Grobschnitt live in der Stadthalle Osterholz-Scharmbeck 11.03.2011
 


Die Konfetti-Krise - back to the Rockpommel-Roots

 

    

 

Eineinhalb Jahre lang ist den Grobschnittfans nun die Jubiläumsshow zum 40sten Geburtstag der Band ans Herz gewachsen, in der unter anderem das Musikmärchen „Rockpommel’s Land“, in voller Länge plus neuer Bonus-Songs, mit zeitweise atemberaubender Virtuosität, vor allem aber mit viel Herzblut zu neuem Leben erweckt wurde. Wie wir es von den Hagener Prog-Veteranen gewohnt sind, wird die musikalische Seite kongenial durch ein Kaleidoskop von Theater, Licht und Pyro erweitert - so manches Show-Schmankerl ist nun kaum noch aus der Aufführung wegzudenken. Beispielsweise das Verkehrschaos, das zu den Klängen von „Severity Town“ mit Autoattrappen, Straßenbullerei und crashbedingt fliegenden Reifen über die Bühnenbretter tobt. Und, wenn das Märchen schließlich vor seinem Happyend steht und sich das finale Thema mit Kultcharakter noch nicht ganz in den Startlöchern befindet, geht erst mal die Party ab - kein Wunder: in der Story sind die eingekerkerten Kinder des Traumlandes endlich vom Helden des Märchens, Klein-Ernie, aus den Klauen der bösen „Blackshirts“ befreit worden.

 

    

    

    

                       

    

    

 

Showtechnisch wird das freudige Ereignis seit Start der „Rockpommel’s Land Tour“ mit einem großen Knall gewürdigt. Eine Konfettikanone lässt bunte Schnipsel in farbenfrohem Lichtarrangement auf Band und Zuschauer rieseln. Nur: beim Auftritt von „Grobschnitt“ in Osterholz-Scharmbeck am 11.03.2011, hatte die Kanone wohl eine Konfetti-Krise: kein Knall, kein buntes Schneegestöber im Glitzerlicht - und die Fans, die auf diesen Moment gewartet hatten, guckten kollektiv und verwundert nach oben, wo denn das fröhliche Fliegen der Fetzen blieb.

 

    

    

    

    

    

                        

 

Nach dem Auftritt erinnerten sich die Musiker mit einigem Schmunzeln an diesen Augenblick - nahezu alle Zuschauer in den ersten Reihen guckten ungläubig gen Himmel.

 

    

    

    

     

    

    

 

Die Konfetti-Krise blieb aber die einzige augenfällige Panne bei diesem Konzert, das dem Bandjubiläum würdig ein Denkmal setzte. Man merkte der Band an, dass ihr gerade dieser Gig eine Herzensangelegenheit war. Dies nimmt auch nicht wunder: der vor einigen Jahren unerwartet verstorbene Keyboarder Volker „Myst“ Kahrs, der der Gruppe in den 70er Jahren wichtige Impulse gab und für die Story des beliebten Rockmärchens und weite Teile der Kompositionen verantwortlich zeichnete, stammte aus Osterholz. Mit bewegten Worten erinnerte Sänger Willi Wildschwein an den alten Weggefährten und daran, dass dieser wohl die Landschaft dieser Gegend vor Augen hatte, als er die Geschichte von Klein Ernies Reise nach „Rockpommel’s Land“ ersann. Somit ging das Konzeptwerk bei diesem Auftritt der Gruppe zurück an seine Wurzeln, was allein schon für eine gewisse Magie sorgte, die im Saal greifbar schien.

 

    

    

    

    

    

 

War die Band im Monat zuvor beim Auftritt in Betzdorf von gesundheitlichen und technischen Pannen ein wenig gebeutelt gewesen, legten sie hier nun einen durch und durch mitreißenden Rockevent hin. Das Zusammenspiel der Musiker ist dicht, wirkt wie aus einem Guss - die Gitarristen Nuki Danielak und Manu Kapolke werfen sich die Motive scheinbar mühelos zu, Willi Wildschwein-Danielaks Stimme und Laminatklampfe bilden ein festes Fundament, das Story und Komposition zu jedem Moment zusammenhält. Tatti Tattva an den Keys rollt elegische Klangteppiche aus oder webt feinste Soundmotive ein, während Milla Kapolkes Bass zugleich die Rhythmik vorantreibt aber auch melodisch-solistische Akzente setzt. Die beiden Schlagwerker der Gruppe scheinen nahezu jeden vertrackten Break intravenös zu sich genommen zu haben - anders ist die traumwandlerische Sicherheit kaum zu erklären, mit der Demian Hache und Admiral Top Sahne das vielschichtige Werk von Höhepunkt zu Höhepunkt trommeln. Gerade die leisen Töne zeigen, wie feinfühlig man die Drums einsetzen kann - fast schon als zusätzliches Melodieinstrument. Klar können die beiden Rhythmusleute auch powertechnisch abrocken - aber dafür ist vor allem die zweite Konzerthälfte da. Doch noch befinden wir uns im Reich poetischer Rockfantasie - und hier spielt auch Toni Moff Mollo, neben seinen charakteristischen Vocals, sein Talent als Showmensch an den Lichtreglern voll aus.

 

    

    

    

                        

    

 

Wenn dann schlussendlich das Finale von „Rockpommel’s Land“ ertönt, in meinen Ohren eines der schönsten Stücke Musik überhaupt, brandet ungemein herzlicher Applaus auf - es wird spürbar: das Publikum fühlt sich beschenkt, und zwar reichlich. Was an Musikalität, Spielfreude und Performance allein in dieser ersten Stunde des Abends lag, toppt bereits vieles, was komplette Konzerte berühmter Kollegen aus der Rockwelt zu bieten haben - aber Kenner der grobschnittigen Gepflogenheiten wissen: das war noch nicht alles - beileibe nicht! Jetzt geht die „Next Party“ nämlich erst richtig los!

 

    

    

    

    

                        

                        

 

War der erste Teil des Abends eher was zum Zuhören und Träumen, lautet das Motto nun: es darf gerockt werden! Knackig und laut, mit brachialen Powerchords knallt „Razzia“, gefolgt von „Illegal“ ungestüm in den Abend. Die zwei Politkracher um polizeiliche und staatliche Willkür, optisch umgesetzt mit blaulichtbewehrten Helmträgern, die , Schilder und Knüppel im harten Stiefeltakt gegeneinander schlagen, umtost von Sirenenklängen, sind mitreißende Statements, die leider seit ihrer Entstehung nichts an Aktualität verloren haben. Danach erklingt „Vater Schmidts Wandertag“, wieder eine Reminiszenz an die 70er Jahre - ein Stück, das Publikum und Band gleichermaßen lieben, was aus jeder gespielten Note ebenso herauszuhören ist wie aus den Mitsingchorälen der Fans - die Geschichte der Familie, die zwecks Rekreation einen Plastikwald aufsucht, wird beängstigenderweise immer weniger Science Fiction - und da kann man dann nur noch eines dazu sagen: „Wir wollen leben“ - die Demohymne der Band, in Tagen von Waldabholzungen und Kernkraftkatastrophen ein wichtiges Stück Popkultur. Das Lied rockt heute stärker als früher, an Stelle von Synthielinien sind treibende Gitarrenriffs getreten, der Rhythmus powert stärker - das Stück wurde härter für härtere Zeiten.

 

    

    

    

    

    

 

Nach diesem partygetränkten Set von Songs muss man erst mal durchschnaufen - das weiß auch die Band und lässt die zarte Instrumentalnummer „Silent Movie“ erklingen, gefolgt von „Könige der Welt“, eine Ode an die Hoffnung auf eine Zeit, in der die vermeintlichen, selbstherrlichen Herrscher des Globus ihren Hut nehmen mussten. Angesichts der Nachrichten, die uns derzeit aus allen möglichen Teilen der Welt erreichen, war die Nummer für mich diesmal besonders emotional - ich wünsche der „youtube“-Fassung viele Klicks in Libyen!

 

    

    

    

     

    

    

Wenn dann schließlich das wohl berühmteste Stück von „Grobschnitt“ angekündigt wird, „Solar Music“, ist das Publikum bereits am Toben - doch an die Stelle im Konzert, wo andere Rockgruppen ihren größten Singlehit setzen, tritt bei der ungewöhnlichen Kappelle aus Hagen ein rund einstündiges Opus von galaktischen Ausmaßen. Solistisch kann hier jeder Musiker mal so richtig die Sau rauslassen - und die Chance lässt sich keiner der Beteiligten entgehen. Es ist zeitweise fast so, als könnten sich die Protagonisten gar nicht mehr von diesem Stück lebendiger Musikgeschichte losreißen - und so ertönen an diesem Abend unfassbar beseelte Soli. Als Zuhörer weiß man manchmal kaum noch, ob man mehr mittanzen oder aus purem emotionalen Overflow weinen sollte - egal, das geht auch gleichzeitig!

 

    

     

    

 

    

    

 

Obwohl das Konzert schon fast die Drei-Stunden-Grenze kratzt, zeigen weder Musiker noch das Publikum Ermüdungserscheinungen jeglicher Art - es liegt in der Luft: diese Momente sind viel zu kostbar, um sie einfach loszulassen, sie verpuffen zu lassen. Und nicht nur musikalisch wird dieses Verlangen nach Ewigkeit beschworen: da kämpfen Gut und Böse mit Laserschwertern auf der Bühne, der Sonnengott in Persona betritt die Szenerie und die Macht des Feuers wird buchstäblich zelebriert. Und dennoch erreicht auch dieses brachiale Wunderwerk, das von den seligen Krauttagen des Rock bis in die Neuzeit nichts von seiner Faszination verloren hat, den Punkt, an dem der letzte Akkord erklingt - und dennoch ist nicht alles aus: in die positiv aufgeladene Atemlosigkeit nach einer Stunde musikalischen Dauer-Rausches gibt die Gruppe sich und ihren Fans die Ehre mit einem wie immer sehr persönlich gestalteten, bewegenden Zugabenteil.

 

    

    

    

    

 

Doch nicht nur die Gruppe selbst ist unbeschreiblich - ihre Fans sind es auch - nach solch einem ausufernden Event sollte man meinen, alle wären sprachlos - stattdessen erklingen aus den Reihen des Publikums die bekannten Klänge des Karnevalskrachers „O wie ist das schön, oh, wie ist das schön - sowas haben wir lange nicht gesehen, so schön, so schööööön!“ Beifallsbekundungen und ausgelassene Partystimmung wollen nicht abreißen und es wird noch lange in die Nacht hinein gefeiert.

 

    

    

    

    

 

Nur ein Satz, den Sänger Willi bei der Ansage zu „Solar Music“ sprach, sorgt für leichte Melancholie - da noch in den Sternen steht, ob nach dieser Tour lediglich eine kreative Pause für die Band ansteht oder sie sich aus dem Konzertleben zurückzieht, meinte er: „Wenn wir dieses Stück tatsächlich zum vorletzten Male spielen… ich werde es vermissen!“ Nicht nur Du, Willi, wirklich nicht nur Du!

 

    

    

    

    

 

 
  Fotos: Madeline Schwarz & Stephan Schelle

Text: Günther Klößinger, 17.03.2011