Schiller – Summer In Berlin
 

Schiller – Summer In Berlin
Zukunftsmusik / Sony Music (2021)
(CDs: 28 Stücke, 158:29 Minuten Spielzeit 
BluRays: 40 Stücke, 352 Minuten Spielzeit + 109 Minuten Bonusmaterial)

Kosmopolit Christopher von Deylen aka Schiller hat unter anderem in Berlin seinen Wohnsitz. Mit „Summer In Berlin“ hat er zum einen eine Liebeserklärung an die deutsche Metropole, die seit vielen Jahren ein Schmelztiegel des kulturellen Lebens darstellt, eingespielt. Zum anderen befindet sich aber auch mit dem gleichnamigen Titelstück eine Coverversion der Münsteraner Popband Alphaville (von ihrem 84’er Topalbum „Forever Young“) auf dem neuesten Studiowerk.

Die Produktionen von Schiller zeichnen sich vor allem in den Deluxe Editionen von ausgezeichneter Qualität aus. So war es für mich klar, als in 2020 die Ankündigung des neuen Studioalbums für Mitte Februar 2021 angekündigt wurde, dieses blind zu bestellen, zumal schon klar war, dass in der Super Deluxe Edition (2 CD + 2 BluRay) ein kompletter Livemitschnitt aus Berlin, der Livemitschnitt vom „Lichtsommer“-Konzert in Mannheim aus dem Jahr 2020 sowie dem Indoor-Konzert (aufgrund des Corona-Lockdowns ohne Publikum) mit Thorsten Quaeschning im Rahmen der „Behind Close Doors“-Reihe enthalten sein sollten.

 

 


Ich kann es hier schon mal vorwegnehmen: die Veröffentlichung ist wieder ein absoluter Preis/Leistungs-Hammer und strotzt nur so vor grandiosen Sounds und Stücken. Darüber hinaus stimmt auch der visuelle Teil, den man sich oftmals ansehen kann. Die Silberlinge erscheinen in einem 40seitigen Hardcoverbook. Neben den vier Datenträgern, die mehr als acht Stunden Material enthalten, ist noch ein für jedes einzelne Exemplar individuell fotografiertes Berlin-Bild beigefügt, das von Christopher fotografiert und handsigniert wurde.

Die erste CD beinhaltet das Studioalbum „Summer In Berlin“ mit einer Spielzeit von unglaublichen 83:49 Minuten Länge. Wie eine derartige Spielzeit auf einen CD-Silberling gebracht werden kann ist mir schleierhaft.

Nach dem für Schiller üblichen „Willkommen“, bei dem die deutsche Synchronstimme von Gillian Anderson (aka Scully in der Serie „Akte X“), Franziska Pigulla, die Worte „Willkommen in der neuen Welt von Schiller“ spricht, ist man sofort im Schiller-Kosmos gefangen. Man wird mit diesem Beginn in eine altbekannte und sofort unter die Haut gehende Stimmung versetzt, als wenn man nach Hause kommt.

Der erste Track ist dann das fast 20mintütige Stück „Der Klang der Stadt“. Christopher hat den Track mit Samples, die in der deutschen Metropole aufgenommen wurden, gespickt. Zunächst beginnt das Stück aber mit atmosphärischen, elektronischen Sounds, die durch den Raum schweben. Nach gut anderthalb Minuten kommt dann eine Rhythmusformation auf und es entwickelt sich ein hypnotischer Part, in den sich einige ethnische Sounds akzentuiert hinzugesellen. Das Stück steigert sich aber im weiteren Verlauf immer mehr, eine Form, die man auch von der „Berliner Schule“ her kennt, ohne deren Sound aber aufzugreifen. Nach etwas mehr als sieben Minuten kommt dann eine weibliche Gesangsstimme hinzu, die sich sanft und wie aus Ferne hinzufügt. Dann folgt quasi nach etwas mehr als acht Minuten ein Break, der durch Soundsamples erzeugt wird und ab Minute Neun in einen neuen Part wechselt. Dieser beginnt mit einigen echohaft unterlegten Soundtupfern, auf die dann ein Sequenzerrhythmus folgt. Dieser schwillt immer weiter an um sich dann nach zwölf Minuten mit einem pumpenden Beat zu vereinen. Darauf werden neue Harmonie- und Melodiebögen gesetzt. Ein erstes Highlight des Albums.

Dem folgt dann mit „Summer In Berlin“, die Coverversion von Alphaville, die auch vom Sänger der deutschen Popband, Marian Gold, intoniert wird. In Schillers Version ist der Song ein wenig elektronischer und sanfter angelegt und zeigt sich in einer Mischung aus New Romantic und Electronic.

Vorderasiatisches Flair fließt dann erstmals in das Stück „Der goldene Engel“ ein. Dem Stück spendiert Christopher eine wunderbare Melodie mit einem sanften, aber doch druckvollen Rhythmus. Ein klasse Instrumentalstück mit Popappeal im typischen Schiller-Stil. Mit „Miracle“ findet sich dann das erste von zwei Stücken auf dem Album, die von Trisia McTeague gesungen werden. Ein atmosphärischer Popsong mit einer sanften Stimme von Trisia McTeague, die an frühere verträumte Schillersongs anknüpft.

Atmosphärisch, mit einer schönen Gitarrenpassage, geht es im Stück „Liebe aus Asphalt“ zu, bei dem man sich gut eine Fahrt durch eine Großstadtszenerie vorstellen kann. Zeitlupenartig wirkt dagegen „Wenn die Nacht erwacht“. Ein ruhiger Rhythmus wird von einigen Flächen und Harmonien mit teils symphonischem Anklang umspült.

Mit Janet Devlin, die den Song „Better Now“ interpretiert, hat Christopher dann eine zweite Sängerin am Start. Sie singt hier in einer recht zerbrechlichen Art und Weise. Das ist ebenfalls ein sehr atmosphärischer Popsong.

Darauf folgen mit „Metropolis“ und „Menschen im Hotel“ zwei Instrumentalstücke. Während „Metropolis“ recht rhythmisch daherkommt, hat Christopher „Menschen im Hotel“ so angelegt, dass eher Stimmungsbilder erzeugt werden. Hier kommt erst spät eine zarte Melodie auf, während Piano und einige Gitarrenlicks, die akzentuiert gesetzt sind, im Vordergrund stehen.

„Guardian Angel“, ein Track mit pumpendem Beat, ist das zweite von Tricia McTeague gesungene Stück und der dritte Popsong des Albums. Dieser Track zeigt sich von einer frischen, eingängigen Seite. Das 2:57minütige „Fantastique I“ und das 1:32minütige „Fantastique II“ sind zwei Stücke in denen Christopher wieder Stimmungsbilder zeichnet. Ruhig fließen Harmonien und Flächen dahin und werden nur langsam weiterentwickelt. Sie sorgen für einen ruhenden Pol, ähnlich den Stücken seiner „Einlass“-Musiken.

Den Abschluss bildet ein erneutes Highlight, die mehr als 18minütige Kollaboration mit Thorsten Quaeschning (Tangerine Dream, Picture Pallace Music) im Stück „Dem Himmel so nah“, das hier in der Binaural Version vorliegt. Das Stück ist eine kürzere Version der Session, die Christopher zusammen mit Thorsten im Lido während der „Behind Closed Doors“-Session gespielt hat, die in voller Länge auf der zweiten BluRay vorliegt. Hier trifft Schiller-Atmo auf „Berliner Schule“-Sounds und -Rhythmik. Ein unglaublich intensives Stück, das die beiden Welten auf perfekte Art und Weise miteinander verbindet.

Die zweite CD bietet dann einen 74:40minütigen Ausschnitt aus dem Konzert, das 2019 in der Berliner Mercedes Benz Arena stattgefunden hat. 14 der insgesamt 23 Stücke finden sich in der Audiofassung auf der CD. Das komplette Konzert präsentiert dann die erste BluRay in der Super Deluxe Edition.

Neben Christopher gehören bei dem Konzert noch der Schlagzeuger Gary Wallis (u.a. Pink Floyd) – er hat seinerzeit Christopher erst zu Livekonzerten ermutigt, wie man in der Tourdoku erfährt, Scott McKeon (Gitarren), Doug Wimbish (Bass), Tricia McTeague (Gesang, Percussion, Synthesizer) und Sophie Hiller (Gesang, Querflöte, Keyboards, Percussion) zur Tourband. Als Gäste wirken dann noch Robert Meyer de Voltaire aka Schwarz und die aus Teheran stammende Musikern Yalda Abbasi (Gesang, Dotar) mit.

Gestartet wird mit dem Instrumental „Berlin Moskau“. Christopher platziert daraufhin mit „Das Glockenspiel“ gleich einen seiner größten Hits an den Anfang des Konzertes. Bei der Qualität der Stücke hat er es auch gar nicht nötig seine Klassiker am Ende des Sets zu spielen. Mit einem sanften Intro beginnt das Stück, das in der ersten Minute noch nicht auf den Klassiker weist. Toll sind in diesem Stück die Bass- und Gitarrenparts, sowie die von Gary Wallis gespielten Perkussion- und Drumparts. Das sorgt sofort für Stimmung im Laden.

Weitere Highlights der Liverperformance sind „Avalanche“, interpretiert von Schwarz, das mit herrlichen Bass- und Gitarrensounds durchzogene „Es werde Licht“, die tollen Versionen von „Ein schöner Tag“ mit Querflöte und Perkussion (ohne eingefügten Text), „Schiller“ mit einem tollen E-Gitarrensolo, das unverwüstliche und immer unter die Haut gehende „Ruhe“ und „Das goldene Tor“, das durch Yalda Abbasi eine große Portion nahöstlichem Flair versprüht, was ebenso für den Instrumentaltrack „Berlin Tehran“ zutrifft.

Die erste BluRay bietet dann das komplette, gut zweistündige Konzert aus der Berliner Mercedes Arena aus 2019. Eine vom Klang und der durch die tolle Lightshow erzeugten Farbflut mitreißende Performance. Außerdem bietet die BluRay eine 33:26minütige Tourdokumentation, das 26:24minütige „Moments Of Happiness“ mit gefilmtem Material aus den Proben, die 18minütige Doku „The Complete Tourlog“ sowie zwei Fotoalben. In den Dokus kommen alle Musiker zu Wort und man erfährt viel über die gute Chemie, die während der Tour herrschte.

Die zweite BluRay bietet dann mit der 51minütigen Berlin-Moskau-Experience mit Laserfabrik, dem Mitschnitt des fast zweistündigen Autokino-Konzertes in Mannheim und dem gut 44minütigen „Behind Closed Doors“-Konzert aus dem Berliner Lido weitere Highlights als Zugabe. Außerdem gibt es noch zwei Videos, das Programmheft zum Autokino-Konzert als Fotoalbum und eine zwölfminütige „Wall Of Friends“ mit Namen von Fans, die sich Ende 2020 per Facebook hierfür eintragen lassen konnten.

Die Berlin-Moskau-Experience wurde im Studio aufgenommen. Beteiligt waren neben Christopher die Schweizer Musiker Céderic Monnier (Synthesizer) und Robin Tadic (Synthesizer, Sequenzer). Optisch wurde die Improvisation durch Laserstrahlen angereichert, die den Raum förmlich durchschneiden bzw. einzäunen. Sowohl optisch als auch musikalisch ein Genuss, bei dem – wie auch in den anderen Mitschnitten - deutlich wird, wie sehr Christopher es genießt mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten.

Der zweistündige Mitschnitt des Autokino-Konzertes „Lichtsommer“ in Mannheim ist in zwei Teile geteilt und bietet starke Versionen der Schiller-Stücke. Dies liegt auch an den beteiligten Musikern Oliver Keller (Gitarren), Céderic Monnier (Synthesizer) und Robin Tadic (Synthesizer, Ableton Push) und dem Gastmusiker Thorsten Quaeschning (Synthesizer, Sequenzer, Electronics).

Visuell wurde das Konzert, bei dem trotz der Abstandsregeln und der vielen Besucher in ihren Autos (vor der Bühne waren noch einige Kabinen aufgebaut, in denen sich auch einige Besucher befanden) eine gute Stimmung aufkam. Das lag aber auch an den eingesetzten Lasern und der riesigen LED-Wand, auf der tolle Animationen zu den einzelnen Stücken gezeigt wurden. Für Gänsehaut sorgten hier die tollen und wieder veränderten Versionen von „Berlin Moskau“, „Schiller“, „Das Glockenspiel“, und „Ruhe“. Highlight sind die beiden im zweiten Teil gespielten Improvisationen, die Christopher zusammen mit Thorsten Quaeschning darbot. Hier haben sich zwei Musiker gefunden, die sich blind zu verstehen scheinen und magische Momente hervorrufen können.

Nachdem Christopher von Deylen und Thorsten Quaeschning bereits in der ersten Staffel von „Behind Closed Doors“ in der Ufa-Fabrik in Berlin ein gemeinsames Session-Konzert eingespielt haben, das im Internet übertragen wurde, fand in der zweiten Staffel ein weiteres „Behind Closed Doors“-Konzert der beiden Musiker statt, dass im Berliner Lido mitgeschnitten wurde. Dieses zweite Konzert wurde allerdings nicht per Internet ausgestrahlt, sondern ist jetzt Bestandteil der Super Deluxe Edition. Betitelt ist das Stück mit der Bezeichnung „Dem Himmel so nah“. Es macht einfach Spaß den Beiden Musikern zuzusehen mit welcher Spielfreude sie improvisieren und sich gegenseitig musikalisch befruchten. Es ist zu hoffen, dass diese Kollaboration auch zukünftig noch weitergeführt wird.

„Summer In Berlin“, das neue Werk von Schiller hinterlässt bei mir eine wohlige Stimmung und zeigt die Freude von Christopher von Deylen sowohl neue Klangwelten zu erschaffen aber auch die alten Hits in ein neues, spannendes und faszinierendes Gewand zu kleiden. Damit sind auch die Liveversionen von besonderer Güte. Schön zu sehen ist das beispielsweise bei „Das Glockenspiel“, „Schiller“ und „Ruhe“, die sich in den beiden Liveversionen 2019 in Berlin und 2020 in Mannheim deutlich unterscheiden, ohne den Spirit des Originals zu übertünchen. Die Super Deluxe Edition ist ein grandioses Package, das den derzeitigen Lockdown erträglicher macht und eine Vorfreude auf die nächste Schiller-Tour erzeugt.

Stephan Schelle, Februar 2021

 
   

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