Interview mit Grobschnitt
am 02.11.2008 geführt

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Am 02.11.2008 hatte ich Gelegenheit die Band, mit Ausnahme von Demian Hache, im Probenraum zu besuchen. Die Jungs waren fleißig für ihren nächsten Gig in Appenweier am Üben. Neben ihren Instrumenten hatten sie auch erstmals das Lichtpult von Toni im Probenraum aufgebaut. Auf einem der beiden Bildschirme war eine Simulation zu sehen, die eine Bühne und die Beleuchtung durch die Scheinwerfer zeigte. So konnte Toni quasi im Übungsraum während der Stücke die Lightshow testen.

In einer Pause standen mir die Bandmitglieder sehr ausführlich Rede und Antwort. Nachfolgend findet ihr das Gespräch.

    
Das Lichtmischpult mit Computersimulation

Stephan: Wenn ihr jetzt nach 13 offiziellen Konzerten sowie dem ersten Fankonzert auf die letzten 1 ½ Jahre zurückblickt, was hat euch in der Zeit am meisten beeindruckt?

Milla: Am meisten beeindruckt hat uns die positive Entwicklung, die das Ganze genommen hat. Wir haben ja mit einem Fankonzert in Hagen-Hohenlimburg (Anmerkungen: es waren an zwei aufeinander folgenden Tagen zwei Konzerte geplant) mit sehr vielen Fragezeichen begonnen. Das war wirklich ein Test und wir wussten nicht, was daraus werden würde. Nachdem das zweite Konzert in Hagen-Hohenlimburg ausgefallen ist, haben wir gesagt:  „Das lassen wir nicht auf uns sitzen und jetzt geht es erst richtig los.“ Wir waren aber immer noch nicht sicher, ob das überhaupt klappen würde. Dass die Band permanent in der Lage ist sich zu steigern und immer besser wird, das finde ich schon sehr beeindruckend. Inzwischen sind wir soweit, dass es richtig Spaß macht, miteinander zu spielen.

Stephan: Euer Programm besteht mit ein paar Ausnahmen zum Großteil ja aus Stücken der Ära ab „Illegal“. Wie seid ihr an die Auswahl der Stücke herangegangen? Was hat den Ausschlag gegeben genau diese auf die Bühne zu bringen?

Milla: Wir haben den Großteil des Programms zu einem Zeitpunkt zusammengestellt, als Willi noch gar nicht dabei war. Angefangen hatten wir damit ja ohne ihn. Wir haben da natürlich auch speziell Stücke ausgesucht, die Toni und ich gesungen haben, damit wir ein Programm zusammenbekamen. Ansonsten haben wir die Stücke gespielt, die uns unheimlich gut gefallen haben. Wobei ein Auswahlkriterium mit Sicherheit war, dass wir eher die Stücke spielen wollten, die etwas anspruchsvoller und komplizierter waren. Es gibt ja auch so eine Phase, in den späten 80’ern, wo wir so ein paar einfachere Stücke herausgebracht hatten, die haben wir bewusst weggelassen. Wir wollten schon eindeutig einen Schwerpunkt auf die Stücke im Stil des Progrock legen. Deswegen haben wir auch Stücke wie „Rockpommel’s Land“ und ähnliche rein genommen. Das war uns schon sehr wichtig. Dadurch sind so einige bekannte Titel wie „Wir wollen leben“ zurückgeblieben, da wir die nicht primär spielen wollten. Das Stück ist aber im Medley drin, da ist es auch richtig toll, weil es dadurch einen anderen Charakter bekommt.

Stephan: Eure Livestücke haben sich von Konzert zu Konzert immer weiterentwickelt. Und wenn man mehrere Shows von euch gesehen hat, merkt man, dass die Stücke von Mal zu Mal besser werden. Arbeitet ihr im Probenraum ständig an den Arrangements oder ist das ein natürlicher Prozess, dass sich die Stücke im Lauf der Zeit noch wandeln?

Willi: Eine Band muss wachsen, ganz einfach. Es war eine neue Band und die muss zum wachsen Liveauftritte machen. Mit jedem Auftritt lernt ein Musiker dazu. Und er lernt auch, dass er auf alle hören muss, um ein vernünftiges Bandgefühl, um vernünftige Musik rüberzubringen. Und da sind wir bei. Wir sind in der Besetzung eine ganz neue und frische Band und haben erst 13 Auftritte gegeben. Es wird immer weitergehen. Bei jedem Konzert lernen wir etwas und die Band wird immer besser.

    

Stephan: Willi, wenn ich mich recht entsinne, hast du in Betzdorf gesagt, dass ihr als Band erst seit dem Konzert in Bonn zusammengewachsen seid, das es also genau zu diesem Zeitpunkt einen Kick gegeben hat, wo du gespürt hast, dass sich was tut.

Willi: Das würde ich jetzt nicht so sagen. Den Kick hat es bei mir spürbar mit dem Weihnachtskonzert 2007 in Neuss gegeben. Da hat man deutlich gemerkt, dass die Band noch sehr von der Publikumsreaktion überwältigt war. Es war das erste Konzert vor vielen Leuten. Vorher waren es so 300, 600 oder 800 Leute und in Neuss waren 1.700 Leute da. Und damit muss man als Band auch lernen umzugehen. Es kann passieren, dass die Leute dich beherrschen, deine Gefühle beherrschen. Das ist total falsch. Du musst als Band unabhängig davon sein, dich ganz auf deine Musik konzentrieren können. In Neuss haben wir da sehr viel gelernt, vielleicht war das Konzert ein bisschen zu früh. Und dann ging es so richtig mit Geseke, Olsberg, auch mit Bonn und Menden los. Da merkte ich, jetzt ist es eine Band geworden. Die Erfahrung aus Neuss, die ich vorhin erwähnte, die gehörte ganz bestimmt mit dazu. Vor vielen Leuten zu spielen, das zu handeln, sich auf die Musik zu konzentrieren und nicht auf die schreienden Leute, so toll wie das ist, das muss man trennen. Ich merkte dann mit den Auftritten im März, jetzt geht es da hin, wo wir eigentlich hin sollten.

Stephan: Ich hake dann gleich mal bei euch, Nuki und Manu ein, denn für euch war es ja sicherlich etwas Ungewöhnliches, vor so vielen Leuten und gerade so vielen Fans zu spielen, die eine hohe Erwartungshaltung hatten. Da war dann Hagen-Hohenlimburg sicherlich die erste Generalprobe, aber wie Willi gerade schon sagte, vor 1.700 Leuten ist das sicherlich was anderes. Wie war das Gefühl für euch?

Nuki: Das Gefühl ist überwältigend. Es ist für mich etwas ganz Neues gewesen, auf die Bühne zu gehen und schon Applaus zu bekommen, bevor man was gemacht hat. Das kennt man als Covermusiker natürlich gar nicht. Da muss man sich den Abend und den Applaus sehr stark erspielen. Dementsprechend finde ich es sogar leichter mit Grobschnitt auf die Bühne zu gehen. Man kann auf die Bühne gehen und sich auf den eigenen Part konzentrieren. Man muss jetzt keine wilde Show abliefern, die kommt dann automatisch. Man kann sich erst einmal auf sein Instrument beschränken und ein schönes Konzert haben, ohne das man wie wild da lostanzen muss. Das fand ich sehr gut.

Was den anderen Part angeht, das der Anspruch der Fans durch das Vorbild Lupo an die Gitarrenarbeit natürlich riesengroß war, das musste man natürlich verarbeiten. Aber ich glaube, das haben wir beide (Anmerkung: gemeint ist Manu) ganz gut hingekriegt. Ich hab da ein gutes Gefühl.

Stephan: Der Meinung bin ich auch. Und Manu, wie siehst du das?

Manu: Ja, für mich ist es jetzt auch das erste Mal, dass die Zuschauer für die Band kommen, für die ich spiele. Bisher trat ich mit meinen Bands immer bei kleineren Contests auf, bei denen halt mehrere Bands gespielt haben. Und dort kamen die meisten Fans aber nicht für die Band, in der ich spielte. Von der Anzahl der Zuschauer bin ich der Meinung, dass es egal ist, ob es 700 oder 1.500 sind, das macht dann nicht mehr so einen großen Unterschied. Oft sieht es vorne eh nach vielen Leuten aus, denn du kannst von der Bühne meist nicht bis hinten hin gucken, weil du geblendet wirst.

Stephan: Eure Soli, die werden auch immer besser und sie entwickeln sich auch immer weiter. Ich hatte zum Beispiel in Betzdorf das Gefühl, dass das E-Gitarrensolo wieder völlig anders als die Male zuvor klang. Wie geht ihr an eure Soli heran?

    

Nuki: In meinem Part habe ich schon die Möglichkeit zu improvisieren. Mein freies Solo ist im Grunde das „Solar Music“-Solo, ansonsten sind die meisten Parts durch die Vorlage von Lupo vorgeschrieben. Aber es gibt eben die freien Parts, die ich improvisiere. Das hat natürlich sehr viel mit Gefühl zu tun, mit einem guten Gefühl, das man haben muss. Wenn ringsherum alles stimmt und man gute Laune hat, dann wird ein Solo einfach noch mal besser. Ich glaube, wenn ich es Revue passieren lasse, ist mir das Solo in Betzdorf tatsächlich bis jetzt am besten gelungen. Ich habe da aber keine Linie, das jedes Mal zu reproduzieren, sondern gehe da relativ frei dran.

Manu: Bei mir sollten sich die Soli in dem jetzigen Programm eigentlich immer relativ ähnlich anhören. Ich habe die schon eher bewusst konstruiert und spiele sie auch grundsätzlich bis auf ein paar Läufe, die ich etwas variiere, immer gleich. Wenn man richtig gut drauf ist, dann legt man vielleicht noch ein bisschen mehr Gefühl rein, als sonst und es klingt dann auch ein bisschen besser. Im Prinzip sind es aber konstruierte Melodien.

Stephan: Rolf, du bist der einzige, der die ganzen Jahre im Profilager geblieben ist.

Rolf: Leider (lacht)

Stephan: Wenn du dir die Entwicklung jetzt anschaust, wie empfindest du sie aus Profisicht?

Rolf: Es ist schon genial, was in dem kurzen Zeitraum mit dieser Band und dieser Konstellation passiert ist. Vorweg muss ich betonen, es ist einmalig, dass zwei Generationen in dieser Band spielen. Also dass die jungen zusammen mit der alten Generation das Erbe bzw. die ganzen Sachen neu verwalten und dem Ganzen einen neuen Geist einhauchen. Das macht die ganze Sache auch so spannend. Als Profi hab ich natürlich auch den Einblick in ganz andere Konstellationen, das heißt man hat auch immer einen Vergleich zu anderen Bands. Man hat mit ganz anderen Leuten zu tun und man musiziert mit unterschiedlichen Menschen. Trotzdem ist es hier etwas ganz Besonderes. Wenn man bedenkt, dass wir vor knapp drei Jahren angefangen haben. Wir haben uns zwei Jahre zurückgezogen und immens viel geprobt. Das, was in der Kürze der Zeit entstanden ist, der gemeinsame Geist und das was wir auf die Bühne zaubern, ist ein ganz phänomenales Dingen. Das ist in Deutschland einmalig. Das zeichnet uns aus. Und es zeichnet uns auch aus, dass wir mit einer natürlichen, positiven Energie die ganze Sache über die Bühne bringen und ich glaube, das merkt auch das Publikum. Wenn man bedenkt, dass es ein Kraftaufwand ist, vier Stunden auf der Bühne zu musizieren, a) für uns da oben und b) für die Besucher da unten. Man muss da schon eine Menge Kraft aufbringen, das durchzustehen und das schaffen wir halt eben. Das ist das Besondere an der neuen Konstellation Grobschnitt.

Stephan: Ich komme noch mal auf die Fans zurück, du hast sie gerade schon angesprochen. Was hat euch das Fantreffen im Oktober dieses Jahres bedeutet? Ich persönlich hab es als sensationell empfunden, es noch nie so gut erlebt wie in diesem Jahr. Was hat es für euch für eine Bedeutung, dass sich seit 10 Jahren Menschen treffen, nur um die Musik von Grobschnitt zu hören, sich Konzertmitschnitte auf einer Leinwand anschauen? Und zum Jubiläum habt ihr es dann möglich gemacht, Grobschnitt live auf die Bühne zu bringen.

Milla: Uns war es natürlich immens wichtig, weil wir auch genau wissen, was wir unseren Fans zu verdanken haben. Ich hoffe, dass das auch rüber gekommen ist. Ohne unsere Fans hätte es wahrscheinlich Grobschnitt 2007/2008 nie gegeben, darüber sind wir uns natürlich vollkommen im Klaren. Seitdem wir wieder da sind, ist mit den Fans ein ganz besonderes Zusammensein entstanden. Ich weiß nicht, woran das liegt. Früher habe ich das so nie erlebt. Wir haben früher auch nie so oft die gleichen Leute dabei gehabt, die zu jedem Konzert kamen.

Willi: Das Verhältnis ist einfach enger als früher. Früher gab es eine große Distanz zwischen Gruppe und Fans, weil es für uns ein Schutzwall war. Sonst wäre es schwierig gewesen, professionell zu arbeiten. Es gab so viele Fans und die gingen uns wirklich manchmal auf den Geist. Heute gehen wir damit irgendwie anders um. Ich gehe da bewusster mit um und weiß es zu schätzen. Sag natürlich auch schon mal „Komm hier, jetzt reicht’s“. Aber es ist ein ganz anderes Gefühl. Ich wär früher nie, zum Beispiel wie jetzt in Betzdorf, einfach mal unten in den Keller gegangen, um mal zu gucken, was die da machen. Das hat was mit dem Bewusstsein zu tun, mit dem Alter, man ist ganz anders drauf und es kommt einem alles so sensationell, so wahnsinnig vor. Ich sage auch nicht Fan, ich sage Freunde. Es ist mittlerweile wie ein Freundeskreis. Fan, das Wort finde ich nicht so gut. Das sind irgendwie Freunde. Es ist toll und ein richtig gutes Gefühl. Das bringt mir was, das bringt den Leuten was. Und wenn die Leute sich im Forum unterhalten, bringt es den Leuten auch unwahrscheinlich viel. Das erfüllt richtig soziale Zwecke.

Das Berührendste in Betzdorf war, vor dem Konzert nach unten in den Keller zu gehen und die Leute und den kleinen Buben (Anmerkung: gemeint ist Merlin Bergmann) da am Schlagzeug zu sehen. Ein weiterer Kollege spielte dazu Keyboards (Anmerkung: der Keyboarder war Mocki Mockros). Das Zusammensein war einfach klasse. Da wurde nicht gesoffen, die haben da gestanden und sich unterhalten. Das war für mich ganz komisch. Ich fand das super. Da konntest du stehen bleiben und drei Stunden quatschen. Ich musste dann aber irgendwann aufhören. Ich hörte immer: „Die Stimme, die Stimme, die geht weg.“ Und dann war es in Betzdorf natürlich das längste Konzert, was wir in der Konstellation bisher gemacht haben. Das war schon fast ein bisschen viel. Danach waren erst einmal drei Tage Schongang angesagt. Aber es waren auch ganz große Augenblicke dabei. Sehr berührende Augenblicke, ich glaub auch für die Leute, für uns ganz bestimmt. Es war einfach schön. Es wird so in Erinnerung bleiben. Ich hatte viel von Betzdorf gehört. Es war weit weg von einem und jetzt war man plötzlich mittendrin. Für mich persönlich ein viel besseres Gefühl mit irgendwas dahin zu gehen, was man den Leuten geben kann, als nur mit meiner Geschichte, früher mal der Sänger der Band gewesen zu sein, dahin zu gehen. Das wäre mir nicht im Traum eingefallen, mit der Aussage nach Betzdorf zu gehen. Aber mich mit einer Gitarre oder einer Band dahinzustellen, das ist okay, das ist gut.

                   

Milla: Der Ausdruck Grobschnitt-Familie, der hat schon seinen Grund und ist nicht einfach so dahergesagt. Ich glaube, das empfinden die Fans auch so. Es ist schon eine richtig große soziale Gemeinschaft entstanden und das spürt man auch. Es ist natürlich eine ganz besondere Sache. Das liegt auch an der Internetarbeit, an diesen neuen Kommunikationsmöglichkeiten, die die Fans auch untereinander haben und das ist schon eine ganz tolle Sache.

Stephan: Ich kann das nur bestätigen. Ich habe gerade in Betzdorf das Gefühl gehabt, an einem Familientreffen teilgenommen zu haben. Willi, du sagtest gerade schon, dass es bewegende Momente in Betzdorf gab. Ich muss ehrlich sagen, dass ich euch noch nie so emotional „Rockpommel’s Land“ hab spielen sehen. Du hast das Stück an diesem Abend eurem kurz zuvor verstorbenen ehemaligen Mitstreiter Volker „Mist“ Kahrs gewidmet. Ich muss gestehen, dass ich Tränen in den Augen hatte und mit jemandem gesprochen hab, der bei dem Stück vor Rührung den Saal verlassen musste. Wie ist es euch dabei gegangen? Und wie ging es dir Deva? Du hast insofern ja auch einen ganz besonderen Part als Keyboarder. Was empfindet man da?

Deva: Ich hab es ähnlich empfunden. Jedes Mal dieses Stück zu spielen ist immer wieder was Neues, weil ich vor dieser Komposition höchste Hochachtung habe. Es ist unglaublich, was er damals da hingezaubert hat. Es ist nie gleich, aber es war in Betzdorf sehr besonders. Man hat das Gefühl, dass man sich mit einem Mal auf der Bühne verliert. Man taucht in eine andere Welt ein. Mir geht es dann so, dass ich mit einem Mal aufwache und denke „Wow, was ist hier in dem Moment passiert?“. Das ist schon sehr besonders. In Betzdorf hab ich das so empfunden. Ich bekomme dann manchmal beim Spielen eine Gänsehaut, weil ich da wirklich so drinstecke und in dieser Welt, die da passiert, aufgehe. Ich fand es auch sehr gut, dass die Ruhepausen die Willi zwischen „Ernie’s Reise“, „Anywhere“ und dem „Finale“ gefordert hat, außer der „Hupe“, auch von den Fans eingehalten wurden. Und selbst die war nicht in der Lage mich aus dieser Emotionalität herauszuholen. Es war auch für mich sehr bewegend.

Stephan: Wie schwer ist es denn die Arrangements zu spielen, die Volker komponiert hat? Gerade die älteren Stücke sind, wie ich finde, doch sehr komplex angelegt.

Deva: Ja, das ist sicherlich so. Das erfordert auch von mir die allerhöchste Konzentration. Da kann man dann auch keine Faxen mehr bei machen. Ich registriere manchmal gar nicht so richtig, was um mich rum vorgeht. Ich spiele manche Dinge auch bewusst mit geschlossenen Augen, um da drin zu sein. Von der Herangehensweise mache ich es so, dass ich mir die Sachen komplett rausschreibe, um sie zu verstehen. Ich schreib mir das erst einmal auf Papier und versuche das Ganze dann nachzuvollziehen. Da gibt es natürlich viel mehr als die schwarzen Punkte (Noten) auf dem Papier. Da geht es um Lautstärke und auch um wahnsinnig viel Gefühl. Es ist unheimlich schwierig. Ich war mir anfangs auch nicht sicher, ob ich dem gewachsen war. Das zu machen hat auch meinen ganzen Mut erfordert, muss ich gestehen. Wenn ich jetzt so zurückblicke, zum Beispiel auf Hohenlimburg, wo ich Zweifel hatte, das wirklich so hinzukriegen … Die Hochachtung ist inzwischen in keinster Wiese verfallen, sondern sie ist eher noch gestiegen, aber ich fühle mich mittlerweile wesentlich sicherer und es macht unheimlichen Spaß, das zu spielen. Es ist doch genau diese Musik, mit der ich groß geworden bin, die ich auch liebe. Ich mag dieses Märchenhafte und diese wunderschönen Arrangements, die Volker gemacht hat. Und ich bin sicherlich sein größter Fan.

Stephan: Kommen wir einmal auf das besondere Stück, „Another Journey“ zu sprechen, das ihr in Betzdorf gespielt habt. Dort wurde es ja uraufgeführt. Wie ich hörte, habt ihr es danach in Hildesheim auch gespielt. Ich denke es wird auch zukünftig zum festen Bestandteil des Programms werden. Bitte erzählt doch etwas über das Stück.

Milla: Ich hatte das Stück eigentlich schon für Hohenlimburg geschrieben, da war es schon fertig. Aber wir dachten, es wäre noch etwas zu früh. Die anderen kannten es auch noch gar nicht, denn ich hatte es bis dahin nur mit Manu zusammen gespielt. Wir wollten unheimlich gerne für Betzdorf etwas Besonderes machen. Dieses Stück „Another Journey“ ist ja wirklich ein Stück, das für die Fans gemacht wurde. Es geht im Text auch darum, dass man zusammen ist, diese Reise beginnt, noch mal zusammen auf die Reise geht. Dann wird die Vergangenheit, durch die ganzen Titel, die darin vorkommen, noch mal richtig aufgearbeitet und wir lassen sie Revue passieren. Zunächst hatten wir überlegt, ob wir noch mal einen weiteren alten Titel für Betzdorf einüben sollten. Und Willi sagte dann, es wäre doch toll, wenn wir mal wieder etwas Neues machen würden, ein eigenes, spezielles Geschenk an die Fans. Und ich sagte darauf hin, dass ich mal so einen Titel geschrieben habe. Dann haben wir uns zu zweit (Milla und Willi) getroffen und ihn eingeübt. Und Willi meinte, „Klasse, lass uns das machen“. Das Lied ist für Grobschnitt natürlich etwas Außergewöhnliches, weil wir so ein Stück ja in der Form auch noch nie gemacht haben (Anmerkung: die Melodie/Instrumentierung hat schon ein wenig etwas von den Eagles). Es ist eine ruhige, akustische Nummer. Aber irgendwie passte das auch vom Inhalt dazu und dann haben wir das gemacht. Wir haben das zuerst zu zweit, dann zu dritt geübt und kurz vor dem Konzerttermin haben wir uns dann gesagt, komm, lass doch alle mitspielen. Tattva hat dann noch sein Schifferklavier geholt und so haben wir das mit der ganzen Band gespielt. Es war wirklich geplant, es nur für Betzdorf zu machen. Dann kriegten wir aber so eine tolle Reaktion und uns selber hat es auch so wahnsinnig viel Spaß gemacht, weil es auch wieder eine ganz andere Fassette von uns zeigt. Ein Grobschnitt-Konzert zeigt ja schon ein riesengroßes Spektrum, was da geliefert wird, und dies wurde noch mal was ganz anderes. Da es uns auch so viel Spaß machte, dachten wir, nehmen wir es einfach mit ins Programm und spielen es jetzt jedes Mal. Das werden wir jetzt in Zukunft wohl auch machen.

Stephan: Sehr schön. Ich denke, die positive Resonanz war auch schon in Betzdorf deutlich zu spüren. Aber wird es das Stück auch irgendwann mal auf einen Tonträger schaffen?

Rolf: Sag niemals nie.

Deva: Wir lassen die Dinge kommen, wir lassen sie passieren.

Rolf: Kommt Zeit, kommt Tonträger und … (lacht)

Milla: Es ist nichts geplant, aber es ist völlig offen. Es kann durchaus sein, dass wir was machen und dann kommt es vielleicht drauf, vielleicht auch nicht. Das kommt darauf an, wie das dann wird. Es ist wirklich völlig offen.

Rolf: Wer hätte 1989 gedacht, dass …. So muss man das einfach sehen.

Willi: Wir sind einfach in der Situation, dass wir jedes Konzert, was wir jetzt haben, genießen. Fakt ist, das wir bis Januar 2009 zum Termin in Hagen, Konzerte geben. Das steht bis jetzt fest. Und wir probieren uns auf jedes Konzert vernünftig vorzubereiten und genießen die Konzerte, soweit es möglich ist. Und es ist meistens eigentlich ganz gut. Was dann kommt, da sind wir zum Teil dran, es ist ja auch kein Geheimnis, dass wir probieren, wenn es hinhaut, „Rockpommel’s Land“ komplett aufzuführen. Komplett von vorne bis hinten. Das ist nur einmal passiert, 1978, als das Album rauskam. Da musste ja selbst die alte Band passen, weil das zu schwer war, selbst mit Volker Mist an den Keyboards. Es sind Teile drin, die sind live fast unspielbar. Da sind wir jetzt schon gut am Arbeiten. Da kann man wirklich hoffen, dass es mal passiert. Aber es ist absolut noch kein Konzert geplant. Wir arbeiten nächstes Jahr wieder, lassen uns ein bisschen Zeit. Vielleicht spielen wir mal auf einem großen Festival, wenn wir wieder mal so nett eingeladen werden, wie dieses Jahr. Ein Festival war für mich bisher immer ein Angstgegner, aber spätestens seit Wuppertal haben wir gemerkt, dass wir eine Festivalband sind. Also auch wieder, was ich vorhin schon sagte, die Band muss wachsen. Einmal in Burg Herzberg gespielt und aus den Erfahrungen, die wir da gemacht haben, gelernt und in Wuppertal das dann perfekt umgesetzt. Das kann man ja nicht anders sagen, obwohl Eigenlob stinkt. Aber in diesem Fall ist es so. Man muss einfach sehen, was nächstes Jahr passiert. Also ich würde gerne mal wieder auf einem Festival spielen.

Alle anderen: lachen und es wird tumultartig.

Rolf: Du hast doch immer gesagt, scheiß Wetter ….

Willi: Ja natürlich nur wenn das Wetter gut ist. Aber mit einem vernünftigen Veranstalter wird das ja auch besser.

Rolf: Ich erinnere mich noch an die erste Anfrage. Da hieß es nur: „Geh mir weg mit dem Scheiß“.

Willi: Da hab ich doch Recht gehabt. Es ist einfach so, dass ich mit der alten Band bezüglich Festivals schlechte Erfahrungen gemacht hab. Es ist auch nicht einfach auf einem Festival zu spielen, gerade mit einer Band, die gerade jetzt erst 13 Konzerte absolviert hat. Eine Band, die auf einem Festival auftreten will, ist immer gut beraten, wenn sie ganz viel Livererfahrung hat. Dann wird sie nichts erschüttern können, denn auf Festivals ist alles anders. Aber es hat bei uns beim zweiten Mal schon erstaunlich gut geklappt. Wir hatten alle so ein bisschen Horror vor Wuppertal. Was da passierte, war eine ganz außergewöhnliche Situation, eigentlich noch schlimmer als ein Festival, weil da ganz andere Filme vorher abliefen. Aber es hat so gut geklappt. Also so etwas Professionelles von der ersten bis zur letzten Sekunde, das hat mich selber überrascht. Ich war so begeistert, dass ich selbst bei Stücken, bei denen ich gar nicht spielen musste, nicht von der Bühne gegangen bin. Ich hab einfach weiter durchgemacht. Ich will damit sagen, dass es so einen Spaß gemacht hat. So etwas kann nächstes Jahr passieren, vielleicht kommt ja einer und macht ein Festival mit uns. Es kann aber auch passieren, dass wir „Rockpommel’s Land“ so Ende des Jahres ganz spielen werden. Das könnte eine richtige Aufführung in Form einer zweiten Konzertreihe werden. Das jetzt war ja auch keine Tour, sondern eine Konzertreihe.

                   

Stephan: Hilft bei diesem komplexen Werk auch, dass Demian mit in die Tasten greift?

Deva: Aber ja, unbedingt. Er entlastet mich einfach an Stellen, wo Mist eine Hand mehr hatte als ich und es gibt mir auch wesentlich mehr Ruhe. Dass er einige Parts übernehmen kann, das wird bei „Rockpommel’s Land“ natürlich auch so sein, weil da auch einige Stellen drin sind, die mir größte Schwierigkeiten bereiten würden. Das, was wir im Moment nicht von „Rockpommel’s Land“ spielen, ist eigentlich das Schlimmste überhaupt, was Mist bei diesem Stück geschrieben hat (Anmerkung: hier ist der Schwierigkeitsgrad gemeint). Die schwierigsten Parts sind die, die wir ausgespart haben und die seit 30 Jahren auch aus gutem Grund nicht mehr gespielt wurden. Und das hilft natürlich enorm, dass Demian da helfen kann.

Rolf: Aber falsch, das ändern wir jetzt (Anmerkung: Mit der Änderung ist die Liveaufführung des kompletten Albums gemeint.)

Milla: Man muss natürlich sagen, dass wir dadurch, das wir mit zwei Keyboardern arbeiten auch Sachen spielen können, die früher gar nicht live zu spielen waren. Durch die Sounds der zwei Keyboards können wir uns auch teilweise mehr an den Studioversionen orientieren. Es sind durch die beiden Keyboards Sachen machbar, die früher gar nicht möglich waren.

Stephan: Toni, wird es dann auch den Ernie auf der Bühne wieder geben?

Toni: Ich werde mich wieder viel verkleiden. Das ist halt der Spaßfaktor an den Konzerten, den ich verkörpere und der werde ich bleiben und ihn noch steigern. Und es könnte durchaus möglich sein, dass Ernie zurückkehrt.

Stephan: Wie schwierig war es für dich wieder mit dem Singen anzufangen?

Toni: Es war nicht schwierig, wieder mit dem Singen anzufangen. Ich hab ja einen guten Lehrmeister hier in der Band. Es ist schwierig da zu bleiben, wo man ist und sich dann noch zu steigern. Also singen ist anfangs relativ einfach, nur das weiterzuentwickeln, ist das Schwierige. Weil er ist nun mal ein ganz strenger Chef, unser Willi …

Die Anderen: lachen.

Toni: … in Sachen Gesangsparts. Da muss man schon aufpassen.

Willi mit verzerrter Stimme: Tausendmal hab ich dir das gesagt.

Toni: Das ist dann schon sehr schwer.

Stephan: Das mit dem strengen Chef ist ein schönes Stichwort. Gerade bei den jungen Musikern interessiert mich, wie und ob sie einen Einfluss auf die Musik nehmen können. Oder sagen vielleicht die „Alten“, wo es langgeht? Welche Möglichkeiten habt ihr, da etwas mit zu entwickeln?

Manu: Bis jetzt ist es für uns ja letztendlich wie eine Coverband. Wir spielen ja nicht unsere Lieder, sondern Stücke von Grobschnitt, die wir ja nicht selber geschrieben haben. Und die sind ja größtenteils schon festgelegt. Wir haben natürlich auch schon ein paar neue Teile, was vor allem die Soli betrifft, gemacht und da bringt sich jeder ein. Aber ich denke, es wird richtig spannend, wenn es mal was Neues von uns geben würde. Bei „Another Journey“ haben wir dann ja kurz vor Betzdorf entschieden, dass wir doch alle mitspielen, da haben wir beide einfach spontan etwas zu gespielt. Aber letztendlich, so wie das Stück derzeit ist, hat sich jeder in gleicher Form eingebracht.

    
"Another Journey" wird geprobt

Nuki: Ich denke, das Mitspracherecht haben wir alle. Was den musikalischen Aspekt angeht, muss man aber sagen, dass der Vorsprung durch die Erfahrung unüberhörbar ist. Die Ideen sind oftmals ausgereifter, als die, die ich im Kopf habe. Das ist dann in anderen Teilen, wie zum Beispiel Showgeschichten oder Licht, wo ich mich sehr intensiv mit beschäftige, aber schon wieder anders, da gehen wir mit einer gewissen Frische ran. Deshalb ist auch die Zusammensetzung der zwei Generationen so gut, denn jeder lernt von dem anderen und alle sind auch gewillt vom anderen zu lernen. Aus diesem Grund hab ich auch kein Problem damit, dass einer mal mehr und der andere mal weniger zu sagen hat. Es passt alles so zusammen. Jeder hat was zu sagen und wir schmeißen das dann in einen Topf und probieren auch alles aus. Das machen wir solange, bis alle sagen „Okay, das ist der richtige Weg. So machen wir das.“

Stephan: Aber gerade so ein Stück wie „Könige der Welt“, das ist ja jetzt ein richtiger Livekracher geworden, unterscheidet sich meines Erachtens doch sehr von der Studioversion.

Milla: Wir haben da natürlich schon alle daran zusammen gearbeitet. Da haben sich die beiden Gitarristen auch komplett eingebracht. Da sind richtig neue Soloparts entstanden. Auch am Schluss von „Simple Dimple“, da gibt es dann auch einige Möglichkeiten, wo neue Sachen entstanden sind. Gerade die finde ich auch unheimlich genial. Wir haben wirklich zusammen gesessen und haben „Könige der Welt“, „Film im Kopf“ und „Komm und tanz“ völlig anders arrangiert. Und da spürt man auch die Handschrift der neuen Band. Das sind eigentlich völlig andere Stücke, als sie es damals waren. Daran erkennt man auch das Zusammenspiel, wie sich die Neuen mit ganz eigenen Ideen und Tatti vom Keyboard her eingebracht haben. Das sind für mich neue Stücke, die haben mit den alten kaum noch etwas zu tun. Klar, die Grundkompositionen stehen, das ist schon richtig. Aber bei diesen Stücken merkt man auch das unglaubliche Potenzial, was in der neuen Band steckt. Das empfinde ich jedenfalls so.

Willi: Und man merkt, das es eine gesunde Mischung ist. Die jungen Leute haben eine ganz andere Auffassung, bringen die ein und wir alten wissen vielleicht manchmal mehr abzuwägen, was machbar ist oder nicht. Grundsätzlich haben die Jungen ja immer Recht, aber wenn man das so miteinander verbindet … Es gab schon einige Situationen, wo beispielsweise Manu etwas gesagt hat und ich sagen musste „Er hat Recht gehabt“. Das ist gut so und das hört man auch diesen Stücken an, die wir verändert haben, wie „Könige der Welt“, „Komm und tanz“ und vor allem „Film im Kopf“. Da hört man auf einmal die ganze Arbeit der kompletten Band. Man hört, dass die Stücke anders als nur mit den alten Leuten damals geworden sind. Und die sind jetzt für mich einfach greifbarer, besser geworden und entsprechen der heutigen Zeit, der Band und unserem heutigen Gefühl Musik zum machen. Und deshalb spielen wir die auch ganz gerne. So wie die Stücke damals waren, hätten wir sie heute nie gespielt. Das war eine Entwicklung. Es ist schon eine Vorstufe zur eigenen Komposition gewesen, so ein Stück zu nehmen, ganz abzuändern und auf unseren Stand zu bringen. Quasi auf den Level von heute. Das ist eine sehr interessante Arbeit, die auf Eigenkompositionen hoffen lässt.

Stephan: Das klingt gut. Da komme ich dann auch gleich mal auf die Tonträger zurück. Wenn ich mir die Titelauswahl eures aktuellen Albums „Grobschnitt 2008 Live“ anschaue, stelle ich fest, dass neben „Sonnentanz“, das drauf musste, ansonsten nur Stücke zu finden sind, die bisher auf keinem Livealbum erhältlich waren. Was hat für euch den Ausschlag gegeben, genau diese Stücke auszuwählen?

Milla: Ursprünglich wollten wir wirklich nur „Sonnentanz“ veröffentlichen. Und um dieses zentrale Stück ging es eigentlich. Der zweite Aspekt war, dass wir noch ein bisschen Platz hatten und so ein paar Stücke zusätzlich drauf packen konnten. Und dabei war für uns wichtig, wie du schon gesagt hast, die Stücke mit drauf zu nehmen, die es in der Form noch nicht gegeben hat. Es hätte für uns wenig Sinn gemacht, jetzt zum x-ten Mal „Vater Schmidt“ oder „Rockpommel’s Land“, die ja schon recht häufig veröffentlicht wurden, neu herauszubringen. Wir spielen diese auch ziemlich nah am Original. Wir haben uns gesagt, dass wir nur die Stücke mit draufnehmen, die unsere ganz eigene Interpretation widerspiegeln und die es so noch nicht gegeben hat. Und da sind genau die Stücke, neben dem Medley, das auch einzigartig ist, drauf. „Komm und tanz“ hätte vielleicht noch mit drauf gekonnt, aber der Platz war schon begrenzt. Dazu kommt, dass die Aufnahmen davon in Bonn und Menden nicht so optimal waren. Wir hatten schon zwischen „Film im Kopf“ und „Komm und tanz“ gewählt und da gefiel uns „Film im Kopf“ besser. Wir wollten die Handschrift der Band zeigen und es heißt ja nicht umsonst Grobschnitt 2008. Diese Aufnahmen drücken die Band genauso aus, wie sie ist.

                   

Stephan: Jetzt gibt es unter den Fans auch einige Stimmen, die ein bisschen enttäuscht waren, dass das Album keine Doppel-CD geworden ist und nicht das komplette Konzert vorliegt. Könnt ihr das verstehen?

Milla: Klar, wenn ich Fan wär, hätte ich am liebsten auch ein ganzes Konzert.

Rolf: Gut, die gehen ja mit dem vierstündigen Eindruck nach Hause. Und so werden die sich natürlich wünschen, das ganze Grobschnitt-Konzert zu haben. Aber genau das ist ja die Kunst dabei, darauf verzichten zu können, bis eines Tages vielleicht die große Erfüllung kommt und es doch noch einmal machbar ist. Es hätte auch vor 20 Jahren keiner gedacht, dass wir a) wieder antreten und b) dass es überhaupt einen Tonträger mit neuen Aufnahmen gibt. Das war ja unter vielen Möglichkeiten eine. Und wir haben uns das mit Sicherheit auch nicht leicht gemacht. Wir haben uns gefragt „Müssen wir? Wollen wir? Können wir?“ und haben dann entschieden, das ganze live aufzunehmen, um es irgendwann zu beurteilen. Und die Band hat danach darüber befunden, dass das Material veröffentlicht werden soll. Das ist ja nach so vielen Jahren schon mal der Einstieg. Wenn wir jetzt sofort alles wieder verbraten hätten … Warum? Sag niemals nie. Vielleicht gibt es ja auch irgendwann mal etwas schönes Neues, vielleicht auch nicht, das werden wir dann eines Tages zur richtigen Zeit entscheiden.

Milla: Das ist ja eigentlich auch ein Kompliment. Wenn die Fans nach einer halben Stunde gesagt hätten „Das reicht. Die CD ist eigentlich schon viel zu lang“ … So sagen sie „Eigentlich würden wir gerne noch mehr hören.“ Das finde ich toll.

Deva: Das motiviert.

Willi: Grobschnitt 2008 ist eine Band, die alte Grobschnitt-Musik spielt. Grobschnitt 2008 ist aber auch eine Band, die ganz neue Musik spielt. Auf dieser CD ist neue Musik. Das ist für mich was ganz Neues. Die andere Geschichte hat lobenswerter Weise Erke gemacht. Wir wollten nicht zum x-ten Mal noch mal etwas herausbringen, was Erke bereits gemacht hat. Das brauchen wir nicht. Wir haben eine neue CD gemacht. Die neue Band ist auf der CD drauf, das ist für mich das Wichtigste.

Stephan: Das ist auch ein sensationelles Album geworden.

Rolf: Ich finde auch, dass es ein völlig neuer Abschnitt dieser Band ist. Die Geschichte muss neu geschrieben werden. Jede Konstellation hatte ihre Zeit. Wir haben jetzt diese Konstellation, die 2007 begonnen hat. Und genau so geht es 2009 oder 2010 vielleicht weiter.

Willi: Das finde ich das Wichtige, dass man hören soll, dass es zwar irgendwie noch das Alte, aber es auch was ganz Neues ist. Das hört man auf der CD und das war das Wichtigste für mich, denn ich wollte gar keine CD machen. Ich stehe nicht auf das finanzielle Ausschlachten von altem Material. Wir haben es gepackt und wir haben mit diesen Stücken was Neues gemacht. Und das ist genau so lang, wie es braucht. Ich habe gemerkt, dass man das sofort wieder laufen lassen kann. Da ist auch keine Ansage drauf, die einen nervt, wenn man sie dann zum dritten Mal hintereinander hört, weil es immer die gleiche ist. Da sind auch keine 24 Minuten Applaus drauf, was einem beim dritten Anhören auch nervt, was man dann immer wegskippen muss. Es ist alles so, wie es auf der CD ist, mit voller Absicht von der ersten bis zur letzten Sekunde, ganz genau wie unser Grobschnitt-Konzert auch.

Stephan: Ich traue es mich eigentlich gar nicht zu fragen, tue es aber trotzdem. Könntet ihr euch vorstellen, dass es weitere Liveveröffentlichungen auf CD oder noch besser auf DVD gibt?

Rolf: Kommt Zeit, kommt DVD.

Stephan: Eure Konzerte leben natürlich auch von euren optischen Effekten, die gehören einfach dazu. Grobschnitt darf man eigentlich nicht nur hören, man muss sie auch sehen.

Willi: Aus rein rechtlichen Gründen ist es etwas schwierig. Vielleicht gibt es sogar noch eine Möglichkeit, aber es steht erst einmal nicht an. Im Internet sehe ich doch alles, was ich haben will.

Milla: Aber man kann auch sagen, dass wir diese CD nicht geplant hatten. Hättest du mich vor einem halben Jahr gefragt, hätte ich geantwortet: „Keine Ahnung“. Wir haben irgendwann damit angefangen und was in der Zukunft ist, wissen wir einfach nicht. Wir lassen uns selber überraschen. Es kommen viele Sachen wirklich sehr spontan.

Willi: Der Druck der Freunde wurde zu massiv. (alle lachen) Die haben uns so genervt, vor allem unser Ralf Dreger, der draußen am Stand steht, der war so schockiert, weil die Fragen kamen „Wann kann ich denn von der Band mal was mit nach Hause nehmen“. Insofern ist noch was möglich.

Rolf: Alles ist möglich.

Stephan: Früher war Grobschnitt immer eine Art Familie, heute gibt es die familiären Verbindungen. Das Bandleben war früher sicher ganz anders als heute, da die Band ja mehr ein Wirtschaftsunternehmen war. Kann man das, was ihr heute macht, eher wie ein freundschaftliches Verhältnis verstehen?

Willi: Es war früher ja auch so, dass da wirklich sechs Künstler rumliefen und jeder war irgendwo ein Star oder auch nicht. Und jetzt 20 Jahre später trifft man sich erst einmal mit den Kindern, was natürlich auch ein ganz anderes Verhältnis ist und man hat auch Achtung voreinander. Wir alten Kacker, wir brauchen uns überhaupt nichts mehr zu beweisen. Wir sehen uns, weil wir ganz gut miteinander können. Mit anderen Alten würde es nicht gehen, aber diese Zusammensetzung, das geht. Wir Alten kommen prima miteinander aus. Und die anderen Bindungen sind ja zwangsmäßig (Anmerkung: gemeint ist das Verwandtschaftsverhältnis).

Rolf: Es ist natürlich schon ein freundschaftliches Verhältnis. Auch vor der Konstellation muss man sagen. Man kannte sich und hatte auch immer schon sehr positive Zeiten miteinander verbracht. Die ganzen menschlichen Sachen, die diese Band ausmacht, die sind bei dieser Konstellation ganz wichtig. Das geht halt über das Gefühl. Über die Freundschaft, die uns alle verbindet, war das möglich, was wir heute sind.

    

Nuki: Beim Musik machen ist es ja auch so, dass man sich halt sehr nahe kommt. Teilweise im positiven, aber auch im negativen Sinne. Das heißt, es wird auch viel und heftig diskutiert und man kriegt sich auch schon mal in die Wolle. Das geht aber auch nur mit Leuten, mit denen man sich richtig gut versteht und man hinterher sagen kann „Hör mal, es geht um die Sache und wir wollen doch alle das Gleiche.“ Und so sind auch Auseinandersetzungen, die es früher gab, die es heute auch gibt, nur möglich, weil man sich gut versteht. Das ist auch ein wesentlicher Aspekt, warum das Ganze so erfolgreich ist.

Milla: Ein riesiger Unterschied ist, dass der kommerzielle Aspekt wegfällt. Man musste früher zusammen bleiben und zusammen spielen, auch wenn es mal Theater gab. Man konnte nicht einfach sagen, dass man aufhört. Das ging gar nicht. Heute können wir wirklich sagen, wenn wir nicht mehr wollen, dann machen wir einfach nicht mehr weiter. Keiner ist abhängig davon. Wenn wir uns nicht gut verstehen und aus Freundschaft zusammen spielen würden, dann würden wir aufhören. Aber das Beste ist ja, dass wir zusammen spielen wollen. Früher war auch keine schlechte Stimmung innerhalb der Band, aber es war schon eher eine Zweckgemeinschaft. Es war unser Beruf, wir mussten zusammenbleiben und es war nicht so einfach. Heute ist das wirklich nur freiwillig und nur aus Spaß. Wir machen das so lange, wie wir es wollen und Spaß daran haben. Und das ist schon ein ganz anderes Grundgefühl. Ich genieße dieses Grundgefühl unheimlich. Ich hab früher auch gerne Musik gemacht und hab gerne mit der Band gespielt, das ist gar keine Frage, aber jetzt sind diese Unabhängigkeit und die Freiheit eine tolle Sache.

Deva: Ich denke, dass in unserem Alter auch dieser Jahrmarkt der Eitelkeiten ein Stückchen geschlossen ist. Das ist natürlich sehr positiv, außer bei Rolf natürlich, den will ich mal rausnehmen. (grinst)

Rolf: (lacht) Das ist falsch.

Deva: Es ist eben ein sehr positives Gefühl drin, weil du nicht so einzelne Leute hast, die ihre Eitelkeiten ausleben.

Rolf: Der Vorteil für uns ist auch, dass wir zu jeder Zeit entscheiden, welchen Schritt diese Band machen kann und muss. In der heutigen Zeit ist das völliges Glück. Was Milla gerade schon sagte, war es früher ein immenser Druck. Ich kenne den ja heute von einer anderen Konstellation. Es ist eine große Freiheit und große Gunst, die diese Band jetzt hat, das ist phantastisch, genial.

Stephan: Manu und Nuki, Grobschnitt-Musik zu spielen, es wurde vorhin schon angedeutet, ist für euch jetzt eher wie ein covern. Aber was bedeutet es euch, Grobschnitt-Musik auf die Bühne zu bringen?

Nuki: Ich bin mit der Musik und dem Gitarrenspiel von Lupo aufgewachsen. Und als ich dann selbst angefangen hab Gitarre zu spielen, hab ich mich erst einmal in eine ganz andere Richtung bewegt. Aber als Milla und ich die Idee hatten, das noch einmal auf die Bühne zu bringen bzw. die alten Songs zu spielen, hab ich gemerkt, wie leicht es mir fällt, das nachzuempfinden. Da geht es jetzt gar nicht um das technische und um die Art und Weise des Gitarrenspielens, sondern das Gefühl rüber zu bringen. Das Gitarrenspiel von Lupo ist mir einfach sehr, sehr nah, weil ich es einfach ganz innig kenne. Ich habe, glaube ich, so viele Grobschnitt-Konzerte gesehen, wie sonst von den Zuschauern keiner. Ich habe auch so viel Musik gehört, also wenn ich nicht auf einem Konzert war, habe ich zu Hause halt diese Musik gehört. Ich kenne da jede Sekunde auswendig und ich weiß halt, welche Emotionen dahinter stecken. Deshalb brauchte ich auch beim Üben und beim Raushören gar nicht das Original als Vorlage, sondern ich konnte relativ viel aus dem eigenen Gefühl, dem eigenen Bauch raus spielen, weil ich es einfach sehr gut kenne. Es ist für mich schon ein bisschen mehr als covern, eigentlich so meine Kindheit oder ein Großteil meines Lebens.

Manu: Das ist bei mir natürlich etwas anders, weil ich neun Jahre jünger bin (lacht). Ich war halt da noch viel zu jung, als Grobschnitt noch aktiv waren. 1989 war ich sechs Jahre. Ich habe auch relativ spät angefangen Grobschnitt zu hören. Für mich bedeutet es einfach, richtig gute Musik zu spielen. Das macht einfach Spaß. Ich komme ja musikalisch aus einer ganz anderen Richtung. Das, was ich in meinen bisherigen Bands gespielt habe, ging mehr so in die Richtung Alternative Rock, das war bisher nicht so komplex. Aber Bands wie Pink Floyd oder Genesis habe ich auch schon immer gehört. Ich war da schon immer in alle Richtungen offen, was Musikgeschmack angeht. Für mich geht es eigentlich nur darum, gute Musik zu spielen und am besten natürlich vor einem großen Publikum.

Stephan: Du hast dann auch noch eine andere Band nebenbei, oder ist das Thema gestorben?

Manu: Nein, die habe ich noch. (lacht) Sie heißt Soninlaw und Demian sitzt dort hinterm Schlagzeug. Leider passiert da aber momentan aus Zeitgründen etwas zu wenig. Demian hat ja zusätzlich auch noch die Band Lautstark. Und dann ist da nebenbei auch noch ein relativ zeitaufwändiges Studium, was studiert werden will. Trotzdem kannst du dir das ganze natürlich durchaus mal anhören, zum Beispiel auf www.myspace.com/soninlawmusik beziehungsweise www.lautstark-rockt.de .

Stephan: Nuki, wie sieht es bei dir aus?

Nuki: Ja, ich hab auch noch andere Projekte, das läuft aber unter ferner liefen, weil es zeitlich einfach nicht drin ist, etwas anderes zu machen. Mein Leben sieht im Moment so aus, dass ich den ganz normalen Bürojob mache und dann die Musik mit Grobschnitt. Daneben bleibt mir von meiner restlichen Freizeit eigentlich nichts mehr übrig, deshalb hab ich auch wenig Zeit irgendetwas anderes zu machen. Im Moment würde ich es auch geistig gar nicht hinbekommen, großartig etwas anderes zu machen, weil ich mit der ganzen Geschichte ausgelastet bin. Es nimmt mehr ein, als ein normales Hobby, wo man einmal in der Woche zum Fußballtraining geht. Gerade durch die Konstellation, die wir zusammen haben, ich wohne ja auch mit meinen Eltern zusammen in einem Haus, unterhalten wir uns eigentlich jede Sekunde nur über Musik und auch nur über Grobschnitt. Seitdem das jetzt angefangen hat, gibt es in unserem Leben nicht anderes mehr, als dieses Projekt.

Stephan: Vielen Dank für das tolle, offene Gespräch. Es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht.

Stephan Schelle

   
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