Der Moderne Mann – Drama, Spiel und Blut

Der Moderne Mann – Drama, Spiel und Blut
spv / revisitedrec (80’er / 2009)
(43 Stücke, 145:49 Minuten Spielzeit)

Die 80’er Jahre waren geprägt vom Punk, Wave, Electropop und der Neuen Deutschen Welle, kurz NDW genannt. Revisited Rec, das Unterlabel von spv veröffentlicht Mitte März 2009 zum 30jährigen Jubiläum der Band Der Moderne Mann eine DoppeCD mit dem Titel „Drama, Spiel und Blut“. Der Untertitel „Archiv – Teil 1“ verrät schon, das es in der Reihe noch weiter gehen wird.


Im Pressetext der Veröffentlichung ist zu lesen, dass sich die hier vorliegende Werkschau mit „einer der wichtigsten Bands der damaligen Neuen Deutschen Welle befasst (und zwar aus der Zeit, als der Begriff noch kein Schimpfwort war).“ Will heißen, die Plattenindustrie hatte die aufkommende Stilart noch nicht für sich entdeckt und die Musik der NDW war noch unverbraucht, unabhängig und unkommerziell. Ich muss aber gestehen, dass mir die Band Der Moderne Mann bisher noch nicht über den Weg gelaufen ist (wahrscheinlich hat mich doch nur der kommerzielle Teil der NDW gestreift).

Die mir vorliegende DoppelCD beinhaltet neben den Alben „80 Tage auf See“, „Neues aus Hongkong“ und „Verstimmt (live)“ auch die Single „Umsturz im Kinderzimmer“, die MC „Live Rote Fabrik Zürich“ (Das Spargel Tape) und einige unveröffentlichte Stücke. Mit 43 Tracks und gut zweieinhalb Stunden Musik wird mit diesem Doppelalbum ein umfangreicher Einblick in die Musik der deutschen Band gewährt.

Ein Zitat aus dem sehr informativen, 16seitigen Booklet zeigt deutlich den Zeitgeist der späten 70’er: „In einer Zeit, in der Konfrontation zwischen westdeutschem Staat und Roter Armee Fraktion das kulturelle Leben lähmte, in der das Fernsehen nur drei Kanäle kannte und bis zum Nachmittag nur das Testbild sendete, Bundeswehrparkas, Jeans und lange Haare zur Jugenduniform geworden waren und die deutsche Pop- und Rockmusik sich zu oft darin erschöpfte, ausländische Vorbilder zu kopieren, lag Langeweile wie Mehltau über der westdeutschen Jugend.“

Auch wenn die Hannoveraner Szene von Bands wie Eloy, Scorpions oder Jane bestimmt war, so bildete sich doch langsam Ende der 70’er Jahre innerhalb der studentischen und künstlerischen Kreise eine neue Szene, die sich mehr in Richtung Punk orientierte. Die späteren Bandmitglieder um den enigmatischen Sänger Michael Jarick alias Ziggy XY tummelten sich zunächst in der aufkommenden Punkszene in ihrem Heimatort Hannover, ohne sich dort richtig zu Hause zu fühlen. 1979 ging es dann unter dem Bandnamen Der Moderne Mann los, in der man für sich die NDW entdeckte.

„80 Tage auf See“ (auf CD 1) zeigt die Band in einem sehr rockig-punkig-rhythmischen Gewand. Die rockigen Songs werden in einer sehr monotonen gesanglichen Form dargeboten, die mich irgendwie an Ton, Steine, Scherben erinnern. Das klingt alles noch sehr ungeschliffen und roh, so wie sich die NDW zu diesem Zeitpunkt auch sah. Aber auch schon Ska-Rhythmen werden wie zum Beispiel in „Dreizehn“ mit in ihren Sound eingeflochten. Eine Art tickendes Uhrwerk, so wie bei Pink Floyds „Time“ startet den Song „Haarschnitt“. Nach wenigen Augenblicken ist aber diese kurze Gemeinsamkeit zu Pink Floyd verschwunden und wir haben es mit einem auf Disharmonie getrimmten kleinen Instrumentalwerk zu tun, bei dem Rhythmus, Gitarre und Pianolinie einen Gegensatz darstellen. Nach der ersten LP kommen dann noch die Single „Umsturz im Kinderzimmer“ und vier live mitgeschnittene Songs aus dem Jahr 1979, die klingen, als seien sie aus dem Zuschauerraum aufgenommen worden.

Auf CD 2 geht es mit dem Album „Neues aus Hong Kong“ los, in der die Band weitaus gereifter klingt. Die Musik ist wesentlich ausgefeilter und hat nicht mehr diesen dreckigen Touch wie das Debüt. Bläser und Gitarren sorgen beim ersten Stück „R.A.G.“ für eine funkige Atmosphäre. Auch die anderen Stücke sind wesentlich glatter gebügelt und gehen richtig gut ins Ohr. Vergleiche zu Fehlfarben, aber auch The Cure und ähnlichen Acts liegen hier deutlicher auf der Hand. Musikalisch macht „Neues aus Hong Kong“ richtig Spaß.

Auch die Livemitschnitte aus den Jahren 1981 und 1983, die auf der zweiten CD zu finden sind, zeigen eine instrumental versiertere Band, als es die 79’er Aufnahmen noch dokumentieren. In dem Stück "Blaue Matrosen" weben sie Teile des alten Schlagerklassikers "Ein Schiff wird kommen" ein. Meine favorisierte CD ist daher eindeutig die zweite.

Mit „Drama, Spiel und Blut“ ist revisited rec eine sehr gute Werkschau einer Band, die sich im Aufschwung der NDW befand und ihren eigenen Weg gegangen ist (weit von der Kommerzialisierung), gelungen. Eine sehr interessante und aufschlussreiche Veröffentlichung, die auch Freunden gefallen sollte, die nicht so tief in der NDW zu Hause waren.

Stephan Schelle, März 2009

   

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