Interview mit Anton Zinkl
Per Email im Februar 2021 geführt

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Im Jahr 1978 sangen Kraftwerk auf ihrem grandiosen Album „Die Mensch-Maschine“: „Wir sind die Roboter .... Jetzt woll’n wir tanzen: Me’kanik …“. Ende 2020, also 42 Jahre später, veröffentlicht der im Jahr 1960 geborene Münchner Anton Zinkl auf seinem neuesten Album „Tanzmusik für Roboter“. Seit 1994 erschienen zehn Alben mit progressiver Kammermusik von Zinkl, sein neuestes Werk ist die Nummer elf. Wenn man sich die Namen der Interpreten, die er in den 70’er Jahren gehört hat wie Uriah Heep, Deep Purple, Black Sabbath, Led Zeppelin, Jethro Tull, Genesis, Yes, ELP, Van der Graaf Generator, King Crimson, Gentle Giant, Steely Dan, Gustav Mahler, England, Kate Bush, UK und Claude Debussy ansieht, findet man allerdings keine Interpreten der „klassichen“ Elektronikmusik.

Anton, du machst seit mehr als 25 Jahren Musik. Wie bist du zur Musik gekommen und wie würdest du sie selbst beschreiben?

Musik hat mich seit meinen ersten Teenagerjahren intensiv begleitet – im Nachhinein empfinde ich es als eine wunderbare Entdeckungsreise, vom Einfachen hin zum Komplexen, beginnend mit Slade, bis hin zu den progressiven Großmeistern wie Gentle Giant und King Crimson. Ich wurde zum begeisterten Schallplattensammler, dabei hat mich das Ungewöhnliche und Unerwartete immer mehr angezogen.

Mit 14 bearbeitete ich eine Farfisa Heimorgel und fühlte mich wie Keith Emerson. Ich nahm komische kurze Stücke auf Tonband auf. Aber erst Ende der 80er Jahre war ich wirklich angetriggert von den (aus heutiger Sicht sehr limitierten) Samplingmöglichkeiten des Korg M1 Keyboards. Ich begann damit intensiv zu komponieren. Ein paar Jahre später erwarb ich die Urversion der Software Cubase – mit Miditechnologie und einem sehr langsamen Mac-Rechner konnte ich endlich komplexere Strukturen zusammenstellen.

Als Grafik-Designer für CD-Covers bekam ich Kontakt mit Christoph Bühring-Uhle (BSC Music) und er unterstützte mich, dass ich 1994 mein erstes CD-Album veröffentlichen konnte.

Ich musiziere mit rein elektronischen Mitteln, arbeite seit 20 Jahren ausschließlich mit virtuellen Synthesizern. Als „klassischen“ Elektronikmusiker habe ich mich trotzdem nie gesehen. Ich kenne natürlich Tangerine Dream, Klaus Schulze und ein paar Kraftwerk-Hits, habe das aber im Vergleich zum Progressive Rock nie mit Begeisterung gehört. Steely Dan hat mich dagegen, was Melodieführung und Gebrauch ungewöhnlicher Harmoniefolgen betrifft, so richtig geflasht.

Meine Musik sind „merkwürdige“ Stücke einer progressiven Rockband, deren virtuose Mitglieder als unsichtbare Geister im Rechner wirken – so sehe ich das. Okay, beim aktuellen Album sind die Musiker wohl Maschinenmenschen. 

Du hast gerade mit „Tanzmusik für Roboter“ Ende 2020 ein neues Album herausgebracht. Das Erste, was auch schon beim Cover und dem Titel assoziiert wird, ist die Nähe zu der Düsseldorfer Elektroniklegende Kraftwerk. Wie stehst du selbst zu der Musik von Kraftwerk?

Man könnte nun meinen, ich sei ein großer Kraftwerkfan. Tatsächlich bin ich aber ein großer Fan von Science Fiction und das Thema „Roboter“ hat mich schon immer fasziniert. Nachdem auf meinem letzten Album „Kinder der Nacht“ ein waschechter Bariton ziemlich dramatisch meine deutschen Gedichte sang, hatte ich erneut Lust auf Gesang. Wenn ich selber singe, schmerzt mir das allerdings in den Ohren. Daher verband ich meine Roboterliebe mit meiner Stimme und experimentierte erstmals mit Vocodersoftware. Das hat großen Spaß gemacht – dass ich damit einen Bezug zum kraftwerk’schen Roboterlied herstellen würde, war mir zwar bewusst, aber diese klassischen Robotvoices gab es ja öfters in Musik und Film, zum Beispiel in Kubricks „2001- Odysee im Weltraum“.

Du schreibst also auch Gedichte. Sind das Texte, die du auch vertonen willst, oder stehen die allein für sich?

Damit meinte ich die Songtexte. Lyrics denke ich mir nur aus, wenn ich in die Musikstücke Gesang einbauen will. Das ist ja bisher relativ selten geschehen: In der Zusammenarbeit mit Alkimia Lux auf dem Album „Underwater“, für den Bariton und eben nun, für die Maschinenstimmen.

Was mir wirklich wichtig war: diese Stimmverzerrungen in komplexe musikalische Strukturen einzubinden, die sich nicht zwingend beim ersten Anhören gleich erschließen müssen. Ich wollte viel Rhythmus, aber ich wollte es auch bizarr und „maschinenkalt“, durchaus tanzbar, aber auch befremdlich. Eine mögliche Nähe zu Schönbergs Zwölftonmusik ist mir manchmal durchaus willkommen, das ist wohl der größte Unterschied zu den Düsseldorfern.

2001 entstand mein rein instrumentales Album „Dance Music for Insects“. 20 Jahre später wollte ich die Roboter tanzen (und sprechen) lassen.

Ich muss gestehen, dass ich beim reinen Hören des Albums auch nicht alle Texte verstanden habe. Da ist es hilfreich, dass du sie im sechsseitigen Digipack abgedruckt hast.

Ich verstehe oft bei deutscher Rockmusik die Texte nicht, sogar manchmal bei Reinhard Mey‘s Liedern und bei Grönemeyer sowieso. Daher wollte ich schon, dass man die Texte so gut wie möglich verstehen kann, aber das ist beim Einsatz von Vocodereffekten gar nicht so leicht. Ich habe daher bewusst bei den Stimmen die Untergrundsounds stark zurückgenommen, um die Verständlichkeit zu steigern. Ja, das ist schon der Nachteil, wenn man die Lieder nur über Streamingportale hört, man bekommt keine Songtexte mitgeliefert.

Stellt dein Album eine Hommage an die Musik von Kraftwerk dar oder war die Nähe dazu eher zufällig und ist während des Komponierens entstanden?

Nein, „Tanzmusik für Roboter“ war nie als Hommage an Kraftwerk gedacht, aus meiner Sicht ist meine Musik (abgesehen von der Machart mit rein elektronischen Mitteln) auch ziemlich anders. Aber ich gebe gerne zu, dass das Lied „Freie Fahrt“ eine ironische Anekdote zu Kraftwerks Autobahn-Lied darstellt. Bei Kraftwerk fahren allerdings die Menschen noch auf der Autobahn, bei mir gibt es keine Menschen mehr auf der Erde, nur noch freiheitsliebende Robots, die sich darauf tanzend vergnügen – und dabei auch deutlich hörbare Kollisionen verursachen.

War von Anfang an bereits ein Konzeptalbum geplant?

Zuerst gab es nur das Lied „Aufstand“. Es geht darum, dass weltweit alle robotergesteuerten Prozessautomatisierungen ihre Arbeit niederlegen: Die Roboter wollen nicht länger Sklaven der Menschen sein, sie wollen lieber selbstbestimmt sein und tanzen. Weil sich die Menschen das aber nicht gefallen lassen wollen, entwickeln die Robots ein Virus, welches die Menschheit „wegbringt“. Eine makabre Idee, angesichts der realen Pandemie, ich weiß.

Ziemlich schnell kam mir dann die Idee, dass Thema weiterzuspinnen: Robots auf der Autobahn, eine Robotermutter konstruiert sich ihr Wunschbaby, am Ende bekriegen sich die Maschinen leider auch selbst, sie sind nicht besser als die Menschen. Ich habe was übrig für Dramatik und einen kräftigen Schuss schwarzen Humors.

Musikalisch gehst du dieses Mal sehr melodisch und rhythmisch, fast schon tanzbar zur Sache.  Würdest du auch - im Vergleich zu deinen früheren Alben - dein neustes Werk als das melodischste ansehen?

Mir war und ist es bei meiner Musik grundsätzlich wichtig, erkennbare und interessante Melodien zu präsentieren. Wobei ja eigentlich jede beliebige Tonfolge als Melodie betrachtet werden kann. Je öfter diese auftaucht, umso mehr prägt sie sich beim Hörer ein. Ich versuche das schon, selbst wenn diese „Melodien“ sich dann in unterschiedlichen Klanggewändern zeigen. So richtig melodisch ist aber diesmal wohl nur der Gesang der Robotermutter geraten. Aber die rhythmische Komponente ist diesmal stärker als bei den früheren Alben, das ist der „Tanzbarkeit“ geschuldet.

Wenn man sich die Thematik genauer vornimmt, steht sie im krassen Gegensatz zum Albumtitel. Thematisch geht es ja darum, dass die Maschinen / Roboter die Macht auf der Erde übernehmen und sich sogar selbst reproduzieren (im Stück "Mutter"). Das erinnert mich auch so ein bisschen an Science Fiction und im Besonderen an die "Terminator"-Filme. Hast du den Titel bewusst so gewählt?

Stimmt, ein sehr harmloser Titel für die relativ düstere Thematik.

Eigentlich geht es mir darum, „absolute“ Musik zu produzieren, d.h. Musik, die keinen inhaltlichen Unterbau benötigt, sondern alleine durch Melodie, Harmonik, Rhythmus und Klang überzeugt. Der Großteil der Songs auf diesem Roboteralbum ist ja auch rein instrumental gehalten und nur vier Lieder haben Texte, die die Geschichte transportieren. Aus meiner Sicht ist es vor allem (etwas avantgardistische) Tanzmusik, angereichert durch die Thematik, dass die Roboter die Macht auf der Erde übernehmen. Und richtig: Vor allem bei dem letzten Stück „Krieg“ habe ich tatsächlich auch an „Terminator“ gedacht. Bei mir bekriegen sich aber halt die Maschinen untereinander.

Zu Beginn deines Albums sind die Maschinen ja davon überzeugt, dass sie es besser machen als die Menschen und auch nicht krank werden. Am Ende gipfelt das aber fatal, da sich die Roboter schließlich gegenseitig bekriegen. Wie bist du auf diese Geschichte gekommen? Die Menschheit ist in deinem Konzeptalbum ja an einem Virus gestorben. Hat dich die aktuelle Corona-Lage zu diesem zu der Story inspiriert?

Ich wäre wohl auf die Geschichte nicht gekommen ohne das allgegenwärtige Coronavirus. Allzu abwegig ist es nicht, dass das Virus so extrem mutiert, dass es die Menschheit zum Aussterben zwingt. Diese düstere Vision hat mich zu der Sciene Fiction-Story geführt, dass die Roboter den Virus erzeugt haben, um ihre Freiheit zu erhalten. Maschinen sind immun gegen das Biologische.

Ich glaube nicht unbedingt an Friede, Freude, Eierkuchen auf unserer Menschenwelt, die schon immer geprägt ist vom Egoismus des Individiums – und dass es auch die von Menschen gebauten Roboter nicht schaffen, friedlich zu koexistieren, ist halt eine Idee, die einen dramatischen Höhepunkt zulässt, mit offenem Ende.

Wäre durch das offene Ende aus deiner Sicht auch eine Fortsetzung deines Albums denkbar?

Ich glaube, mir ist es lieber, für ein nächstes Album ganz etwas anderes zu versuchen. Auch wenn es am Ende wahrscheinlich doch wieder wie Zinklmusik klingen wird :-)

Die Sprecherin, Schauspielerin und Sängerin Katja Schild spricht in dem Stück „Aufstand“ einen fiktiven Nachrichtentext mit einem recht düsteren Inhalt, der den erzählerischen Charakter der Geschichte unterstützt. Wie kam die Zusammenarbeit mit ihr zustande?

Katja Schild ist eine gute Freundin, seit wir zusammen auf der Theaterbühne gestanden haben, beim „Bauern-Epos“, einer ziemlich lustigen Satire auf bayerisches Bauerntheater. Katja ist Profisängerin und eine versierte Sprecherin beim Bayerischen Rundfunk, was für den Nachrichtentext bei „Aufstand“ natürlich perfekt war. Es ist gar nicht so leicht, Nachrichten wie Nachrichten klingen zu lassen, das habe ich gemerkt.

Du hast ja auch früher schon mit Sängerinnen wie zum Beispiel Alquimia zusammengearbeitet. Im Stück „Mutter“ singt Isa Schlicht. Wer ist sie und wie kam die Zusammenarbeit zustande?

Ja, aus der Zusammenarbeit mit der in London lebenden Mexikanerin Alkimia Lux (So nennt sie sich inzwischen) ist um die Jahrtausendwende das Album „Underwater“ entstanden. Das war eine spannende Kooperation.

Isa Schlicht ist ebenfalls seit langer Zeit eine gute Freundin. Sie ist Musiklehrerin, spielt hervorragend Klavier, professionell Waldhorn und hat auch eine wohlklingende Stimme, welche ich im Lied „Mutter“ noch ein wenig elektronisch hochskaliert habe. Die Stimme sollte zwar menschlich-weiblich klingen, aber auch irgendwie süßlich-künstlich. 

Stephan Schelle, Februar 2021

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