Harald Blüchel ist in der Musikszene
kein unbekannter, hat er doch schon zwei CDs zusammen mit Christopher
von Deylen, der besser unter dem Namen Schiller bekannt ist und seit
1991 mehrere SoloCDs unter seinem Pseudonym Cosmic Baby herausgebracht.
Vor allem als Cosmic Baby hatte Harald sich in der Dance- und
Technoszene einen Namen gemacht, so brachte es sein Titel „Loops Of
Infinity“ bis weit in die Charts. Aber auch für Theater und Film sowie
zu Hörspielen hat er für die musikalische Untermalung gesorgt. Im
Herbst 2006 erscheint sein aktuelles Album „Die Toteninsel“, das Harald
unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlicht. Grund für mich, ein
ausführliches Interview mit dem Musiker zu führen. Harald hat mir in
diesem Gespräch einen sehr persönlichen und aufrichtigen Einblick in
sein Leben und sein Schaffen gegeben, wofür ich mich sehr bedanke. Aber
macht euch selbst ein Bild davon.
Stephan: Zuerst stellt sich mir
die Frage, warum du dein Pseudonym abgelegt hast und nun unter deinem
bürgerlichen Namen die CD veröffentlichst. Cosmic Baby hört sich ja
etwas jugendlich an. Soll die Änderung bedeuten, dass du mittlerweile
den „Kinderschuhen“ entwachsen bist?
Harald: Auf jeden Fall. Also
das ist genau der Punkt. Ich hab mir gerade im letzten Jahr noch mal
Gedanken über den Namen Cosmic Baby gemacht und kam eigentlich jetzt
erst drauf, das ich mir damals, als ich mir den Namen gegeben habe, das
war zu der Zeit als ich von Nürnberg, meine Heimatstadt, nach Berlin zum
studieren gegangen bin, da wollte ich dann als Künstler die Identität
Cosmic Baby haben. Retrospektiv erkläre ich mir das sehr stark mit dem
Willen, das Bürgerliche, die Existenz meiner Kindheit in Nürnberg, in
Berlin hinter mir lassen zu wollen, um komplett und sehr konsequent in
einer Welt zu leben, die ich dann musikalisch letztendlich
transformieren kann. Der Name Cosmic Baby bringt den Wunsch auf den
Punkt, was ich eigentlich damit sein wollte, nämlich auf der einen Seite
Cosmic, was strahlendes, was sehr offenes, was fast schon einen
überirdischen Idealismus zeichnen möchte und gleichzeitig aber fast
dialektisch das Baby dahinter, so quasi als Aussage „Ich bin im werden,
ich bin eigentlich noch ganz klein“. Und das zusammen ist für mich so
ein codiertes Persönlichkeitsportrait, als das, was ich damals gerne
sein wollte.
Harald Blüchel 2006
Stephan: War das zu der Zeit,
als du dich mehr in diesem Techno-/House-Bereich aufgehalten hast?
Harald: Aber ganz klar. Ich kam
1987 nach Berlin und hab mich in Nürnberg schon nach meiner klassischen
Ausbildung über Tangerine Dream und Kraftwerk für die elektronische
Musik begeistert. Ich hab da auch mehr die Möglichkeit gesehen, mich
erst mal musikalisch zu verwirklichen, als jetzt bei der klassischen
Musik zu bleiben, oder eine Karriere als normaler moderner klassischer
Komponist zu machen. Mich hat damals schon sehr Elektronik interessiert.
Ich hab ja auch in Berlin Komposition mit der Priorität auf
elektronische Musik studiert. Und als ich in Berlin ankam, steckte
gerade diese Technobewegung in den absoluten Kinderschuhen. Als ich kam
gab’s dann die erste Technomusik zu hören, die kam aus Chicago, die sich
ja wiederum eigentlich auf die europäische Musik á la Kraftwerk berufen
hat, aber viel rudimentärer geklungen hat. Das fand ich damals
großartig, weil ich ja selbst genau in der gleichen Entwicklung war, das
ich von Kraftwerk und Tangerine Dream begeistert war, aber in keinster
Weise mir damals so ein Equipment leisten konnte, um eine ähnliche
Klangfülle oder Klangsprache zu entwickeln. Ich hatte nur sehr kleine
und günstige Geräte, die ich mir damals als Schüler und Student leisten
konnte. Und das waren natürlich auch genau die Geräte, die die Leute in
Chicago oder Detroit hatten. Das waren billige alte Rhythmusmaschinen,
billige alte Synthesizer und mit denen wollte ich auch Musik machen. Die
klangen witzigerweise so ähnlich, wie das, was ich dann von anderen
Leuten gehört habe. Und dann kamen ja zu dieser Zeit in Berlin auch
diese ersten ganz kleinen Partys mit 30, 40, 50 Enthusiasten auf, die
sich für diese Art von Musik interessiert haben. Und das war für mich
ganz großartig, genau im Prinzip zur rechten Zeit am rechten Ort zu
sein, um da dann gleich in so einer Art, das kann man so sagen,
musikalischen Freundeskreis aufgenommen zu werden. Wenn man dann auch
erst einmal so ein Feedback bekommt, oder man bewegt sich in einer
Gruppe und alle bestärken sich gegenseitig, das wir an einer neuen Art
von Musik arbeiten, die es so noch nicht gibt, das setzt, wenn man Musik
macht, eine unglaubliche Energie frei. Das ist sehr, sehr schön.
Stephan: Wenn man deine
Biografie liest, verwundert dein Werdegang schon, denn du hast schon mit
sechs Jahren eine klassische Klavierausbildung und zwei Jahre später ein
Hochbegabtenstipendium am Konservatorium in Nürnberg bekommen. Von der
klassischen Musik (Chopin, Mozart etc.) bis hin zum Techno liegt doch
ein ganz schöner Unterschied. Du hast ja gerade schon diesen
Zwischenschritt betont, aber was hat dich letztendlich als ausgebildeter
Pianist am Techno gereizt?
Harald: (lacht) Ja. Der Punkt
ist ja, was ist Musik, was kann Musik, warum lieben viele Leute Musik
oder umgeben sich zumindest mit der Musik? Das liegt daran, dass sie
einen emotional treffen kann. Chopin, Schumann, Mozart und Beethoven,
die haben mich sehr schnell getroffen. Sie haben mir mit ihrer Musik
Zustände und Gefühle mitgeteilt, die ich als Kind verstehen konnte. Sie
haben mich auch sehr schnell dazu gebracht das, was ich denke und was
ich vielleicht als Kind auch gar nicht unbedingt gegenüber anderen
Kindern oder meinen Eltern so verbal ausdrücken wollte, in Musik über zu
führen. Ein emotionaler Gehalt in der Musik, ist nicht unbedingt
abhängig von der Zeit, in der die Musik entstand oder von den
Instrumenten oder von den kulturellen Verhältnissen, mit bzw. in denen
die Musik gemacht wird. Es gibt immer wieder Beispiele, und das sind
natürlich immer die allerschönsten, das eine Musik fasziniert oder
trifft, die erstmal mit der eigenen Gegenwart anscheinend gar nichts zu
tun haben kann, weil sie vielleicht 1.000 Jahre alt ist oder weil sie
aus einer Gegend kommt, zu der man eigentlich gar einen Bezug haben
kann. Und trotzdem können über Musik diese Bezüge hergestellt werden.
Das ist, glaube ich schon, die Faszination an der Musik. Dieser Sprung
von der reinen klassischen Musik, die ich bis zu meinem 13, 14
Lebensjahr fast exklusiv betrieben bzw. auch gehört habe, zu Kraftwerk
oder auch zu Tangerine Dream, lässt sich einfach dadurch erklären, dass
für mich beispielsweise Kraftwerk eine ganz starke moderne Brücke
geschlagen hat, von der Musik der 20’er und 30’er Jahre in Europa,
speziell in Deutschland, der klassischen Musik und bei Tangerine Dream
habe ich für mich immer … Es ging los, ich glaube das war die „Ricochet“
mit diesem wunderbaren Mellotron-Flöten-Intro und es hat mich absolut
sofort an Debussy erinnert, den ich auch sehr gemocht habe. Im Prinzip
waren das impressionistische Klanggebilde, die sie mit ganz anderen
Instrumenten, natürlich auch ganz anderen Möglichkeiten erzeugt haben.
Was mich immer schon an der klassischen Musik fasziniert hat, waren
Oszinati, zu deutsch Sequenzen, Arpeggios. Ich hab als Kind schon
furchtbar gern Stücke gespielt, die im Bassbereich endlos Sequenzen
wiederholt haben. Und das habe ich dann in der elektronischen Musik
plötzlich so richtig als prägendes Stilmittel gehört und das hat mich
natürlich absolut fasziniert. Deswegen war eigentlich der Sprung
überhaupt kein so ein großer, wie man sich das normalerweise vorstellt.
Zumal ja noch dazukommt, dass ich dann im Alter von 15, 16 Jahren
natürlich auch in die Disco gegangen bin und auch nach einer tanzbaren
Komponente in der Musik gesucht habe. Das war dann in der elektronischen
Musik auch schon da, aber immer verbunden mit dem Anspruch der über die
reine Funktion „So, jetzt machen wir mal bum, bum, bum, tanz, tanz,
tanz“ hinausgeht. So etwas hat mich immer sehr interessiert, da war es
dann folgerichtig, dass ich aus dieser Biografie heraus, über die
klassische Musik und dann über die, sagen wir mal klassischen Pioniere
der deutschen Elektronik, meine eigene Musik machen wollte, an der ich
dann gearbeitet hab. Ich wollte nicht nur kopieren und so ähnlich
klingen, was sowieso nicht ging, weil ich ja gar nicht die Instrumente
hatte, aber ich wollte schon immer das ausdrücken, was ich selber bin.
Stephan: Hörst du selber heute
noch Musik von Tangerine Dream, Kraftwerk und dergleichen?
Harald: Ich gehe zum Beispiel
am Donnerstag zum Tangerine Dream-Konzert in Berlin. Da muss ich
natürlich hin. Ich besuche das mit dem Kollegen von Deylen zusammen. Ich
bin schon gespannt. Es ist so, das mich das, was Tangerine Dream in den
letzten 15 Jahren gemacht haben, nicht mehr interessiert bzw. eher
enttäuscht hat. Und trotzdem muss ich sie immer wieder sehen und hören,
weil letztendlich gerade diese Gruppe, die haben bei mir einen so großen
Stein im Brett, soviel für mich getan hat, indem sie einfach
existierten. Gerade zwischen 1974 und 1985. Ich bin natürlich immer noch
gebannt dabei und versuche auch immer zu verfolgen, was die Herren
Schmoelling, Baumann und Franke so machen. Das ist für mich weiterhin
wichtig (lacht).
Stephan: Da bist du aber auch
nicht alleine, vor allem was so die Liebe zu den früheren Tangerine
Dream-Alben bis Mitte oder Ende der 80’er betrifft.
Harald: Genau. Das interessiert
mich natürlich und das ist auch Musik, die ich mir weiterhin gerne
anhöre. Und danach hört es eigentlich auch auf. Als Schmoelling bei
Tangerine Dream ausgestiegen ist, da musste ich mich dann auch
verabschieden. So ähnlich ging es mir mit dem Herrn Schulze auch. Mich
betrifft seine 70’er-Jahre-Phase weiterhin. Als auch er dann so probiert
hat, neue Wege zu gehen, was ja schon richtig ist, da konnte ich halt
irgendwie nicht mehr mithalten. Ich war natürlich auch selber schon mit
meiner eigenen musikalischen Generation beschäftigt, in der man sich
quasi von seinen so genannten Eltern auch trennen und rebellieren muss
sowie was dagegen halten möchte.
Stephan: Da ging es mir anders.
Ich konnte mit Schulze erst gar nichts anfangen und bin erst mit seinem
Konzert in Duisburg, als ich ihn das erste mal live gesehen habe, zu
seiner Musik vorgedrungen. Es war, als hätte jemand einen Schalter
umgelegt. Seitdem liebe ich seine Musik, auch die neueren Sachen.
Harald: Und wann war das
Konzert?
Stephan: Das war so um 1997
rum. Das war die Zeit als es bei ihm mit Technorhythmen losging. Das hat
mir sehr gut gefallen.
Harald: Alles klar.
Stephan: Aber kommen wir wieder
auf dich zurück. Du warst vor allem in der Dance- und Technoszene sehr
bekannt und beliebt und bist dort sehr schnell aufgestiegen. Du wurdest
auch als „Technowunderkind“ bezeichnet. Wie stehst du heute dazu?
Cosmic Baby live 1994
Harald: Das war natürlich für
die damalige Zeit für mich traumhaft, was ich da erleben durfte. 1989,
da gab es Techno so anderthalb bis zwei Jahre, da waren gerade mal 150
Menschen, die über den Kuhdamm gerannt sind und da war ich dabei. Das
aus diesem kleinen Haufen, diesem begeisterten, wirklich bescheuerten
Haufen etwas geworden ist, was auf der ganzen Welt zu einer
künstlerischen Größe geworden ist, das wollen wir jetzt erst einmal gar
nicht weiterdiskutieren, sondern wir müssen einfach mal festhalten,
plötzlich ist eine Bewegung entstanden, eine elektronische Musik, die
überall auf der Welt von verschiedenen Leuten entwickelt worden ist. Das
allerschönste daran war ja, dass die Musik erst einmal überhaupt nicht
uniform klang, sondern im Prinzip gab es eine Anzahl von ca. 1.000
Individuen, die diese Musik gemacht haben. Dann ist etwas bei mir
passiert, was mich absolut glücklich gemacht hat, dass ich über diese
Musik oder mit meiner Musik die ganze Welt bereisen durfte und das in
Strukturen, die in keinster Weise kommerziell ausgebeutet waren. Das
waren kleine Zellen, die untereinander versucht haben miteinander zu
kommunizieren und sich gegenseitig einzuladen. Ich würde mal sagen 1993
war das eine Sache, die bedingungslos musikalisch lief und dann, als die
Industrie und auch die Mainstreammedien gemerkt haben, „Das ist mehr,
als wir jemals für möglich gehalten haben. Wir dachten immer, das sind
ein paar Idioten, die irgendwie komische Musik machen, die laut ist.“
Als man dann gemerkt hat, dass da sowohl von den Gripsen, die daran
beteiligt sind, mehr dahinter steckte, als auch das quantitative dann
irgendwann so groß wurde, war dann auch ein Interesse da, diese Musik
dann in den Griff zu kriegen bzw. auch daran teilhaben zu können. Ab dem
Moment setzten die Strukturen ein, die immer einsetzen, wenn eine Sache
so langsam aus den Kinderschuhen herauskommt und entdeckt wird, das dann
natürlich komischerweise das Publikum sehr stark zunimmt, die
Informationen über die einzelnen bekanntesten Exponenten dieses Feldes
riesig zunimmt, die Musik komischerweise aber immer beliebiger bzw.
gleichgeschalteter geworden ist. Und das ist da eben auch passiert. Als
das für mich unerträglich geworden ist, und das war sehr früh, also noch
lang bevor diese Musik überhaupt ihren kommerziellen Höhepunkt gehabt
hat, den ich so auf 1998 bis 2002 sehe, da hab ich mich 1996 schon
entscheiden müssen, da wieder raus zu gehen, weil ich nicht mehr
wirklich zu dieser ganzen Art bzw. dem Zwang eine Rolle zu entsprechen,
die dann doch eingefordert worden ist, stehen konnte. Da musste ich mir
dann die Frage stellen „Willst du jetzt quasi die nächsten Jahre das
verwalten oder aus dem Herrn Cosmic Baby eine Marke machen, die
eventuell funktioniert á la Paul van Dyk, Westbam, Sven Väth oder sonst
jemanden, oder willst du Musik machen und willst dich vor allem auch
selber als Mensch weiterentwickeln?“ Denn irgendwann, da komme ich
wieder zurück auf den Eingang unseres Gesprächs, war mir auch klar, dass
ich nicht ewig Cosmic Baby sein will, sondern das dieser Harald
Bülchel-Anteil, also das, was ich eigentlich real bin, dass das
letztendlich für meine Entwicklung wichtiger werden musste. Sowohl als
Mensch, als auch als Musiker.
Stephan: Wenn man deine Alben
hört, dann hast du entweder sehr melodische Stücke, die manchmal auch
etwas Melancholie verströmten, wie zum Beispiel auf „Thinking About
Myself“, sehr rhythmische Sachen, wie zum Beispiel auf „Kinetik“ oder
auch nur Klanggebilde wie auf „Stunde Null“ gemacht. Auf deinem Neuen
Album „Die Toteninsel“ hast du eine Menge an Klanggebilden entwickelt,
die bis auf den letzten Satz weniger auf Melodie oder Rhythmus, dafür
aber mehr auf Stimmungen setzen. Du hast ganz tolle Sounds gemacht, die
in diesen Stücken so richtig zur Geltung kommen. Das lässt die CD auch
sehr volumenreich klingen. Der dritte Satz zeigt dann wieder sehr
eingängige Melodien, die mir sehr gut gefallen und die streckenweise an
„Thinking About Myself“erinnern. Ist das der neue Harald Blüchel, der
beides miteinander kombiniert?
Harald: Da wäre ich selber
gerade vorsichtig, diese Frage positiv zu beantworten, weil wir müssen
festhalten, dass „Die Toteninsel“ erst einmal Bestandteil einer Trilogie
(Anmerkung: die Trilogie trägt den Titel „Zauberberg“) ist. Ich werde
jetzt nach „Die Toteninsel“ so in vier Monatsintervallen die zwei danach
folgenden Teile auch veröffentlichen. Diese Trilogie als, sagen wir mal
Gesamtwerk, dokumentiert eigentlich für mich die Suche nach einer
Identität Harald Blüchel. Das heißt, die Suche nach einer musikalischen
Ausdrucksform, die Schritt halten kann, synchronisiert ist, mit dem, wie
ich mich als Mensch entwickelt habe. Dieser erste Teil, „Die Toteninsel“,
war für mich so diese klare Entscheidung „So jetzt fängst du an dich mal
so richtig von Cosmic Baby zu lösen.“. Ich wollte auch gar nicht
versuchen, das Gute ins Töpfchen und das Schlechte ins Kröpfchen zu
werfen, sondern loszulassen, von dem was vorher war und anfangen zu
suchen, wie ich relativ widersprüchliche und komplizierte Fragen, die
ich mir stelle, in eine Form umzusetzen. Bei „Die Toteninsel“, das hast
du genau richtig beschrieben, merkt man, dass meine Musik im Prinzip
nicht heterogen ist, also das man nicht sagen kann „Aha, da hat er jetzt
eine Klangsprache erfunden, die geht von A bis Z durch.“ Man kann
natürlich dazu stehen und sagen, die ist gut oder die ist schlecht. Aber
nicht mal das hört man, sondern man hört – so habe ich auch angefangen
zu arbeiten. Ich habe erst einmal eine Bestandsaufnahme dessen gemacht,
was ich als Musiker machen, wie ich Musik erzeugen kann? Das ging bis
hin zur MIDI-Technik, die sich natürlich bewährt hatte. Da wollte ich
mal versuchen, ob ich auch mit dieser Technik, über akustische
Aufnahmen, also Klavier – echte Instrumente aufnehmen – bis zur
Untersuchung von Geräuschen und konkreten Klängen, auch woanders
hinkomme. Ich glaube, ich habe in dieser Zeit, als ich merkte, das passt
in den Komplex „Die Toteninsel“ herein, bestimmt 50 bis 70 Musikstücke
gemacht, die erstmal alle nur unter dem Aspekt gesehen wurden, „Das
passt zum Thema“. Das hat aber handwerklich oder vom
produktionstechnischen her gesehen nichts miteinander zu tun. Ich wollte
erst einmal ausprobieren und hab mich dann darangesetzt und versucht,
aus diesen ganzen Mosaiksteinchen eine taugliche Einheit zu machen.
Daraus sind dann diese drei Sätze geworden, die in sich relativ
geschlossen sind. Als ich dann weitergemacht habe und diese Sprache
weiterentwickelte, wurde die Sache auch homogener. Die nächste
Produktion, die heißt „Caged“, ist ein Wortspiel aus „gefangen sein“ und
dem Komponisten John Cage. Die wurde vom Klangbild sehr homogen. Auf der
Produktion habe ich nur echte Instrumente verwendet und vollkommen auf
Synthesizer und Electronica verzichtet.
Stephan: Du bist also
multiinstrumentalistisch angelegt? Was spielst du neben Klavier und
Synthesizer noch für Instrumente?
Harald: Ich spiele keine
anderen Instrumente, aber Gott sei dank gibt es großartige Musiker, mit
denen man zusammenarbeiten kann. Was ja auch ein Punkt war, der für mich
sehr wichtig war, weil ich als Elektroniker natürlich immer autistischer
geworden bin und eigentlich irgendwann danach geschrieen hab, mich auch
wieder mal mit anderen Menschen im Zusammenspiel auseinanderzusetzen.
Das ist in der elektronischen Musik nicht so leicht. Da gibt es
vielleicht mal Duos, aber danach wird es eigentlich schon schwierig. Es
ist, denke ich, schöner wenn man mal in einem Ensemble zusammenspielt
oder wenn da wirklich drei oder vier Leute zusammen musizieren. Das geht
natürlich sehr gut mit klassischen Instrumenten, gerade wenn man auch
klassische Musiker kennt, die auch ein Interesse daran haben, mal was
Neues auszuprobieren.
Stephan: Bedeutet das, dass du
bei der Produktion mehr als Dirigent fungierst oder wie kann man sich
das vorstellen?
Harald: Ein gutes Beispiel ist
Philip Glass, der hat ja in seinen ersten 20 Jahren sehr oft in seinem
Ensemble mitgespielt. Er
ist Writer und hat es komponiert, hat aber gleichzeitig als
Instrumentalist in einem Ensemble seine Kompositionen gespielt. So sieht
das dann aus. Außerdem ist es so, dass ich Dinge für andere Instrumente
aufschreibe. Ich bin aber sehr stark auf die Kompetenz der Musiker
angewiesen, ob das so, wie ich das aufgeschrieben habe, überhaupt
spielbar ist oder Sinn macht. Oft geben mir die dann auch Tipps und
sagen „Ich mach dir mal einen Vorschlag. Ich weiß was du willst, aber
ich spiele dir das mal so vor.“ Und dann wird es richtig gut. Da
bekomme ich auch sehr viel Input von den anderen Leuten. Ich wünsche mir
natürlich, dass ich immer besser mit den einzelnen Instrumenten umgehen
und gute Sachen für echte Instrumente schreiben kann.
Harald 1994 in Brooklyn
Stephan: Wie vermittelst du
deine Wünsche dann den anderen Musikern? Notierst du …
Harald: Ja.
Stephan: … oder sagst du denen,
was sie spielen sollen? Du schreibst also die Noten auf.
Harald: Genau. Ich schreibe
Noten auf. Es gibt natürlich auch Dinge, die kann man schlecht notieren.
Das Dilemma hatten die Komponisten spätestens seit 1910, 1915, da gibt
es ja auch einige Partituren, die sehen ganz anders aus. Ich fixiere es
aber schon und dann wird versucht das zu spielen bzw. es wird darüber
diskutiert, wie man es besser machen kann.
Stephan: Du sagtest bereits,
dass nach „Die Toteninsel“ mit „Caged“ die zweite betitelt ist. Steht
der Titel für die dritte CD auch schon?
Harald: Der Titel steht auch
schon, und zwar heißt die „Electric Chamber Music“, also elektronische
Kammermusik. Und da setze ich dann auch wieder elektronische Instrumente
ein. Aber in einer anderen Form, also definitiv unter diesem Begriff zu
verstehen, was könnte elektronische Kammermusik sein. Da stellt man sich
natürlich sehr intime kleine Gruppen von Instrumenten vor, die
miteinander Musik machen. Da kommen dann Konstellationen zum tragen, die
mich einfach interessiert haben. Beispielsweise wie klingt ein Cello mit
einer 303, also mit so einem alten Acid-Synthie zusammen. Da passieren
dann Dinge, die sehr minimalistisch sind, die auch nicht so ein grobes
Konzept wie „Die Toteninsel“ oder „Caged“ haben, die über 50 oder 60
Minuten drei Sätze abarbeiten, wie so eine Art Sinfonie. Das sind dann
Miniaturen. Es sind, glaube ich, fünf kleine Suiten á drei bis fünf
Stücke. Das ist so die dritte Ebene gewesen, mit der ich mich in dieser
Zeit beschäftigt habe. Man kann ja nicht immer nur ganz hochtrabende,
große Sachen machen. Manchmal gibt es ja auch sehr kleine Sachen, die
richtig Spaß machen und die manchmal sogar noch besser auf dem Punkt
sind, weil man sich da nicht so anstrengen muss diesen Ausdruck
durchzuhalten, den man sich vorgenommen hat.
Stephan: Heißt das, dass die
beiden anderen Teile schon aufgenommen sind und Du sie praktisch nur
noch mastern musst?
Harald: Genau, so sieht das
aus. Klar, die Sachen sind ja ….. „Die Toteninsel“ ist zwischen 1999 und
2001 entstanden, „Caged“ war 2002 fertig und die Werke von der „Electric
Chamber Music“ sind auch insgesamt zwischen 1999 und 2005 entstanden und
die sind alle fertig.
Stephan: Wie kam es denn dazu,
dass soviel Zeit zwischen den Aufnahmen von „Die Toteninsel“ und ihrer
Veröffentlichung liegt?
Harald: Ja, das ging für mich
nicht anders. Ich war natürlich, das geben Musiker nicht gerne zu, aber
ich kann das für mich vertreten, ich war natürlich auch erst einmal
unsicher. Es ist immer ganz schön, wenn man ganz genau weiß, was man
will. In dem Moment, wo man es nicht weiß und nur eine Vorstellung im
Kopf hat, sie aber erst entwickeln muss, ist ja auch eine gewisse
Unsicherheit da. Gerade wenn man jemand wie ich ist, der schon
aussagekräftige Dinge veröffentlichen will und nicht einfach nur
irgendetwas veröffentlicht, weil es einigermaßen gut klingt, oder weil
es mal wieder an der Zeit ist. Da musste ich mich halt gedulden und auch
durch viel, sagen wir Mal Zweifel und Widerstände gehen. Und dann wollte
ich halt lieber warten. Ich fragte mich, wie geht es weiter, habe ich da
einen Ausblick, bin ich auf dem richtigen Weg? Und als ich dann für mich
soweit war, dass ich gesagt habe „Hey, ich kann jetzt wieder sehr
selbstbewusst diese Musik unterstützen und folglich auch
veröffentlichen“, dann hab ich mich auf den Weg gemacht, die Strukturen
so aufzubauen, dass das funktioniert. Für mich war halt auch noch
wichtig, und das hat die Sache natürlich auch noch mal etwas in die
Länge gezogen, dass ich nicht mehr mit großen Plattenfirmen
zusammenarbeiten wollte. Weil ich diese Diskussionen absolut Leid war,
„Du musst doch auf den Markt achten und wir investieren Geld in dich und
das muss sich auch einspielen. Und das können wir nicht machen. Und da
muss zumindest ein Gegengewicht her.“ Ich wollte das nicht mehr sein,
ich wollte mich wirklich ganz klar darauf konzentrieren, was ich tun
möchte und das wollte ich dann auch irgendwann genau so umsetzen. Das
ist dann natürlich für jemanden, der zwar Freunde hat, die einen
unterstützen möglich, aber letztendlich sitze ich allein am Schreibtisch
und muss alles organisieren. Das dauert alles seine Zeit und da musste
ich auch furchtbar geduldig sein. Klar möchte ein Musiker dann auch
zeigen, was er gemacht hat und er möchte ein Feedback haben. Er möchte
am liebsten gelobt werden, das ist ja auch klar. Oder er möchte
zumindest eine Kritik bekommen, über das, was er tut, eine
Standortbestimmung. Da musste ich ganz langsam einen Schritt nach dem
anderen tun um mich dann nicht verrückt zu machen.
Stephan: Wenn man „Die
Toteninsel“ hört, das ist eine Musik, da muss man sich wirklich drauf
einlassen. Man muss sie in Ruhe hören. „Stunde Null“ ist ja auch eine
CD, als ich sie gehört habe, war ich auch erst etwas irritiert, da hab
ich gar nicht mit gerechnet.
Harald: lacht
Stephan: Da muss man sich
wirklich drauf einlassen. Es ist schon ein sehr krasser Unterschied,
wenn man dein „Loops Of Infinity“ kennt und hört jetzt beispielsweise
„Stunde Null“.
Harald: Das ist ein krasser
Unterschied.
Stephan: Das ist auch sehr
schwierige Musik. Ist das vielleicht auch der Grund? Du kommst quasi von
ganz oben, was den Erfolg angeht, hast dann etwas gemacht, was eben
nicht Massenkompatibel ist, was ich total klasse finde, den Weg zu
gehen, zu sagen „Jetzt will ich aber das machen, was mir gefällt“. Die
Resonanz, die dann kam, könnte ich mir vorstellen, war sicherlich auch
verstörend. Wie war das?
Cosmic baby live 1997
Harald: Aber sicher. Also
erstens muss ich davor noch mal sagen, ich hab immer das gemacht, was
mir gefallen hat. Selbst hinter „Loops Of Infinity“ kann ich voll
dahinter stehen, weil ich genau gewusst habe, warum ich das so gemacht
habe, wie ich es gemacht habe. Ich kann zu jedem Musikstück eine
Geschichte erzählen und weiß, warum es so passiert ist. Es gibt
natürlich immer Stücke, wo ich sage „Ah, das hättest du jetzt nicht
gebraucht“, aber ich würde eben nicht sagen, das ich damals angepasster
war und jetzt werde ich krasser und jetzt wird es schwieriger und jetzt
bin ich nicht mehr angepasst. So würde ich es auf keinen Fall sehen. Der
Punkt ist aber schon, das für mich klar war, und das war - weil du
sagst, ich komme von oben - in dieser Zeit, wo ich sehr weit oben war,
da wurde mir dieser Druck zuviel, das ich im Studio oder am Klavier
sitze und ich sitze eigentlich nicht mehr alleine da, sondern da gucken
mir virtuell, was weiß ich, 50.000 Leute dabei zu. Und diese Leute
rühren sich auch immer in meinem Kopf und sagen „Hey, das wollen wir
aber nicht hören, das wollen wir aber.“ Da wurde es für mich
interessant, weil ich wissen wollte, wie ich mich zu diesem Problem,
zumindest für mich ist es eins gewesen, verhalte. Diese Motivation, zu
gefallen oder diese, man könnte auch sagen Verlockung, weil, man wird ja
auch sehr hofiert, und es ist wunderbar, wenn man eingeladen wird und
kann in Australien spielen und dann geht es nach Japan und dann wieder
nach Amerika, das ist natürlich alles super. Aber dafür zahlt man auch
den Preis, dass man so viel zu tun hat, dass man über sich selber und
die eigene Entwicklung nicht mehr nachdenken kann, sondern man eilt von
Eindruck zu Eindruck und es wird immer schwieriger, diese Eindrücke in
irgendeiner Form zu ordnen. Und ich bin ein Mensch, der eine gewisse
Ordnung braucht, auch im Kopf. In dem Moment, wo mir etwas über den Kopf
wächst, und das war in dieser Zeit so, weil immer mehr passiert ist und
dann Plattenfirmen gesagt haben „Cosmic, wir haben die Superidee. Wir
haben schon mit
Vanessa Mae gesprochen und ihr zwei macht jetzt ne Super
Pop-Klassik-Scheibe. Zwei Wunderkinder zusammen, optimal. Ihr seht gut
aus, das wird super.“ Das sind Dinge, die wollte ich so nicht haben,
weil, das hätte mit mir nicht mehr viel zu tun gehabt. Ich wäre ein
Darsteller wie XY geworden, der sich letztendlich abhängig von dem
macht, was von Außen passiert. Dafür war mir dann die Musik definitiv zu
wichtig, das kann ich aus tiefster Seele so sagen, dafür sehe ich die
Musik, die ich machen kann als Geschenk an, und das kann ich nicht
wegschmeißen. Auch was weiß ich, für was für Vergünstigungen oder Preise
oder Geschrei, das ist es für mich dann nicht wert gewesen. Ich hab den
Eindruck, dass ich jetzt quantitativ kleiner geworden bin, was aber
meinen kreativen Aktionsradius ausmacht, bin ich viel größer geworden.
Und das ist mir sehr wichtig. Und wenn ich davon einigermaßen leben
kann, von dem, was ich freiwillig tue, mit was ich mich beschäftige, mit
was ich mich manchmal auch abquäle, ob es was wird oder nicht, dann wäre
das für mich die größte Sache der Welt, wenn ich das so zu meinen
Bedingungen schaffen könnte. Das ist mir wichtiger, als wenn ich
fremdbestimmt einen so genannten Erfolg habe, der aber ständig
hinterfragt wird „Wie sind die Quoten? Wieviel hast du verkauft? Wir
haben so und soviel investiert, da müssen wir jetzt noch mehr machen, da
müssen wir was flankieren, da musst du das machen, da müssen wir ins
Fernsehen.“ Ich möchte nicht in eine Talkshow und so reden und so
agieren, wie diese ganzen anderen gleichgeschalteten Menschen. Das ist
nicht mein Ding.
Stephan: Das kann ich gut
verstehen. Ich denke auch, dass es am wichtigsten ist, dass man mit dem,
was man macht zufrieden ist und dass es einem damit gut geht.
Harald: Genau. Das ist
natürlich so ein Punkt, dieses zufrieden sein. Ich werde natürlich nie
zufrieden sein, weil ich immer etwas im Kopf habe und ich möchte das
möglichst ideal transformieren. Und das wird mir nie gelingen, ich habe
aber auch mein Leben lang Zeit, da immer weiter dran zu arbeiten. Das
ist auch das Schöne daran. Das ist auch eine Form von Zufriedenheit, auf
jeden Fall.
Stephan: Du hast gerade gesagt,
dass du viel im Kopf hast, auch Bilder. Auf dem Cover zur CD „Die
Toteninsel“ ist ein sehr schönes Gemälde zu sehen, ich weiß im Moment
nicht von wem es stammt. War das Bild als solches jetzt auch Inspiration
für die Musik, die du gemacht hast?
Harald: Hundertprozentig.
Gerade dieses Bild, es ist von Arnold Böcklin, einem Romantiker. Der
nächste große Maler aus dieser Zeit hinter Caspar David Friedrich.
Dieses Bild, das begleitet mich, ich würde sagen, schon 20 Jahre. Ich
habe es sehr, sehr oft auf Fotos gesehen. Ich habe es bestimmt schon
zehnmal in Ausstellungen erlebt, es steht ja auch bei uns in der alten
Nationalgalerie (Anmerkung: in Berlin). Das faszinierende an diesem
Bild, und gleichzeitig ist es das, was für mich immer das faszinierende
an Kunst überhaupt ist, ist die Tatsache, dass ich hier vor einem Sudjet
eines Menschen stehe und dieses Sudjet tut etwas mit mir. Dieses Bild
übt so eine Faszination und Gravitation auf mich aus, dass ich zu denken
und zu fühlen angeregt werde. Ich bekomme Assoziationen, ich bekomme
Ideen, ich kann reflektieren, mir werden Wünsche und Dinge klar, an die
ich anders gar nicht rankommen würde. Das ist zum Beispiel das
großartige an diesem Bild, dass es für mich eine unglaubliche
Anziehungskraft ausübt. Und das war auch ein guter Einstieg für mich zu
sagen „Jetzt leb mal mit dem Bild und versuch das, was dir dabei durch
den Kopf geht, oder zumindest die wichtigsten Bestandteile dessen, was
dir dabei durch den Kopf geht, durch deine Seele oder deinen Körper
umzusetzen.“ Und dann entwickelt sich etwas, was natürlich weit weggeht
von dem was wir erst einmal auf dem Bild sehen. Das hat nichts mit dem
Ruderer zu tun, das hat nichts mit der spiegelglatten See oder mit der
Insel an sich zu tun, sondern da hat sich ja ein ganz eigenes Hörbild
daraus entwickelt.
Stephan: Du hast auf der CD ja
nicht nur Musik, es sind ja auch an einigen Stellen Texte enthalten. Sie
sind leider nicht im Booklet abgedruckt. Auf deiner Homepage kann man
sie allerdings nachlesen. Da die Texte im Hintergrund zu deiner Musik
gesprochen werden, konnte ich sie erst nicht verstehen. Als ich sie dann
gelesen habe, was in den Stücken Gegenwart, Jahrhundertwende und
Güterzug gesagt wird, hat mich das erst etwas irritiert. Der Großteil
scheint sich aus meiner Sicht mit der traurigen Geschichte des zweiten
Weltkrieges, mit der Judenverfolgung zu beschäftigen. Ist das richtig?
Harald: Das ist so nicht ganz
richtig. In dem ersten Satz ging es mir darum, einen Zusammenhang
herzustellen, zwischen der Gleichzeitigkeit der Gedanken, die ich haben
kann. Das heißt, ich kann mich in einer Sekunde Jetztzeit parallel in
ganz verschiedenen Zeiten gedanklich aufhalten, noch dazu ist alles
eigentlich eins. Ich gehe durch eine Straße, ich gehe durch die
Friedrichstraße, sehe eine alte Frau und die erinnert mich plötzlich an
eine Zeit, in der ich gar nicht gelebt habe. Aber plötzlich habe ich
diese Assoziation, diese Frau war 1936 ca. 25 Jahre alt. Was hat die da
gemacht? Ich lasse den Gedanken zu und überlege mir, was könnte die
gemacht haben. Plötzlich entsteht ein Bild, was sie gemacht haben kann.
Obwohl ich es nicht beweisen kann, aber es entsteht in mir ein Bild. Und
dieser Güterzug, der letzte Teil von dem ersten Satz, ist natürlich ganz
klar etwas, was mich beschäftigt, obwohl ich nicht in dieser Zeit gelebt
habe. Aber ich habe natürlich mein ganzes Leben lang, ob das meine
Großeltern waren, die teilweise im Krieg gestorben sind, ob das die
Erzählungen meiner Eltern während meiner Kindheit waren ... Ende der
60’er Jahre, da gab es bei uns in Nürnberg immer noch ganz viele
Stellen, die lagen in Trümmern. Da gab es Ruinenhäuser, Bunker, diese
Bombenalarmsirenen, die gingen immer noch. Ich war in der Schule und
habe mich mit Faschismus beschäftigt. Als Student war ich sehr
politisiert, folglich werde ich mich mit Dingen, die sich in der
Vergangenheit abgespielt haben, ständig beschäftigen und die werden auch
für meine gegenwärtige Situation einen Effekt haben und einen Ausschlag
geben. Es ist in dem Fall nicht unbedingt explizit ein
antifaschistisches Musikstück, aber es zeigt, wie sehr mich Geschichte
und Politik und letztendlich ja auch die Wiederholung der Geschichte mit
anderen Bildern beschäftigt. Aber qualitativ geschieht immer wieder das
gleiche. Es gibt Holocaust, es gibt Massenmorde, es gibt Menschen, die
mit Waffen Geld verdienen und deswegen auch Kriege initiieren, das hat
sich nicht geändert und folglich wird auch so etwas in meiner Musik
immer eine wichtige Rolle spielen.
Stephan: Als ich die Texte, die
gesprochen werden, gehört habe, dachte ich zuerst daran, dass sie aus
dem Fernsehen stammen. Dadurch, dass sie mehr im Hintergrund zu hören
sind, klingen sie wie ein Bericht bzw. wie Nachrichten. Stimmt das, oder
sind die Texte extra eingesprochen worden?
Harald: Es sind
Originalaufnahmen. Es ist alles aus dem Archiv des deutschen Rundfunks.
Der erste Teil bei „Güterzug“, den man fast überhaupt nicht versteht,
das ist so eine Frontberichterstattung aus Stalingrad. Da hört man ja
eigentlich nur noch „Der Kampf geht weiter“. Und danach kommen dann
Ausschnitte aus Zeugenaussagen eines ungarischen Arztes, der seine
Familie in Auschwitz verloren hat. Das sind Originaltonprotokolle aus
dem Auschwitz-Prozess von 1963 in Frankfurt. Aus diesen Protokollen hat
ja dann auch z. B. der Peter Weiß sein Theaterstück gemacht, das ja sehr
berühmt geworden ist. Das Drehbuch des Theaterstücks besteht aus den
Aussagen von Auschwitz-Häftlingen bzw. SS- und Wachpersonal usw., die
von dem Staatsanwalt Bauer in Frankfurt verhört worden sind. Die
Schauspieler sprechen diese Texte und das ist das Hörspiel. Dann ist
noch ein Ausschnitt von einem Soldaten, der in Auschwitz war und der
quasi dem Gericht erklärt, wie das mit den Vergasungsblöcken
funktioniert hat. Das habe ich verwendet.
Stephan: Das fand ich
bedrückend. Als ich die Texte gelesen hab und verstand, was da
gesprochen wurde, hat mich das doch sehr bewegt. Jetzt schlage ich mal
wieder einen Bogen, denn ich hab auf deiner Homepage den Ausspruch
gelesen „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Wie lange tüftelst
bzw. komponierst du an deinen Werken? Wie viel Zeit geht ins Land, bis
du mit deinem Werk so zufrieden bist, dass du es veröffentlichen kannst?
Harald: Das ist, Gott sei dank,
sehr verschieden. Es passiert immer mal wieder, dass man sich sehr
intuitiv hinsetzt, weiß nicht, was man spielen will, aber man weiß, wenn
man sich jetzt hinsetzt, dann passiert was und dann passieren sehr
intuitive und wunderbare Sachen. Die sind dann vielleicht nach einer
halben oder einer Stunde, zumindest nach einem Tag, komplett fertig und
sie werden nicht mehr geändert. Das sind diese Sternstunden, die man
manchmal als Mensch hat. Dann gibt es Stücke oder Ideen, die brauchen
Jahre bis sie dann fertig sind. Das heißt nicht, dass ich ganz
konsequent ein Jahr nur an einer Sache hänge, das wäre auch quatsch, da
würde ich ja total verkrampfen. Da käme dann auch nichts bei raus. Ich
habe mittlerweile schon die Ruhe, Dinge liegen zu lassen. Ich fange
etwas an und komme dann immer wieder drauf zurück. Ich kann dann
entscheiden, ob es sich lohnt und es schön ist dran weiter zu machen,
oder ob man es besser noch liegen lassen soll. Und vielleicht geht es
dann auch irgendwann einmal damit weiter, oder auch nicht. Ich kann ja
diese Sachen mittlerweile alle digital speichern, das ist schon sehr
gut. Ich muss auch nicht mehr ein Stück fertig kriegen. Dann gibt es
natürlich auch die Stücke, da beschäftigt man sich vielleicht zwei, drei
Monate mit einer speziellen Idee und dann passiert es in dieser Zeit
auch auf eine gute Art. Also es ist wirklich ganz verschieden, wie es
funktioniert. Interessant ist vielleicht, das ich mittlerweile, wenn ich
Theatermusik mache, was mir sehr viel Spaß macht, definitiv das Risiko
eingehe, und gehe komplett ohne Vorideen in die Proben rein. Ich hab
dann auch nichts vorzuweisen und hab mich auch nicht vorbereitet,
sondern versuche mich quasi mit der Regisseurin und dem ganzen Ensemble
zu synchronisieren und dann eine sehr passende Komposition zu machen.
Ich habe mittlerweile auch keine Angst mehr davor, dass mir da in den
sechs Wochen Probezeit nichts einfallen könnte. Da bin ich mittlerweile
schon auf eine gute Art selbstbewusst, dass ich einfach sage, „Es wird
mir was einfallen“. Ich muss nur Geduld haben, gut zuhören und offen
sein, für das, was ich dort erlebe und dann passiert auch genau das
richtige.
Stephan: Das heißt, dass du bei
den Theaterkompositionen keine reinen Improvisationen machst, sondern
mit dem Regisseur Stimmungen absprichst, oder es geschieht etwas auf der
Bühne, zu dem dir etwas einfällt und das entwickelt sich dann über diese
sechs Wochen.
Harald: Genau so sieht das aus.
Es kann im Endergebnis gar nicht improvisiert sein, weil da folgt ja
alles absolut klaren Ablaufplänen. Jeder Satz ist genau getimed, jeder
Gang eines Schauspielers von links nach rechts, von vorne nach hinten,
wie er rauskommt, wie er reingeht, ist ja getimed. Irgendwann muss das
natürlich absolut stimmen, wenn man in so einem Konzept arbeitet. Es
gibt auch Theaterstücke, da wird viel mehr improvisiert, aber zu 90%
wird ja in den sechs Wochen wirklich ein Ganzes daraus. Das kommt dann
aus den Proben und wird dann eine Form, die dann zum Schluss 100 %ig
stimmt, da muss dann natürlich auch die Musik ganz genau passen und
absolut auf den Punkt sein.
Stephan: Du hast gerade das
Theater angesprochen. Gerade „Die Toteninsel“ wirkt auf mich wie ein
Klangerlebnis das eine Geschichte erzählt.
Harald: So würde ich es auch
sehen.
Stephan: Du beschreibst die CD
ja selbst als Hörstück, und ich finde den Begriff sehr passend. Du
sagtest, dass du auch Theatermusik machst. Hast du denn auch schon mal
drüber nachgedacht die drei Teile der Zauberberg-Trilogie oder Teile
daraus live zu präsentieren? Oder ist das für dich eher kein Thema?
Harald: Soweit bin ich noch
nicht. Also ich bin ja jemand, der schon sehr gerne live spielt.
Beispielsweise habe ich ja in der Cosmic Baby-Zeit zwischen 1991 und
1999 sehr viele Konzerte gegeben. Ich denke, das waren bestimmt um die
300. Die meisten davon waren für mich richtig große Erlebnisse. Dann
habe ich ja damit aufgehört um wirklich einen Punkt zu setzen, einen
Ruhepunkt zu setzen, um mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Und als
ich mit Christopher zusammen für Blüchel & von Deylen in Leipzig das
erste Mal wieder im April 2004 auf der Bühne stand, das war ein
Erlebnis, das mir definitiv gefehlt hat. Es war großartig mal wieder vor
Publikum zu spielen und natürlich vor allem vor interessiertem Publikum,
das auch was hören möchte und nicht nur johlt und Action will. Natürlich
möchte ich auch irgendwann gerne als Solokünstler oder mit meinen neuen
Kompositionen live auftreten, aber ich habe gerade noch definitiv zu
viele andere Baustellen und das muss dann noch ein bisschen warten.
Irgendwann wird es aber garantiert passieren, dass ich wieder live
spiele. Ich denke, mittlerweile muss man sich bei mir an Zeiträume
gewöhnen, die unüblich sind. Also es kann sein dass das erst in drei
Jahren soweit ist. Aber ich arbeite daran und ich möchte das auch und
ich werde es auch tun.
Stephan: Die Szene der
traditionellen Elektronikmusik ist ja recht klein und Konzerte in dieser
Szene, mal abgesehen von den ganz großen wie Tangerine Dream, Klaus
Schulze, Kraftwerk oder Jean Michel Jarre, sind ja eher familiär und
klein. Da kommen dann natürlich in kleineren Hallen nur bis zu maximal
400 Leute hin. Könntest du dir denn vorstellen auch in solch einem
kleinen Rahmen zu spielen?
Harald: Aber sicher. Das ist
für mich definitiv nicht der Punkt. Für mich ist das wichtige, so ganz
egoistisch als Musiker, das ich vor einem Publikum spielen kann oder
darf, das interessiert ist. Es ist ja echt eine Binsenweisheit, dass je
größer die Konzerte werden, desto mehr Leute sind automatisch dabei, die
irgendwie eine andere Motivation haben als dort interessante Musik zu
hören. Das kommt mir dann eher so vor als wollten sie unter vielen
anderen sein. Die wollen gesehen werden, die wollen einen Riesenspaß
haben, die wollen das es laut und groß ist und sie wollen danach auf
irgendwelchen anderen Partys oder bei Agenturen erzählen, was sie tolles
erlebt haben. Das ist sicher nicht das Publikum, das ich gerade mit
Musik, die ich jetzt gerade mache, erreichen werde oder möchte und auch
erreichen kann. Folglich ist die Größe der Events überhaupt nicht der
springende Punkt, sondern es ist dann wirklich im Moment für mich so,
dass es mich einfach … Auch wenn ich das Angebot bekommen würde, das ich
ja oft auch bekomme, „Spiel doch einmal dort, Location X, auf Festival Y
oder ein Solokonzert“, dafür müsste ich soviel Zeit investieren, um das
dann auf einen Punkt zu kriegen, den ich wirklich gut und sinnvoll
finde, das es nicht zu stark von den Sachen ablenkt, die ich im Moment
noch zu tun habe. Ich möchte mich dann auf Liveauftritte einlassen
können, wenn ich den Raum dazu habe und sagen kann „So, ich bin jetzt so
zufrieden mit den Strukturen, in denen ich mich bewege, dass ich mich
jetzt auch mal sehr genau mit diesem Thema beschäftigen kann. Und das
ich einen Kreis von Leuten dazuholen kann, die mit mir musizieren, die
mit mir zusammen das Bühnenbild konstruieren und letztendlich auch
realisieren“. Das ist für mich schon sehr wichtig. Also ich würde mich
nicht „einfach“ auf eine Bühne stellen, nur damit ich da stehe und
irgendetwas ablasse. Das müsste schon so sein, dass ich dann sagen kann
„Ja, das ist was, was ich vertreten kann und wozu ich auch Stellung
beziehen kann“. Nichts ist schlimmer, als wenn man was tut, wo man
eigentlich selber weiß, „Naja, so richtig toll ist es ja nicht, aber
verteidigen musst du es ja doch“. Das geht dann halt schlecht. Da bin
ich kein Schauspieler oder Verkäufer, sondern ich möchte das schon so
gut wie möglich wahrhaftig vertreten können, was ich da produziere.
Stephan: Das kann ich gut
nachvollziehen. Ich habe auf deiner Homepage gelesen, dass du den Namen
Cosmic Baby doch nicht so ganz abgelegt hast. Im Dezember diesen Jahres
erscheint auch noch ein Werk unter deinem Pseudonym Cosmic Baby. Was
erwartet den Hörer auf „Industrie & Melodie“?
Harald: So, da muss ich ein
bisschen ausholen. Es ist, sagen wir mal, auch noch eine Abarbeitung der
Vergangenheit. Es ist kein aktuelles Cosmic Baby Werk, so etwas gibt es
auch nicht. Die Stücke der „Industrie & Melodie“ sind alle zwischen 1998
bis 1999 entstanden. Und zwar habe ich da mal so für mich die Lust
gehabt, eine Art „Retro-Gymnasiasten-New Wave-Elektronik“ zu machen, die
nur mit meinen alten Instrumenten stattfindet. Das heißt Minimoog,
Prodigy, Jupiter 8, Roland 808, also alles Instrumente, die Ende der
70’er Jahre auf den Markt gekommen sind. Ich hab es für mich im Kopf
immer „Kindergarten-Kraftwerk“ genannt. Ich hab mich im Prinzip immer so
ähnlich gesehen, wie ich als Gymnasiast war, als ich Kraftwerk total
geliebt habe. Ich habe mich immer in so einem roten Hemd mit schwarzem
Schlips gesehen, aber mit meinen kleinen Instrumenten. Und so habe ich
dann in dieser Zeit immer mal wieder konzentriert oder nebenbei Stück
für Stück gemacht. Und diese Sammlung bringe ich jetzt raus, weil sie
mir sehr gut gefällt. Das war eigentlich der unverkrampfteste Cosmic
Baby in dieser Zeit. Ich hab mir auch danach, immer wenn ich mich mal
wieder so austoben wollte und mal gesagt habe „So, jetzt habe ich mal
keine Lust auf Klassik oder meinen Harald Blüchel-Zeug, sondern jetzt
will ich einfach mal wieder die Rhythmusmaschine anstellen“, da hab ich
natürlich immer wieder auch Musikstücke gemacht, die definitiv Cosmic
Baby-Qualität und -Identität haben. Aber die habe ich nur privat für
mich gemacht. Mittlerweile kann ich so souverän mit dieser Musik, dieser
Synthiemusik umgehen, dass ich das jetzt rausbringen und zeigen kann,
was ich in dieser Zeit sonst noch gemacht habe. Gleichzeitig gibt es
sehr viele Leute, die immer sagen „Du hast doch da bestimmt immer mal
wieder was gemacht, spiel es uns doch vor“. Wenn man sich jetzt Blüchel
& von Deylen anhört, dann würde ich sagen, dass von dem was man hört,
auch viel Cosmic Baby drin ist. Es klingt anders, aber es sind die
Anteile drin, die man auf „Die Toteninsel“, „Caged“ oder den nächsten
Werken, die ich als Harald Blüchel rausbringe, garantiert nicht hören
wird. Das ist dann schon eher wie stilvolle elektronische
Unterhaltungsmusik, und das meine ich überhaupt nicht abwertend. Sich
mit Stilvoller, gefälliger Musik zu befassen, macht auch Spaß. Ich kann
ja auch zu hause nicht nur
Luigi Nono, Stockhausen oder John Cage hören. Ich höre ja auch
andere Sachen wie Massive Attack. Es gibt auch viel elektronische
Popmusik, die ich sehr gern höre und folglich gibt es auch immer wieder
Musik, die ich dann selber mache und davon ist dann auch ein bisschen
was dabei, was ich auch rausbringen kann, ohne das ich mich da jetzt
verrenken müsste.
Stephan: Das stimmt. Du hast ja
auch gerade gesagt, dass dich einige Leute danach gefragt haben, ob du
noch was in Petto hast. War das auch der Grund dafür, jetzt deinen
Backkatalog wieder herauszubringen? Und die Frage, die sich sofort daran
anschließt ist, ob die Alben remastert werden?
Harald: Die Alben sind nicht
remastert. Es ist alles so, wie es war. Ich habe zum Beispiel auch gar
keine Lust, Versionen von Stücken im Gewand von zehn Jahre später wie z.
B. „Stellar Supreme 2006“ zu machen, das interessiert mich überhaupt
nicht. Ich finde, dass die Musik, so wie sie damals war, vollkommen okay
ist. Das war damals Musik auf dem Stand, den ich damals konnte und es
gibt immer noch sehr viele Stücke aus der Zeit, die sind genauso, wie
sie sind, genau richtig und gut. Das war der Grund zu sagen, wenn du
jetzt schon die Strukturen hast, oder dir erarbeiten möchtest selber
Dinge herauszubringen, oder zu veröffentlichen, dann kannst du auch ohne
Probleme deine Vergangenheit wieder reaktivieren. Es gibt natürlich
genug Leute, die es total bedauert haben, dass man zum Beispiel eine
„Stella Supreme“ seit 1998 nicht mehr kaufen konnte, weil ich mir die
ganzen Rechte von den Firmen, bei denen ich die Platten gemacht habe,
zurück geholt habe. Und dann habe ich es erst einmal sein lassen, ich
hab sie ruhen lassen und habe gesagt „Damit will ich mich ersteinmal gar
nicht beschäftigen, sondern ich möchte mich mit neuen Dingen
beschäftigen“. Jetzt bin ich aber soweit, dass ich mit mir im reinen bin
und sagen kann „So, ich bin jetzt fast in der Gegenwart angekommen und
folglich kann ich auch ganz unverkrampft wieder mit meiner Vergangenheit
umgehen“. Es wäre für mich so vor zwei, drei Jahren ein ganz komisches
Gefühl gewesen, wo ich noch mitten im Wiedererstehen oder Neuentstehen
war, dann einen Backkatalog herauszubringen. Dann hätte ich mich sehr
unwohl gefühlt, weil ich ja im Prinzip kein real existierendes
Gegengewicht dazu gehabt hätte. Jetzt bin ich aber soweit, dass ich mir
da sicher bin und folglich kann ich auch die Vergangenheit wieder
veröffentlichen.
Stephan: Wird es denn
Bonusstücke auf den Alben geben?
Harald: Nein, natürlich nicht.
Es sind definitiv die Originalveröffentlichungen von damals. Auch die
Cover sehen genau so aus. Es sind im Prinzip Neuauflagen.
Stephan: Wie viel Alben sind
das insgesamt?
Harald: Erst einmal vier, die
Klassiker meiner Ansicht nach, „Stellar Supreme“, „Thinking About Myself“,
„Stunde Null“ und „Fourteen Pieces“. Also die wichtigen.
Stephan: Du hast vorhin schon
Deine Zusammenarbeit mit Christopher von Deylen (aka Schiller)
angesprochen. Nach diesen beiden wirklich, wie ich finde, sehr schönen
Alben stellt sich für mich natürlich die Frage, ob es eine Fortführung
der Kollaboration geben wird.
Harald: Aber sicher. Dafür
verstehen wir a) uns viel zu gut und haben b) sehr viel Spaß daran
zusammen Musik zu machen. Das ist etwas ganz Besonderes. Da passiert
etwas, was wir allein niemals so machen könnten, was sehr schön ist, und
dieses ist für uns beide auch ein wunderbares Gegengewicht und eine sehr
große Entspannung mal nicht als Interpret oder Komponist alles allein
machen zu wollen. Den anderen einfach einmal machen lassen zu können,
das ist herrlich, wenn man sich so gut versteht und keinen Druck spürt,
sondern sich zusammen trifft. Mal sprudeln beide und mal legt der eine
sich auf die Couch und der andere spielt. Und dann kommt der andere von
der Couch und sagt „Oh, da hab ich jetzt aber auch eine gute Idee“,
greift ins Spiel ein und macht weiter. Das ist super. Vor allem auch
dieser Punkt: alleine steht man immer vor dem Dilemma, „Ist das jetzt
gut, oder ist das jetzt nicht gut?“ Sehr oft weiß man es nicht so genau.
Wenn da zwei sind, die sich schon ganz gut vertrauen und der eine sagt
„Also ich weiß ja nicht“ und der andere sagt „Hey, das ist super“, dann
geht es sofort weiter. Genauso, wenn man denkt „Ah, irgendwie ist es
schon gut“ und dann sagt der andere „Ja, irgendwie schon, aber
eigentlich wird es nichts“, dann schmeißt man es einfach weg. Das würde
man allein nie tun, das geht zu zweit aber wunderbar. Das ist auch so
eine Qualität, mit der wir beide gut zusammen umgehen können. Das macht
wirklich wahnsinnig viel Spaß. Da wir ja eigentlich Eigenbrötler sind
und jeder gerne für sich arbeitet, ist es umso schöner, wenn man sich
richtig gut zusammen versteht.
Harald 2006
Stephan: Die gute
Zusammenarbeit liegt sicherlich auch daran, dass ihr beide in Berlin
wohnt, oder?
Harald: Genau, das ist
natürlich wunderbar, da geht es natürlich viel schneller sich zu
treffen.
Stephan: Auf „Mare Stellaris“
war ein Video zu sehen, dass dich und Christopher bei einem Liveauftritt
zeigt. War das der Auftritt von dem du vorhin gesprochen hast?
Harald: Das, was wir da bei
„Mare Stellaris“ sehen, das ist auf dem Jazz-Festival in Montreux
gewesen. Da haben wir als Blüchel & von Deylen ein Solokonzert gegeben.
Und von den Auftritten, von denen ich vorhin gesprochen habe, das war
quasi als Vorband zu Schiller. Da sind wir als Blüchel & von Deylen als
Vorband aufgetreten. Wir haben dort die erste halbe Stunde, bevor dann
Schiller gespielt hat, zusammen gestaltet.
Stephan: Ich denke ihr geht
eure Zusammenarbeit so an, wie ihr gerade Lust dazu habt, etwas Neues zu
machen. Du sagtest vorhin, dass ein Sololiveauftritt von Dir wohl etwas
länger dauern wird, bis er realisiert wird. Wie sieht es denn mit einem
gemeinsamen Auftritt von Blüchel & von Deylen aus?
Harald: So etwas könnte immer
schneller gehen. Das ist auch wieder aus den Gründen, die ich vorhin so
beschrieben habe, da ist man halt doch zu zweit und man muss nicht alles
allein machen. Man kann die Arbeit verteilen oder man weiß auch, wenn
einer von uns beiden etwas angespannter ist, oder etwas zu tun hat, dann
ist der andere noch da. So etwas ist schneller zu realisieren, als wenn
man das alleine macht. Also zumindest bei mir ist das so. Der
Christopher ist ja immer fleißig und auch jetzt auf Tournee und arbeitet
wie ein Wilder. Ich bin da noch nicht so weit und das ist für mich auch
eine ganz andere Welt, in der ich mich da bewege, als in seiner, wenn er
live spielt.
Stephan: Ich hatte dieses Jahr
das Vergnügen ihn in Düsseldorf live zu sehen. Das erste Mal für mich
und das war ein absolutes Highlight.
Harald: Doch, auf jeden Fall.
Ich finde ja auch die Neubesetzung ganz klasse. Er hat ja jetzt zwei
neue Schlagzeuger und auch einen neuen zweiten Keyboarder und mir hat
das Ganze auch hervorragend gefallen. Diese neue Konstellation fand ich
richtig gut.
Stephan: Ich kenne die anderen
Konzerte natürlich von den DVDs, die auch schon eine gehörige Portion
Power rüber bringen. Und ich bin auch schon gespannt auf die neue DVD um
dann noch einmal vergleichen zu können. Zuerst war ich etwas erstaunt,
weil gerade der Garry Wallis, der wie ein Irrer hinter seiner Schießbude
herumsprang, das hatte natürlich was und jetzt mit zwei neuen
Schlagzeugern, die brachten auch einen ordentlichen Druck in die Musik.
Das hat für mich viel rockiger geklungen als das, was er davor gemacht
hat. Das hatte mehr Power.
Harald: Ja. Das liegt definitiv
daran, dass sich die Band immer mehr einspielt. Das war natürlich am
Anfang, das ist ja immer das Problem, wenn einer Solokünstler ist und
alles zuhause allein einspielt, dann ist es ja eh erst immer mal so dass
man sagt, „Okay, wir versuchen jetzt mal eine Band um einen Künstler
herum zu machen“. Mittlerweile sind die aber so aufeinander eingespielt,
dass das eine Eigendynamik, also eine Banddynamik bekommt. Und das tut
so einer Sache natürlich unglaublich gut.
Stephan: Absolut. Man hat auch
gesehen, mit welcher Freude sie beim Konzert gespielt haben. Ob das
jetzt Thissy oder Micky war. Man merkte sofort, dass der Funke
übersprang und das sehr schnell. Das fand ich sehr erstaunlich.
Wir sind soweit durch, was meine
Fragen betrifft. Es hat mir tierisch Spaß gemacht, mit dir das Interview
zu führen.
Harald: Mir auch Stephan. Das
war ein sehr schönes Gespräch.
Stephan Schelle