Octopus – The Lost Tapes
Sireena Records (2023)

(6 Stücke, 36:48 Minuten Spielzeit)

Beim Aufräumen von Speichern sind schon so manche Schätze gehoben worden. Dabei muss es aber nicht immer Gold sein, manchmal steckt das Wertvolle auch auf einem Datenträger. Jennifer Kowa ist solch eine Entdeckung gelungen. Sie hat vor einiger Zeit eine Kassette der deutschen Rockband Octopus gefunden, in der sie Sängerin war (damals hieß sie Jennifer Hensel). Die Stücke darauf wurden im Sommer 1974 in einem Studio eingespielt und gelangten 1976 in die Hände von Günther Kröber und Sky-Records, der Octopus daraufhin direkt einen Plattenvertrag anbot.


Dieser Schatz wird nun erstmals am 21.07.2023 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Die CD trägt den bezeichnenden Titel „The Lost Tapes“. Mir lag die CD-Version vor, die in einem vierseitigen Digipak mit achtseitigem Booklet erscheint. Die sechs Stücke sind in diesen Versionen bisher unveröffentlicht. Der Song „Son Of Sorrow Part I“ ist in einer anderen Version auf ihrem zweiten Album „An Ocean Of Rocks“ erschienen.

Mitte 1972 gründeten Peter Hensel, Claus D. Kniemeyer, Dieter-Paul Becke und Jennifer Hensel die Band Octopus. Alle Mitglieder studierten oder leben zu diesem Zeitpunkt im Studentenwohnheim an der Universität Frankfurt am Main. Werner Littau meldet sich auf eine Anzeige am schwarzen Brett in der Universität Frankfurt im Herbst 1972 und wird Keyboarder von Octopus. Die Band komponiert und erstellt ein Programm von 90 Minuten. Inspiriert von Bands wie Beggar’s Opera, Camel, Yes und anderen Prog-Rock-Bands versucht man von Anfang an eine Eigenständigkeit zu entwickeln. Der erste Auftritt findet in Ranstadt bei Frankfurt am 20.11.1973 statt. Im Frühjahr 1974 ergänzt Hans-Paul Sattler die Band mit seinem Mellotron und Fender Rhodes. In den folgenden Monaten in 1974 spielt die Band 25 Auftritte in ganz Deutschland. Sogar ein Auftritt in der Düsseldorfer Philippshalle am 25.04.1974 findet im Rahmen eines Festivals statt. Octopus begeistert schnell die Fans. Jennifer ist nicht nur der optische Mittelpunkt der Band. Ihre kraftvolle Rock-Stimme interpretiert die anspruchvollen Texte von Claus D. Kniemeyer in einer Art und Weise, dass viele Journalisten sie schnell zur besten Prog-Rock-Sängerin Deutschlands zählen. Im Sommer 1974 nimmt die Band dann ein Demo im Studio „Panne und Paulsen“ auf, das nun vom Sireena Records Label, die auch schon die vier Studioalben wiederveröffentlichten, erstmals veröffentlicht wird.

Die sechs Stücke wurden in folgender Besetzung eingespielt: Jennifer Hensel (Gesang), Peter Hensel (Gitarre), Claus D. Kniemeyer (Bass), Werner Littau (Keyboards), Hans-Paul Sattler (Mellotron) und Dieter-Paul Becke (Schlagzeug).

Der erste Song auf dem Album ist das 4:46minütige „Judgement Day“. Der Song zeigt auch gleich in welcher Richtung Octopus damals unterwegs waren. Sie spielten straighten 70’er Jahre Rock, der eigenständig war, aber auch immer mal wieder Ähnlichkeiten zu Bands wie Uriah Heep & Co. aufzeigte. „Judgement Day“ ist ein druckvoller Song, der im Mittelteil einen sehr ruhigen, proggigen Part besitzt. Jennifers Stimme passt bestens zu diesem Sound und zeigt sich variantenreich. Darüber hinaus sind die Orgelklänge sehr markant.

Dem folgt das 7:17minütige „Time In My Hands“, das durch Rhythmus- und Themenwechsel - ein Merkmal der Band - besticht. In der ersten Hälfte geht die Band instrumental ans Werk und erst nach mehr als vier Minuten steigt Jennifer dann mit ihrem klaren Gesang ein. Das 4:28minütige „Zipoli“ ist eine Neuinterpretation des Stückes aus dem 17. Jahrhundert, das von Domenico Zipoli komponiert und von Peter Hensel arrangiert wurde.

Das 9:04minütige „Son Of Sorrow Part I“ ist mit der Version „Son Of Sorrow“ von „An Ocean Of Rocks“ nicht mehr zu vergleichen, da die Unterschiede immens sind. In dieser Version herrscht klar der Sound der frühen 70’er Jahr vor.

Sireena Records hat mit „The Lost Tapes“ eine wahre Perle des deutschen Rock der 70’er Jahre veröffentlicht. Das Demoband, das Jennifer Kowa wiedergefunden hat, zeigt die Band Octopus in bestechender Form. Es ist nachvollziehbar, dass diese Songs der Band einen Plattenvertrag bescherten.

Stephan Schelle, August 2023

   

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