mich eine unglaubliche Anziehungskraft ausübt. Und das war auch ein guter Einstieg für mich zu sagen „Jetzt leb mal mit dem Bild und versuch das, was dir dabei durch den Kopf geht, oder zumindest die wichtigsten Bestandteile dessen, was dir dabei durch den Kopf geht, durch deine Seele oder deinen Körper umzusetzen.“ Und dann entwickelt sich etwas, was natürlich weit weggeht von dem was wir erst einmal auf dem Bild sehen. Das hat nichts mit dem Ruderer zu tun, das hat nichts mit der spiegelglatten See oder mit der Insel an sich zu tun, sondern da hat sich ja ein ganz eigenes Hörbild daraus entwickelt.

Stephan: Du hast auf der CD ja nicht nur Musik, es sind ja auch an einigen Stellen Texte enthalten. Sie sind leider nicht im Booklet abgedruckt. Auf deiner Homepage kann man sie allerdings nachlesen. Da die Texte im Hintergrund zu deiner Musik gesprochen werden, konnte ich sie erst nicht verstehen. Als ich sie dann gelesen habe, was in den Stücken Gegenwart, Jahrhundertwende und Güterzug gesagt wird, hat mich das erst etwas irritiert. Der Großteil scheint sich aus meiner Sicht mit der traurigen Geschichte des zweiten Weltkrieges, mit der Judenverfolgung zu beschäftigen. Ist das richtig?

Harald: Das ist so nicht ganz richtig. In dem ersten Satz ging es mir darum, einen Zusammenhang herzustellen, zwischen der Gleichzeitigkeit der Gedanken, die ich haben kann. Das heißt, ich kann mich in einer Sekunde Jetztzeit parallel in ganz verschiedenen Zeiten gedanklich aufhalten, noch dazu ist alles eigentlich eins. Ich gehe durch eine Straße, ich gehe durch die Friedrichstraße, sehe eine alte Frau und die erinnert mich plötzlich an eine Zeit, in der ich gar nicht gelebt habe. Aber plötzlich habe ich diese Assoziation, diese Frau war 1936 ca. 25 Jahre alt. Was hat die da gemacht? Ich lasse den Gedanken zu und überlege mir, was könnte die gemacht haben. Plötzlich entsteht ein Bild, was sie gemacht haben kann. Obwohl ich es nicht beweisen kann, aber es entsteht in mir ein Bild. Und dieser Güterzug, der letzte Teil von dem ersten Satz, ist natürlich ganz klar etwas, was mich beschäftigt, obwohl ich nicht in dieser Zeit gelebt habe. Aber ich habe natürlich mein ganzes Leben lang, ob das meine Großeltern waren, die teilweise im Krieg gestorben sind, ob das die Erzählungen meiner Eltern während meiner Kindheit waren ... Ende der 60’er Jahre, da gab es bei uns in Nürnberg immer noch ganz viele Stellen, die lagen in Trümmern. Da gab es Ruinenhäuser, Bunker, diese Bombenalarmsirenen, die gingen immer noch. Ich war in der Schule und habe mich mit Faschismus beschäftigt. Als Student war ich sehr politisiert, folglich werde ich mich mit Dingen, die sich in der Vergangenheit abgespielt haben, ständig beschäftigen und die werden auch für meine gegenwärtige Situation einen Effekt haben und einen Ausschlag geben. Es ist in dem Fall nicht unbedingt explizit ein antifaschistisches Musikstück, aber es zeigt, wie sehr mich Geschichte und Politik und letztendlich ja auch die Wiederholung der Geschichte mit anderen Bildern beschäftigt. Aber qualitativ geschieht immer wieder das gleiche. Es gibt Holocaust, es gibt Massenmorde, es gibt Menschen, die mit Waffen Geld verdienen und deswegen auch Kriege initiieren, das hat sich nicht geändert und folglich wird auch so etwas in meiner Musik immer eine wichtige Rolle spielen.

Stephan: Als ich die Texte, die gesprochen werden, gehört habe, dachte ich zuerst daran, dass sie aus dem Fernsehen stammen. Dadurch, dass sie mehr im Hintergrund zu hören sind, klingen sie wie ein Bericht bzw. wie Nachrichten. Stimmt das, oder sind die Texte extra eingesprochen worden?

Harald: Es sind Originalaufnahmen. Es ist alles aus dem Archiv des deutschen Rundfunks. Der erste Teil bei „Güterzug“, den man fast überhaupt nicht versteht, das ist so eine Frontberichterstattung aus Stalingrad. Da hört man ja eigentlich nur noch „Der Kampf  geht weiter“. Und danach kommen dann Ausschnitte aus Zeugenaussagen eines ungarischen Arztes, der seine Familie in Auschwitz verloren hat. Das sind Originaltonprotokolle aus dem Auschwitz-Prozess von 1963 in Frankfurt. Aus diesen Protokollen hat ja dann auch z. B. der Peter Weiß sein Theaterstück gemacht, das ja sehr berühmt geworden ist. Das Drehbuch des Theaterstücks besteht aus den Aussagen von Auschwitz-Häftlingen bzw. SS- und Wachpersonal usw., die von dem Staatsanwalt Bauer in Frankfurt verhört worden sind. Die Schauspieler sprechen diese Texte und das ist das Hörspiel. Dann ist noch ein Ausschnitt von einem Soldaten, der in Auschwitz war und der quasi dem Gericht erklärt, wie das mit den Vergasungsblöcken funktioniert hat. Das habe ich verwendet.

Stephan: Das fand ich bedrückend. Als ich die Texte gelesen hab und verstand, was da gesprochen wurde, hat mich das doch sehr bewegt. Jetzt schlage ich mal wieder einen Bogen, denn ich hab auf deiner Homepage den Ausspruch gelesen „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Wie lange tüftelst bzw. komponierst du an deinen Werken? Wie viel Zeit geht ins Land, bis du mit deinem Werk so zufrieden bist, dass du es veröffentlichen kannst?

Harald: Das ist, Gott sei dank, sehr verschieden. Es passiert immer mal wieder, dass man sich sehr intuitiv hinsetzt, weiß nicht, was man spielen will, aber man weiß, wenn man sich jetzt hinsetzt, dann passiert was und dann passieren sehr intuitive und wunderbare Sachen. Die sind dann vielleicht nach einer halben oder einer Stunde, zumindest nach einem Tag, komplett fertig und sie werden nicht mehr geändert. Das sind diese Sternstunden, die man manchmal als Mensch hat. Dann gibt es Stücke oder Ideen, die brauchen Jahre bis sie dann fertig sind. Das heißt nicht, dass ich ganz konsequent ein Jahr nur an einer Sache hänge, das wäre auch quatsch, da würde ich ja total verkrampfen. Da käme dann auch nichts bei raus. Ich habe mittlerweile schon die Ruhe, Dinge liegen zu lassen. Ich fange etwas an und komme dann immer wieder drauf zurück. Ich kann dann entscheiden, ob es sich lohnt und es schön ist dran weiter zu machen, oder ob man es besser noch liegen lassen soll. Und vielleicht geht es dann auch irgendwann einmal damit weiter, oder auch nicht. Ich kann ja diese Sachen mittlerweile alle digital speichern, das ist schon sehr gut. Ich muss auch nicht mehr ein Stück fertig kriegen. Dann gibt es natürlich auch die Stücke, da beschäftigt man sich vielleicht zwei, drei Monate mit einer speziellen Idee und dann passiert es in dieser Zeit auch auf eine gute Art. Also es ist wirklich ganz verschieden, wie es funktioniert. Interessant ist vielleicht, das ich mittlerweile, wenn ich Theatermusik mache, was mir sehr viel Spaß macht, definitiv das Risiko eingehe, und gehe komplett ohne Vorideen in die Proben rein. Ich hab dann auch nichts vorzuweisen und hab mich auch nicht vorbereitet, sondern versuche mich quasi mit der Regisseurin und dem ganzen Ensemble zu synchronisieren und dann eine sehr passende Komposition zu machen. Ich habe mittlerweile auch keine Angst mehr davor, dass mir da in den sechs Wochen Probezeit nichts einfallen könnte. Da bin ich mittlerweile schon auf eine gute Art selbstbewusst, dass ich einfach sage, „Es wird mir was einfallen“. Ich muss nur Geduld haben, gut zuhören und offen sein, für das, was ich dort erlebe und dann passiert auch genau das richtige.

Stephan: Das heißt, dass du bei den Theaterkompositionen keine reinen Improvisationen machst, sondern mit dem Regisseur Stimmungen absprichst, oder es geschieht etwas auf der Bühne, zu dem dir etwas einfällt und das entwickelt sich dann über diese sechs Wochen.

Harald: Genau so sieht das aus. Es kann im Endergebnis gar nicht improvisiert sein, weil da folgt ja alles absolut klaren Ablaufplänen. Jeder Satz ist genau getimed, jeder Gang eines Schauspielers von links nach rechts, von vorne nach hinten, wie er rauskommt, wie er reingeht, ist ja getimed. Irgendwann muss das natürlich absolut stimmen, wenn man in so einem Konzept arbeitet. Es gibt auch Theaterstücke, da wird viel mehr improvisiert, aber zu 90% wird ja in den sechs Wochen wirklich ein Ganzes daraus. Das kommt dann aus den Proben und wird dann eine Form, die dann zum Schluss 100 %ig stimmt, da muss dann natürlich auch die Musik ganz genau passen und absolut auf den Punkt sein.

Stephan: Du hast gerade das Theater angesprochen. Gerade „Die Toteninsel“ wirkt auf mich wie ein Klangerlebnis das eine Geschichte erzählt.

Harald: So würde ich es auch sehen.

Stephan: Du beschreibst die CD ja selbst als Hörstück, und ich finde den Begriff sehr passend. Du sagtest, dass du auch Theatermusik machst. Hast du denn auch schon mal drüber nachgedacht die drei Teile der Zauberberg-Trilogie oder Teile daraus live zu präsentieren? Oder ist das für dich eher kein Thema?

Harald: Soweit bin ich noch nicht. Also ich bin ja jemand, der schon sehr gerne live spielt. Beispielsweise habe ich ja in der Cosmic Baby-Zeit zwischen 1991 und 1999 sehr viele Konzerte gegeben. Ich denke, das waren bestimmt um die 300. Die meisten davon waren für mich richtig große Erlebnisse. Dann habe ich ja damit aufgehört um wirklich einen Punkt zu setzen, einen Ruhepunkt zu setzen, um mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Und als ich mit Christopher zusammen für Blüchel & von Deylen in Leipzig das erste Mal wieder im April 2004 auf der Bühne stand, das war ein Erlebnis, das mir definitiv gefehlt hat. Es war großartig mal wieder vor Publikum zu spielen und natürlich vor allem vor interessiertem Publikum, das auch was hören möchte und nicht nur johlt und Action will. Natürlich möchte ich auch irgendwann gerne als Solokünstler oder mit meinen neuen Kompositionen live auftreten, aber ich habe gerade noch definitiv zu viele andere Baustellen und das muss dann noch ein bisschen warten. Irgendwann wird es aber garantiert passieren, dass ich wieder live spiele. Ich denke, mittlerweile muss man sich bei mir an Zeiträume gewöhnen, die unüblich sind. Also es kann sein dass das erst in drei Jahren soweit ist. Aber ich arbeite daran und ich möchte das auch und ich werde es auch tun.

Stephan: Die Szene der traditionellen Elektronikmusik ist ja recht klein und Konzerte in dieser Szene, mal abgesehen von den ganz großen wie Tangerine Dream, Klaus Schulze, Kraftwerk oder Jean Michel Jarre, sind ja eher familiär und klein. Da kommen dann natürlich in kleineren Hallen nur bis zu maximal 400 Leute hin. Könntest du dir denn vorstellen auch in solch einem kleinen Rahmen zu spielen?

Harald: Aber sicher. Das ist für mich definitiv nicht der Punkt. Für mich ist das wichtige, so ganz egoistisch als Musiker, das ich vor einem Publikum spielen kann oder darf, das interessiert ist. Es ist ja echt eine Binsenweisheit, dass je größer die Konzerte werden, desto mehr Leute sind automatisch dabei, die irgendwie eine andere Motivation haben als dort interessante Musik zu hören. Das kommt mir dann eher so vor als wollten sie unter vielen anderen sein. Die wollen gesehen werden, die wollen einen Riesenspaß haben, die wollen das es laut und groß ist und sie wollen danach auf irgendwelchen anderen Partys oder bei Agenturen erzählen, was sie tolles erlebt haben. Das ist sicher nicht das Publikum, das ich gerade mit Musik, die ich jetzt gerade mache, erreichen werde oder möchte und auch erreichen kann. Folglich ist die Größe der Events überhaupt nicht der springende Punkt, sondern es ist dann wirklich im Moment für mich so, dass es mich einfach … Auch wenn ich das Angebot bekommen würde, das ich ja oft auch bekomme, „Spiel doch einmal dort, Location X, auf Festival Y oder ein Solokonzert“, dafür müsste ich soviel Zeit investieren, um das dann auf einen Punkt zu kriegen, den ich wirklich gut und sinnvoll finde, das es nicht zu stark von den Sachen ablenkt, die ich im Moment noch zu tun habe. Ich möchte mich dann auf Liveauftritte einlassen können, wenn ich den Raum dazu habe und sagen kann „So, ich bin jetzt so zufrieden mit den Strukturen, in denen ich mich bewege, dass ich mich jetzt auch mal sehr genau mit diesem Thema beschäftigen kann. Und das ich einen Kreis von Leuten dazuholen kann, die mit mir musizieren, die mit mir zusammen das Bühnenbild konstruieren und letztendlich auch realisieren“. Das ist für mich schon sehr wichtig. Also ich würde mich nicht „einfach“ auf eine Bühne stellen, nur damit ich da stehe und irgendetwas ablasse. Das müsste schon so sein, dass ich dann sagen kann „Ja, das ist was, was ich vertreten kann und wozu ich auch Stellung beziehen kann“. Nichts ist schlimmer, als wenn man was tut, wo man eigentlich selber weiß, „Naja, so richtig toll ist es ja nicht, aber verteidigen musst du es ja doch“. Das geht dann halt schlecht. Da bin ich kein Schauspieler oder Verkäufer, sondern ich möchte das schon so gut wie möglich wahrhaftig vertreten können, was ich da produziere.

Stephan: Das kann ich gut nachvollziehen. Ich habe auf deiner Homepage gelesen, dass du den Namen Cosmic Baby doch nicht so ganz abgelegt hast. Im Dezember diesen Jahres erscheint auch noch ein Werk unter deinem Pseudonym Cosmic Baby. Was erwartet den Hörer auf „Industrie & Melodie“?

Harald: So, da muss ich ein bisschen ausholen. Es ist, sagen wir mal, auch noch eine Abarbeitung der Vergangenheit. Es ist kein aktuelles Cosmic Baby Werk, so etwas gibt es auch nicht. Die Stücke der „Industrie & Melodie“ sind alle zwischen 1998 bis 1999 entstanden. Und zwar habe ich da mal so für mich die Lust gehabt, eine Art „Retro-Gymnasiasten-New Wave-Elektronik“ zu machen, die nur mit meinen alten Instrumenten stattfindet. Das heißt Minimoog, Prodigy, Jupiter 8, Roland 808, also alles Instrumente, die Ende der 70’er Jahre auf den Markt gekommen sind. Ich hab es für mich im Kopf immer „Kindergarten-Kraftwerk“ genannt. Ich hab mich im Prinzip immer so ähnlich gesehen, wie ich als Gymnasiast war, als ich Kraftwerk total geliebt habe. Ich habe mich immer in so einem roten Hemd mit schwarzem Schlips gesehen, aber mit meinen kleinen Instrumenten. Und so habe ich dann in dieser Zeit immer mal wieder konzentriert oder nebenbei Stück für Stück gemacht. Und diese Sammlung bringe ich jetzt raus, weil sie mir sehr gut gefällt. Das war eigentlich der unverkrampfteste Cosmic Baby in dieser Zeit. Ich hab mir auch danach, immer wenn ich mich mal wieder so austoben wollte und mal gesagt habe „So, jetzt habe ich mal keine Lust auf Klassik oder meinen Harald Blüchel-Zeug, sondern jetzt will ich einfach mal wieder die Rhythmusmaschine anstellen“, da hab ich natürlich immer wieder auch Musikstücke gemacht, die definitiv Cosmic Baby-Qualität und -Identität haben. Aber die habe ich nur privat für mich gemacht. Mittlerweile kann ich so souverän mit dieser Musik, dieser Synthiemusik umgehen, dass ich das jetzt rausbringen und zeigen kann, was ich in dieser Zeit sonst noch gemacht habe. Gleichzeitig gibt es sehr viele Leute, die immer sagen „Du hast doch da bestimmt immer mal wieder was gemacht, spiel es uns doch vor“. Wenn man sich jetzt Blüchel & von Deylen anhört, dann würde ich sagen, dass von dem was man hört, auch viel Cosmic Baby drin ist. Es klingt anders, aber es sind die Anteile drin, die man auf „Die Toteninsel“, „Caged“ oder den nächsten Werken, die ich als Harald Blüchel rausbringe, garantiert nicht hören wird. Das ist dann schon eher wie stilvolle elektronische Unterhaltungsmusik, und das meine ich überhaupt nicht abwertend. Sich mit Stilvoller, gefälliger Musik zu befassen, macht auch Spaß. Ich kann ja auch zu hause nicht nur Luigi Nono, Stockhausen oder John Cage hören. Ich höre ja auch andere Sachen wie Massive Attack. Es gibt auch viel elektronische Popmusik, die ich sehr gern höre und folglich gibt es auch immer wieder Musik, die ich dann selber mache und davon ist dann auch ein bisschen was dabei, was ich auch rausbringen kann, ohne das ich mich da jetzt verrenken müsste.

Stephan: Das stimmt. Du hast ja auch gerade gesagt, dass dich einige Leute danach gefragt haben, ob du noch was in Petto hast. War das auch der Grund dafür, jetzt deinen Backkatalog wieder herauszubringen? Und die Frage, die sich sofort daran anschließt ist, ob die Alben remastert werden?

Harald: Die Alben sind nicht remastert. Es ist alles so, wie es war. Ich habe zum Beispiel auch gar keine Lust, Versionen von Stücken im Gewand von zehn Jahre später wie z. B. „Stellar Supreme 2006“ zu machen, das interessiert mich überhaupt nicht. Ich finde, dass die Musik, so wie sie damals war, vollkommen okay ist. Das war damals Musik auf dem Stand, den ich damals konnte und es gibt immer noch sehr viele Stücke aus der Zeit, die sind genauso, wie sie sind, genau richtig und gut. Das war der Grund zu sagen, wenn du jetzt schon die Strukturen hast, oder dir erarbeiten möchtest selber Dinge herauszubringen, oder zu veröffentlichen, dann kannst du auch ohne Probleme deine Vergangenheit wieder reaktivieren. Es gibt natürlich genug Leute, die es total bedauert haben, dass man zum Beispiel eine „Stella Supreme“ seit 1998 nicht mehr kaufen konnte, weil ich mir die ganzen Rechte von den Firmen, bei denen ich die Platten gemacht habe, zurück geholt habe. Und dann habe ich es erst einmal sein lassen, ich hab sie ruhen lassen und habe gesagt „Damit will ich mich ersteinmal gar nicht beschäftigen, sondern ich möchte mich mit neuen Dingen beschäftigen“. Jetzt bin ich aber soweit, dass ich mit mir im reinen bin und sagen kann „So, ich bin jetzt fast in der Gegenwart angekommen und folglich kann ich auch ganz unverkrampft wieder mit meiner Vergangenheit umgehen“. Es wäre für mich so vor zwei, drei Jahren ein ganz komisches Gefühl gewesen, wo ich noch mitten im Wiedererstehen oder Neuentstehen war, dann einen Backkatalog herauszubringen. Dann hätte ich mich sehr unwohl gefühlt, weil ich ja im Prinzip kein real existierendes Gegengewicht dazu gehabt hätte. Jetzt bin ich aber soweit, dass ich mir da sicher bin und folglich kann ich auch die Vergangenheit wieder veröffentlichen.

Stephan: Wird es denn Bonusstücke auf den Alben geben?

Harald: Nein, natürlich nicht. Es sind definitiv die Originalveröffentlichungen von damals. Auch die Cover sehen genau so aus. Es sind im Prinzip Neuauflagen.

Stephan: Wie viel Alben sind das insgesamt?

Harald: Erst einmal vier, die Klassiker meiner Ansicht nach, „Stellar Supreme“, „Thinking About Myself“, „Stunde Null“ und „Fourteen Pieces“. Also die wichtigen.

Stephan: Du hast vorhin schon Deine Zusammenarbeit mit Christopher von Deylen (aka Schiller) angesprochen. Nach diesen beiden wirklich, wie ich finde, sehr schönen Alben stellt sich für mich natürlich die Frage, ob es eine Fortführung der Kollaboration geben wird.

Harald: Aber sicher. Dafür verstehen wir a) uns viel zu gut und haben b) sehr viel Spaß daran zusammen Musik zu machen. Das ist etwas ganz Besonderes. Da passiert etwas, was wir allein niemals so machen könnten, was sehr schön ist, und dieses ist für uns beide auch ein wunderbares Gegengewicht und eine sehr große Entspannung mal nicht als Interpret oder Komponist alles allein machen zu wollen. Den anderen einfach einmal machen lassen zu können, das ist herrlich, wenn man sich so gut versteht und keinen Druck spürt, sondern sich zusammen trifft. Mal sprudeln beide und mal legt der eine sich auf die Couch und der andere spielt. Und dann kommt der andere von der Couch und sagt „Oh, da hab ich jetzt aber auch eine gute Idee“, greift ins Spiel ein und macht weiter. Das ist super. Vor allem auch dieser Punkt: alleine steht man immer vor dem Dilemma, „Ist das jetzt gut, oder ist das jetzt nicht gut?“ Sehr oft weiß man es nicht so genau. Wenn da zwei sind, die sich schon ganz gut vertrauen und der eine sagt „Also ich weiß ja nicht“ und der andere sagt „Hey, das ist super“, dann geht es sofort weiter. Genauso, wenn man denkt „Ah, irgendwie ist es schon gut“ und dann sagt der andere „Ja, irgendwie schon, aber eigentlich wird es nichts“, dann schmeißt man es einfach weg. Das würde man allein nie tun, das geht zu zweit aber wunderbar. Das ist auch so eine Qualität, mit der wir beide gut zusammen umgehen können. Das macht wirklich wahnsinnig viel Spaß. Da wir ja eigentlich Eigenbrötler sind und jeder gerne für sich arbeitet, ist es umso schöner, wenn man sich richtig gut zusammen versteht.


Harald 2006

Stephan: Die gute Zusammenarbeit liegt sicherlich auch daran, dass ihr beide in Berlin wohnt, oder?

Harald: Genau, das ist natürlich wunderbar, da geht es natürlich viel schneller sich zu treffen.

Stephan: Auf „Mare Stellaris“ war ein Video zu sehen, dass dich und Christopher bei einem Liveauftritt zeigt. War das der Auftritt von dem du vorhin gesprochen hast?

Harald: Das, was wir da bei „Mare Stellaris“ sehen, das ist auf dem Jazz-Festival in Montreux gewesen. Da haben wir als Blüchel & von Deylen ein Solokonzert gegeben. Und von den Auftritten, von denen ich vorhin gesprochen habe, das war quasi als Vorband zu Schiller. Da sind wir als Blüchel & von Deylen als Vorband aufgetreten. Wir haben dort die erste halbe Stunde, bevor dann Schiller gespielt hat, zusammen gestaltet.

Stephan: Ich denke ihr geht eure Zusammenarbeit so an, wie ihr gerade Lust dazu habt, etwas Neues zu machen. Du sagtest vorhin, dass ein Sololiveauftritt von Dir wohl etwas länger dauern wird, bis er realisiert wird. Wie sieht es denn mit einem gemeinsamen Auftritt von Blüchel & von Deylen aus?

Harald: So etwas könnte immer schneller gehen. Das ist auch wieder aus den Gründen, die ich vorhin so beschrieben habe, da ist man halt doch zu zweit und man muss nicht alles allein machen. Man kann die Arbeit verteilen oder man weiß auch, wenn einer von uns beiden etwas angespannter ist, oder etwas zu tun hat, dann ist der andere noch da. So etwas ist schneller zu realisieren, als wenn man das alleine macht. Also zumindest bei mir ist das so. Der Christopher ist ja immer fleißig und auch jetzt auf Tournee und arbeitet wie ein Wilder. Ich bin da noch nicht so weit und das ist für mich auch eine ganz andere Welt, in der ich mich da bewege, als in seiner, wenn er live spielt.

Stephan: Ich hatte dieses Jahr das Vergnügen ihn in Düsseldorf live zu sehen. Das erste Mal für mich und das war ein absolutes Highlight.

Harald: Doch, auf  jeden Fall. Ich finde ja auch die Neubesetzung ganz klasse. Er hat ja jetzt zwei neue Schlagzeuger und auch einen neuen zweiten Keyboarder und mir hat das Ganze auch hervorragend gefallen. Diese neue Konstellation fand ich richtig gut.

Stephan: Ich kenne die anderen Konzerte natürlich von den DVDs, die auch schon eine gehörige Portion Power rüber bringen. Und ich bin auch schon gespannt auf die neue DVD um dann noch einmal vergleichen zu können. Zuerst war ich etwas erstaunt, weil gerade der Garry Wallis, der wie ein Irrer hinter seiner Schießbude herumsprang, das hatte natürlich was und jetzt mit zwei neuen Schlagzeugern, die brachten auch einen ordentlichen Druck in die Musik. Das hat für mich viel rockiger geklungen als das, was er davor gemacht hat. Das hatte mehr Power.

Harald: Ja. Das liegt definitiv daran, dass sich die Band immer mehr einspielt. Das war natürlich am Anfang, das ist ja immer das Problem, wenn einer Solokünstler ist und alles zuhause allein einspielt, dann ist es ja eh erst immer mal so dass man sagt, „Okay, wir versuchen jetzt mal eine Band um einen Künstler herum zu machen“. Mittlerweile sind die aber so aufeinander eingespielt, dass das eine Eigendynamik, also eine Banddynamik bekommt. Und das tut so einer Sache natürlich unglaublich gut.

Stephan: Absolut. Man hat auch gesehen, mit welcher Freude sie beim Konzert gespielt haben. Ob das jetzt Thissy oder Micky war. Man merkte sofort, dass der Funke übersprang und das sehr schnell. Das fand ich sehr erstaunlich.

Wir sind soweit durch, was meine Fragen betrifft. Es hat mir tierisch Spaß gemacht, mit dir das Interview zu führen.

Harald: Mir auch Stephan. Das war ein sehr schönes Gespräch.

Stephan Schelle

   
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