links: Cliff Hewitt vor dem Konzert
rechts: die bestuhlte Tribüne in der Halle
Christopher von Deylen, der besser
bekannt ist als Schiller, steht für eine aufwändige Liveperformance bei
seinen Konzerten. In den vergangenen Jahren ist er mit einer
sechsköpfigen Band (er selbst auch darunter) sowie zahlreichen
Sängerinnen und Sängern weltweit unterwegs gewesen, um seine von
Elektronikklängen bestimmten Tracks live einem großen Publikum zu
präsentieren.
Anfang 2010 ließ sich Christopher aber
auf ein Experiment ein, er lud gut 100 Besucher zu einem Geheimkonzert
nach Berlin und spielte ausgesuchte Stücke in kleiner Besetzung. Dabei
agierten außer ihm nur Christian Kretschmar an den Keyboards und Cliff
Hewitt am elektronischen Schlagzeug. In dieser reduzierten Form
entfalteten die Stücke (vornehmlich seine Instrumentaltracks) ein ganz
neues Feeling. Man kann sich davon auf der „Lichtblick“-DVD überzeugen.
Davon angetan, plante Christopher eine Tour, die er „Elektronik Pur“
nennt und die ihn zu Beginn des Jahres 2011 in 22 deutsche Städte sowie
nach Zürich und Wien bringen sollte. Ebenso reduziert wie das Programm
sollte auch die Anzahl der Besucher sein, denn die Eintrittskarten waren
begrenzt.
Christopher beschreibt es in dem
Programmheft, das man bei den Konzerten erwerben kann, sehr schön. Hier
ein Auszug:
Die Welt ist Klang – und die Reise
geht weiter. Elektronisch, wuchtig, sinnlich, zart, atemberaubend.
Willkommen in den neuen Klangwelten von Schiller. Willkommen bei
Elektronik pur Schiller live 2011.
Es ist die erste rein elektronische
Tour, die wir wagen. Als wir Anfang Januar mit den Proben für diese
Tournee begannen, hatten wir nur eine Ahnung davon, wie es sich anfühlen
würde, unsere Musik in rein elektronischer Form live auf die Bühne zu
bringen.
Für Elektronik pur habe ich aus elf
Jahren Schiller meine Favoriten ausgewählt und neu arrangiert. Wir haben
uns Zeit genommen bei den Proben, Tag und Nacht jeden Song so weit
verinnerlicht, bis er in seiner puren Form vor uns stand und wir sein
Wesen erspüren konnten.
Am 16.01.2011 gastierte Schiller im
Rahmen dieser Tour in
der Jahrhunderthalle von Bochum vor gut 1.500 Zuschauern. Schiller, das
waren an diesem Abend Christopher von Deylen (Synthesizer und
Sequenzer), Christian Kretschmar (Synthesizer), Ralf Gustke
(elektronische Perkussion) und Cliff Hewitt (elektronisches Schlagzeug).
Zwei Punkte waren bei diesem Auftritt
anders, als bei den früheren Schiller-Konzerten. Zum einen war die Halle
bestuhlt (für Schiller-Konzerte ungewohnt, aber der ambienten Musik
angepasst) und zum anderen war eine Pause in der Mitte des Konzertes
angekündigt. Auch die Bühne war spartanischer aufgebaut, als es sonst
der Fall war. Neben den Instrumenten (die Synthies in der Mitte,
eingerahmt von den beiden Rhythmusgebern Gustke / Hewitt) befanden sich
noch einige Scheinwerfer auf der Bühne (elf hinter den Musikern, vier vor
ihnen und je zwei pro Musiker, um sie direkt anzustrahlen). Das reichte
vollkommen aus, wie sich schon nach kurzer Zeit zeigen sollte, denn
durch die unterschiedlichen Farbspiele wurde die Musik hervorragend
unterstützt.
War die Show der „Atemlos“-Tour im
letzten Jahr schon sehr auf Lichteffekte ausgelegt, so führt Christopher
diesen Stil auch auf der „Elektronik Pur“-Tour fort. Die oben erwähnten
Scheinwerfer tauchten die Bühne ein ums andere Mal in kräftige Farben.
Ob in einem unterkühlten Blauton, einem fetten roten Anstrich oder in
einem grünem Lichtmeer, die Scheinwerfer, die sich teilweise durch
dichte Nebelschwaden ihren Weg bahnen mussten, waren ein hervorragendes
optisches Element dieser Show. Los ging es mit einer blau durchfluteten
Bühne, in deren zunächst diffuser Ausleuchtung die vier als schemenhafte
Gestalten die Bühne betraten und der Optik entsprechend mit dem Stück
„Tiefblau“ begannen.
Die einzelnen Stücke - der Fokus lag
natürlich auf den Instrumentalstücken - waren speziell für die
reduzierte Instrumentierung ausgelegt und umarrangiert worden und so
überraschte es ein ums andere Mal, das beispielsweise die Gitarren gar
nicht zu fehlen schienen. Und auch bei dem Stück „Denn wer liebt“, bei
dem die Stimme von Anna Maria Mühe eingespielt wurde, hatte Christian
Kretschmar auf der „Sehnsucht“-Tour noch das Cello gespielt. Gerade
diese Passage macht das vor Sehnsucht triefende Stück aus. Dieser Part
wird bei der derzeitigen Tour von den Synthies übernommen (aber nicht
als Cello-Sound) und bekam so
eine ambiente Note, die dem Stück ebenfalls gut zu Gesicht stand.
Flächen und Sequenzer gingen hier Hand in Hand und zum Ende hin sorgte
ein stetig wachsender Rhythmus, der mich durch seine Nähmaschinenartige
Abfolge ein wenig an Donna Summer’s „I Feel Love“ erinnerte, für eine
hypnotische Wirkung.
Es war an diesem Abend deutlich zu
erkennen, dass die Stücke in ihrer Reduziertheit ein ganz neues Outfit
bekamen. Wer die Konzerte und die Alben von Schiller kennt, der kann bei
dieser Tour noch einiges Neues bei den Tracks heraushören. Besonders gut
tat auch der Einsatz beider Schlagzeuger, die nicht nur hervorragend
miteinander harmonierten, nein sie lieferten sich auch manches Duell,
wie beispielsweise bei
„La
Mer“. Bei diesem Track produzierten beide
einen unwiderstehlichen Rhythmusboden, auf dem Christopher und Christian
ihre Synthies tanzen ließen. Und auch
„Leidenschaft“, bei dem in der
Studiofassung Jaki Liebezeit für den ungewöhnlichen und hypnotischen
Rhythmus sorgte, brauchte sich in dieser Liveversion nicht hinter dem
Original verstecken.
Den Abschluss des ersten Teils bildete
dann der erste Klassiker der Band. „Ein schöner Tag“ wurde zwar nicht
ganz so druckvoll wie im Original geboten, hatte aber sehr viel
Atmosphäre. Dann kam die Pause, die auf mich doch sehr störend wirkte,
denn man wurde aus dieser traumhaften Stimmung recht hart
herausgerissen. Und das Hin- und Herwandern der Zuschauer sorgte auch
nicht gerade für Entspannung. Meines Erachtens sollte man diese Pause,
die ja schon nach gut 45 Minuten kam, aus dem Programm nehmen (oder war
das nur in Bochum so?).
Zum Ende der Pause wurde die Bühne
wieder in Nebelschwaden gehüllt, was man ganz gut in der noch voll
beleuchteten Halle sehen konnte. Dann verdunkelte sich der Saal und die
Scheinwerfer sorgten wieder für eine stimmungsvolle Atmosphäre. Der
zweite Teil begann mit „Sehsucht“, das im ersten Teil gar einige
ethnische Klänge aufzuweisen hatte. Es war nicht nur leicht verändert,
sondern klang auch frisch und hatte eine wunderbare sanfte
Zwischenpassage. Vor allem der Mittelteil und der Part, in dem die Synthies so bedrohlich anschwollen, dass es sich wie
Rotorblätter eines Helikopters anhörten, machten aus der Liveinterpretation eine
faszinierende Version.
Im darauf folgenden Stück
„I Miss You“
klangen die Synthies manchmal, als ob sie eine Frauenstimme imitieren würden bzw.
eine gesampelte Frauenstimme elektronisch verfremdet wurde. Das nächste
Stück,
„Atemlos“,
eröffnete dann ganz dem Titel
entsprechend mit Atemgeräuschen, die durchaus gehetzt klangen, und wurde mit herrlichen
Flächen, Melodiebögen, zirpenden Synthies und zahlreichen Effekten
fortgeführt. Dazu standen bzw. saßen die vier Musiker in den Schwaden,
was den Eindruck erweckte, als würden sie im Morgennebel baden.
Beim Stück
„Einklang“
glitten dann die Scheinwerfer durch den Zuschauerraum, so als wären sie
auf der Suche nach etwas. Jetzt war die Bühne nicht mehr nur einfarbig
ausgeleuchtet, vielmehr erstrahlten verschiedenste Farben, was mich
sofort an einen Regenbogen erinnerte. Hier zeigte sich, wie man mit
relativ wenigen Mitteln sehr effektvolle Optische Ausrufezeichen erzeugen kann.
Das war wieder sehr atmosphärisch. Nach dem folgenden „Denn wer liebt“
kam dann eines der bekanntesten Stücke von Schiller, „Das Glockenspiel“.
Auch wenn ich dieses Stück besonders liebe, wenn Thissy Thiers mit
seinem Bass auf der Bühne tanzt, so war auch diese Version wieder etwas
ganz Besonderes. Dieses Stück hat einfach einen unwiderstehlichen
Rhythmus und wurde um einen fetten Synthiesound ergänzt. Gleich zu
Beginn kam dann auch Stimmung im Publikum auf, die aber noch recht
verhalten war. Das lag sicherlich an der Tatsache, dass die Zuschauer
während des Konzertes saßen. Zum Ende hin brandete dann aber ein
rhythmisches Klatschen auf und es hielt kaum noch jemand auf seinem
Sitz. Der verdiente Lohn: Standing Ovations für die Musiker!!!
Als letztes Stück des offiziellen
Teils wurde dann „Playing With Madness“ gespielt, bei dem ich -
aufgrund meiner seitlichen Sitzposition - erstmals so richtig den
Surroundsound hören konnte. Von den zentralen Plätzen aus war dieser
Sound aber während des ganzen Konzertes zu vernehmen.
Damit war dann aber auch schon nach
etwas mehr als 45 Minuten der zweite Teil des Sets beendet.
Als Zugaben spielten sie dann
noch die Stücke
„Heimathafen“ und „Nachtflug“.
Fazit: Auch in der reduzierten Form
machen die Schiller-Stücke eine Menge her. Und diese Art von Musik kann
die Musikfreunde wirklich begeistern, was sich in Bochum sehr schön
zeigte. Christopher von Deylen und seine Mitstreiter überzeugten an
diesem Abend auf ganzer Länge. Wer noch Gelegenheit hat, zu einem der
ausstehenden Konzerte zu gehen, der sollte dies unbedingt tun.
Wem diese Musik gefallen hat - und das
waren wirklich alle Besucher - der sollte sich mal in der traditionellen
Elektronikszene umschauen, er/sie wird erstaunt sein, welche Musik hier
zu entdecken ist.
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