Isgaard - Whiteout
Art of Music/Flat Earth Music / Timezone (2016)

(14 Stücke, 58:01 Minuten Spielzeit)

Isgaard und ihr Lebenspartner Jens Lueck sind seit Jahren ein eingespieltes Team. Auf dem neuen Album von Sängerin Isgaard beweisen die beiden das erneut, denn Lueck hat wieder sehr schöne Songs für Isgaard geschrieben, die ihre engelsgleiche Stimme wie gewohnt einsetzt. Herausgekommen sind 13 neue Songs plus eine „Reprise”. Neben Multiinstrumentalist Lueck, der Schlagzeug, Percussion und Keyboards spielt sowie Backgroundgesang und Programmierung übernommen hat, wirkten weitere Musiker, darunter auch Violinisten und Cellisten an der Produktion mit.


Zum Album ist zu lesen: Der Moment, in dem Himmel und schneebedeckte Erde an der Horizontlinie verschmelzen und man nicht mehr weiß, wo das Land endet und das Nichts beginnt. Oder das Verlorensein im dichten Nebel, der allem die Konturen nimmt, der jede Gestalt verschluckt. So hat sich Isgaard in den vergangenen zweieinhalb Jahren nach der Veröffentlichung ihres letzten Albums „Naked“ oft gefühlt, wenn sie sich mit dem Chaos unserer heutigen Realität konfrontiert gesehen hat. Und was liegt für eine Sängerin näher, als diese Emotionen in Musik zu übersetzen?

Isgaard wirkt in den Songs mal verletzlich zart, dann wieder druckvoller. Mit dem sanftem „Prologue”, bei dem sie von einer verträumten Pianomelodie begleitet wird und sie ihre Stimme zunächst als Instrument einsetzt, beginnt das Album „Whiteout”. Das wirkt sehr emotional, symphonisch und zeigt sich in einer Mischung aus Pop und Musical, die zu Gänsehaut führt, weil sich Isgaards Stimme unter die Haut des Hörers schiebt. In gleicher Manier geht es dann in „No Man’s Land” und „Shine On” weiter. Sanfte Klänge umschmeicheln den Hörer und münden in einen sehr eingängigen und wunderbaren Refrain.

Etwas rhythmischer mit leicht rockigem Einschlag geht es dann in „You Didn’t Fall“ zu. Der Song ist eine Verneigung vor Menschen wie der Pakistanerin Malala Yousafzai, die sich trotz großer Bedrohungen und Repressalien für die Bildung von Frauen in fundamentalistisch-islamischen Ländern einsetzen. Eine weitere zentrale Rolle spielen der Einfluss von Kunst auf unser Leben und die Natur als Zufluchtsort und Ruhepol in einer Welt, die am Scheideweg steht. Ein Song mit Radioqualität.

Leicht mittelalterlich angehauchte Klänge (vor allem durch die Akustikgitarre erzeugt) kommen in der sanften Nummer „Silent Stranger” auf. Im Song „Tikdabra“ (inspiriert von Alberto Vázquez Figueroas Roman „Tuareg“) werden ethnische Klangmuster genutzt, die den Song in andere Sphären heben und doch von Isgaards Stimme im Kontext des Albums zusammenhalten. Perkussion und Keyboardsounds bilden den mystischen Unterboden, auf dem Isgaard ihre zarte Stimme walten lässt, die hier recht arienhaft wirkt. Ähnliches gilt für „SILVA”, das durch Klangfarben wie Flöten und Chorgesang Worldmusic-Flair erhält.

Inhaltliches Zentrum des Albums ist das 3-teilige Titelstück „Whiteout“ (13:34 Minuten), in dem die Geschichte einer jungen Frau erzählt wird, die ein Buch zu lesen beginnt, in dem scheinbar ihr Leben beschrieben wird. Gleichzeitig verblasst die Realität und Dinge, von denen sie geglaubt hat, dass sie einen festen Platz in ihrem Leben haben, hören auf zu existieren. Im übertragenen Sinn der Moment des „Whiteout“ in der Lebensgeschichte eines Menschen. Grafisch ist dies im Booklet sehr schön dargestellt, in dem auf fünf weiteren Fotos des Coverbildes Isgaards Gesicht immer mehr von einer Art Baumrinde bedeck wird, bis nur noch ein Auge von ihr zu sehen ist.

Isgaards liebliche Stimme mag nicht jedermanns Sache sein, aber die sanften Songs gehen wirklich gut ins Ohr und man kann dabei der Realität entschwinden. Jens Lueck hat wieder die passenden Melodien und Sounds erstellt, auf denen Isgaard ihre zauberhafte Stimme, die oft sehr arienhaft wirkt, entfalten kann. Ein Album zum Träumen.

Stephan Schelle, September 2016

   

CD-Kritiken-Menue