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Martin Eden -
Sol Martin Eden sollten die Progfans in Deutschland kennen, denn er ist der Sänger der aus Neuss stammenden Band Chandelier. Die Band hatte zwischen 1992 und 1997 drei viel beachtete Alben veröffentlicht und sich 2019 wieder vereint, was unter anderem zu einem gefeierten Livegig beim Night Of The Prog führte. Im September 2022 veröffentlicht Martin Eden nun ein Soloalbum unter dem Titel „Sol“. |
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Loops
sind sicherlich bekannt aus der HipHop-Welt oder von Ed Sheeran. Aber
Prog-Loops? Laut Martin Eden handelt es sich bei seinen Prog-Loops um sich
stetig wiederholende, elektronisch erzeugte Bausteine (Loops), die vom
Klang und vom Feeling her jedoch aus der Progwelt stammen. Ebenso
ungewöhnlich wie der musikalische Aufbau ist die Produktion von
„Sol“. Abgesehen von Gesang sind nur zwei Klangquellen zum Einsatz
gekommen, die genau genommen noch nicht einmal Instrumente, sondern
Midi-Controller sind. Das „Roli Lightpad“ und das „Joué Play“
sehen tatsächlich eher aus wie Kinderspielzeug, überzeugen jedoch mit
einer Atem beraubenden Klangvielfalt und Intensität. Martin
Eden sagt dazu: Nun, ich hatte mir
vor einem guten Jahr zwei neue Instrumente zugelegt. Genauer gesagt, sind
es sogar nur Midi-Controller, die obendrein aussehen wie Kinderspielzeug.
Aber egal, man kann mit ihnen musizieren, und das tat ich dann auch. Mir
kamen dadurch schnell musikalische Ideen, die mir sehr gut gefielen und
die meiner Hoffnung nach auch anderen gefallen könnten. Allerdings waren
das größtenteils Ideen, die nicht so gut zum Chandelier-Stil passen,
also hab ich mir gedacht, dies wäre eine hervorragende Möglichkeit für
ein Solo-Projekt. Insgesamt zeigt sich das Album aber sehr
elektronisch. So finden sich im Opener, dem fast 20minütgen „Mary“,
über weite Strecken Mellotronsounds. Zunächst eröffnet jedoch eine
recht ruhige und einfach klingende Melodielinie, die nach wenigen Momenten
in avantgardistische, Klangskulpturen wechselt, die wiederum in eine ungewöhnliche,
eingängige, asiatisch angehauchte Melodie führt. Nach etwa anderthalb
Minuten kommt dann eine sanfte Klaviermelodie auf, zu der Martin dann
singt. Da kommt - schon allein durch Martin’s markante Stimme -
Chandelier-Feeling mit einem Schuss Peter Gabriel auf. Ein wundervoller
Part, der unter die Haut geht. Das geht dann bis zu Minute Vier. Ab dann
sind es elektronische Klänge, die zunächst surreal wirken, dann aber ab
Minute Fünf in herrliche, flächige Mellotron-Harmonien übergehen.
Langsam schweben die Flächen durch den Raum und werden von einigen
Harmoniebögen umspannt. Das ist wunderbare sphärische Musik um
Abzuschalten und die Gedanken fliegen zu lassen. Ein Fest für jeden
Elektronikfan. In der letzten Minute des Stückes kommt dann wieder - ähnlich
wie zu Beginn - eine einfache, aber sehr schöne Melodiefolge auf. Mit 3:29 Minuten Spielzeit ist „Consensus“ das kürzeste
Stück des Albums. Das fängt zunächst recht konfus an und wirkt recht
unstrukturiert, wechselt aber nach anderthalb Minuten in einen
rhythmischen, ambienten Part. Martin dazu: „Consensus“, der zweite
Song des Albums, beginnt mit einem verstörenden, scheinbar
unstrukturierten Klaviergewitter, das von einem harmonisch-geheimnisvollen
Keyboard-Part abgelöst wird, der nahtlos in den „Birdy“-Soundtrack
von Peter Gabriel gepasst hätte. Im abschließenden dritten Part werden
diese beiden äußerst unterschiedlichen Teile musikalisch auf einer
gemeinsamen Ebene zusammengeführt, also eine Art von Konsens gebildet.
Wer Soli liebt, die die Schmerzgrenze antriggern, sollte hier tiefsten
Genuss verspüren. Ein ausgeprägter Prog-Ausritt über gerade einmal
dreieinhalb Minuten! Der zweite Longtrack des Albums ist das 11:47minütige
„Le pays de la paix“ (Das Land des Friedens). Hier singt Martin auf
Französisch. Martin hat hier die Sounds wie bei einer Band
zusammengestellt. Da hört man bassartige Klänge neben Schlagzeug
(Becken) und Keyboards, auf denen er die Melodie spielt. Hier wandelt
Martin zwischen Chanson, Prog und Elektronik. Sehr schön sind die
flirrenden, harmonischen Keyboardsounds, die besondere Akzente im Song
setzen. Martin setzt hier - wie auch bei den anderen Stücken - immer
wieder neue Klänge ein, die auf unwiderstehliche Melodien/Harmonien
treffen und die seine Musik besonders macht. Mit dem 7:36minütigen „De zachtmoedigheid van de
tovenaar“ (Die Sanftmut des Zauberers) endet dann das Album. Schwebende
Flächen, die an die „Berliner Schule“ und an Soundtracks erinnern, eröffnen
dieses Stück. Dann kommen nach wenigen Momenten neue Klänge auf, die
sehr hymnisch und später gar leicht sakral wirken. Martin wechselt in
diesem Stück die Stimmungslagen. Das
erste Soloalbum des Chandelier-Sängers Martin Eden ist ein sehr
elektronisches geworden. Martin zaubert mit den beiden
„Kinderspielzeugen“ wunderbare, atmosphärische Harmonien und
Melodien, die er dann ein ums andere Mal mit avantgardistischen Effekten
und Sounds durchbricht. Das macht die Musik aber hochgradig spannend. Wenn
er dann zum Mikro greift kommt - aufgrund seiner markanten Stimme -
Chandelier-Feeling auf. Ein klasse Album, das sowohl Prog- als auch
Elektronikfans gefallen wird. Stephan Schelle, September 2022 |
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