Jean Michel Jarre
(live in der König Pilsener Arena, Oberhausen am 06.03.2010)


Der große französische Elektronikpionier Jean Michel Jarre, der mit Alben wie „Oxygene“, „Equinoxe“ oder „Magnetic Fields“, sowie seinen spektakulären Liveshows, bei denen er in den Docks von London oder Warschau, vor dem Eiffelturm in Paris oder den Pyramiden in Gizeh sowie in Moskau oder der verbotenen Stadt in Peking mindesten sechsstellige Zuschauerzahlen zu den Konzerten holte und darüber hinaus Millionen vor den TV-Geräten fesselte, kommt in diesem Jahr erneut auf Hallentour nach Deutschland. Während Jarre bei den großen Events ganze Bauwerke mit illuminierte und in seine Show einbezog und so seine Umgebung zur Bühne machte, finden die Indoor-Konzerte reduziert, aber nicht minder spektakulär statt.

Seine Welttournee der Indoor-Konzerte, die den Titel „2010“ trägt, führte ihn nach Konzerten in Braunschweig, Hamburg und Berlin am 06.03.2010 auch in die König Pilsener Arena nach Oberhausen. 2010 steht dabei nicht nur für das Jahr dieser Tour, denn Jarre ist unter diesem Motto bereits seit 2009 unterwegs, sondern ist auch geprägt von dem Schriftsteller Sir Arthur C. Clarke, der nach eignen Angaben unter dem Einfluss von Jarre’s Musik seinen Roman „2010 - Odyssey Zwei“ (Nachfolger von „2001 - Odyssey im Weltraum“) schrieb.



    

Fotos waren leider nur während der Stücke „Equinoxe 7“, „Equinoxe 5“ und „Rendezvous 3“ möglich, daher zeigen die Bilder nur einen Teil der opulenten Show.

Am Tag des Konzertes, am 06.03.2010 hatte sich der Winter in Deutschland zurückgemeldet und sein weißes Kleid über weite Teile des Landes gelegt. Die Unwetterwarnungen waren aber zum Glück nicht zutreffend und so fuhr ich am späten Nachmittag der untergehenden Sonne entgegen, im Kopf das mit Spannung erwartete bevorstehende Konzert und die Musik von Jean Michel Jarre im Ohr. Dieses – trotz Winterwetter – warme Gefühl (Sound und untergehende Sonne bildeten eine Einheit) sollte sich während des Konzertes noch einmal einstellen, denn ich kann es hier schon mal vorwegnehmen, Jean Michel bewies in seinem mehr als zweistündigen Konzert, dass elektronische Musik nicht kalt und steril sein muss, denn selten habe ich Elektronikmusik so Energie geladen gesehen, wie bei diesem Konzert.

    

Mit gut einer halben Stunde Verspätung startete der große Franzose sein Programm in der mit 5.500 Besuchern gut gefüllten König Pilsener Arena. Jean Michel hatte, wie bei seiner DVD „Live in Your Livingroom“, die zusammen mit der New Masters Recording-Version von „Oxygene“ aus dem Jahr 2007 ausgeliefert wird, drei Musiker mit auf der Bühne. Dies waren (von ihrem Platz auf der Bühne links beginnend) Dominique Perrier, Claude Samard und Francis Rimbert. Und diese vier machten eine Menge Alarm auf der Bühne, was sich in Spielfreude, Dynamik und Variation der Stücke widerspiegelte.

    

Die Hoffnung, dass uns Jean Michel auf eine Zeitreise, weit zurück bis in die zweite Hälfte der 70’er mitnehmen würde, bestätigte sich schon zu Beginn des Konzertes, denn nach einem Intro legten die vier mit den ersten beiden Parts von „Oxygene“ los. Zwar klangen die Stücke frisch und zeitlos, doch die Musiker auf der Bühne nutzten kein neues Equipment, vielmehr stammten die Synthies, Moogs und sonstigen elektronischen Klangerzeuger (wie zum Beispiel ein Theremin) aus den 70’ern. Das sah toll aus, denn die Bühne war voll mit den nostalgischen, elektronischen Gerätschaften, während auf der riesigen rückwärtigen Leinwand mehrfach Grafiken und Filme abliefen. Dazu durchschnitten des Öfteren Laser das Halleninnere und machten aus dem Konzert einen Genuss für Augen und Ohren. Allerdings habe ich noch nie ein so lautes Elektronikkonzert gehört. Wer in den ersten Reihen saß, der tat gut daran, Ohrenstöpsel zu nutzen. Ansonsten war der Sound aber äußerst transparent und mit einigen Stereoeffekten versehen.

    

Mit diesem Lautstärkepegel kam das Konzert locker an Rockkonzerte heran, die den Vorteil haben, dass man Musik nicht nur hören, sondern auch spüren kann. Und aus diesem Grund konnte man bei „Oxygene 2“ nicht nur den Bass am Körper spüren, auch die blubbernden Synthiesounds machten sich mit ihren Schallwellen auf meinem Körper breit. Neben diesem druckvollem Sound waren die Stücke darüber hinaus auch leicht verändert, was man an der Klangfarbe der Synthies, länger gespielten Versionen oder veränderten Rhythmuspassagen erkennen konnte.

    

    

Während zu Beginn der Show die rückwärtige Wand von einem schwarzen Vorhang verhüllt wurde und sich zunächst eine noch dezente Lightshow in den Vordergrund schob, so öffnete sich beim dritten Track „Magnetic Fields 1“ dieser Vorhang und ließ eine riesige Leinwand zum Vorschein kommen. Auf dieser wurden zunächst bunte Scheinwerfer projiziert, die zum Teil im Kontrast zu den vorderen Scheinwerfern standen, was einen tollen Effekt bot. Die Leinwand diente aber später dazu Bilder einer Livekamera, bei der man Jean Michel in Großaufnahme sah, zu projizieren oder Grafiken und Filme zu zeigen. Und dann die Laser. Die insgesamt sieben Laser waren oft gleichzeitig in Betrieb und zerschnitten den Saal förmlich in seine Einzelteile. Die Kombination aus teilweise pulsierenden Synthierhythmen und den Musikern, die unter den farbigen Laserwolken agierten (oft wirbelte Jean Michel Jarre dabei an seinen Tasten, Perkussioninstrumenten und Drehreglern hin und her), war einfach sensationell.

    

Während „Rendezvous 3“ griff Jean Michel dann das erste Mal in die Laserharfe. Vor dem roten Hintergrund wirkten die grünen Strahlen der Harfe wie ein Gitter hinter dem sich Jarre verschanzte. Allerdings muss man sagen, dass Jarre sich an diesem Abend sehr Publikumsnah zeigte, denn sowohl durch Ansprachen wie auch durch Mimik und Gestik kommunizierte er das ganze Konzert über mit dem Publikum.

    

In dem Stück „Variation 3“ wechselte Jarre dann zu einem Theremin, das wie ein altes Stehpult mit Antenne aussah. Während er von grünem Scheinwerferlicht angestrahlt wurde, zeigte die Leinwand auf der anderen Seite sein Spiel in Großaufnahme. Sicherlich sind der Sound und die Klangmuster nicht jedermanns Sache und so war dieses Stück wohl auch das schwächste des Programms (das ist aber Klagen auf hohem Niveau). Die Aufnahme zeigte aber recht gut, wie dieses Instrument funktioniert.

    

Mit „Equinoxe 4“ kam dann das erste Highlight des Abends, denn hier ging es sehr rhythmisch zur Sache. Vor allem die Drums waren härter als im Original angelegt und auch die Länge des Stückes hatte man ausgedehnt. Im Hintergrund waren auf der Leinwand die mit Ferngläsern bestückten Gestalten zu sehen, die das Plattencover zieren. Hier waren die Gläser allerdings nicht weiß, sondern gelb, was teils recht bedrohlich wirkte. Diese Figuren waren zu Hauff in einer Animation versammelt. Mal hüpften sie zum Rhythmus der E-Drum, dann bewegten sie sich wellenförmig über die Leinwand oder drehten sich spiralförmig. Auf dieser überdimensionalen Leinwand ergab das einen wirklich eindrucksvollen Effekt.

    

    

Mit „Statistic Adagio“ war ein kurzer Track im Programm, den ich bisher nicht kannte. Jean Michel schlug in diesem mahnenden Stück melancholische, ja auch klassische Töne an. Mit ihm will Jarre auf die Umweltproblematik hinweisen, denn auf der Leinwand liefen zu diesen Klängen Zahlen, die für den abnehmenden Ölvorrat, die Anzahl der Menschen ohne sauberes Trinkwasser, die Ausgaben für illegale Drogen in diesem Jahr (in US$), die Zunahme der Weltbevölkerung oder – dazu im Kontrast stehend – die Anzahl der an diesem Tag gesendeten E-Mails, standen. Unaufhörlich stiegen bzw. vielen die dazugehörigen Zahlen.

    

Nach diesen melancholischen Klängen passte Jarre’s „Revolution“ thematisch gut ins Konzept. Das war ein absoluter Kontrast zum vorangegangenen Titel, denn nach dem spartanischen Bühnenhintergrund von „Statistic Adagio“ kamen wieder die Laser zum Einsatz, die um Scheinwerfer, die vom Bühnenrand an die Hallendecke leuchteten, ergänzt wurden. Bei diesem hymnischen Track wirkten drei Laser, die von oben vor den Musikern herabschienen, wie Pyramiden. Und zwischen seinen Mitmusikern und den Scheinwerfern lief Jarre an seinem tragbaren Keyboard spielend am Bühnenrand entlang. Dieses unglaublich druckvoll gespielte Stück endete allerdings abrupt, hier hätte ich mir einen sanfteren Ausklang gewünscht. Während bei „Rendezvous 2“ die roten und blauen Laser den Saal durchtrennten, was mit der Musik sehr erhaben und majestätisch wirkte, griff Jean Michel bei „Rendezvous 4“ dann wieder zur Laserharfe.

    

Mit „Chronologie 6“ und „Chronologie 2“ schritt Jarre dann langsam immer dem offiziellen Ende der Show entgegen. Zum ersten Stück wurde eine Traverse mit einer Lichtkette gefolgt von den drei zentralen Lasern herabgelassen und schwebten knapp über den Köpfen der Musiker. Die Traverse durchtrennte quasi die rückwärtige Leinwand und die Laser schossen ihre Lichtstrahlen fächerartig ins Publikum. Die hypnotischen Rhythmen, schwebenden Synthies sowie das aus Laser und Scheinwerfern erzeugte Lichtspektakel ließ die Zuschauer nicht länger auf ihren Sitzen kleben. Die ersten standen auf um im Rhythmus zu klatschen oder im freien Teil des Innenraums zu tanzen. Jean Michel zeigte sich davon erfreut und forderte die Zuschauer förmlich auf mitzuklatschen und aufzustehen. Für „Chronologie 2“ verließ er dann kurz den sichtbaren Bühnenbereich um mit einem Akkordeon bestückt zurück zu kommen. Am Bühnenrand postiert und von einem kreisförmigen Laser umgeben, spielte er dann die Melodielinie auf seinem Akkordeon. Der Anblick hatte was ganz besonderes, denn in dem grünen Laserstrahlen wirkte Jarre wie in einem Käfig eingesperrt. Das sah absolut toll aus.

    

     

Der offizielle Teil war beendet und man konnte einen Moment durchatmen. Jarre bedankte sich bei dem tollen Publikum, ging von der Bühne um kurz darauf den Zugabenteil einzuläuten. Was hätte es anderes sein können, als „Oxygene 4“, mit dem er die Zugaben begann, dem Stück, mit dem er seinen Durchbruch hatte und das immer noch zu den populärsten Tracks seines Repertoires zählt. Zu „Oxygene 4“strömten weitere Zuschauer (aller Altersklassen) in den Innenraum um zu klatschen und zu tanzen, es war Party angesagt. Diese Szenerie wirkte auf mich wie die Szene des landenden Raumschiffs am Ende von Spielberg’s „Unheimliche Begegnung der 3. Art“, als Menschen ins gleißende Licht gehen. Eine ähnliche Aufmachung hat ja auch das Tourplakat von Jarre. Das Konzert hatte nun seinen Höhepunkt erreicht. Mit „Oxygene 12“ und „Fin De Siecle“, einem sehr ruhigen Stück, das nach einer weiteren kurzen Pause geboten wurde, endete dieses beeindruckende Liveevent.

     

Jean Michel Jarre hat zwar mit seinem Bombast, den er unter freiem Himmel geboten hat, Maßstäbe gesetzt, aber das mehr als zweistündige Konzert in der Halle stand dem in nichts nach. Klar können illuminierte Häuserfronten oder die Pyramiden nicht durch eine Leinwand ersetzt werden, aber was Jean Michel da in die Halle gezaubert hat, das sorgte für eine ständige Gänsehaut. Auch hatte ich das Gefühl, als habe sich Soundästhet Jarre mehr auf die Interpretation der Stücke konzentriert, die mir wesentlich abwechslungsreicher erschienen, als bei den großen Events. Ich habe wirklich selten ein so emotionales und mitreißendes Elektronikkonzert gesehen, das war ganz großes Kino. Wer noch die Möglichkeit hat, Jarre live zu erleben, der sollte unbedingt die Chance nutzen, es lohnt sich.

                    

Offizielle Setlist (wich in Nuancen ab)
Intro
Oxygene 1
Oxygene 2
Magnetic Fields 1
Equinoxe 7
Equinoxe 5
Rendezvouz 3
Magnetic Fields 1
Souvenir Of China
Oxygene 5
Variation 3
Equinoxe 4
Statistics Adagio
Revolution
Rendezvouz 2
Rendezvouz 4
Chronologie 6
Chronologie 2

Zugaben
Oxygene 4
Variation 4
Oxygene 12

Fin De Siecle

Stephan Schelle, 07.03.2010