Patenbrigade: Wolff – Baustoff [Popmusik für Rohrleger]

Patenbrigade: Wolff – Baustoff [Popmusik für Rohrleger]
Zweieck Recordings / Soulfood (2009)
(19 Stücke, 56:53 Minuten Spielzeit)

Patenbrigade: Wolff, welch ein ungewöhnlicher Bandname. Dahinter verbergen sich die beiden Musiker Sven Wolff und Lance Murdock. „Eine Patenbrigade war in der ehemaligen DDR ein Arbeiterkollektiv, das eine Patenschaft über Schulklassen oder Kindergartengruppen übernahm. Damit sollte die Entwicklung „sozialistischer Persönlichkeiten“ unterstützt und ein Verständnis vom Arbeitsalltag und Gemeinschaftsleben des Arbeiter- und Bauernstaates vermittelt werden.“


Das klingt zunächst politisch und veraltet, jedoch zeigt die Musik der beiden Berliner, die ein ausgesprochenes Faible für Großbaustellen haben, in eine ganz andere Richtung. In Anlehnung an den Projektnamen und die Interessen an Baustellen, macht der Albumtitel „Baustoff [Popmusik für Rohrleger]“ nicht nur Sinn, sondern zeugt auch von einem gewissen Humor. Neben den beiden wirken noch eine ganze Anzahl an Gästen - vor allem Sängerinnen und Sänger - mit, die dem Album eine große Portion Abwechslung spendieren.

Wolff und Murdock – Patenbrigade: Wolff gibt es bereits seit 2001 - haben 19 Titel auf ihrem Album versammelt, allerdings sind es nicht 19 eigene Songs, vielmehr werden die Stücke von einigen kurzen Tracks unterbrochen, in denen Nachrichten über Unfälle auf Baustellen vorgelesen werden, während dies durch Rhythmus und elektronischem Sound unterlegt wird.

Los geht es mit einem kurzen Intro mit dem Titel „Aufbau“. Dieses einige Sekunden lange Intro hat etwas von der Düsseldorfer Band Kraftwerk. Im Abschließenden „Abbau“ wird diese Stimmung noch einmal ausführlicher aufgenommen und im Stück „Popmusik für Rohrleger“ kommt dann dieser Kraftwerkstil auch noch einmal zum Zuge. Als zweites folgt der erste Song „Das Kraftfeld“, bei dem die Beats stampfen und eine eingängige Melodie sofort dazu führt, dass man beim Hören lostanzen will. Dieser, wie auch die anderen Songs bewegen sich im Stil von Elektropop, Techno, Industrial, Wave und elektronischem Pop der Marke Schiller.

„IM: Benecke“ klingt vom Rhythmus wie Schiller’s „Das Glockenspiel“, das ist aber auch alles, was an diesen Titel erinnert. Der Track ist ungewöhnlich, denn in dieses Stück integrieren die beiden eine Art Telefonanruf, bei dem tödliche Unfälle auf Baustellen vorgelesen werden. Schade, denn dies zerstört meines Erachtens diesen tollen Track. Das ist der Anfang, in weiteren kurzen Teilen kommen dann weitere Unfallmeldungen. Sind diese zunächst noch interessant, da es schon recht skurril und ungewöhnlich zugleich anmutet, so wird das mit der Zeit aber doch recht nervig. Die beiden hätten darauf verzichten sollen, denn sie unterbrechen damit die gute Stimmung, die die sehr guten Songs verbreiten.

„Fehler 404“ ist ein toller Song, der Industrial und Wave mit Electropop vermischt. „My Mountain“ lässt bei mir Propaganda-Erinnerungen wach werden, während einige Passagen sehr stark nach Schiller klingen, wofür auch Nadine Stelzer mit ihrem zarten Gesang beiträgt. Und auch „Never Neverland“ hat trotz des Waveartigen Gesangs und der zusätzlichen weiblichen, französischen Stimme - sie fördert damit Anleihen an das 80’er Popprojekt Visage zu Tage - einen mächtigen Schuss Schiller zu bieten. „Arbeit an der Oberleitung“ ist ein Instrumentalstück in bester traditioneller Elektronikmanier. Antje Schulz kann in dem Stück „Dreh mir die Zeit zurück“ vollends überzeugen. Dieser Song könnte auch gut auf einem Schiller-Album platziert werden und bei „Voyage“ stellen sich mir gar die Körperhaare vor Freude hoch. Was für ein unter die Haut gehender Song!! Mit „Popmusik für Rohrleger“ verneigen sich die beiden dann wieder vor der wegweisenden Düsseldorfer Elektronikband Kraftwerk, denn das Stück klingt wie eine Version von „Musique Non Stop“.

„Baustoff [Popmusik für Rohrleger]“ ist ein Album ganz nach meinem Geschmack, das aber mit den gesprochenen Unfalltexten – aber diese Tracks kann man ja überspringen – Passagen enthält, die den sehr guten Eindruck etwas, wenn auch nur unmerklich, drücken. Die einzelnen Songs zünden schon beim ersten Hördurchgang und setzen sich im Hirn fest. Wer auf tolle Melodien mit knackigen Beats steht, der sollte sich dieses Album zulegen, zumal die Klangqualität hervorragend ist.

Stephan Schelle, Januar 2010

   

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