Bad Sulza 2002_2
36 Stunden Festival in Bad Sulza

 

10 Jahre Manikin Konzert – 36 Stunden Live vom 05 bis 07. April 2002

Zehn Jahre ist es nun her, dass der Berliner Elektronikmusiker Mario Schönwälder sein Manikin-Records Label aus der Taufe gehoben hat. Neben eigenen Produktionen veröffentlichte er auch CDs anderer Künstler. Selbst Klaus Schulze und Manuel Göttsching (Ashra) haben Alben bzw. Boxen auf seinem Label herausgebracht. Grund genug, dieses Jubiläum gebührend zu begehen. Mario wollte dieses Fest nicht im kleinen Rahmen, sondern mit den Fans und Musikern seines Labels feiern.

Wo findet normalerweise ein Jubiläum dieser Größenordnung statt? Nun ich würde sagen in einem Saal oder einer Halle, vor allem wenn es statt eines großen Festaktes ein Konzert geben soll. Doch Mario entschied sich zu einer ganz anderen Location, die ihres gleichen sucht.

In der Nähe von Weimar im Bundesland Thüringen liegt der Kurort Bad Sulza. In diesem kleinen Ort wurde im November 1999 als Weltprojekt der Expo 2000 die Toskana Therme mit ihrem Liquid Sound eröffnet. Es handelt sich um ein Thermalsolebad, das drei große stufenartig angelegte Schwimm- und ein Außenbecken besitzt, in dem sich auf 35 Grad erhitztes Salzwasser befindet. Neben den Becken gibt es eine Saunalandschaft, Whirlpools und den Liquid-Sound-Tempel (ein Rundbau mit einem Becken und einer runden Kuppel - vergleichbar mit dem Aussehen eines 360-Grad-Kinos). Für das leibliche Wohl sorgt eine Cafeteria, in der man neben Gebäck und Warmgetränken auch Kaltgetränke, Salate und Nudelgerichte bekommen kann. Es fehlt also an Nichts. Im Bad befinden sich mehrere Lautsprecher über und unter Wasser sowie verschiedenste farbige Scheinwerfer, die sowohl das Kuppeldach wie auch die Wasserfläche beleuchten. Mit seinem Sound im Raum und der Beschallung unter Wasser ist die Toskana Therme bisher einzigartig in Deutschland. In den nächsten Wochen wird ein weiterer Tempel dieser Art in Berlin seine Schleusen öffnen.

Man kann sich also vorstellen, wie es bei der entsprechenden Musik wirkt, wenn man sich im Wasser befindet und das Bad/Wasser entsprechend beleuchtet ist - ich sage nur „einmalig“. Man kann förmlich Seele und Leib baumeln lassen - Entspannung pur.

Ausgerechnet diesen Ort hat sich Mario für sein Jubiläum ausgesucht. Den Hinweis erhielt er von Chris Lang, der aus der näheren Umgebung stammt, und von Wolfram Spyra, der bereits mehrere Male dort live gespielt bzw. als DJ elektronische Musik (z. B. Klaus Schulze) aufgelegt hat. Auch Mario Schönwälder und Detlef Keller hatten schon im Rahmen der Clubkonzerte und bei einem Vollmondbaden (vier Stunden von 22.00 bis 2.00 Uhr nonstop) in Bad Sulza live gespielt. Die Idee wurde dann von Mario und Mickey Remann von Liquid Sound in die Tat umgesetzt, denn man wollte, die Gäste nicht wie bei den anderen Konzerten gegen 2.00, wo es am schönsten ist, nach hause schicken. Die Vorbereitungszeit für dieses Ereignis betrug ein halbes Jahr.

Der weitere ungewöhnliche Umstand liegt in der Dauer des Konzertes. 36 Stunden Live-Musik nonstop sollte dem Publikum geboten werden. Das konnte ich mir anfangs gar nicht vorstellen und ich war erst etwas skeptisch und besorgt wie das denn wohl ablaufen sollte. Doch der Blick auf das Lineup bewog mich und Peter dazu, den Weg bis in die neuen Bundesländer auf uns zu nehmen. Der Homepage von Manikin-Records war zu entnehmen, das die Konzerte in der folgenden Reihenfolge ablaufen sollten:

Freitag, 5. April 2002

21:00 Uhr – Spyra
23:00 Uhr – Broekhuis, Keller & Schönwälder

Sonnabend, 6. April 2002

01:00 Uhr – Air Sculpture
03:00 Uhr – Tom van Draft (alias Thomas Fanger)
05:00 Uhr – Electric Orange
07:00 Uhr – Rainbow Serpent
09:00 Uhr – Broekhuis & Keller
11:00 Uhr – Arcanum vs Otarion
13:00 Uhr – Der Laborant vs Mario Schönwälder (der Laborant = Gerd Wienekamp)
15:00 Uhr – Mind~Flux
17:00 Uhr – Air Sculpture
19:00 Uhr – Fanger & Schönwälder
21:00 Uhr – Rainbow Serpent
23:00 Uhr – Electric Orange

Sonntag, 7. April 2002

01:00 Uhr – Spyra vs Chris Lang
03:00 Uhr – Keller vs Spyra
04:00 Uhr – "The Modulars" (= Keller, Schönwälder, Spyra, Lang)
05:00 Uhr – Keller & Schönwälder
07:00 Uhr – Arcanum, Broekhuis & Otarion
08:30 Uhr – Das Manikin-Marathon-Liquid-Orchester mit dem 36-Minuten-Finale!

Die zuvor genannten Künstler und Projekte bestanden aus insgesamt 15 Musikern, die nicht nur in ihren Formationen spielten, sondern sich auch gegenseitig unterstützten.

Dem Programm war zu entnehmen, dass die Liebhaber langer, schwebender Sequenzerläufe und Flächen auf ihre Kosten kommen würden und die, die da waren wurden auch nicht enttäuscht. Sie wohnten dem wohl außergewöhnlichsten und entspannendsten Konzert bei, das es bisher gab. Die Anwesenden sollten während ihres Besuches die Möglichkeit bekommen, sich zur, je nach Stimmung (z. B. Tag/Nacht) ertönenden schwebenden, spacigen Musik sprichwörtlich treiben zu lassen, denn das war in der großen Therme nicht nur möglich, sondern gewünscht. 36 Stunden lang wechselten sich die einzelnen Acts von Freitag 21.00 Uhr bis Sonntag 09.05 Uhr ab. Mit dem Programm wollte man nicht nur die Fans dieser Musikrichtung erreichen, auch andere Leute, die elektronische Musik nur aus dem Tatort etc. kennen, sollte die Musik nahe gebracht werden.

Voller Vorfreude erreichten wir gegen 19.30 Uhr die Therme. Aufgrund der kühlen Außentemperaturen schlug uns gleich beim Betreten des „aquamarinen Konzertsaales“ die hohe Raumtemperatur (wahrscheinlich an die 30 Grad) und die hohe Luftfeuchtigkeit entgegen. Also nichts wie aus den Klamotten gepellt und nur mit Badehose bekleidet und mit Badeschlappen bestückt (die sind hier Pflicht) in die Badelandschaft. Zwischen zwei Becken ragte, in der Mitte des Raumes, eine Art großer runder Balkon, in einer Höhe von ca. 5 bis 6 Metern. Auf diesem „Rundling“ (nein, nicht der in Duisburg) hatten die schon anwesenden Musiker ihre Instrumente aufgebaut. Hier sollte sich der musikalische Teil abspielen, der in der ganzen Therme zu genießen war. Auf gleicher Höhe befand sich ein Gang auf dem, wie auch an den Beckenrändern, gemütliche Liegesitze standen. Eine weitere Etage darüber befand sich eine große Fläche, auf der ebenfalls Liegesitze und Liegestühle standen. Von hier aus hatte man einen guten Ausblick auf den darunter befindlichen runden Balkon mit den Musikern.

Kurz vor Beginn der Veranstaltung gab es im Backstagebereich für die Musiker einige Worte vom Liquid-Sound-Chef Mickey Remann und von Mario Schönwälder, der die Musiker mit dem abschließenden Satz „Lasst uns rausgehen und 36 Stunden Spaß haben“ auf das Event einschwor. Es sollte also nicht nur für die Besucher, sondern vor allem für die Musiker selbst ein Erlebnis mit viel Spaß werden. Ich kann es an dieser Stelle schon sagen, es war ein Riesenspaß.

Ich sollte vorweg schicken, dass die dargebotene Musik eher die ruhige Sparte unserer elektronischen Musik darstellte. Das liegt vor allem daran, dass außer den Musikliebhabern, die extra für diese Veranstaltung gekommen waren (leider gab es laut Mario nur etwas 50 Vorbestellungen – ich habe auch nur vereinzelte Fans gesehen, die mir auch sonst bei diversen Festivals über den Weg laufen) hauptsächlich Kurgäste und Besucher aus der näheren Umgebung in der Therme waren, die sonst mit dieser Art von Musik eher keine Berührung haben. Einige dieser Gäste kamen dann auch bis an den „Bühnenrand“ um sich über die für sie neuartige Musik zu informieren. Gut, die meisten haben sicherlich diese Musikrichtung unbewusst schon vorher wahrgenommen (Film und Fernsehen), aber für sie war das auch ungewöhnlich.

Von den relativ wenigen Elektronikfans waren ein paar aus dem Ausland angereist. Neben Holländern, Belgiern und Engländern hatten zwei Amerikaner den weiten Weg aus den Staaten auf sich genommen, um dem musikalischen Ereignis beizuwohnen. Da konnten wir mit unseren 380 Kilometern natürlich nicht gegen anstinken.

Fast überall in der Therme ließ sich die Musik genießen. Ob man nun in der Sauna schwitzte, im Liegstuhl relaxte, in der Cafeteria sich den Bauch voll schlug oder die Leber ein bisschen wässerte, ja selbst unter Wasser waren die Klänge ein Genuss. Viele der Besucher, ob wegen der Musik gekommen oder nur zum Schwimmen, ließen sich rücklings auf dem Wasser treiben und hielten ihre Lauscher unter Wasser. So war es möglich, die Musik ohne Nebengeräusche zu hören. Am Tag blickte man durch die Fenster unter der Decke in einen strahlend blauen Himmel, in der Dunkelheit der Nacht konnte man seinem Spiegelbild in den Fensterscheiben folgen. Das sollte euch eigentlich genug Appetit auf das erlebte machen.

     

Pünktlich gegen 21.00 Uhr begann das Event mit dem Set des Spyra, der sehr rhythmische und gleichzeitig schwebende Klänge bot, ähnlich denen, die er bereits beim Berliner Konzert in 2000 brachte und die auf seiner aktuellen CD „Elevator To Heaven“ zu hören sind. Schon gleich bei diesem Set wurde Wolfram durch Chris Lang, mit dem er schon vorher live aufgetreten ist, unterstützt. Die beiden spielten auch am folgenden Abend einen weiteren Set, der sich aber völlig von diesem unterschied. Auch das Bow Chimes (Stahlcello) durfte nicht fehlen. Wolfram entlockte dieser Konstruktion wieder die unglaublichsten Klänge. Die teilweise skurrilen Töne, die er damit erzeugt passten sich seiner Musik sehr gut an. Es entwickelte sich gleich eine tolle Atmosphäre in der Therme. Dieser Set enthielt ausschließlich Musik vom Spyra.

Wolfram bot zum Ende seines Sets, das er bereits zwei Wochen zuvor in Bussum (Niederlande) gespielt hatte, ein orientalisch angehauchtes Stück (Kurt, du wirst es lieben) im Stile von „Tea House“ und „Ethnoo“ aus der CD „Elevator To Heaven“ (allerdings ohne Gesang). Dieser Festivalbeginn stellte für mich schon einen der vielen Höhepunkte der Veranstaltung dar. Lediglich das Plätschern der in gewissen Zeitabständen einsetzenden Wasserfontänen und Sprudelbecken störte den Hörgenuss etwas.

Ganz Programmgemäß ging das Festival gegen 23.00 Uhr in die nächste Phase über, ohne das ein Übergang zu hören war. Der Hauptakteur Mario Schönwälder haute nun zusammen mit Detlef Keller und Bas B. Broekhuis (E-Drum) in die Tasten. Anfangs wurden die drei noch von Bernd Braun (Arcanum) an der Gitarre unterstützt. Die vier bilden ja auch das project inter.com. Zu ihrer Musik wurden am oberen Beckenrand Filmprojektionen an eine Wand geworfen. Sie zeigten Landschafts-, Tieraufnahmen (hauptsächlich Fische) und Computeranimationen, die ihre Musik noch unterstützten.

Die drei (anfangs vier) lieferten die typischen langen Sequenzen und Flächen, die sich langsam entwickeln und die man von ihren CDs her kennt. Die Musik ist vergleichbar mit der Aufnahme vom Jordal Banks Konzert, die in der 3CD-Box „4-3-2“ erschienen ist. Dabei übernahm mal der Synthie und im ersten Teil mal die Gitarre die Führungsarbeit. Die Stücke waren unaufdringlich und passten sich der entspannten Atmosphäre gut an. Auch Bas blieb mit seinen E-Drums dezent im Hintergrund.

     

Nach gut einer Stunde Spielzeit wurden Walgesänge in die Musik eingeflochten, was wiederum sehr gut zur Örtlichkeit und zu den sanft schwebenden Flächen passte. Gegen 1.00 Uhr verließen die Musiker dann die Bühne wiederum zum Klang von Walgesängen.

Aufgrund der vorangeschrittenen Stunde (normal schließt das Bad gegen 22.00 Uhr), hatten sich sowohl die Becken, wie auch die Therme selbst schon merklich geleert. Trotz alledem sah man zu jeder Zeit Besucher in den salzigen Fluten treiben. Neben einigen „harten“ Fans blieben aber auch noch einige ganz „normale“ Gäste im Gebäude und genossen so die späten Stunden. Meiner Meinung nach hat dieses Festival mit seinem außergewöhnlichem Ambiente viel mehr Publikum verdient gehabt, zumal hier für’s Geld nicht nur die unübertroffene Anzahl von Konzerten als plus zu verzeichnen ist. Vor allem die Qualität der gebotenen Musik war die weite Reise wert.

Als nächstes stand der einzige Act an, der nicht zum Manikin-Label gehört. Air Sculpture aus England gaben sich die Ehre. Das die Band zu diesem Festival kam lag daran, dass vor längerer Zeit zwischen Mario und Air Sculpture ein europäisches Festival geplant war, zu dem die Engländer zugesagt hatten. Da dieses aber nicht zustande gekommen ist, nutzte Mario die Chance und löste die Zusage in Bad Sulza ein. Fans von der Insel und aus den Staaten waren extra für Air Sculpture, die bereits Kultstatus genießen, nach Bad Sulza gekommen.

Air Sculpture spielen Musik, die an die „Berliner Schule“ angelehnt, jedoch mit modernen Rhythmen versehen ist. Zu Beginn ihres Sets spielten sie allerdings sehr experimentelle Klänge, die aus ausgedehnten Flächen ohne Melodielinien bestand. Sie machten ihrem Namen alle Ehre, denn die Sounds die da an die Ohren der Besucher drangen, waren dazu geeignet die Gedanken schweifen zu lassen. Man konnte sich gut Gebilde am Himmel vorstellen, die langsam treibend ihre Gestalt verändern. Eine wirklich herrliche Art um sich treiben zu lassen, egal ob man im Wasser war oder wie einige das um diese Uhrzeit bevorzugten, gemütlich in der waagerechten auf einem Liegestuhl in den ruhigen Schlaf eintauchten. Mit zunehmender Dauer ihres Auftrittes wurde es dann aber melodischer und vor allem auch rhythmischer.

Während dieses Sets entschlossen wir uns dann auch aufgrund der späten Stunde eine Mütze Schlaf zu nehmen.

Nach dem wohlverdienten Schlaf der Nacht, bekamen wir als nächstes das Konzert von Detlef Keller und Bas B. Broekhuis mit. Die sehr ruhige und melodiöse Musik, die von Synthieflächen und Pianosounds geprägt war, stimmte uns sehr gut in den neuen Tag ein. Die schönen Flächen endeten gegen 11.00 Uhr und wurden von den nächsten beiden Musikern Arcanum (aka Bernd Braun) und Otarion (aka Rainer Klein) aufgenommen und weitergesponnen. Auch diese beiden schafften es mit ihren ruhigen Flächen und Sequenzen, zu denen sie harmonische Akkorde spielten, eine schwebende Atmosphäre zu schaffen. Man kann die Musik ihres Sets meiner Meinung nach am besten mit den Attributen verträumt und romantisch bezeichnen, wobei sie es immer vermieden ins kitschige abzudriften.

Die Musik, die sie spielten war im Stile ihrer aktuellen Soloalben „Labyrinth“ (von Arcanum) und „Creator“ (von Otarion) gehalten. Teile aus dem Liveprogramm haben sie auch schon live in einer Kirche in Frechen gespielt, bei denen ihre Musik streckenweise mit gesprochenen Texten unterlegt war.

Als nächstes stand dann wieder ein Duo auf dem Programm. Dieses mal spielte Mario Schönwälder mit dem Laboranten (alias Gerd Wienekamp – auch Teil des Duos Rainbow Serpent) zusammen. Neben den elektronischen Gerätschaften kam jetzt auch ein akustisches Gerät zum Einsatz, das Didgeridoo. Gerd spielte dieses Instrument, welches er sich vor 4 - 5 Jahren im Selbststudium beibrachte, ohne die Atemtechnik der Aborigenes zu beherrschen. Das war aber auch nicht notwendig, denn der dumpfe Klang des australischen Musikinstrumentes wurde durch den Sampler gejagt und konnte so im Ton länger erklingen. Die beiden boten bei ihrem Auftritt einen sehr spacigen und trancigen Sound.

Gerd und Mario hatten so noch nie zusammengespielt. Die Musik ihres Sets bestand aus Improvisationen. Lediglich auf die Tonart hatten sich die beiden geeinigt. Dieser Umstand war aber nicht zu hören, denn ihr Konzert war - wie alle anderen auch - sehr homogen.

Auch die Presse gesellte sich am Freitag und Samstag hinzu. So kam es, dass am Samstag morgen bereits der erste Artikel in der hiesigen Zeitung platziert wurde, in dem darauf hingewiesen wurde, dass für dieses ungewöhnliche Event ein Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde anstehe.

Gegen 15.00 Uhr gab es einen weiteren Höhepunkt des Festivals. Mind-Flux aus Berlin, das sind Thomas Fanger und Michael Kersten, übernahmen nun das musikalische Zepter.

     

Die erste halbe Stunde ihres Konzertes bestand aus ambientartiger Musik, die aus Flächen bestand, zu denen sich gelegentlicher Rhythmus der ruhigeren Art gesellte. Nach diesen ersten 30 Minuten setzten dann die für Mind-Flux typischen Beats ein, die erst langsam begannen und einen hypnotischen Sound entwickelten, und sich später dann etwas steigerten.

Zu den Rhythmen, die zum Teil minutenlang unverändert blieben, spielten sie Melodielinien, die sich ebenfalls erst langsam entwickelten. Bei diesem Part standen der Rhythmus bzw. die Beats - was die Lautstärke und die Mischung anging - klar im Vordergrund. Sie verstehen es Sounds der uns allen bekannten Tangerine Dream mit modernen Beats so zu verbinden, dass etwas vollständig neues entsteht. Auch Töne, die an den großen Franzosen, Jean-Michel Jarre, erinnerten waren zwischenzeitlich zu vernehmen. Michael Kersten hiernach gefragt, meinte nur, dass dies nicht gewollt sondern eher Zufall sei, wenn es so geklungen habe.

Nach einer Stunde setzte dann ein absolut geiler Sound ein. Wunderbare Flächen und der Sequenzer kam jetzt so richtig auf Touren. Es war unmöglich bei diesem Teil ruhig zu bleiben.

     

Das gespielte Material war zu 80 % neu, der Rest bestand aus Teilen bekannter Stücke, die sie in den Set einbauten. Mind-Flux zauberten einen absolut hypnotischen Set, bei dem man unweigerlichen in ihren Bann gezogen wurde. Einfach genial, einfach Mind-Flux.

Gegen 17.00 Uhr waren erneut die Engländer Air Sculpture am Werk. Dieser Set entsprach nicht dem aus der vorhergehenden Nacht. Sie starteten nicht mit langatmigen Flächen, sondern ließen gleich die Sequenzen sprechen. Druckvoll und mitreißend spielten sie ihre Sounds, die an die Elektroniker der 70‘er erinnerte, jedoch mit modernen Rhythmen versehen waren. Nach ca. 45 Minuten wurde es dann aber doch das erste mal ruhig und experimentell. Da zwitscherte und zirpte es zeitweise aus den Lautsprechern. Bei diesen langgezogenen Flächen machten sie ihrem Namen alle Ehre.

     

Und wieder musste oder durfte Mario Schönwälder ran. Im nächsten Set spielte er zusammen mit Thomas Fanger (aka Mind-Flux und Tom van Draft). Die beiden improvisierten ihre Musik, die wenig mit ihrem gemeinsamen Album „Analog Overdose“ gemein hatte. Zum Ende ihres Auftrittes waren Teile von dem Stück „First Contact“ zu hören.

Den Set von Rainbow Serpent musste Gerd Wienekamp ohne seinen Mitstreiter Frank Specht absolvieren, da dieser leider verhindert war. Gerd musste mehr Backings aus dem internen Sequenzer (Yamaha RM 1X) und von DAT in den Set einbauen, da er allein nicht auch noch Teile von Franks Part spielen konnte.  Gerd beschränkte sich bei dem Auftritt auf die Passagen, die er auch spielt, wenn die beiden zusammen auf der Bühne stehen. Das Konzert bestand hauptsächlich aus bekanntem Material, was aber durch neue ergänzt wurde. Dieser Auftritt unterschied sich vom ersten Set.

Der Bandname Rainbow Serpent hat übrigens seinen Ursprung in der australischen Mythologie.

Als nächstes stand ein Act auf dem Programm, der eigentlich gar nicht so richtig in die Elektronikszene passt. Oder etwa doch? Dirk Jan Müller (Keyboards) und Dirk Bittner (Gitarre, Keyboards und Vocodergesang) standen als Electric Orange auf der Bühne. Normalerweise gehören zu dieser Band noch der Schlagzeuger Eric Karow und auch der Bassist Tom Rückwald. Die Musik von Electric Orange ist eine Mischung aus 70‘er Jahre Psychedelic, Krautrock und Elektronik. Dirk Jan Müller, der Anfang der 90‘er mit der elektronischen Musik begonnen hat, ist im Laufe der Zeit mehr und mehr in Richtung Psychedelic und Krautrock übergegangen.

     

Der gebotene absolut abgefahrene Sound klang wie aus den 70‘ern. Damals hätte man sich zu diesen Klängen sicherlich eine Tüte angesteckt. Zu Beginn erklang ein sehr monotoner Rhythmus, auch der Einsatz der Gitarre war schon sehr „strange“. Beim Hören der Musik kam mir als erstes das Bild einer Karawane, die mit Kamelen gemächlich durch eine Wüste zieht, vor mein geistiges Auge. Bei ihrem Konzert kamen ältere Gerätschaften zum Einsatz wie Farfisa Mini-Compact, Korg ms20, Grundig tk23, 2 x Doepfer 404, 2x Kurzweil
k2000, mam Vocoder, mam Resonator, Korg Polysix, diverse Effektgeräte und
Gitarre.

Für meinen Geschmack hätte die Musik etwas druckvoller sein können. Im Vergleich zur aktuellen CD „abgelaufen!“ fehlte mir persönlich der Einsatz des Schlagzeuges und Basses. Der Auftritt von Electric Orange fiel zwar etwas aus dem Rahmen, passte aber ins Gesamtbild und sorgte so auch für ein wenig Abwechslung.

Gegen 1.00 Uhr in der Früh läutete dann Wolfram Spyra’s Bow Chimes (Stahlcello) fast nebelhornartig den Übergang von Electric Orange zum Auftritt von Spyra vs. Chris Lang ein. Bestand die Musik dieser beiden am Vorabend noch aus Stücken von Spyra, die Chris musikalisch unterstützte, so war das bei diesem Teil andersherum. Es wurde Musik von Chris geboten, der vom Sound wie auch von der Spieltechnik teilweise sehr nah an den Elektronikmeister Klaus Schulze herankam. Chris zauberte streckenweise Sounds aus der Schulzeära so zu Anfang der 90‘er, die absolut echt klangen. Hierzu spielte Spyra seinen typischen Stil. Wer nur die Musik hört, ohne die Akteure zu sehen, hätte meinen können, das es sich um ein Konzert von Spyra vs. Schulze gehandelt hat, was hier aber die Qualität von Chris Lang nicht in den Schatten stellen soll. Am Rande des Konzertes sagte Wolfram amüsiert: „Mario hat noch keine CD von Chris veröffentlicht, weil er sich zu sehr nach Schulze anhört. Die Fans würden bei einer derartigen CD glauben, es wäre Originalmaterial von ihrem Meister selbst.“

         

So gegen 3.00 Uhr übermannte uns dann doch die Müdigkeit und wir entschlummerten bei diesen herrlichen Tönen. In der Nacht wurde ich immer wieder wach, hörte die tolle Musik und schaute kurz nach, wer denn nun für diese Klänge verantwortlich war. Danach entglitt ich wieder schnell in die Welt der Träume. Kleines Manko am Rande: Gerade die Formation Keller vs. Spyra, an der auch Chris Lang mitwirkte, hätte ich gerne ausgiebig genossen. Da dieser Set aber erst um 3.00 Uhr begann, musste ich, da mich die Müdigkeit doch übermannte, darauf verzichten.

Beim Set von Keller & Schönwälder wurde ich dann wieder wach. Es folgte dann ab 7.00 Uhr ein Set, den Arcanum, Broekhuis und Otarion spielten. Genau wie am Vortag war diese Musik sanft und romantisch. Dazu passend wurde es draußen hell. Von meinem Platz auf der Empore, oberhalb der Bühne, hatte ich einen guten Blick durch die Glasflächen auf das Außenbecken und die Liegewiese. In regelmäßigen Abständen produzierte das warme Wasser, welches in das Außenbecken gepumpt wurde, Nebelschwaden in der kalten Morgenluft, die sanft dahin trieben. Dieser Nebel wurde von der aufgehenden Sonne erleuchtet und es entwickelte sich wieder ein magisches Szenario zu der herrlichen Musik. So wünsche ich mir öfter zu erwachen. Es überkam mich aber gleichzeitig ein etwas melancholisches Gefühl, da ja das Ende dieser außergewöhnlichen Veranstaltung Nahe war.

Nachdem die erste Müdigkeit abgeschüttelt war ging es dann eine Runde schwimmen. Zwar war außerhalb der Therme die Musik nicht zuhören (ich habe es nicht versucht im Außenbecken unter Wasser die Musik zu genießen), aber die Atmosphäre des frühen Morgens im Außenbecken zu schwimmen war einzigartig.

Ab 8.30 Uhr läutete dann der Großteil der Musiker - allen Voran natürlich Mario - das Ende des Events ein. Das so genannte Manikin-Marathon-Liquid-Orchester (Keller, Schönwälder, Broekhuis, Wienekamp, Arcarnum, Otarion, Lang, Spyra und Air Sculpture) startete zum Abschluss ihr 36 Minuten Finale. Man hatte sich unter den Musikern lediglich auf die Tonart geeinigt. Alles was dann kam, war wieder Improvisation pur. Und es klappte vorzüglich. Man merkte schon zu Beginn dieser Improvisation, dass allen ein Stein vom Herzen fiel, da alles so gut geklappt hatte und es bald geschafft war. Ja der ein oder andere war schon etwas überdreht, aber wer will ihnen das auch nach diesem Marathon verdenken. Gegen 9.05 Uhr war dann leider dieses Event zu ende. Vereinzelte Zugaberufe wurden dann auch nur noch belächelt. Zum Abschluss musste dann das obligatorische Gruppenbild geschossen werden, zu dem dann auch Mickey Remann mit hinzubeordert wurde, ohne das Spektakel nicht möglich gewesen wäre.

     

Als die Musik verklungen war und außer den Geräuschen in der Therme eine gewisse Ruhe einsetzte, war es ,mir schon merkwürdig zumute. Es fehlte etwas, das war schon ein seltsames Gefühl. Nie zuvor war ich aus einem Festival mit einer derartigen Entspannung heraus gekommen. Es war wie ein Kurzurlaub, völlig aus dem Alltag herausgerissen. Noch Tage danach habe ich diese Eindrücke des Wochenendes verarbeitet und denke immer noch gerne daran zurück.

Wow, was für ein Jubiläum. Mario hatte zu diesem gerufen und hat es geschafft einige der interessantesten und besten Acts zu diesem Marathon zu versammeln. Und nicht nur das die Künstler mit ihren eigenen Projekten live auftraten, nein, einige gingen auch Kollaborationen mit anderen Musikern ein. Eine Besonderheit bei diesem Festival ist unbedingt zu erwähnen. Durch den Aufbau sämtlicher Instrumente und Geräte waren keine störenden Umbaupausen notwendig. Es ist schon eine Meisterleistung, ein Ereignis zu organisieren, bei dem 15 verschiedene Musiker, innerhalb von 36 Stunden nonstop 20 Konzerte geben, die ineinander übergehen und bei dem es keine nennenswerten technischen oder sonstigen Probleme gibt. Mario, davor kann ich nur den Hut ziehen.

Interessant an den jeweiligen Wechseln zwischen den einzelnen Acts war, dass die nachfolgenden Künstler den Grundton der Vorgänger aufnahmen und sich daraus dann die eigene Musik entwickelte. Diese Übergänge waren vorher nicht geprobt. Das lässt sich bei der Anzahl der unterschiedlichen Künstler und vor allem der Entfernung in der sie beheimatet sind auch gar nicht organisieren.

Wie in der Elektronik-Szene üblich, standen auch hier die Musiker den Interessierten Rede und Antwort. Die Musiker sind sehr offen und gern zu Gesprächen bereit. In der Therme bot sich dazu auf gemütlichen Liegesitzen oder gar bei einer Runde im warmen Nass die Möglichkeit in entspannter Atmosphäre ein wenig zu plauschen.

Jeder der diesen Event versäumt hat, hat wirklich etwas einzigartiges verpasst. War es wirklich einzigartig? Am Ende der Veranstaltung wurde bereits darüber nachgedacht, im nächsten Jahr - wahrscheinlich um die gleiche Zeit - ein ähnliches Event zu organisieren, denn während der Konzerte gab es schon entsprechende Nachfragen. Ich kann euch also nur wärmstens (im wahrsten Sinn des Wortes) empfehlen, dann unbedingt in die Toskana Therme nach Bad Sulza zu kommen. Also holt den Straßenatlas heraus und markiert euch schon mal die Fahrtroute zur Therme.

Am Tag des Festivals erschien bei Manikin-Records eine DoppelCD in einer limitierten Auflage von 777 Stück, zu dem aktuelle wie damalige Künstler des Labels einen Titel beigesteuert haben. Ein Großteil der darauf befindlichen Musik spiegelt die Atmosphäre der Konzerte wider.

Daneben erschien am 08.04.2002, also einen Tag nach dem Event, eine CD, mit dem Titel Liquid Sound Volume 1. Diese CD enthält wunderbare Musik zum entspannen. Auf ihr sind mehrere Künstler darunter auch Wolfram der Spyra und Schönwälder & Friends mit je einem Titel vertreten. Beim hören der CD kann man sich sofort wieder in die Therme und die relaxte Stimmung im Bad zurückversetzen.

Nach ein paar Stunden Schlaf im Wohnwagen und dem Erwachen bei eisigen Temperaturen (es hatte in der Nacht gefroren und die Heizung sprang nicht an), begaben wir uns nach dem Frühstück gegen 9.30 Uhr wieder in die tropischen Gefilde der Therme.

          

 

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