InVertigo - Veritas

InVertigo - Veritas
Progressive Promotion Records (2012)
(7 Stücke, 70:09 Minuten Spielzeit)

Am 16.03.2012 erscheint das zweite Album der deutschen Progressive Rock-Formation InVertigo. Mit ihrem von Fans und Presse gleichermaßen gelobten Debüt „Next Stop Vertigo“ gelang InVertigo ein reibungsloser Einstand in die zeitgenössische Progressive Rock-Szene. Dass man noch so einiges von den fünf Nordrhein-Westfalen hören werde, prognostizierte unter anderem das Eclipsed-Magazin. Nachdem die Band dies zunächst verstärkt live bestätigte, liegt nun mit „Veritas“ Album Nummer 2 vor. Um es bereits vorweg zu nehmen: Ja, die hohen Erwartungen sind erfüllt worden. Und wie! Diesem Pressetext kann ich mich vorbehaltlos anschließen.


Bedeutungsschwanger kommt der lateinische Albumtitel daher - die Wahrheit, um nichts als die Wahrheit scheint es InVertigo also zu gehen. Die Vermutung, dass es sich hier um ein Konzeptalbum handeln könne, liegt in der Luft. „’Veritas’ ist kein Konzeptalbum im klassischen Sinne“, erklärt Sänger Sebastian Brennert. „Zumindest erzählen wir keine fortlaufende Geschichte. Allerdings drehen sich alle Songs mehr oder weniger um den Themenkomplex Wahrheit und Täuschung, Schein und Sein. Verklärte Erinnerungen, Träume, Wahnvorstellungen, Schizophrenie - all dies durchzieht die Songs wie ein roter Faden. Was wir sehr reizvoll finden, da wir sie musikalisch sehr facettenreich gestaltet haben.“

InVertigo, das sind Sebastian Brennert (Gesang, Piano), Michael Kuchenbecker (Keyboards), Matthias Hommel (Bass), Jaques Moch (Gitarren) und Carsten Dannert (Schlagzeug). Sechs Songs mit Laufzeiten zwischen 4:37 und 13:38 Minuten haben sie dem Thema Wahrheit gewidmet. Dazu kommt noch mit dem fast 22minütigen „The Memoirs Of A Mayfly“ ein Bonusstück, das von der Aufnahmesession des Vorgängeralbums übrig geblieben, aber nicht weniger gehaltvoll ist.

Los geht es mit dem sehr schönen Opener „Darkness“ das gar nicht so düster klingt, wie es der Titel vermuten lässt. Vielmehr präsentieren InVertigo einen Progressive Rock, der traditionell und modern zugleich klingt. Damit brauchen sich die fünf Westfalen nicht vor großen Namen zu verstecken, soviel wird schon bei diesem ersten Stück deutlich. Komplex strukturiert und instrumentiert mit einer wunderbaren Melodielinie, so präsentiert sich der Einstig in das neue Album. Im Mittelteil wird es etwas melancholisch, wenn man einen Herzton verklingen hört und Worte unseres Papstes Benedikt in den Song eingebunden werden.

Mit weiblichem Gesang beginnt „Lullaby“ zunächst wie ein Kinderlied. Schnell kristallisiert sich aber ein druckvoller Song heraus, der zwischen Progressive, Hardrock und Melodicrock pendelt. Wellenrauschen und Perkussion eröffnen den nächsten Track „Waves“. Sobald die Gitarre einsetzt, die von einem Akkordeonklang begleitet wird, setzt sich Gänsehautstimmung durch. Ein verträumter Song der mich an die französische Küste versetzt. So ein bisschen kommt hier der Stil von Bands wie Martigan oder der britischen Progszene auf. Ein toller Song.

Dass InVertigo weiterhin großen Wert darauf legen, progressive Rockmusik nicht allzu ernst zu betrachten, beweist das nächste Stück „Dr. Ho“, der musikalisch wohl leichtfüßigste Song auf dem Album. Er hört sich zunächst nach AOR vom Feinsten an, Keyboards und Gitarre klingen nach den 80’ern. Dann setzt der Bass ein, der mich in dieser Form an Songs wie „Waterfront“ der Simple Minds erinnert, aber schnell in eine andere Richtung übergeht. Das Keyboardspiel klingt stark nach Orgel der guten 70’er. Das zeigt schon wie die Jungs verschiedene Stile in diesem Song miteinander verbinden. Aber nicht nur musikalisch, sondern auch textlich zeigen sie sich bei diesem Song von ihrer humorigen Seite. Keyboarder Michael Kuchenbecker: „Viele Bands haben ja das Bedürfnis, die ganz großen Dinge der Welt, des Lebens und des Universums an sich zu thematisieren. Das geht uns genau so. Ich denke, dass es wirklich an der Zeit war, den männlichen Haarausfall und die teils skrupellosen Machenschaften der Kosmetikindustrie in einem Prog-Song mit Barbershop- und Glam-Rock-Anleihen zur Sprache zu bringen.“

Balladesk zeigt sich zunächst „Suspicion“, der mehr als 13minütige Song. Über die volle Länge zeigt dieser Track aber einige Struktur- und Melodiewechsel, so wie es bei proggigen Longtracks üblich ist. Das sehr eingängige, instrumentale „Truth“ beendet den thematisch zusammenhängenden Teil des Albums.

Warum wurde aber der mit knapp 22 Minuten längste Track des Albums, „Memoirs Of A Mayfly“ zum Bonustrack erkoren? „Das hat eigentlich zwei simple Gründe“, verrät Sebastian Brennert. „Einerseits stammt dieser Mammut-Song - der übrigens fast in Echtzeit das Leben einer Eintagsfliege vertont - noch aus der „Next Stop Vertigo“-Phase. Wir haben ihn damals noch nicht zufriedenstellend aufnehmen können, was uns jetzt endlich gelungen ist - unter anderem auch dank der Gastmusiker Marek Arnold und Julia Gorzelanczyk, die ein laszives Saxofonsolo und nicht minder lasziven weiblichen Gesang beisteuerten. Der andere Grund liegt in der Beschaffenheit des Songs als Epic-Track - eigentlich ist er ein Ein-Song-Konzeptalbum. Dieser Track ist über viele Jahre gereift, liegt uns sehr am Herzen und sollte für sich genossen werden.“ Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.

Ausgeliefert wird die CD in einer vierseitigen Papphülle, die wie eine DoppelLP gestaltet ist. In einem Fach ist die CD in dem anderen ein achtseitiges Booklet, in dem alle Texte abgedruckt sind.

Mit „Veritas“ ist InVertigo ein sehr stimmiges und ausgereiftes Prog-Album gelungen, das nahtlos an die Qualitäten des Debüts heranreicht. Damit spielt sich die Band aus Nordrhein-Westfalen mit an die Spitze der deutschen Prog-Szene. Ein tolles Album, das ich sehr empfehlen kann.

Stephan Schelle, März 2012

   

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