Michael Brückner - POEetry
 

Michael Brückner - POEetry
SynGate / Eigenvertrieb (2020)

(7 Stücke, 154:14 Minuten Spielzeit)

Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte Elektronikmusiker Michael Brückner mit „Servant Of The Secret Fire“ den ersten Teil seiner „Drones, Atmospheres And Dreamscapes“-Reihe, da legt er auch gleich schon den zweiten Teil im November 2020 nach. Die DoppelCDR trägt den Titel „POEtry“ und befasst sich, wie es das Wortspiel im Titel schon andeutet, mit einem Text des bekannten US-amerikanischen Schriftstellers Edgar Allan Poe, der von 1809 bis 1849 gelebt und zahlreiche Krimi- und Horrorgeschichten schrieb.

 

 


Eines seiner wohl bekanntesten Werke von Poe ist „The Raven“, das vor allem auch durch das erfolgreiche Debütalbum des Alan Parsons Project „Tales Of Mystery And Imagination Edgar Allan Poe“, das im Jahr 1976 erschien, in Erinnerung bleibt. Mehrere Musiker auch aus dem Elektronikbereich wie Stephan Kaske, der unter dem Namen Mythos im Jahr 2004 das Album „Edgar Allan Poe“ herausbrachte, beschäftigten sich bereits mit dem Schriftsteller bzw. seinen Geschichten.

Während Parsons und auch Mythos eher melodisch an die Sache herangegangen sind, zeigt schon der Untertitel „Drones, Atmospheres And Dreamscapes Vol. 2“, das Michael Brückner bei seiner Vertonung des berühmtem Gedichtes „The Raven“ eher auf atmosphärische Sounds setzt. Die Stücke sind nicht komplett neu, sondern wurden bereits in den Jahren 2014, 2017 und 2019 von Michael konzipiert, aufgeführt und produziert.

Auf den beiden randvollen Silberlingen finden sich sieben Stücke, bei denen Rebekkah Hilgraves sowie Georg Bruckmann Texte von Poe vorlesen und Michael die atmosphärischen, recht düsteren Klangkaskaden hinzufügt. Daneben haben bei einigen Tracks auch noch Georg Bruckmann Gitarre und orchestrale Arrangements und Hans-Dieter Schmidt orchestrale Arrangements beigesteuert.

Michael dazu: Eine Version meiner Darbietung wurde bereits 2017 als Teil der riesigen V/A-Kompilation „Nevermore“ von Rebekkah Hilgraves & Friends veröffentlicht, die ihrerseits aus einer „thematischen Herausforderung“ in Rebekkahs Radioshow „At Waters Edge“ im Jahr 2014 hervorging. Ich halte dieses Stück für meine bisher vollendetste Dark-Ambient-Komposition und wollte es immer als eines meiner eigenen Alben wiederveröffentlichen. Während diese Version eine vokalisierte Lesung des Gedichts von Rebekkah Hilgraves (sowie Feldaufnahmen echter Raben von ihr) enthält, wird diese neue, erweiterte Ausgabe auch eine Version mit Rebekkahs klarer Stimme enthalten, sowie eine weitere mit einer Lesung der deutschen Übersetzung des Gedichts durch den Horrorautor und Hörbuch-Stimmkünstler Georg Bruckmann (der auch einige Metal-Gitarren-Klanglandschaften beigesteuert hat).

Nachdem ich an alternativen Versionen gearbeitet hatte, nutzte ich die Gelegenheit und nahm weitere Änderungen vor, um jede Version einzigartig und damit (hoffentlich) interessant zu machen:
Es gibt (völlig) verschiedene Versionen des düsteren Ambient-Instrumentalteils (die jetzt als getrennte Stücke kommen), sowie zwei neue Arrangements des pseudo-orchestralen Anfangs, eines (wieder) von Georg Bruckmann (der, wie Sie sehen können, auch Musiker ist), das andere von HaDi Schmidt (meinem Duo-Partner in „Bridge To Imla“).

Mit dem 27:33minütigen Stück „The Raven“ startet der erste Silberling. Düstere Klänge sind gleich zu Beginn zu hören. Michael baut zunächst eine sehr mystische Szenerie auf, die Soundtrackcharakter besitzt und nur wenige Harmonien aufweist. Das spickt er dann mit einigen Effekten, die die unheimliche Stimmung noch verstärken. Man wähnt sich in einem Nebel verhangenen Wald. Rebekkah Hilgraves spricht dann den Text ab Minute 3:17. Ihre Stimme ist dabei vom Vocoder verzerrt. Michael hat diese verzerrte Stimme als Hommage an Alan Parson’s tolle Version aus dem Jahr 1976 gesetzt. Das Ganze hat ebenfalls etwas unglaublich mystisches und teils auch unheimliches. Da einige Fans lieber eine Version mit einer klaren Stimme wollten, gibt es diese dann auf CDR 2. Text und mystische Sounds sowie Geräusche und Krähen von Raben sind ebenfalls eingebaut und verstärken dieses Feeling.

Dies führt Michael dann im zweiten, fast 27minütigen Track „... dreaming dreams no mortal ever dared to dream before ...“ weiter. Der dritte Track ist ein brandneues Stück mit dem Titel „Ulalume“ (22:39 Minuten). Dabei handelt es sich um die Vertonung einer weiteren Poe-Ballade. In diesem Stück spricht den Text eine männliche Stimme, dessen Sprecher allerdings nicht aus dem Booklet hervorgeht. Stimmungsmäßig schließt der Track an die beiden vorangegangenen an. Durch Klangveränderung beim Sprecher wirkt es, als ob er sich teilweise von uns weg in dunkle Gänge eines alten, verlassenen Hauses bewegt.

Die zweite CDR enthält dann vier Tracks, beginnend mit dem 14minütigen „Der Rabe“, vorgetragen von Georg Bruckmann. Michael baut dabei ähnliche Stimmungsmuster wie bei den vorangegangenen Stücken auf, allerdings hat er den Sound hier verändert. So kommen andere Klänge und Chöre vor, die nicht minder mysteriös und unheimlich wirken. Georg’s Text setzt nach 3:29 Minuten ein. Wenn man den Text versteht, macht sich die unheimliche Stimmung noch deutlicher breit. Noch besser kann man hier die Kombination aus Musik und Text nachvollziehen, die wirklich sehr gelungen ist.

Der zweite Track „... seine Feueraugen funkeln gar dämonisch aus dem dunkeln, düsteren Schatten um ihn her ...“ bringt es dann auf gar 38 Minuten Spielzeit. Dieser ist rein instrumental, ist sehr düster und wirkt teilweise auch recht verstörend. Vor allem, wenn Georg am Ende recht düstere Gitarren-Soundscapes hinzufügt.

Mit 12:47 Minuten schlägt dann die Version zu Buche, die Rebekkah Hilgraves Stimme unverzerrt präsentiert. Auch diese setzt bei Minute 3:17 ein. Hier kann jeder seine favorisierte Version auswählen. Mir gefällt die Vocoder-Version allerdings besser, da sie mystischer wirkt.

Der letzte Track nennt sich „... swung by Seraphim whose foot-falls tinkled on the tufted floor ...“. Dieser Track bringt es nochmal auf 12:18 Minuten Spielzeit. Ein instrumentales, Stimmungserzeugendes Stück.

„POEtry“ von Michael Brückner ist wieder ein ganz anderes Album, als seine vorangegangenen. Hier erzeugt Michael düstere Stimmungen, die teils recht bedrohlich wirken und perfekt zum gesprochenen Text von Rebekkah Hilgraves und Georg Bruckmann passen. Aber auch die instrumentalen Tracks bieten Darkambient und düstere Drones. Man muss sich dieser Art der Musik hingeben. Wer allerdings allein in dunklen Räumen Angst bekommt, der sollte das Album lieber mit einer anderen Person und im Hellen hören.

Stephan Schelle, November 2020

 
   

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