Moonbooter - Reminiscence Die meisten Menschen machen in ihrem Leben eine Phase durch, in der sie sich und ihre Lebenssituation hinterfragen. Das führt oft dazu, dass sie eine Auszeit von ihrem bisherigen Leben benötigen, um sich ggf. neu zu orientieren und neue Kraft zu gewinnen. Diese Phase machte auch der Elektronikmusiker Bernd Scholl aus der Eiffel, besser bekannt als Moonbooter durch, nachdem er im Oktober 2020 die Arbeit an seinem Album „Beyond the Neonlights“ beendete. |
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Allerdings sind die elf Stücke, deren Laufzeiten
zwischen 4:09 und 9:25 Minuten Spielzeit liegen, keine Remixe bereits
bestehender Tracks von Moonbooter. Vielmehr hat Bernd sich an Sounds und
Ideen seiner eigenen musikalischen Vergangenheit orientiert und komplett
neue Stücke komponiert und eingespielt. Das bedeutet, dass man sich zum
einen sofort bei den Stücken zu Hause fühlt und doch komplett neues
Material bekommt. Die Stücke sind so gut zusammengestellt, das sie meist
nahtlos ineinander übergehen. Bernd beurteilt die neuen Songs wie folgt:
„Reminiscence“ enthält romantische, epische, sentimentale, kitschige,
verrückte, euphorische und traurige Stimmungen und spiegelt somit mein
musikalisches Schaffen der letzten Jahre sehr gut wieder. Dem kann ich
aber in einem Punkt nicht zustimmen, denn Kitsch findet man in den Stücken
keineswegs. Allerdings sind die Stücke wieder von herrlichen Melodien und
rhythmischen Passagen, wie man sie von Moonbooter mag und von ihm kennt,
durchzogen. Bernd hat bei seiner neuen Produktion zunächst
wieder Wert auf live eingespielte Melodien gelegt und diese sowie bewegte
Modulationen direkt aufgenommen. Wenn ein Sound aus einem Plugin passte
dann war das genauso gut wie ein selbst programmierter Klang aus dem
Analogsynth. Zu viele Köche verderben den Brei. Nach diesem Motto beließ
ich Klänge zunächst so, wie sie waren. Die Idee eines Songs sowie
Arrangement und Abwechslung standen im Vordergrund. Die Songs sollten mehr
Raum und auch Zeit erhalten. Beim finalen Mix tauschte ich dann viele Klänge
aus und konzentrierte mich dabei bewusst auf wenige, aber richtig gute
Synthesizer und Effekte. Auch kamen beim finalen Mix wieder neue Ideen dazu.
Beinahe die Hälfte der Spuren löschte ich rigoros. Nur so konnten die
Songs atmen ohne dabei an Komplexität zu verlieren. Beim Mastering ließ
ich auch mal ein paar dB mehr Pegel zu als üblich. Auch das hat dem Sound
nicht geschadet. Nachdem dann die Stücke eingespielt waren, traf das
Schicksal Bernd und seine Familie noch einmal recht hart, denn er war von
der Flutkatastrophe im Sommer 2021 betroffen. Aus diesem Grund musste die
Produktion seines Albums, die anderer Künstler und auch der Verkauf der
Alben über seinen Labelshop gut 14 Monate still stehen, da es wichtigere
Aufgaben zu bewältigen gab. Die sind jetzt abgeschlossen und so erschien
das neue Moonbooter-Album zusammen mit dem ersten Liveauftritt von Bernd
nach gut drei Jahren am 05.11.2022 im Planetarium Bochum. Auffällig war für mich noch das Coverartwork, das
vier Silhouetten von Personen zeigt, die gebeugt gehen. Meine erste
Interpretation war, dass Bernd hier die schwierige Zeit mit Corona und der
anschließenden Flutkatastrophe verarbeitet. Es könnte auch ein Hinweis auf
ein düsteres und sehr melancholisches Album sein, dachte ich mir. Bernd
dazu: Das Artwork kann man unterschiedlich interpretieren: Meine Idee war
es unterschiedlich gestimmte Menschen zu zeigen die nach links, also „zurück
gehen“ und zwar dorthin, wo sie bereits schon einmal waren. Auf diesem Weg
werden sie von meiner Musik, symbolisiert durch den Wellenform-Kreis darüber,
begleitet. Nachdem das Artwork fertig und ein paar Tage vergangen waren,
entdeckte ich eine zweite Intention: In dieser gehen die Menschen mit
gesenktem Haupt ebenfalls wieder zurück, nur dieses Mal zu einer unerwünschten
Normalität. Über ihnen thront eine „Bedrohung“, der sie sich machtlos
unterworfen fühlen. Es ist schon seltsam, wie das Unterbewusstsein manchmal
ein Ergebnis beeinflussen kann. Wie auch immer, beide Interpretationen
spiegeln die Zeit wieder in der die Musik entstand. Kommen
wir aber zur Musik, die alles andere als düster und traurig ist. Das Album
beginnt mit dem Titel „Me In The Mirror“. Hier scheint Bernd auf sich
und sein Leben zurückzublicken. Der Beginn dieses Stückes ist dann auch in
den ersten Momenten durch eine Pianomelodie etwas melancholisch und
nachdenklich gehalten. Dann entwickelt sich das Ganze aber zu einem sehr schönen,
unter die Haut gehenden Stück, das Soundtrackcharakter aufweist. Die
Pianomelodie wird von Flächen untermauert und gewinnt immer mehr an Dynamik
(was schon klassische Ausmaße annimmt). Sobald dann die Rhythmusmuster
hinzugefügt werden ist man im Moonbooter-Kosmos gefangen, so wie man es von
seinen bisherigen Veröffentlichungen gewohnt ist. Bernd hat dabei wieder in
einem unglaublich fetten Klang produziert, der unter Kopfhörer oder einer
guten Anlage so richtig zur Geltung kommt. Blickt Bernd zu Beginn des Stückes
noch skeptisch in den Spiegel, so gewinnt er doch im Verlauf des Stückes
immer mehr an Selbstbewusstsein und Stärke. Schön, dass er so vital wieder
zurück ist. Weiter
geht es mit dem siebenminütigen „Time Traveler“, bei dem zu Beginn auch
einige spacige Sounds aufkommen, die an den verstorbenen Vangelis erinnern.
Nach gut anderthalb Minuten kommen rhythmische Elemente auf und eine
unwiderstehliche Melodie sorgt für Gänsehaut. Moderne Sounds und Rhythmen
treffen hier auf Klänge der 80er/90’er. Im
dritten Track, dem 9:25minütigen „Who Am I?“ stellt sich Bernd die
Frage, wer er ist. Das beginnt mit perlenden Synthklängen mit leicht
futuristischem Einschlag. Nach wenigen Momenten wird es aber monumental und
voluminös. Dann kommen noch fette E-Drum-Rhythmen auf und bieten neben
tollen Sounds und Melodielinien gar einen leicht rockigen Touch. Hier zeigt
sich Moonbooters Vielseitigkeit. Im
7:15minütigen „Motherland“, das zunächst leichtes Jarre-Feeling verströmt,
kommen für Moonbooter ungewöhnliche Worldmusic-Klänge auf, denn er
verarbeitet in diesem Track einen afrikanischen Kinderchor. Ähnliches hatte
Bernd bereits auf seinem 2006’er Album „Devided“ im Stück „Live In
Peace“ gemacht. Das Ganze hat darüber hinaus Popappeal. Mit
Sprachsamples, die mit Echoeffekten unterlegt sind, beginnt dann das achtminütige
„Tribute To Climax“. Ein treibendes Stück mit fettem Beat, das viel
Kraft verströmt. Da kann ich nur empfehlen, die Boxen festzuhalten. Einige
Keyboardmuster erinnern sogar an den Rammstein-Keyboarder Christian
„Flake“ Lorenz. Mit
dem 7:10minütigen „Mystic Sunset“ wird es dann etwas gemächlicher,
aber nicht minder druckvoll. Etwas düstere Sounds leiten in diesen Track
bei dem die helleren Klänge wie Lichtstrahlen wirken. Bernd lässt dem Stück
im Verlauf immer mehr Dynamik angedeihen, was einen hohen Spannungsbogen zur
Folge hat. Das
sechsminütige „Remember The Neon Lights“ startet ebenfalls mit
perlenden Keyboardklängen, das hymnische Sounds mit einem herrlichen Beat
verbindet. An die achte Position hat Bernd „Me In The Mirror Reprise“
gestellt, mit dem er nochmals kraftvoll in den Spiegel blickt und eine Menge
Hoffnung und Euphorie ausstrahlt. Sehr
rhythmisch, mit pumpenden Beats geht es dann im 5:36minütigen
„Extraordinary“ weiter. Hier baut Bernd dann auch noch einige
Trompetenklänge ein. Das Ding geht richtig gut ab und ist perfekt für die
Tanzfläche konzipiert. Da bleibt kein Fuß ruhig stehen. Das 6:31minütige
„The Reticence Of Dreams“ fährt dann die bpm-Rate etwas runter,
besticht aber durch einen fetten Beat. Der Track glänzt durch wunderbare
Harmoniebögen und Melodielinien, die sich um den dynamischen Rhythmus schlängeln.
Mit dem 6:20minütigen „Good Bye My Friend“ beschließt Bernd dann sein
randvolles Album. Sakrale Klänge leiten in diesen Abschlusstrack ein, der
wieder ein wenig Melancholie verströmt, aber auch das Herz erwärmt. Eine
kleine Prise Schiller hat Bernd zudem in diesen Track eingebaut. Bernd
Scholl aka Moonbooter hat sich seine bisherige Musik genauer angeschaut/-gehört
und die Quintessenz für neue Stücke daraus destilliert. Herausgekommen ist
ein Album mit neuer, vitaler Musik, die so typisch für Moonbooter ist und
doch neue Wege beschreitet. Für Freunde melodischer, rhythmischer
Elektronikmusik ist „Reminiscence“ ein Must Have-Album. Stephan Schelle, November 2022 |
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