Novalis – Letztes Konzert 1984

Novalis – Letztes Konzert 1984
Fresh Fruit / Made In Germany Music (2010)
(16 Stücke, 83:24 Minuten Spielzeit)

Auf die offizielle Veröffentlichung des bisher höchstens als Bootleg erhältlichen Livemittschnittes aus 1984 haben Novalis- und Krautrockfans lange gewartet. Ursprünglich sollte dieses Album bei insideout erscheinen, doch die Insolvenz des Labels hatte das Projekt gestoppt und so war es zweifelhaft, ob der Mitschnitt je das Licht der Laser erblicken würde. Fresh Fruit und Made In Germany Music, neue Label / Distributer auf dem deutschen Musikmarkt haben es möglich gemacht und bringen am 26.02.2010 die CD „Letztes Konzert 1984“ von Novalis heraus.


Das erste was auffällt ist die Tatsache, dass die Aufmachung der CD genau so liebevoll und grafisch im gewohnten Stil, so wie man es bisher von insideout kannte, präsentiert wird. Die beiden CDs befinden sich in einem schönen sechseitigen Digipack, dass neben den beiden Silberlingen auch noch ein achtseitiges Booklet enthält, dass Linernotes von Matthias Mineur (inkl. Anmerkungen von Hartwig Biereichel) enthält und darüber hinaus einige bisher unveröffentlichte Livefotos präsentiert.

Das Cover ist ganz im Stile des 77’er Albums „Konzerte“ gehalten. Genau wie bei dem 77’er Album zieren Liveaufnahmen, die in einer Kreisform zusammengefasst wurden, das Cover. Selbst die Schrift ist im gleichen Stil gehalten. Allerdings liegen zwischen den beiden Aufnahmen sieben Jahre und während das 77’er Album auf dem Höhepunkt der Band entstand, stellt „Letztes Konzert 1984“ – wie es der Titel schon verrät – ein letztes Konzert der Band dar. Zwar nicht das letzte von Novalis, aber das letzte im erfolgreichsten Lineup zusammen mit Sänger Fred Mühlböck.

Hatten Novalis ihre Hochzeit in den 70’ern, so ereilte sie das Schicksal vieler Art- und Progressive-Rockbands Anfang der 80’er, als der Punk und die Neue Deutsche Welle diese Art von Musik in den Hintergrund drängte. Was aus heutiger Sicht sehr bedauerlich ist, denn die Qualität des Art- und Progressive-Rocks hat sich überdauert und gezeigt, dass in diesem Genre viele zeitlose Stücke entstanden sind, während vieles aus dem Punk- und NDW-Bereich in Vergessenheit geraten ist.

Die Aufnahme dieses fast anderthalbstündigen Mitschnittes ist im Sommer 1984 während eines Open Air Konzertes in Hamburg entstanden. Dass der Sound so transparent und dynamisch klingt  ist mal wieder dem unglaublichen Gehör und Gespür von Eroc (Ex-Grobschnitt-Schlagzeuger und exzellenter Remasterer) zu verdanken. In der Besetzung Lutz Rahn (Tasteninstrumente), Fred Mühlböck (Gesang, Gitarre, Flöte, Vibraphon), Detlef Job (Gitarren), Hartwig Biereichel (Schlagzeug) und Heino Schünzel (Bass) standen sie auf der Bühne. Nach dieser Show gab es einen Bruch, denn Fred verließ die Band.

Das Album zeigt einen Querschnitt der letzten Alben der Band und hat zu „Konzerte“ lediglich mit „Wer Schmetterlinge lachen hört / Irgendwo, Irgendwann“, das hier aber als Medley vorliegt, keine Überschneidungen zu bieten. „Letztes Konzert 1984“ stellt somit ein unverzichtbares Livedokument des deutschen Rock bzw. des Krautrock dar. Dazu kommt, dass die Stücke in den Liveversionen mehr Dynamik aufweisen, als es die Studioversionen vermögen. Deutlich wird dies beispielsweise bei den Stücken „Fährmann“ und „Kleinwenig mehr“, die richtig gut abgehen und zeigen, welch Melodie und Potenzial in ihnen steckt.

Hartwig Biereichel meint selbst über diese Veröffentlichung, dass sich einige Musikjournalisten wieder das Maul zerreißen werden, weil „Da sind ja Verzerrungen, es zischelt und zischt (Anmerkung: die Aufnahme des Gesangs ist gemeint), die Gitarre ist oft zu laut und so weiter diverse Male danebengegniedelt – ja überhaupt und so … Klar das stimmt alles, es ist ja auch ein echter Livemitschnitt mit all seinen Fehlern. Aber es ist authentisch und völlig unbearbeitet (abgesehen von Erocs wundervollem Remastering), die kleinen spieltechnischen Fehler sind und waren Teil einer Novalis-Show. Dafür lebt es und hat Power.“

Was Hartwig da äußert stimmt. Die Aufnahme ist so direkt, dass man meint, mitten im Publikum zu stehen. Bisher war der Mitschnitt nur als Bootleg zu haben, was man zwar an den Nebengeräuschen hört, da klatscht direkt neben einem ein Fan, oder man hört einen kurzen Gesprächsfetzen, die Musik kommt aber aus den Boxen, als würde man direkt vor der Bühne stehen und das macht meiner Meinung nach einen guten Livemitschnitt aus. Die Aufnahme atmet und es ist den Machern und Musikern hoch anzurechnen, dass sie sie nicht durch Overdubs geglättet haben sondern sie so, wie sie aufgenommen wurde auch auf CD gebannt haben. Und wenn an der ein oder andern Stelle nun wirklich mal ein Verspieler ausgemacht werden sollte, na und … Ich mag Musik die lebt und nicht steril rüber kommt und genau diese lebendige Zutat macht die Aufnahme aus.

Es freut mich ganz besonders, dass dieses Zeitdokument noch herausgekommen ist. Jedem Liebhaber deutscher Rockmusik kann ich diese CD nur wärmstens ans Herz legen. Das neue Album ergänzt die 77’er CD „Konzerte“ und dokumentiert das Schaffen einer Band, die zu den wichtigsten deutschen Gruppen der Krautrockära gehörte. Es ist zu hoffen, dass die bisher noch nicht remasterten Alben von Novalis nun auch endlich auf den klanglichen Stand gebracht werden, der ihnen gebührt.

Mit dem Kauf unterstützt jeder zusätzlich ein kleines Label, das gerade aus dem Schatten getreten ist und hoffentlich noch weitere Veröffentlichungen hervorbringen wird.

Stephan Schelle, Januar 2010

   

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