Birth Control – Here And Now
Look at Me / H‘ART (2016)

(11 Stücke, 68:59 Minuten Spielzeit)

Nach dem Tod ihres langjährigen Masterminds Bernd „Nossi” Noske im Jahr 2014 hat wohl niemand mehr damit gerechnet, jemals neues Material von der Krautrocklegende zu bekommen. Ihr Überhit „Gamma Ray“ bleibt unvergessen und wird wohl auf Ewig mit Birth Control in Verbindung stehen. Am 18.03.2016, zwei Jahre nach dem Tod Noske’s erscheint nun mit „Here And Now“ ein Album mit komplett neuem Material. Was kann man also erwarten, wenn der Kopf der Band fehlt? Aber halt, was steht denn da im LineUp, das dieses Album eingespielt hat. Bernd Noske Gesang und Schlagzeug. Wie kann das sein?


Wenn man sich dem Booklet näher widmet erfährt man auf der zweiten Seite, dass Birth Control, das sind in diesem Fall neben Bernd Noske Hannes Vesper (Bass, Backgroundgesang), Sascha Kühn (Keyboards, Percussion) und Martin Ettrich (Gitarren, Backgroundgesang), die Stücke im Zeitraum Ende 2011 bis 2013 eingespielt haben. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Bandmitglieder noch nicht, wie es um Bernd’s Gesundheit bestellt war. Die Aufnahmen wurden kurz vor Nossis Tod fertig gestellt. Es hat dann aber noch mal zwei Jahre gedauert, bis das Album, das ursprünglich „Don’t Look Back“ heißen sollte, auf den Markt kam. Der ursprüngliche Titel erklärt auch das ungewöhnliche Cover der CD. Den Albumtitel änderten die verbliebenen Musiker, weil der ursprüngliche Titel „einen falschen und irreführenden Beigeschmack gehabt hätte“.

Alle Songs stammen aus der Feder von Keyboarder Sascha Kühn. Den Anfang macht das mit 8:17 Minuten längste Stück des Albums, „Lost In The Sea“. Mit für Birth Control typischen Rhythmen und dem retromäßigen Keyboardsounds sowie kraftvollem Bass beginnt der Opener. Wenn dann Nossis wohl bekannte Stimme einsetzt, dann kommt sofort ein bisschen Wehmut ob des Verlustes des Musikers, aber auch wohlige Freude über die neuen Stücke auf.

Herrliche retromäßig – anfangs auch an Uriah Heep erinnernd – kommt der zweite Song „12 Steps“ rüber. Der Song besticht auch durch Tempowechsel. Und im Mittelteil gehen Gitarre und Keyboard wieder in Uriah Heep-Manier einen Dialog ein. Ein Rock’N’Roll-mäßiges Piano setzt zunächst in „Me And My Car“ Akzente, das sich im Verlauf zu einer eingängigen Rocknummer mausert, die im Ohr bleibt. Sehr schön ist auch das Gitarrensolo im Mittelteil des Songs. Zum Ende hin veredelt dann noch ein Saxophonsolo von Albie Donnelly das Stück.

Soul kommt dann gar in „Run Away With Me“ auf, das mit einigen atmosphärischen Sounds á la Steely Dan garniert wird. Hier beweisen Birth Control eine Menge Feingefühl auch für sanfte Songs. Mit einer herrlichen Gitarrenmelodie, die vom Bass perfekt unterstützt wird, startet das Instrumentalstück „The Witch“. Stilistisch erinnert das ein wenig an Gary Moore & Co. Mit Funk- und leichten Jazzrockelementen wartet dann „Rat In My Flat“ auf. Das ebenfalls sehr soulige „Truth Is Mine“ ist der einzige nicht von Nossi gesungene Song. Hier ist dann Peter Föller am Mikro zu hören.

Vom Piano begleitet beginnt der letzte Song des Albums, „Live In The Here And Now“. Nossi singt hier, „Lebe im hier und jetzt und blicke nicht zurück“. Das stimmt zwar, aber man sollte diesen ausdrucksstarken Musiker nicht vergessen und mit Freude auf die wunderbaren Momente, die er uns geschenkt hat, zurückblicken dürfen. So endet die CD dann doch etwas melancholisch, denn der letzte Song wirkt wie ein Abschiedslied. Nach gut vier Minuten dieses siebenminütigen Stückes ändert sich aber die Stimmung von einer melancholischen Ballade zu einem symphonischen Rocksong. Ein Finale Grande.

Mit „Here And Now“ hat Bernd „Nossi“ Noske posthum einen großartigen Nachlass hinterlassen. Nicht zu vergessen seine Mitstreiter, vor allem Sascha Kühn, aus dessen Feder die Songs stammen. Mit dem Album haben Birth Control ein richtig gutes Spätwerk abgeliefert. Damit ist das Kapitel der Band aber nicht beendet, denn in 2016 gehen Birth Control mit Sänger Peter Föller (war in der Zeit von 1973 bis 1977 am Mikro der Band) und Schlagzeuger Manfred „Manni“ von Bohr (hat die Felle in der Zeit von 1977 bis 1980 bereits bearbeitet) auf Tour. Ich bin mir ganz sicher dass das bewegende Momente werden und das aktuelle LineUp sehr würdevoll, im Angedenken an Bernd „Nossi“ Noske die Gigs spielen wird.

Stephan Schelle, März 2016

   

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