Spyra - TAU
 

Spyra - Tau
Eigenvertrieb (2024)

(7 Stücke, 73:27 Minuten Spielzeit)

Der Elektronikmusiker Wolfram Spyra, der unter seinem Namen (auch DER Spyra oder einfach Spyra) seine Musik veröffentlicht, begann im Jahr 2014 den Start einer Trilogie mit dem Album „Staub“. Dem folgte in 2018 das Album „Dunst“. Noch rechtzeitig zu seinem Konzert, das er am 30.12.2024 im Planetarium Bochum gibt und damit traditionsgemäß der Schallwende Verein das neue Jahr begrüßt, erscheint mit „Tau“ das dritte und abschließende Album dieser Trilogie.

 

 


Das neue Album ist im Stil von Klaus Schulze gehalten, besitzt aber Spyras ganz eigene Handschrift. Wolfram hat herrliche Sequenzen im Stil von „Crystal Lake“ eingespielt, die er jedoch auf seine ganz eigene Art neu interpretiert. Und Spyras Stil, den er schon Ende der 90’er Jahre entwickelt hat, ist dabei deutlich herauszuhören.

Spyra ist bekannt dafür, dass er seine eigene, unverwechselbare Herangehensweise an die klassische elektronische Musik immer weiter verfeinert und kultiviert. Seine Philosophie des Musikmachens lässt sich am besten in der folgenden Aussage zusammenfassen:
„Um deinen eigenen Klanggarten zu gestalten, solltest du nicht versuchen, Gott zu spielen. Betrachte dich stattdessen als Gärtner. Säen Sie Ihre Samen an den richtigen Stellen, hegen und pflegen Sie Ihre Setzlinge, beobachten Sie sie beim Wachsen und schneiden Sie gelegentlich einen Zweig ab oder entfernen Sie unerwünschtes Unkraut. Um ein guter Komponist elektronischer Musik zu werden, ist es wichtig, Selbstdisziplin zu entwickeln.“

Fünf Stücke, die Wolfram allein im Studio eingespielt hat, ein Stück, das zusammen mit Roksana Vikaluk im Studio entstanden ist sowie eine Livaufnahme die bei einem Konzert beim RadarVision Festival 2022 mitgeschnitten wurde, finden sich auf dem prallvollen Album.

Die ersten fünf Tracks gehen nahtlos ineinander über, so dass ein kompletter, kompakter Longtrack entstanden ist, der den Kern darstellt. Es beginnt mit dem 9:42minütigen „Logischer Garten“. Da rauscht es zunächst, wird aber nach wenigen Momenten schon von einer herrlichen, perlenden Harmoniefolge, auf die sich dann eine sanfte Mellotronartige Melodie legt, fortgesetzt. Das fesselt schon von der ersten Sekunde an. Man wähnt sich bei dieser Musik in seinem musikalischen Garten mit plätscherndem Wasser und Sonnendurchfluteten Gewächsen, was zum Entspannen und Träumen einlädt. Etwa in der Mitte startet Wolfram dann ein für ihn typisches Rhythmusmuster und es kommen gar Gitarrenklänge auf, die nun sogar einen leicht mediterranen Touch besitzen. Danach steigert sich das Stück aber immer weiter. Das ist Spyra at its best.

Im zweiten, fast 14minütigen Track „TPAU“ klingt nun Klaus Schulzes Stil etwas durch. Da sind es zu Beginn auch wieder diese herrlich perlenden Klänge, die zunächst sanft durch den Raum ziehen. Langsam steigert sich die Dynamik und Wolfram baut weitere Klänge ein, so dass sich nach etwa zwei Minuten das Klangbild erweitert. Nun werden weite Klangräume erschaffen, auf die nach etwa fünf Minuten eine Melodielinie gelegt wird, die sich sanft ins Ohr einschmeichelt. Das wirkt stellenweise auch spacig. Im Mittelteil kombiniert Spyra das dann mit einigen düster klingenden Sounds. Danach kommen aber erneut herrlich melodische Passagen auf, in die man sich fallen lassen kann.

Dem schließt sich dann das gut sechsminütige „Rhodes Intermezzo“ an. Das ist ein sehnsuchtsvolles, sanftes, melodisches Stück, das vor allem in der zweiten Hälfte durch seine Melodie glänzt. Das mehr als 14minütige Titelstück ist dann wieder auf Grundlage von Sounds, die nach Klaus Schulze klingen, aufgebaut. Hier kommen sofort Assoziationen zu Schulzes „Crystal Lake“ auf. Nach gut drei Minuten erweitert Spyra dies dann mit flächigen Sounds, die später auch noch durch eine Melodielinie und einem druckvollen Rhythmus ergänzt werden. Wolfram Spyra streift im Verlauf des Stückes immer mehr die Haut von Schulze ab - lediglich die perlenden Klänge bleiben - und lässt so etwas Neues entstehen, bis am Ende nur noch sein eigener Stil zu hören ist. Es wirkt wie der Morgentau, der die Grundlage darstellt und sich langsam durch die Wärme der Sonne in etwas anderes transformiert.

Mit dem gut neuneinhalbminütigen „Most“ endet dann der Hauptteil des Albums. Hier hat Wolfram erneut perlende Klänge genutzt, die nach einer Harfe klingen. Nach gut der Hälfte wird es immer dynamischer und Melodiebögen werden hinzugefügt. Als Hörer wird man so in einen hypnotischen Mahlstrom gezogen aus dem man erst nach mehr als sechs Minuten erwacht, wenn ein pumpender Beat einen aus dieser Umklammerung löst. Ab jetzt sorgen tanzbare Beats für einen coolen Groove.

Das 7:44minütige „Neumann Etude“ hat Wolfram zusammen mit seiner Frau Roksana eingespielt. Während Wolfram hier herrliche Flächen und rhythmische Elemente miteinander verbindet, auf die sich dann eine Melodie aus dem Leadsynthesizer legt, sorgt Roksana mit einem lautmalerischen Gesang für besondere Akzente. Gerade ihre Stimme ist es, die einen ethnischen Touch einbringt und teilweise für Gänsehaut sorgt.

Den Abschluss bildet dann das 12:20minütige „Radar Live“, das sich stilistisch und auch klanglich sehr gut ins Gesamtbild des Albums einfügt. Es wurde 2022 beim RadarVision Festival mitgeschnitten. Ein sehr abwechslungsreiches Stück, das sanft und verträumt beginnt und im Verlauf rhythmischer wird. Dabei wandelt Spyra auch wieder auf den Pfaden der „Berliner Schule“, die er sich zu Eigen macht.

Auch wenn Wolfram Spyra einige Sounds, die so von Klaus Schulze bekannt sind, in seine Stücke einbaut, so ist doch Wolframs eigener Stil deutlich zu erkennen. Er nimmt auf dem neuen Album „Tau“ quasi den Spirit und den Flow der 70’er Jahre auf und transformiert ihn ins Hier und Jetzt mit modernen Klängen und unwiderstehlichen Rhythmen. Das ist einzigartige und faszinierend.

Stephan Schelle, Dezember 2024

 
   

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