Riverside – Anno Domini High Definition

Riverside – Anno Domini High Definition
insideout / spv (2009)
(5 Stücke, 44:44 Minuten Spielzeit)

Die polnische Artrockband Riverside sorgte gleich mit ihrem Debütalbum „Out Of Myself“ im Jahr 2003 für Furore. Seither hat das polnische Quartett zwei weitere Alben und eine EP nachgelegt, die ihren Status in der ersten Riege des Artrock neben Bands wie Porcupine Tree festigen. Am 19.06.2009 erscheint, zwei Jahre nach dem letzten Studioalbum „Rapid Eye Movement“, das sehnsüchtig erwartete vierte Werk mit dem Titel „Anno Domini High Definition“.


Für ihr viertes Album haben die Jungs einige symbolvolle Parameter gesetzt, wie zum Beispiel die Tatsache, dass der Albumtitel aus vier Worten besteht und die CD genau 44:44 Minuten lang ist. Während es der Opener auf gerade mal 5:45 Minuten Spielzeit bringt, liegen die restlichen Stücke bei mehr als sieben Minuten, die letzten zwei gar bei jeweils über elf Minuten Länge.

Laut Sänger und Bassist Mariusz Duda erzählt „das Album von Menschen, die noch bevor sie gelernt haben, wie man einen bestimmten Apparat bedient, ärgerlich behaupten, dass es schon nicht mehr aktuell ist. Und noch schlimmer: dass es gar nicht mehr funktioniert und man ab jetzt einen besseren Apparat verwenden muss. Für mich sind dies eher die Gedanken all jener Menschen, die jeden Morgen mit der Angst aufwachen, dass an diesem Tag ihr ’Haltbarkeitsdatum’ abläuft. Dies ist ein Album über Menschen, die wissen, dass sie den Anschluss verlieren, wenn sie nicht das Tempo erhöhen, über Menschen, die manchmal ihrem eigenen Willen zum Trotz vor nichts haltmachen dürfen, um ihre Ziele zu erreichen. Es ist ein Album über Chaos, ständigem Wettkampf, Unsicherheit, Stress und den Versuch zu überleben.“

Das erste was auffällt, ist, dass Michal Lapaj auf dem neuen Album ein bisschen mehr Raum für seine Keyboardpassagen eingeräumt wurde, die im stetigen Kontrast zu der Rhythmusgruppe und Piotr’s Gitarre steht. Das macht sich gleich im Opener „Hyperactive“ bemerkbar. Und dieser Titel ist wahrlich hyperaktiv, obwohl man ihm dies zu Beginn mit seiner verträumten Pianoeröffnung gar nicht anmerkt. Doch sobald nach etwas mehr als einer Minute aus dem Off das Schlagwerk loslegt, gewinnt der Titel unheimlich an Fahrt, so wie man es von Riverside gewohnt ist. Die Gitarre und vor allem Mariusz Gesang, der ungewohnt klingt, haben etwas unheimlich kraftvolles. Die Pianolinien sind längst verschwunden, aber Michal sorgt im Hintergrund für reichlich elektronische Untermalung, die sehr dezent aber immer wirkungsvoll, teils retromäßig angesetzt ist. Ein sensationeller Beginn.

Während Michal den ersten Track mit seinen Keyboards einleitet, gehören beim folgenden „Driven To Destruction“ die ersten Momente Mariusz’s Bass. Schnell setzen die anderen mit ihren Instrumenten ein und lassen es ordentlich krachen. Allerdings bewegt sich das Stück stilistisch im typischen Riverside-Umfeld und hätte gut auch auf den Vorgängern Platz gefunden. „Egoist Hedonist“ hat die treibenden Qualitäten eines „Rapid Eye Movements“ (Gänsehaut für Fans garantiert), gemischt mit einem ordentlichen Härtegrad durch die flirrenden Gitarrenwände, die in herrlichem Kontrast zu den retromäßigen Orgelsounds, Electroartigen Keyboards, Bläsersätzen, teils funkigen Gitarren und Maruisz Gesang stehen. Drüber hinaus zeigt das Stück einige Struktur- und Melodiewechsel und spielt darüber hinaus mit unterschiedlichen Lautstärken, was die Intensität des Stückes verstärkt. Ein absolut faszinierendes Stück.

Mit „Left Out“ und „Hybrid Times“ kommen dann die Longtracks des Albums. Mit einer sanften fast bluesigen, floydigen Gitarre (erinnert auch ein bisschen an Dire Straits) eröffnet „Left Out“. Zu diesen Gitarrenwolken singt Mariusz in einer zunächst recht zarten, verletzlichen Art, während im Hintergrund stellenweise Polizeisirenen zu hören sind. Sehr gut gefällt mir auch im Mittelteil der Synthiepart. Noch so ein unglaubliches Stück, das zwischen Art-, Prog-, Melodic- und Krautrock angesiedelt ist.

Mit dem fast zwölfminütigen „Hybrid Times“ endet die CD, nicht ohne vorher noch mal ein Feuerwerk abzufeuern. Wieder darf Michal mit seinen Pianoklängen einleiten. Doch auch dieser recht moderate Beginn negiert sich im Laufe des Stückes. Schon nach etwas mehr als einer Minute hauen die Jungs dem Hörer eine Soundwand an den Kopf, die sich gewaschen hat. Das ist absolut ungewöhnlich und faszinierend zugleich. Es klingt wie Riverside und streckenweise auch wieder nicht. Ich habe das Gefühl, als wollten die Jungs den Song mit Tönen voll kleistern. Dieser Wust an Sounds ist aber so strukturiert, dass sie es schaffen den Song nicht zu überfrachten. Zum Ende hin gibt Michal dann noch mal alles an seinem elektronischen Instrumentarium. Was er da an Sounds und treibenden Beats rausholt steht im Gegensatz zu dem hektischen Vorspiel der ersten Hälfte. Zum Ende hin entlädt sich das Stück dann noch in einen ekstatischen Ausklang.

Mit „Anno Domini High Definition“ haben die vier Polen meine Erwartungen vollends erfüllt. Sie untermauern damit ihre Stellung in der Artrockszene auf’s eindrucksvollste und fügen ihrem Stil weitere Variationen hinzu. Diese Scheibe zeigt, dass sich die Band stetig weiterentwickelt. Wenn es ein Haar in der Suppe gibt, dann das die CD schon nach einer dreiviertel Stunde beendet ist und man als Hörer nach mehr dürstet. Neben der normalen CD wird es noch eine Special Edition geben, die eine DVD mit einem Liveauftritt in Amsterdam als Bonus bereithält. Absolute Empfehlung !!!

Stephan Schelle, Juni 2009

   

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