Interview mit Bernd Kistenmacher
20.02.2010 beim Schallwelle-Preis

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Am Rande der Schallwelle-Preisverleihung hatte ich die Gelegenheit mit Bernd Kistenmacher ein Interview zu führen, das ihr hier in voller Länge lesen könnt.

Stephan: Bernd, du hast zwischen 1986 und 1999 eine ganze Reihe an Alben veröffentlicht. Du warst in dieser Zeit sehr erfolgreich und gehörtest zu den angesagtetsten Künstlern in der Elektronikszene. Deine Musik zeichnete sich immer dadurch aus, dass sie sehr von der „Berliner Schule“ geprägt war. Das ist natürlich kein Wunder, wenn man weiß, dass du in Berlin beheimatet bist. Wie sehr haben dich die Künstler Tangerine Dream und Klaus Schulze beeinflusst?

Bernd: Wenn überhaupt, dann Klaus Schulze. Das war schon massiv, man könnte sagen dass es damals schon fast eine genetische Umprogrammierung war. Elektronikmusik habe ich schon in jungen Jahren gehört. Das heißt ab Anfang der 70’er Jahre, da war ich 10 oder 11 Jahre alt und bin an Musik von Pink Floyd oder auch an die Silver Apples herangeführt worden. Ich kam dann auch relativ zeitnah an die Musik von Kraftwerk. Und solche schräge Geschichten, wie diese damals waren, haben mir einfach gefallen. Das hat mich dann von der ersten Minute an einfach in Beschlag genommen. Klaus Schulzes Musik kam für mich etwas später, und zwar mit seinem Album „Moondawn“, das 1976 rauskam. Mit „Floating“ hat es mich dann erwischt. Er hatte dadurch sozusagen in meinem musikalischen Leben oberste Priorität, noch mehr als Tangerine Dream. Aber logischerweise beeinflussten mich zu diesem Zeitpunkt auch noch die Sachen, die von Ashra bzw. Ash Ra Temple und Michael Hoenig kamen.

Stephan: Und du hast Klaus Schulze auch persönlich kennen gelernt?

Bernd: Ja, denn ich habe vor Jahren mit Klaus zusammengearbeitet, als wir seine „Silver Edition“-CD-Box herausbrachten. (Anmerkung: Die zehn CDs umfassende Box ist in 1993 auf Bernd’s Label Musique Intemporelle erschienen). Wir hatten uns aber bereits vorher getroffen.


Copyright Dominique Pelletier
(mit freundlicher Genehmigung von Bernd Kistenmacher)

Stephan: Wann war das genau?

Bernd: Im Jahr 1989 haben wir zusammen in Dresden in der Jungen Garde - beim Electronics Live-Festival - auf der Bühne gestanden. Das war gut drei Monate vor dem Mauerfall. Es wusste damals noch keiner was bald passieren würde. Wir waren Gäste der DDR, vom Jugendradio DT 64 – zwei bekannte Ost-Acts und zwei aus dem Westen – wurden dafür eingeladen. Klaus Schulze war natürlich der Top-Act. Und das war für mich natürlich die Gelegenheit, wo ich vor 6.800 Leuten mal richtig Gas geben konnte.

Stephan: Wie bist du zur Elektronikmusik gekommen? Du hast 1976 den Kontakt zu Schulze’s Musik bekommen, aber da fängt man natürlich nicht sofort an Musik zu machen. Was hat dich dazu bewegt?

Bernd: Na gut, musikalisch vorgeprägt war ich schon alleine dadurch, dass ich als Kind Klavierunterricht bei meinem Vater hatte. Er hat zumindest versucht es mir beizubringen. Ich war aber nicht so wahnsinnig erfolgreich, sodass ich es dann irgendwann abgebrochen habe, weil es mir doch zu anstrengend war, immer regelmäßig zu üben. Und es wird ihm wahrscheinlich auch nicht gefallen haben, was ich da so zelebriert habe, aber zumindest war die Liebe zu den Tasten geblieben. Ich habe eigentlich ziemlich spät angefangen Musik zu machen. Das war so um 1980 rum. Das geschah einfach aus der Unzufriedenheit heraus, auch über die damalige Musik von Klaus Schulze und aller anderen großen Heroes, die angefangen hatten ihren Stil zu ändern und nicht mehr die Musik machten, die ich hören wollte. Ich hatte Schulze 1977 / 1978 live erlebt und wusste, was er drauf hatte. Und als sich die Musik dann änderte, wollte ich das für mich so einfach nicht akzeptieren. Da sagte ich mir dann, dann fängst du halt selber an Musik zu machen. Und deswegen kam es zu dieser inhaltlichen Fortführung der „Berliner Schule“.

Stephan: War das auch der Zeitpunkt als die Musiker von analoger auf die digitale Technik umschwenkten?

Bernd: Nein, das war später. Ich hab ja angefangen …

Stephan: Ich meine mehr, dass dir die digital erzeugte Musik dann nicht mehr gefallen hat.

Bernd: Ach so, ja, das denke ich schon. Ja, das waren damals die ersten digitalen Synthesizer. Der Einsatz von Samples usw. Klaus Schulze hat damals als einer der ersten mit diesem GDS Synthesizer und dem Fairlight gearbeitet, eine superteure Maschine. Damit hatte sich auch die Musik deutlich gewandelt. Sie wurde mir einfach deutlich zu kalt. Da dachte ich mir dann, dass ich selber daran arbeiten müsste, wenn ich dass in irgendeiner Form halten wollte.

Stephan: Du hast ja eine ganze Reihe von CDs veröffentlicht. Die letzte ist aus dem Jahr 2001, auf der das Konzert aus Italien (Bologna) dokumentiert ist. Was hat dich bewogen danach mit dem aktiven Spielen aufzuhören oder haben wir - die Elektronikfans – alle nicht mitbekommen, dass du weiter aktiv warst?


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(mit freundlicher Genehmigung von Bernd Kistenmacher)

Bernd: Aktiv im Sinne von weiterspielen, war ich natürlich schon. Ich bin damit bloß nicht an die Öffentlichkeit herangetreten. Es war dann schon die Entscheidung im Jahr 2000, nach einem ziemlich ungünstig verlaufenden Konzert in Bologna, zu sagen dass es in der Form, wie es damals ablief, nichts mehr bringt. Zu dem Zeitpunkt lief eigentlich überhaupt nichts mehr. Mit meinem eigenen Plattenlabel war ich damals wirtschaftlich am Ende. Da war dann auch der Punkt erreicht, meine Energie lieber in andere Geschichten zu investieren. Ich hab dann dieses Musikthema wirklich ruhen lassen. Ich hatte mir gesagt, dass eigen veröffentlichte Platten, eigen gepresste Platten, nicht mehr herauskommen, weil soviel Ungemach daran hängt, die mir die Freude am Spielen genommen hat. Ich wollte es halt nicht mehr. Nach Außen war ich in dieser Zeit nur noch Privatmensch.

Stephan: Das heißt, dass du auch weiter komponiert und mehr für dich allein gespielt hast?

Bernd: Da gab es wirklich eine Menge an Umbrüchen im musikalischen, wie auch im Privatleben. Ich bin danach noch mal zur Abendschule gegangen und habe studiert. Dann sind wir umgezogen und solche Geschichten … Als ich dann das erste Mal soweit war, wieder Musik machen zu wollen, rauchte mir mein liebstes Mischpult ab. Die ganze analoge Technik, die ich damals noch hatte war ziemlich fertig. Da war dann für mich die Zeit gekommen, Studiotechnisch um- und aufzurüsten. Also fing ich da auch wieder von vorne an, was auch wieder Zeit gekostet hat. Die Jahre sind so relativ schnell – aber nicht ereignislos – vergangen. Wäre ich nicht gefragt worden, würde ich wahrscheinlich auch heute noch nicht wieder ein Konzert geben.

Stephan: Das bringt mich zu deinem letztjährigen Album. „Celestial Movements“ heißt es und war aus meiner Sicht wahrlich ein Hammer-Comback von dir, wenn ich das mal so sagen darf. Das Teil hat mich wirklich umgehauen. Und wenn es nicht so spät im Jahr erscheinen wäre, dann wär es für mich ein absoluter Topfavorit für das Album des Jahres gewesen. Als ich die CD bekam bin ich zunächst mit gemischten Gefühlen an die Sache rangegangen. Ich kannte deine älteren Alben und habe so bei mir gedacht, was denn noch so kommen könnte. Wird es vielleicht eine Weiterführung deines bekannten Stils sein? Und schon nach wenigen Momenten bin ich völlig überrascht worden, denn ich hörte etwas völlig anderes und für mich unerwartetes. Da stellt sich mir sofort die Frage, wie du an die neue CD herangegangen bist. Hast du neue Technik entdeckt und auch neue Einflüsse von anderen Produktionen oder Bereichen auf dich wirken lassen?

Bernd: Sicherlich hatte ich in den Jahren auch sehr viel Zeit über Musik nachzudenken. Ich habe mir schon Gedanken darüber gemacht, wie es inhaltlich weitergehen könnte. Für mich war eine Konsequenz sicherlich die, gute Ideen nicht mehr in epischer Breite zu spielen, bis sie endgültig Tod sind. Das führt logischerweise dazu, dass man kürzere Stücke macht oder dass man zumindest längere Stücke unterbricht oder Brüche einbaut oder im Stück versucht es musikalisch in eine andere Richtung zu bringen. Ich habe das auf dem neuen Album ziemlich oft praktiziert und da hat mir sicherlich auch das neue Equipment, das ich aktuell benutze, sehr geholfen. Ich hatte halt eine Wahnsinnspalette an Sounds zur Verfügung und so ziemlich viele Dinge ausprobieren können. Es gab da sicherlich auch die Momente, wo die Ideen einfach so flossen.

Stephan: Was bedeutet der Albumtitel?

Bernd: Auf dem CD-Cover ist eine Röhrenstruktur abgebildet, bei der es sich um das Horizont-Observatorium auf der Halde Hoheward handelt, das sich im Ruhrgebiet in der Nähe von Recklinghausen befindet. Im Jahr 2008 habe ich das durch Zufall in einer Fernsehsendung entdeckt und war sofort begeistert, weil mich diese Struktur so an die „Maschine“ genannte Installation aus dem Science Fiction-Film „Contact“ erinnerte. Der Film basiert auf einem Roman von Carl Sagan. Und das Gerät ist eine Maschine, mit der man durch Wurmlöcher öffnen und durch’s Weltall fliegen kann. Sie besteht auch aus gigantischen, sich drehenden Ringen, die auch noch gegeneinander zirkulieren und das sieht einfach total irrsinnig aus. Als ich dann dieses Observatorium sah, war ich total gefangen von dieser Struktur. Und es handelt sich ja tatsächlich um ein Observatorium, nicht nur um eine Installation, die hübsch aussieht. Sie hat einen tatsächlichen astronomischen, wissenschaftlichen Nutzen und man kann Sonnenläufe und Sternenstände usw. daran ablesen und astronomische Himmelsbeobachtungen machen. Insofern war der Albumtitel dann relativ einfach. „Celestial Movements“ heißt ja eigentlich himmlische Bewegung und in dem Fall war es konkret auf die Struktur des Observatoriums bezogen. Auf der anderen Seite habe ich natürlich auch versucht einen sehr melancholischen Sound zu finden, der auch bei dem ein oder anderen Hörer zu der Reaktion führen kann, dass er sich sagt: „Mensch das ist ja himmlisch“. Ich mach das auch gerne immer ein bisschen zweigleisig, nutze auch immer ganz gerne eine übergeordnete Bedeutung. Und das ist auch bei den Titeln der einzelnen Tracks so zu sehen. Also gibt es immer eher einen konkreten, nahe liegenden Bezug und dann auch immer noch etwas Übergeordnetes.

Stephan: Welche Resonanz hast du bisher auf dein neues Album bekommen?

Bernd: Jetzt im Februar ist die Platte gerade ein Vierteljahr draußen und meine Plattenfirma ist sehr zufrieden, was schon mal ein gutes Zeichen ist (lacht). Der Start war, glaube ich, sehr gut. Wie es sich weiterentwickeln wird, weiß ich nicht, aber ich glaube, dass die Platte schon eine deutliche Beachtung gefunden hat. Was mich leider immer noch so ein bisschen bedrückt, ist natürlich die Tatsache, aber damit haben wahrscheinlich alle Kollegen der Branche zu kämpfen, dass kein entsprechendes Airplay im Radio stattfindet. Ich glaube, dann hätten wir alle noch ganz andere Reaktionen bekommen. Deshalb wird bei mir der Ruf nicht aufhören, gegen den öffentlich rechtlichen Rundfunk zu wettern, der (bis auf den RBB und den HR fast) nicht in der Lage ist, diese Musik zu spielen. Und das ist skandalös.

Stephan: Dann hast du mit deinem neuen Programm auch schon ein erstes Konzert in Paris gespielt. Wieso gerade in Paris?


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(mit freundlicher Genehmigung von Bernd Kistenmacher)

Bernd: Da gibt es auch eine Vorgeschichte zu. Und zwar gibt es in Frankreich seit vielen, vielen Jahren – wenn nicht schon seit Jahrzehnten – so eine Fanorganisation, die Cosmiccagibi (www.cosmiccagibi.org) heißt. Das sind so ein paar Leute um den Franzosen Olivier BÉGUÉ, die sich ursächlich als Klaus Schulze und Tangerine Dream-Liebhaber der elektronischen Musik verschrieben haben und versuchten diese Geschichten am Laufen zu halten. Man könnte so sagen, dass sie die französische Antwort auf Schallwende sind. Sie sind also im November 2008 in Berlin gewesen, als Klaus Schulze mit Lisa Gerrard ein Konzert gegeben hat. Wir kannten uns schon seit Jahren per Email und da schrieben sie mir „Mensch Bernd, wir würden dich gern mal treffen“. Wir trafen uns dann an dem Abend und die Frage kam auf, ob ich nicht mal wieder Lust hätte auf die Bühne zu gehen. Und diese Frage kam, ohne dass sie nun wussten, dass zeitgleich MellowJet Records an mich mit der Anfrage herangetreten war, eine neue Platte zu machen. Da war die Motivation, wieder etwas zu machen, quasi schon doppelt da. Das war die Initialzündung für mein Comeback. Ursprünglich war Bordeaux für das Konzert vorgesehen, das hat dann aber aus organisatorischen Gründen nicht geklappt. Darüber hinaus sollte es auch terminlich viel früher sein, als der Gig in Paris. Es ist dann schließlich aber erst Herbst geworden.

Stephan: Und jetzt sehen wir dich am 12. Juni im Planetarium in Bochum. Was wirst du dort spielen? Ich denke der Hauptteil wird sicherlich aus dem Material der neuen Platte bestehen. Oder wirst du gar was Älteres oder sogar Unveröffentlichtes zu Gehör bringen?

Bernd: Zur Zeit arbeite ich bereits an meinem nächsten Solo-Album. Das wird eine großartige Sache, die überhaupt nichts mit Weltraumthemen zu tun haben wird, denn meine neue Musik ist von „Der Schwarm“ von Frank Schätzing inspiriert. Kein Roman hat mich in den letzten Jahren so beeindruckt, wie dieser!

Bzgl. der Veröffentlichung will ich jetzt keine Versprechungen abgeben, ob wir es schaffen die CD bis Bochum fertig zu haben. Auf jeden Fall wird aber bis dahin neues Material entstehen und das will ich in jedem Fall in Bochum spielen. Sicherlich ist aber auch was von „Celestial Movements“ dabei. Alles Weitere wird sich dann vor Ort zeigen. Das Konzert wird übrigens von Schallwende e.V. veranstaltet (www.schallwen.de). Ein Umstand, der mich sehr glücklich macht.

Stephan: Wie sehen deine weiteren Pläne aus? Was wird es Solo von dir geben oder ist auch ein Projekt mit anderen Musikern geplant? Du bist ja seinerzeit auch Kollaborationen mit anderen Musikern eingegangen, wenn ich da mal an Harald Grosskopf denke. Was schwebt dir da so vor?

Bernd: Grundsätzlich interessiert mich so etwas sehr. Musikalisch würde ich aber in eine andere Richtung gehen. Ich würde eher mit Musikern zusammenarbeiten, die nicht aus der Elektronikszene kommen, sondern eher eine ganz andere Schiene bedienen. Es würde mich auch reizen dann mit Gesang oder mit einem Streichorchester zu arbeiten.


Copyright Dominique Pelletier
(mit freundlicher Genehmigung von Bernd Kistenmacher)

Ja und dann wird es eine noch engere Zusammenarbeit mit Roland Deutschland geben. Zunächst präsentiere ich auf der kommenden Musikmesse (26. und 27. März) meine Musik mit Synthesizern aus dem Hause Roland, die ich im Studio ja auch schon bereits benutze. Das ist eine Zusammenarbeit mit dem Synthesizer-Magazin, für das ich gelegentlich Artikel schreibe. Wenn das auf der Messe gut läuft, könnte es im Herbst 2010 dazu noch weitere Veranstaltungen geben. Überlegungen dazu werden bereits angestellt.

Stephan: Zurück zur Musik. Du würdest dann eher im klassischen Bereich eine Kollaboration und nicht im Rockbereich suchen?

Bernd: Ja, ich mag ja doch mehr den großen klassischen Klang, als das minimalistische. In der Richtung würde ich gerne mal arbeiten. Die nächste Produktion wird aber erst einmal Solo sein. Und dann schauen wir mal wie es weitergeht.

Stephan: Wird die neue Produktion wieder bei MellowJet herauskommen?

Bernd: Ja, das will Bernd Scholl machen und wir sind bereits in konkreter Planung.

Stephan: Danke für das Interview.

Bernd: Ich habe zu danken.

 

Aktuelle Infos über Bernd Kistenmacher unter www.bernd-kistenmacher.blogspot.com

Label: MellowJet Records (www.mellowjet.de)

Stephan Schelle, März 2010

   
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