Novalis - Schmetterlinge
Vertigo / Capitol / Universal Music (2017)

(CD: 133 Stücke, 715:55 Minuten Spielzeit
DVD: 6 Stücke, 60:38 Minuten Spielzeit)

„Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß wie Wolken schmecken.
Der wird im Mondschein, ungestört von Furcht, die Nacht entdecken.“

Diese Zeilen stammen nicht - wie man vielleicht meinen könnte - von einem Dichter, sondern von einer deutschen Rockband, die in den 70’er Jahren bewies, dass poetische Texte und Rockmusik kein Gegensatz sein muss. Ihre Musik wurde damals von der Presse mit „Rockmusik für zarte Ohren“ (Neue Westfälische), „Soft-Rock“ (Hildesheimer Allgemeine Zeitung), „Rockpoesie“ (Hamburger Abendblatt) oder „Romantik-Rock“ (B.Z. Berlin) umschrieben.


Wenn es eine Band in Deutschland gibt, die die Bezeichnung Rockpoeten verdient hat, dann ist das ohne Zweifel Novalis. Sie haben es in den Siebzigern und Achtzigern verstanden, unter anderem Texte des deutschen Dichters und Frühromantikers Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg, (1772-1801), der unter dem Pseudonym Novalis bekannt ist, in Musik umzusetzen. Aber nicht nur fremde Texte wurden für ihre Songs benutzt, sie schrieben auch eigene sehr lyrische Worte, was sie einzigartig in der damaligen Deutschrockszene machte.

Nachdem großen Erfolg der Grobschnitt-Box „79:10“ widmet sich Universal Music mit Novalis einer weiteren wichtigen und sehr beliebten Band der deutschen Rockmusik. Die aus Hamburg stammende Band Novalis bestand in der Zeit zwischen 1971 und 1985. In diesem Zeitraum veröffentlichten die Hanseaten ein Dutzend Alben.

Diese sowie die beiden in 1993 und 2009 veröffentlichten Livealben erscheinen am 31.03.2017 in einer sehr schönen Box. Als Bonus wurden der Box noch eine 15. CD mit bisher unveröffentlichtem Material sowie eine DVD mit Aufnahmen aus dem Fernsehen und aus den Privatarchiven der Band spendiert. Für die klangliche Aufbereitung sorgte kein Geringerer als Eroc, der aus den Aufnahmen wieder alles herausgeholt hat.

Novalis, die sich 1971 gründeten und nach dem deutschen Dichter Novalis benannte, machten auf ihrem Debütalbum „Banished Bridge“ noch Progressive Musik, die mit Pink Floyd, The Nice, King Crimson oder Procol Harum verglichen wurde. Die Texte waren noch in englischer Sprache.

Eine wichtige Station in der Bandgeschichte stellt der Wechsel des Produzenten dar. Für Jochen Petersen übernimmt 1974 dieses Amt kein geringerer als Achim Reichel (Rattles und langjährige Solokarriere). Mit ihm entstand die Idee, dem Bandnamen entsprechend, in deutscher Sprache zu singen. So entstanden auf dem selbst betitelten Album die Novalis-Klassiker „Es Färbte Sich Die Wiese Grün“ und „Wer Schmetterlinge Lachen Hört“, die immer wieder gerne bei ihren Konzerten gespielt wurden.

Das dritte Album „Sommerabend“ wurde als Quartetts Job, Rahn, Schünzel und Biereichel eingespielt und erschien im Jahr 1976. Erstmals wird für das Stück „Wunderschätze“ ein Text des Dichters Novalis verwendet, der von Detlef Job bearbeitet wurde. Mit diesem Album erfuhren sie erstmals bundesweite Anerkennung und es verhalf ihnen zum Durchbruch, was sich auch in den guten Verkaufszahlen niederschlug. Das Album verkaufte sich schnell mehr als 100.000 mal und mit ihm schafften sie es auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu werden.

Mitte 1976 suchte die Band einen neuen Sänger und schaltete eine entsprechende Suchanzeige, auf die sich der aus Österreich stammende Fred Mühlböck meldete. Mit seinem Eintritt begann für Novalis eine neue Ära. Mit seiner markanten Stimme, seinem Gesangsstil und der Art Gitarre zu spielen, aber vor allem durch sein Charisma auf der Bühne verlieh er der Band ein neues Profil. Es hatte sich die wohl beste Formation gebildet, deren Alben „Konzerte“, „Brandung“, „Vielleicht bist du eine Clown?“, „Flossenengel“ und „Augenblicke“ hochwertige und erfolgreiche Alben an den Start brachte. Ab 1982 baute die Band dann - auch aufgrund von Personalwechseln – ab, was ihren Tiefpunkt im 1985’er Album „Nach uns die Flut“ fand. Der Albumtitel ist hier Programm. Danach folgten noch zwei Livealben, die Posthum veröffentlicht wurden, auch wenn sich Novalis nie offiziell aufgelöst haben.

All diese 14 Alben finden sich in ausgesprochen guter musikalischer Qualität in der Box, wofür der Soundmagier Eroc gesorgt hat. Transparenz und Dynamik sind perfekt ausgesteuert. Die CDs selber sehen aus wie kleine Vinylscheiben, denn sie sind auf der Oberseite mit Rillen versehen und auf beiden Seiten komplett schwarz gestaltet.

CD Nr. 15 ist eine Bonusdisk mit zum größten Teil bisher unveröffentlichten Stücken der Band sowie dem Hip Hop Song „Block Rock“ von Ghostface Killah, bei dem der Musiker einen Sample des Novalis-Instrumentalstückes „Dronsz“ verwendet hat. Das ist zwar ganz witzig, allerdings kann ich mit Hip Hop nichts anfangen, daher kann ich das Stück auch nicht komplett hören, zerstört der Gesang für meinen Geschmack doch die Musik.

Daneben beinhaltet die CD noch mit dem elfminütigen „Wait For Me“ und dem siebenminütigen „Changin’ Days“ frühe Demostücke, die klanglich gut aufgearbeitet wurden. Das sind zwei kleine Schätze, die da gehoben wurden. Die Liveaufnahmen (alle wohl Bootlegaufnahmen) von „Dronsz“, dem bisher unveröffentlichten „A New Beginning“, „Inside Of Me (Inside Of You)“ und „Children Of Your Father“ (eine unveröffentlichte Urversion von „Wer Schmetterlinge lachen hört“) vervollständigen diese Bonus-CD.

Als weiteren Bonus wurde der Box eine DVD spendiert, auf der eine Stunde Bildmaterial über die Band zusammengestellt wurde. Sechs TV-Beiträge, darunter die Sendung „Szene 77“ mit dem jungen Moderator Thomas Gottschalk und einem Livemitschnitt des Stückes „Wer Schmetterlinge lachen hört“ sowie Beiträge aus „Rockpop in Concert“ aus 1978, der ZDF-Sendung „Sparring - Rockmusik“ und „Rockpop“ beide aus dem Jahr 1979, der ORF-Sendung „Okay“ aus 1980 und der ARD-Sendung „Spielbude“ aus 1985 sind auf der DVD enthalten. Bei dem Song „Rückkehr“ vom „Flossenengel“-Album, das in der 1980’er Sendung „Okay“ kommen nostalgische Gefühle auf, da Bilder von den Filmen gezeigt werden, die bei den Konzerten 79/80 genutzt wurden. Daran anschließend gibt es eines der seltenen Fernsehinterviews (in deutscher Sprache). Und bei dem TV-Beitrag aus 1985 gibt es mit dem Song „... Und wenn die Gitarren brennen“ noch Bilder vom letzten LineUp mit Sänger Ernst Herzner.

Weiterhin gibt es noch Bildmaterial bei der die Band 1977/1978 Open Air im Hamburger Stadtpark zu sehen ist. Zwar passen Ton und Bilder nicht überein, das tut der guten Stimmung und dem Flair, das diese Bilder ausstrahlen, aber keinen Abbruch. Es ist ein tolles Zeitdokument. Das Bildmaterial der DVD ist Gold wert, gibt es doch nicht allzu viel bewegte Bilder von Novalis.

Das Boxset beinhaltet noch ein Poster mit einem Foto von den Promoaufnahmen zum „Flossenengel“-Album. Als weitere Zugabe liegt ein 56seitiges Buch im LP-Format bei, in dem ein kurzer Text zur Bandgeschichte, Infos zu den Alben sowie alle Songtexte und zahlreiche Fotos, die teilweise bisher unveröffentlicht sind, enthalten sind. In den Innentaschen des Buches sind die 16 Silberlinge in Taschen eingelegt. Leider hat man den Alben keine eigenen Hüllen spendiert. Das Herausnehmen und Zurücklegen kann so zu Kratzern auf den Scheiben führen.

Mit der Box sind nun alle Alben von Novalis erstmals auf CD erhältlich und das in bester Qualität, denn die Aufnahmen lassen keine Wünsche übrig (außer das mehr Bonusmaterial wünschenswert gewesen wäre). Mit der Veröffentlichung kommen sie zwar nicht an die Grobschnitt-Box „79:10“ heran, die prall gefüllt mit umfangreichem Bonusmaterial und Infos im Booklet war, aber mit „Schmetterlinge“ wird trotz alledem eine der bedeutendsten deutschen Rockbands der 70’er und 80’er Jahre im ansprechenden Maß gewürdigt. Für Freunde der deutschen Rockmusik dieser Phase eine unverzichtbare Zusammenstellung, die in keiner Krautrocksammlung fehlen sollte.

Meine 2002’er Novalis-Story habe ich mit den Worten beendet: „Vielleicht bin ich ein Clown wenn ich mir wünsche, an einem lauen Sommerabend bei Neumond die Augenblicke zu genießen, in denen Sterntaucher unter der Banished Bridge in der sanften Brandung zu  Flossenengeln werden. Dann möchte ich bei Konzerten von Novalis, deren Musik wie ein Bumerang auf mich zukommt, die Schmetterlinge lachen hören. In solchen Fällen denke ich, dass erst Nach uns die Flut kommt. In diesem Sinne: Novalis - lebt!“ Und dieses wunderbare Gefühl erlebe ich derzeit beim durchstöbern dieser Box, die mir die Erinnerungen an eine außergewöhnliche Band zurückbringt, erneut.

Für alle die mehr über die Band erfahren wollen: eine ausführliche Novalis-Story (geht weiter als der Text in der Box), die ich 2002 für den German Rock e.V. geschrieben habe könnt ihr hier lesen.

Stephan Schelle, März 2017

   

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