Steven Wilson live in Essen 2013
Steven Wilson
(Colosseum Theater, Essen 22.03.2013)


    

Der britische Ausnahmemusiker Steven Wilson hat gerade erst sein beeindruckendes drittes Solowerk unter dem Titel „The Raven That Refused To Sing ...“ auf den Markt gebracht, da führt er dieses phänomenale Werk auch schon live auf. Neben zahlreichen Terminen in Europa bereist er auch Nord- und Südamerika. Am 22.03.2013 gastierte Steven Wilson im Colosseum Theater in Essen. Diese wunderbare Location besticht durch eine sehr große Bühne und eine tolle Akustik, wie geschaffen für Wilsons neues Werk.

    

    

Im Rückraum der Bühnen war eine große Leinwand aufgezogen worden, auf der schon vor dem Konzert Bildmotive (der Mond und das Mondgesicht des Covers seiner neuen CD) zu sehen waren, während ca. eine halbe Stunde vor Beginn des Konzertes Ambientmusik auf die Besucher wirkte. Dieses Vorprogramm war zum einen sehr relaxed, baute aber auf eine eigenartige Art auch eine knisternde Spannung auf, die dann auf das Konzert perfekt einstimmte. Zu den letzten Klängen dieses Vorprogramms kamen dann die Musiker auf die Bühne, die im Gegensatz zur „Grace For Drowning-Show“ nicht mit einem durchsichtigen Vorhang verhüllt war. Wilson & Co. starteten mit dem intensiven Song „Luminol“ vom aktuellen Album.

     

    

Neben Steven Wilson, der neben Gesang, Akustik- und E-Gitarren auch Keyboard spielte, standen Nick Beggs (Bass, Chipman-Stick, Backgroundgesang, Perkussion), Guthrie Govan (Gitarren), Adam Holzman (Keyboards), Marco Minnemann (Schlagzeug) und Theo Travis (Flöten, Saxophone) auf der Bühne. Und dieses Sextett spielte an diesem Abend ein grandioses Konzert. Steven Wilson bewies erneut, welch Ausnahmemusiker er ist, in dem er die komplexen und doch hochmelodischen Stücke aus seinem Repertoire perfekt und mit viel Spielfreude und einer hohen Intensität live interpretierte.

    

     

„Luminol“ begann, wie auch auf dem Album, mit einem sehr ausgeprägten und druckvollen Bassintro von Nick Beggs, der zu Beginn in einen rhythmischen Dialog mit Marco Minnemann am Schlagzeug ging. Vom ersten Augenblick an war das Publikum gefangen in dem unglaublichen Soundkosmos von Steven Wilson. Das war der Beginn eines Sets, das aus bestechenden Versionen des neuen Albums bestand.

    

     

Klanglich waren die Stücke grandios umgesetzt, zeigten sie doch auch in den filigranen Parts welch unglaubliche Songs Steven für sein neuestes Werk komponiert hat. Und dass diese auch live funktionieren, dafür sorgte nicht nur er sondern auch die Klasse seiner Mitstreiter, die allesamt Könner an ihren Instrumenten sind. Beispielsweise zeigte sich dies in Passagen, in denen Minnemann und Beggs für den hypnotischen, rhythmischen Unterbau sorgten, während Theo Travis an seinem Saxophon und an der Querflöte oder auch Adam Holzman an den Keyboards - aus denen er so manchen retromäßigen Sounds (z. B. Mellotron) zauberte, akzentuiert ihre Instrumente einsetzten und so dem Sound noch eine weitere Dimension verliehen. Aber Steven Wilson war natürlich der Mittelpunkt der Show, auch wenn er sehr Banddienlich agierte.

    

    

Nach diesem Stück begrüßte Wilson das Publikum und meinte, dass ein sitzendes Publikum nicht sein Ding sei (das Colosseum Theater ist komplett bestuhlt), es gebe aber später noch eine Möglichkeit aufzustehen und ordentlich abzurocken. Nach dem wunderbaren „Drive Home“ und dem Stück „The Pin Drop“ kam dann mit dem eindringlichen und unter die Haut gehenden „Postcard“ ein Song vom „Grace For Drowning“-Album. Zu den einzelnen Songs wurden Bilder oder Filme von Lasse Hoile, dessen künstlerische Art den Titeln eine ganz besondere Stimmung verleiht, auf der rückwärtigen Leinwand projiziert.

     

    

Etwas schwere Kost - zumindest, was den Anfang des Stückes und einzelnen Passagen im Innenteil betrifft, ist „Holy Drinker“. Recht vertrackt ist dieser Song angelegt und weist damit in die Richtung von Bands wie King Crimson. Nick Beggs griff in diesem Stück zum Chapman-Stick, einem bundlosen Bass, und zauberte aus diesem Instrumente die unglaublichsten Töne während Steven Wilson selbst für kurze Zeit den Bass umschnallte. Es ist eine wahre Freude Nick beim Spiel an diesem Instrument zuzusehen. Er scheint dabei völlig wegzutauchen und sich in der Musik zu verlieren. Dazu bot Theo Travis am Saxophon recht jazzige Motive. Während dieses Stücke wurde die Dynamik von Bass und Schlagzeug angezogen, was dazu führte, das erstmals der Bass und die Bassdrum körperlich zu spüren waren, denn bei den Besuchern vibrierte förmlich der Brustkorb. Während Nick zur Perkussion griff, baute Theo dann noch ein herrliches Querflötensolo ein. Die Musik und vor allem die Bässe schienen immer druckvoller zu werden, was sich im Instrumentalteil dann in einer Art Fußreflexzonenmassage ausdrückte. So muss Musik sein, sie muss nicht nur gehört, sondern auch gespürt werden!

     

    

In dem nächsten Stück „Deform To Form A Star“ hatte dann Keyboarder Adam Holzman Zeit für ein Keyboardsolo und auch Guthrie Govan steuerte im Mittelteil des Stückes ein schönes Gitarrensolo bei. Dann verließen die Musiker die Bühne und ein durchsichtiger Vorhang fiel vor die Bühne. Auf ihm wurden unter anderem zu tickenden Geräuschen (Pink Floyd lassen grüßen - vor allem das Stück „Time“) aber auch Sprachsamples Bilder projiziert. Dabei spielten die Projektionen zwischen Vorhang und rückwärtiger Leinwand mit der Veränderung der Lichtintensität und Tiefenschärfe und sorgten so für sehr schöne visuelle Effekte. Nach wenigen Momenten kommt dann auch die Band auf die Bühne um mit dem Longrack „The Watchmaker“ fortzufahren. Ein besonderer Effekt ergab sich durch die rückwärtigen Scheinwerfer, die ein ums andere Mal die Schatten von Wilson und seiner Band auf den Vorhang warf. Wilsons Bearbeitung der Saiten seiner Akustikgitarre ließ in diesem Song Erinnerungen an Genesis, vor allem an ihre Gitarristen Steve Hackett und Anthony Phillips wach werden. Zwischendurch wandelte Wilson gestikulierend über die Bühne, während das Licht seine Schatten auf den Vorhang warf.

    

     

Dann fiel der Vorhang und es folgte ein atmosphärisches „Index“ gefolgt von „Insurgentes“. Während ansonsten recht düstere Bilder die Leinwand beherrschten kamen hier kurzzeitig Landschaftsaufnahmen auf. Jetzt war die Zeit zum Rocken gekommen, denn zu dem Song „Harmony Korine“ forderte Wilson sein Publikum auf, aufzustehen. Und das machte auch der komplette Saal.

    

     

„Raider II“ bestach an diesem Abend durch herrliche Soundeffekte, die aus allen Ecken des Saales zu kommen schienen und mit dem eindringlichen Titelsong des neuen Albums „The Raven That Refused To Sing“ (hier kam Theo Travis kurzzeitig nach vorne um an den Keyboards von Steven Platz zu nehmen) ging dann nach zwei Stunden der offizielle Teil eines intensiven Konzertes zu Ende. Es war ein grandioses Konzert, das den Stellenwert dieses Ausnahmemusikers deutlich unterstreicht.

    

    

Es folgten die Zugaben, bei denen mit „Raidiactive Toy“ ein absoluter Porcupine Tree-Klassiker auf dem Programm stand. Eigentlich ist der Song aber auch ein Solowerk von Wilson, hatte er Anfangs doch unter dem Namen Porcupine Tree allein agiert. Ein klasse Song, der auch im neuen Jahrtausen nichts von seiner Strahlkraft verloren hat.

    

    

Fazit: Wer die Chance hat, Steven Wilson während der aktuellen Tour zu sehen, sollte sich dieses großartige Event nicht entgehen lassen.

    
 

Setlist

Luminol
Drive Home
The Pin Drop
Postcard
The Holy Drinker
Deform To Form A Star
The Watchmaker
Index
Insurgentes
Harmony Korine
No Part Of Me
Raider II
The Raven That Refused To Sing

Zugabe

Remainder The Black Dog
No Twilight Within The Courts Of The Sun
Radioactive Toy
 

Stephan Schelle, 23.03.2013