Dennis Rea – Views From Chicheng Precipice
 

Dennis Rea – Views From Chicheng Precipice
moonjune records (2010)
(5 Stücke, 46:54 Minuten Spielzeit)

Dennis Rea ist bekannt für seine Arbeit mit dem Artrock Projekt Moraine und der Freejazz-Band Iron Kim Style, die beide auch auf dem Moonjune Label, das nach dem 1970’er Album des Soft Machine-Schlagzeugers Robert Wyatt, „The Moon In June” benannt ist, veröffentlichen. Nun kommt ein Solowerk von Dennis Rea heraus, das so gar nicht in diese Musiksparte passen will, denn in den fünf Stücken sind viele traditionelle asiatische Klänge verarbeitet, die mit modernen Sounds versehen ein sehr stimmiges, melodisches fast schon ambientes Bild zeichnen, das aber nicht ganz ohne jazzige Momente auskommt.


Neben Dennis, der außer E-Gitarre und Melodika auch vietnamesische Instrumente spielt, wirken noch ein Dutzend Gastmusiker an dem Album mit. Die fünf Stücke haben Spielzeiten, die zwischen 3:41 und 15:55 Minuten Länge liegen.

Los geht es mit „Three Views From Chicheng Precipice (After Bai Juyi)“. Dieses Stück wurde unter anderem von dem Gedicht „A Flower” des Dichters Bai Juyi inspiriert, der in der Tang Dynastie lebte. Entsprechend zeigt sich hier ein recht chinesisch wirkendes Soundgemälde, was aber durch die moderne Instrumentierung hochgradig spannend wirkt und keinerlei Patina angesetzt hat. Ganz im Gegenteil. Dennis fügt gar im Mittelteil eine jazzige Passage ein.

Auch der zweite Titel „Tangabata“ ist auf die Tang Dynastie zurückzuführen. Der fast 16minütige Titel basiert auf einer nicht benutzten Zeremonienmelodie. Gongs und sanfte Melodiebögen versetzen den Hörer sofort in die chinesische Vergangenheit bzw. in eine chinesische Tempelszenerie. Bis zur Minute fünf klingt das alles recht altertümlich, doch dann kommen eine Art Horn oder Trompete und eine Flöte ins Spiel, die aus dem Stück eine Art Theatermusik machen. Beide Instrumente scheinen einen Dialog miteinander zu halten. Es folgen weitere Strukturwechsel, die auch durch unterschiedliche Instrumentierungen einen weiteren Spannungsbogen erzeugen. Insgesamt wirkt das Stück wie eine ausführliche chinesische Erzählung.

Rhythmischer und fast schon folkloristisch mutet das mit 3:41 Minuten kürzeste Stück mit dem Titel „Kan Hai De Re Zi („Days By The Sea“)“ an. Bei diesem auf taiwanesische Klänge basierenden Stück kommen westliche Elemente hinzu und machen daraus ein modernes Art-/Folk-/Jazz-Stück. Sehr gut gemacht wie ich finde.

Der Titel „Aviariations On „A Hundred Birds Serenade The Phoienix““ beruht auf dem traditionellen chinesischen Stück „A Hundred Birds Serenade The Phoienix“ und klingt dementsprechend streckenweise wie eine chinesische Oper. Aber zwischendrin werden einige Töne angeschlagen, die doch recht experimentell und freejazzig klingen. Hier werden zum Beispiel mit Instrumenten Tierstimmen nachgemacht. Das ganze ist dann aber für meine westlichen Ohren doch ein wenig schräg. Zum Abschluss gibt es dann noch „Bagua („Eight Trigrams“)“. Hierbei handelt es sich um einen Auszug eines musikalischen Rituals. Zunächst sehr perkussiv kommen im weiteren Verlauf wieder einige traditionelle chinesische Klänge zum Vorschein. Während des Stückes werden aber auch wieder verschiedene stilistische Mittel und Soundkollagen eingebunden, die manchmal recht experimentell klingen.

„Views From Chicheng Precipice” ist ein Album das vom Hörer eine Menge an Aufmerksam fordert. Jenseits jeglicher Hörgewohnheiten werden hier traditionelle asiatische Klänge mit westlichen Elementen sowie experimentellen und jazzigen Passagen vermengt. Das klingt ungemein spannend, ist aber auch anstrengend. Wer sich davor nicht scheut, der sollte mal ein Ohr riskieren.

Stephan Schelle, August 2010

   

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