Klaus Schulze - Wiederveröffentlichung 6
  Klaus Schulze - Wiederveröffentlichungen von „Cyborg“, „Inter*Face“, „Dosburg Online“ und „Ballett 1“
5 / 147:38, 6 / 75:11, 9 / 79:07, 3 / 76:45 revisited records (2006)

Am 08. September 2006 läutet das Unterlabel Revisited Records die sechste Runde im Wiederveröffentlichungsreigen der Klaus Schulze-CDs ein. Und gleich der erste Eindruck zeigt, dass die hohe Qualität der Reihe beibehalten wurde.

Die älteste der vier Scheiben ist „Cyborg“, Klaus zweites Soloalbum, das erstmals im Jahr 1973 als DoppelLP erschien und das lange Zeit nicht mehr erhältlich war. Auf diesem Album hat Klaus wegen der idealen Verbindung von Elektronik und Orchesterklang, aber auch mangels des notwendigen Kleingeldes für elektronisches Gerät, wie schon auf seinem Solodebüt, mit den Sounds eines Orchesters gearbeitet. Dabei verwendete er Bandaufnahmen aus dem Übungsraum des Orchesters, deren Tapes er zerschnitt und mit diesen Teilen dann die einzelnen Stücke verfeinerte. Herausgekommen ist ein Werk, in dem Schulze minimalistisch zu Werke ging. Langgezogene Klangpassagen bilden den Grundstein der einzelnen Stücke die streckenweise recht düster und sehr futuristisch klingen. Melodien sind bei den vier mehr als zwanzigminütigen Stücken nicht auszumachen. Die eingesprenkelten Orchesterschnipsel sind aus dem Gesamtwerk nicht herauszuhören. Als Bonus spendierte insideout noch den bisher unveröffentlichten, mehr als 50minütigen  Track „But Beautiful“, der während des Konzertes in der St. Michael Kirche in Brüssel am 17.10.1977 mitgeschnitten wurde. Zu Beginn ähnelt dieser Track dem Stil der vier anderen, wird jedoch nach wenigen Minuten rhythmischer und melodischer. Man merkt, dass er aus einer späteren Epoche Schulze’s stammt.

„Inter*face“ ist Klaus 18’es Album und stammt aus dem Jahr 1985. Seit Anfang der 80’er ist Klaus auf seinem digitalen Trip, den er auch auf „Inter*face“ fortführt. Klaus, der dafür bekannt ist, dass er seine Musikthemen durch unterschiedliche Variationen moduliert, zeigt beim Opener „On The Edge“ ungewöhnliche Züge. Monoton, aber doch sehr eingängig präsentiert er ein Stück, das recht poporientiert klingt. Wenn es nicht diese typisch verqueren Eigenschaften aufweisen würde, wäre es gar radiotauglich. Ähnliches gilt für das folgende „Colours In The Darkness“. Endlose Motive aus Flächen und Rhythmussequenzen, angereichert von ungewöhnlichen Soundeffekten und teils schrägen Sounds machen diesen Track aus. Es folgt „The Beat Planante“, das einen neuen Rhythmus aufweist, der stilistisch auf dem 90’er Album „Miditerranean Pads“ im Track „Percussion Planante“ weitergeführt wird. Recht monoton trabt dieser Titel gemächlich vor sich hin. Auch hier steht der sich kaum verändernde Rhythmus im Vordergrund. Letztes Stück des Originalalbums ist der fast 25minütige Titeltrack. Auf diesem recht abwechslungsreichen Stück sorgt der Schlagzeuger Ulli Schober für die notwendige Perkussion. Dieses Stück klingt schon eher nach Schulzes Musik, die man von seinen Vorgängeralben kennt. Mit einer um drei Minuten längeren Version von „Colours In The Darkness“, die den Titel „The Real Colours In The Darkness“ trägt, sie hat allerdings von Sound und Melodie wenig mit der Albumversion zu tun, sowie dem fast 14minütigen „Nichtarische Arie“ enthält die CD zwei umfangreiche Bonustracks.

Zu der CD „Dosburg Online“ habe ich ein ganz persönliches Verhältnis, öffnete mir das Konzert, das Klaus am 17. Mai 1997 im Landschaftspark Duisburg-Nord gab, und dessen Mitschnitt hier in Teilen vorliegt (Teile stammen auch vom gleichartigen Set vom Konzert bei Radio Fritz und aus dem Studio), doch die Tür zu Schulzes Musik. Zusammen mit Jörg Schaaf hatte sich Klaus an diesem Tag in den Mauern seiner Sequenzer-„Ritterburg“ verschanzt. Die Sequenzen und Loops, die er da aus dem riesigen Hightechgerät zaubert, reichen von sanften Melodiestrecken bis hin zu technoartigen Rhythmen, die den „Tanzmuffel“ Schulze, wie er sich selbst bezeichnet, sogar zu rhythmischen Bewegungen auf der Bühne hinreißen ließ. Aber Klaus hatte mit „Requiem für’s Revier“ noch ein besonderes Schmankerl parat. Bei diesem Stück sang der niederländische Tenor Roelof Oostwoud einen Gänsehaut treibenden Part, der so gut ankam, dass er noch eine improvisierte Zugabe mit dem Titel „Primavera“ geben musste. Ich selbst war bei diesem Konzert quasi komplett in Trance und bekam meine rhythmischen Körperbewegungen, die ich auf dem recht engen Sitzplätzen vollzog, erst mit, als mich mein Vordermann etwas böse darauf aufmerksam machte, dass ich ihm eine Zeitlang mein Knie in seine Rückenlehne rammte. Das war für mich die pure Infusion von Schulzes Musik, die ich seither nicht mehr loswerde. Daher gehört dieses Album für mich mit zu den besten, die Klaus gemacht hat, es transportiert nämlich die Stimmung des Abends ins eigene Heim. Einen Bonus gibt es nicht, Klaus hat lediglich das Fadeout des letzten Tracks verändert, indem das Stück „Requiem für’s Revier“ sanfter ausklingt. 

Letzte CD in dieser Runde ist „Ballett 1“, die im Jahr 2000 Teil der 10 CDs umfassenden Box „Contemporary Works Vol. 1“ war. Zwar weist die mit 76:45 Minuten Spielzeit gefüllte CD keinen Bonustrack auf, ist aber vor allem für diejenigen von größtem Interesse, die die Box nicht bekommen haben. „Ballett 1“ ist der erste Teil der vierteiligen CD-Reihe mit dem Titel „Ballett“, die alle in der 2000’er Box enthalten waren. Der Titel schreckte mich damals erst ab, weil ich dachte, dass es ich um klassische Musik der etwas abgehobenen Art handeln würde. Aber weit gefehlt. Klaus hat den Titel zu Ehren seiner verstorbenen Mutter, die Ballett-Tänzerin war, so genannt. Es sind quasi die ersten Kompositionen, die er nach ihrem Tod gemacht hat. Die vier CDs zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass Klaus wieder mit klassischen Instrumenten wie Cello und Violine gearbeitet hat. Auf „Ballett 1“ wirkt noch Wolfgang Tiepold am Cello mit, der mit Klaus schon 1978 auf dem Album „X“ zusammengearbeitet hat. Gerade diese Kombination von Elektronik und Cello machen die CD zu einem außergewöhnlichen und mitreißenden Hörerlebnis. Während der zehnminütige Eröffnungstrack „Getting Near“ einen noch etwas verstört zurücklässt, sind „Slightly Touched“ und „Agony“ (Bei letzterem ist Wolfgang Tiepold gar als Co-Komponist genannt, ein Unikum für Schulze-CDs.) von einer Qualität, die einen umhaut. Sehr einfühlsam und teils melancholisch spielt Wolfgang seine Melodien auf den Harmonien und Sequenzen, die Klaus aus seinem elektronischen Gerät zaubert. Wer die Box nicht hat und Schulzes Kombination mit Cello zu schätzen weiß, der muss hier zugreifen und kann sich auf die weiteren drei Teile freuen.

Fazit: Alle CDs weisen wieder eine liebevolle Ausstattung und zum Teil Bonustracks auf, die den Kauf zur Pflicht machen.

Stephan Schelle, September 2006

 
   

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