Neal Morse – Testimony 2

Neal Morse – Testimony 2
insideout music (2011)
(16 Stücke, 115:38 Minuten Spielzeit)

Nach dem Konzeptalbum „Snow“ von Spock’s Beard, das im Jahr 2002 erschienen ist, verließ der Multiinstrumentalist Neal Morse, Kopf der US-amerikanischen Band, die Gruppe um fortan als Solokünstler seiner Eingebung zu folgen und christlich angehauchte Songs zu schreiben und zu veröffentlichen. Der erste Output nach dem Ausstieg bei Spock’s Beard war das Album „Testimony“, das ein Jahr später, im Jahr 2003, auf den Markt kam.


Während Spock’s Beard mit „Feel Euphoria“ stilistisch härter wurden und sich ein wenig vom Stil der vergangenen Tage verabschiedeten, klang „Testimony“ musikalisch ganz nach Morse und Spock’s Beard. Diesen Stil hat Neal auch auf seinen Sololaben fortgeführt. Die Fangemeinde geht zwiespältig mit Neals Musik um. Die einen verübeln ihm seinen christlichen Kreuzzug, andere wiederum mögen seinen typischen Sound, den er auf seinen Alben präsentiert als fehlende Weiterentwicklung interpretieren. Fest steht aber, dass Neal Morse ein Ausnahmemusiker ist, der es immer wieder schafft, auf seinen Produktionen herrliche Melodien zu erschaffen.

„Testimony“ war ein Album, bei dem Neal viele Sachen selbst einspielte und sich von einigen Gastmusikern Unterstützung geholt hat. Darunter waren auch Mike Portnoy (Transatlantic, Ex-Dream Theater) am Schlagzeug und Kerry Livgren (Kansas) Gitarrensolo auf einem Stück. Im Mai 2011 kommt nun der Nachfolger unter dem Titel „Testimony 2“ heraus. Mit von der Partie sind Mike Portnoy und Randy George, mit denen er auch schon bei „One“, „Sola Scriptura“, „?“ und „Lifeline“ zusammen arbeitete sowie einige Gastmusiker, deren Namen sich wirklich sehen lassen können. Als da wären Nick D’Virgilio, Alan Morse und Dave Meros (seine Gefährten aus Spock's Beard-Zeiten), Steve Morse (Deep Purple), Paul Bielatowicz (Carl Palmer Band), Matthew Ward sowie Mitglieder der Nashville Symphony.

Die CD erscheint – wie schon „Testimony“ – als DoppelCD, wobei sich die Kapitel sechs bis acht, die das Werk fortführen, auf CD eins befinden und die zweite CD drei weitere Bonusstücke bereithält. Die Parts sind in vier bis fünf Tracks (insgesamt 13 Stücke auf CD 1) zusammengefasst und liegen alle zwischen 22:50 und 32:36 Minuten, sodass die erste CD aus drei Longtracks besteht.

Die CD startet mit einem zarten Pianomotiv, das an den Vorgänger anschließt und in einen rockigen Part übergeht, sobald alle anderen Instrumente mit einsteigen. Sobald der Gesang einsetzt haben wir mit „Mercy Street“ wieder einen typischen Morse-Song, der sofort ins Ohr geht und begeistert. Dann geht es nahtlos über in „Overture No. 4“, die so gar nichts klassisches an sich hat, sondern vielmehr ein Instrumental-Part ist, bei dem sich alle sehr schön austoben können. Das klingt proggig, rockig und einfach gut. „Time Changer“ bietet eine Kombination aus druckvollen Gitarren/Schlagzeug-Variationen, herrlichem Satzgesang und Yes-artigen Gitarren. Dazu kommt noch eine an Kansas erinnernde Geigeneinlage. Hier werden zahlreiche Rock- und Progstile miteinander verbunden, das es eine wahre Freude ist. Das einfühlsame und unter die Haut gehende „Jayda“ beschließt dann „Part Six“. Eine zarte Melodie eröffnet diesen Song und Neals Stimme gleicht sich ihr mit einer unglaublichen Zerbrechlichkeit an. Dazu passen dann auch perfekt die eingeflochtenen Streichersounds.

Wie ein Livetrack, so mutet „Nighttime Collectors”, der erste Song von „Part Seven” an, denn Publikumsgeräusche – wie bei einem Stadionkonzert – wurden diesem Stück beigemischt. Und hier werden dann auch die Einflüsse der Gastmusiker erstmals deutlich, denn die Keyboards klingen am Anfang sehr stark nach Emerson, Lake & Palmer, während die E-Gitarre in diesem Stück eine gehörige Portion Bluesrock verströmt. Nach dem mitreißenden „Time Has Come Today“ folgt das einfühlsame und etwas melancholische „Jesus' Blood“. Ein richtiger Hammer ist „ The Truth Will Set You Free”, das mit acht Minuten längstes Stück von „Part Seven“ ist. Ein Rockgewitter (bei dem vor allem Portnoy am Schlagzeug für den Drive sorgt), das zu Beginn und in den Instrumentalpassagen über den Hörer stampft und ein wenig Retro klingt, im Verlauf aber immer wieder durch eine eingängige Melodie unterbrochen wird. Ein toller Song.

„Part Eight“ besteht aus fünf Stücken, beginnend mit „Chance Of A Lifetime“, einem etwas proggig/jazzigen Opener, der schnell in einen typischen Morse-Progsong übergeht. Da schimmert auch schon mal eine Spur The Who oder etwas Supertramp durch. Auch der Einsatz des Saxophons und das Gitarrensolo im letzten Drittel des Songs tun dem Stück gut. In „Road Dog Blues“, das jedoch kein Blues sondern ein Rocksong ist, kommen gar einige Bläser zum Einsatz. Ein weiteres Highlight folgt mit „It's For You“, bei dem mir die Melodie und das akzentuiert, verschachtelte Schlagzeugspiel von Portnoy besonders gut gefallen. Ein Song fürs Radio. „Crossing Over/Mercy Street Reprise“ mit seinen fast zwölf Minuten Spielzeit beschließt dann CD Nummer 1, in dem noch mal eine Art musikalische Zusammenfassung des Albums geboten wird.

Die Bonusdisk hat dann noch drei Stücke zu bieten. Sie beginnt mit dem viereinhalbminütigen „Absolute Beginner“, mit dem es scheint, als wolle Neal die Charts stürmen, so rockig und eingängig geht er hier zur Sache. Der Song geht sofort ins Ohr. Ganz anders ist da das mehr als sechsminütige „Supernatural”, das mit herrlichen Synthiesounds die Seele massiert und dann mit Akustikgitarre und Gesang eine balladeske Stimmung aufkommen lässt. Der Satzgesang im Refrain geht dabei absolut unter die Haut. Ebenfalls ein unwiderstehlicher Song, der sich schnell im Hirn festsetzt. Der Kern der BonusCD besteht aber aus dem 26minütigen „Seeds Of Gold“. Los geht das Stück mit einem an klassischer Musik angelehnten Pianointro. Das Stück reiht sich nahtlos an die Großtaten von Morse an. Es zeigt reichlich Instrumentalpassagen, in denen sich Neal und seine Gefährten austoben können. Rhythmus-, Melodie- und Strukturwechsel werden hier geboten, so wie es sich für einen guten Longtrack gehört. Live wird dieses Stück ebenfalls zu einem Klassiker, da bin ich mir sicher.

Die Stücke dieser BonusCD haben es wirklich in sich. Ich habe mich dabei erwischt diese mehrfach nacheinander laufen zu lassen, statt zur ersten CD oder zu einer anderen CD zu greifen.

Wo Neal Morse drauf steht, ist auch Neal Morse drin. Das heißt, dass man bei den Produktionen des amerikanischen Multiinstrumentalisten gewohnte Qualität bekommt. „Testimony 2“ ist aber sehr abwechslungsreich ausgefallen, auch wenn die Songs wieder typisch für Morse sind. In den einzelnen Stücken sind zahlreiche Zitate, die auf bekannte Acts verweisen, untergebracht und zu einem homogenen Gesamtwerk geschnürt worden, das Spaß macht. Lässt man mal den christlichen Hintergrund weg, so ist Morse wieder ein musikalisch herausragendes Album gelungen.

Stephan Schelle, Mai 2011

   

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