Archive – Call To Arms & Angels
Dangervisit (2022)

(17 Stück, 104 Minuten Spielzeit)

„Call To Arms & Angels” ist das zwölfte Studioalbum von Archive. Sechs Jahre nach dem letzten Studioalbum „The False Foundation”, erschienen in 2016, ist das neue Werk ein 17 Titel umfassendes Doppelalbum, das in den RAK-Studios in London mit Jérome Devoise aufgenommen wurde. Dazwischen lagen die Compilation „25“ (eine vier CDs umfassende Retrospektive) und „Versions“, die 2019 und 2020 herausgekommen sind. „Call To Arms & Angels” erschien am 08.04.2022.


Das Album ist eine Reflexion der Welt im Jahr 2021 und spiegelt nicht nur die individuellen und kollektiven Frustrationen und Herausforderungen der Band wider, sondern auch die anderer Menschen, deren Leben durch die Realität des täglichen Kampfes um Gesundheit, Wohlbefinden und individuelle sozioökonomische Umstände polarisiert wurde.

Im Jahr 2002 veröffentlichte das Musiker-Kollektiv aus dem Süden Londons ein viel gefeiertes Album mit dem Titel „You All Look The Same To Me“, dem mit „Noise“ und „Lights“ zwei weitere grandiose Alben folgten. Danach entwickelte sich die Band immer weiter und baute moderne Sounds, die weit ab vom eingeschlagenen Progressiverock / Artrock lagen, in ihre Musik ein und gingen mehr in Richtung Triprock. In dem aktuellen Album „Call To Arms & Angels“ verbinden sie sowohl die Musik ihrer Alben, die sie zu Beginn der 2000’er so erfolgreich gemacht haben mit modernem Sounddesign.

Über die Entstehung des neuen Albums sagt Darius Keeler: „Über diese Zeiten als Künstler nachzudenken, brachte eine Dunkelheit und eine Wut, aber auch eine seltsame Art von Inspiration hervor, die manchmal beunruhigend war. Es hat uns die Macht der Musik bewusst gemacht und wie viel Glück wir haben, dass wir unsere Gefühle auf diese Weise ausdrücken können. Es scheint, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt, aber es gibt immer Schatten in diesem Licht.“

Das Album beginnt mit dem 4:30minütigen „Surrounded By Ghosts“ recht hymnisch. Flirrende Electronics und eine sanfte Pianomelodie, auf die dann zarter Gesang gelegt wird, bestimmen zunächst das Bild. Das ist eine wunderbare, zarte Ballade, die unter die Haut geht und an alte Großtaten erinnert. Auch das nächste Stück, das vierminütige „Mr Daisy“ enthält die Zutaten, die Archive so einzigartig machen. Hier geht es aber druckvoller zu.

Das 4:41minütige „Fear There And Everywhere“ kann ebenfalls voll überzeugen. Erinnert es doch mehr an die frühen 2000’er. „Numbers“ ist dann eine Elektropopnummer mit einem sehr monotonen Gesang. Eine, aus meiner Sicht etwas schräge Nummer.

„In den letzten zwei Jahren haben wir gesehen, wie ständige Angst und Ungewissheit menschliche Beziehungen beeinflussen können. Als wir ‘Shouting Within’ schrieben, sprachen wir darüber, dass die Menschen sich so wütend, so gelähmt und so verletzlich fühlen, dass sie in der Kluft gefangen sind. Sie sehnen sich nach Verbindung, haben aber Angst vor Kontakt. Es gibt so viele Theorien, Geschichten, Hochs und Tiefs. Es ist schwer, die innere Wut zu unterdrücken, die daraus erwächst. Das balladeske „Shouting Within“ ist dann auch eine sehr intensive Nummer geworden, bei der zunächst der Gesang und das Piano im Vordergrund stehen.

„Daytime Coma“ ist mit 14:34 Minuten Spielzeit der Longtrack des Albums. Das Stück gehört eindeutig zu den Highlights des Albums, das mit einer sehr ruhigen und einfühlsamen Passage beginnt und zum Ende hin eruptiv explodiert. Dazwischen findet sich eine gelungene elektronische Passage mit pulsierenden Synthiesounds. „Head Heavy“ zieht mit teils symphonisch, progressiven Klängen und herrlichem Satzgesang durch den Raum.

Außergewöhnlich ist auch das 8:38minütige „Enemy“, das mit zarter Pianomelodie, Streichersounds und zerbrechlichem Gesang startet, dann aber nach einigen Minuten in einen bedrohlich klingenden Part überzugehen, um zum Ende hin in einem treibenden, fast industriellen Part ausklingt. Das 9:41minütige „Freedom“ wandelt zwischen Pop, Beatlesken Sounds, düsteren Klanggebilden und atmosphärischen, ambienten Parts. Das ist aus meiner Sicht aber etwas zu lang geraten. Betörend zeigt sich dann das sanfte, 3:44minütige „Alive“, bei dem der Satzgesang vom Sound her an CSN erinnert. Das 8:31minütige „The Crown“ ist ein sehr elektronischer Track, dessen Gesang zwischen Björn und Anne Clark zu liegen scheint.

„Call To Arms & Angels“ ist kein ganz leichter Brocken geworden, aber eingängiger als Archives letztes Studioalbum. Die Briten schaffen es immer noch, mit außergewöhnlichen Klängen ein fesselndes Werk zu kreieren.

Stephan Schelle, April 2022

   

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