Michael Brückner – Klaustrophilia
 

Michael Brückner – Klaustrophilia  (Extended Edition)
Eigenvertrieb (2021)
(11 Stück
e, 153:14 Minuten Spielzeit)

Die Entstehung der Musik zu diesem Album, das hier in der „Extended Edition“ vorliegt, ist auf das Buch „Violinen wachsen nicht auf Bäumen - Leben und Werk von Klaus Schulze“ zurückzuführen, das Olaf Lux, Gründer des „Deutschen Klaus Schulze Forums“ und Admin der dazugehörigen Facebook-Gruppe (die irgendwann das ursprüngliche Forum ablöste), veröffentlichte. Zunächst in englischer Sprache veröffentlicht, liegt es seit 2020 auch in deutscher Sprache vor. Dem Buch wurde ein sieben Stücke umfassendes Album von Michael Brückner als Download spendiert.

 

 


Michael dazu:

Als Olaf die ersten Ideen für sein späteres Buch „VIOLINS DON’T GROW ON TREES - The Life and Work of Klaus Schulze“ hatte, war ich einer der wenigen, mit denen er darüber sprach, und ich hatte das Privileg, dieses Projekt über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren aus nächster Nähe wachsen zu sehen, oft mit ihm über Aspekte des Buches zu diskutieren, und - soweit ich weiß - war ich die einzige Person, die die erste vollständige Version gelesen hat. Eine Besprechung der deutschen Ausgabe des Buches lest ihr hier.

Nur wenige Wochen vor dem geplanten Erscheinungstag des Buches fragte Olaf Michael, ob er „etwas Musik“ zur Verfügung stellen könnte. Michael antwortete, dass das so kurzfristig nicht einfach sei, er es aber versuchen würde. Und so tat ich es, nahm zwei neue Studiotracks auf (Teil 1 und Teil 3) und schöpfte den Rest aus verschiedenen, kürzlich aufgenommenen „live im Studio“-Sessions. Das Ergebnis war „Klaustrophilia“ (die Originalversion, wie sie auf Olafs Bandcamp-Seite veröffentlicht wurde, die es auch als kostenloses Giveaway zum Buch gab).

Seit der ursprünglichen Veröffentlichung Anfang November 2020 gab es eine Reihe von Hörern, die mich fragten, ob es möglich sei, eine physische Ausgabe des Albums zu machen. Ursprünglich gab es keine solchen Pläne, aber HEY! Offensichtlich haben mich diese Leute lange genug bedrängt, um mich dazu zu bringen, und hier ist es nun! :-)

Es war mir aber wichtig, nicht einfach wieder das Gleiche herauszubringen, was viele Leute schon hatten. Außerdem hatte Olaf aufgrund eines kleinen Missverständnisses einen Track zu viel zum ursprünglichen Album hinzugefügt (Teil 7 war ursprünglich als versteckter „Bonustrack“ gedacht), mit dem Ergebnis, dass das Material nicht mehr auf eine CD passte - also musste eine physische Veröffentlichung ein 2-CD-Set sein (aber es gab immer noch eine Stunde ungenutzten Platz auf Disc 2!). Natürlich musste ich auf der zweiten CD neue Musik hinzufügen, ähnlich wie auf CD 1, indem ich eine neue Studioaufnahme mit ein paar Live-Sessions kombinierte. Außerdem nutzte ich die Gelegenheit, um den beiden Studiotracks von CD 1 den letzten Schliff zu geben - denn ich hatte das Gefühl, dass ich in der kurzen Zeit, die ich für das ursprüngliche Album hatte, noch ein bisschen mehr hätte erreichen können. In erster Linie habe ich sie neu abgemischt / remastered, das Schlagzeug in Teil 1 verändert und das Intro von Teil 3 ersetzt.

Michael Brückner, der Klaus Schulze und seine Musik sehr verehrt, hat nie versucht diesen großen Musiker zu kopieren. Vielmehr weist seine Musik eine unglaubliche Stielvielfalt auf. Er sagt selbst dazu: Ich habe versucht, einige seiner Tugenden oder Prinzipien zu übernehmen, soweit ich sie begreifen konnte. Das bedeutete, NICHT zu versuchen, seinen Sound zu kopieren, sondern neugierig, spielerisch, abenteuerlustig zu bleiben und nie Angst zu haben, neues Terrain zu betreten. Für mich geht es auch darum, wie Klang- und Rhythmusschichten miteinander verwoben werden können, um ausgedehnte Klangwelten zu gestalten. Es geht darum, Geschichten mit Sound zu erfinden.

Irgendwann habe ich entdeckt, dass - in gewisser Weise - die Musik, die ich mache, der Musik von Klaus am nächsten kommt, wenn ich improvisiere. Ich denke, das liegt zum Teil daran, dass Klaus auch immer ein großer Improvisator war. Aber es hat auch mit einer gewissen Einschränkung der Fähigkeiten zu tun, die es wahrscheinlicher macht, Dinge auf eine bestimmte Weise zu tun. Zum einen war Klaus Autodidakt und nie ein versierter Keyboarder. Aber er hat diese Einschränkung gut genutzt, denn sie hat ihm Türen zu klanglichen Möglichkeiten geöffnet, die andere, besser ausgebildete Musiker eher ignorieren. Während er also musikalisch aus einer eher reduzierten Palette schöpfte, entdeckte er gleichzeitig eine ganz neue Welt von klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten. Es ist natürlich nicht so, dass ich in der Klangwelt so viel Pionierarbeit geleistet hätte wie er, aber ich finde, dass meine eigenen Einschränkungen (da ich selbst überhaupt kein Virtuose bin) zu Ergebnissen führen - vor allem, wenn ich improvisiere - die in ähnliche Richtungen gehen...

Kommen wir also zur Musik auf der randvollen DoppelCDR. Die ersten sieben Parts finden sich auch auf dem Download-Album, das mit dem Buch „Violinen wachsen nicht auf Bäumen - Leben und Werk von Klaus Schulze“ als Bonus herausgegeben wird. Darüber hinaus gibt es noch vier weitere Tracks mit einer Gesamtlaufzeit von gut 66 Minuten Spielzeit. Die Stücke tragen die Titel „Klaustrophilia Part 1“ bis „Klaustrophilia Part 11“.

Mystische Klänge empfangen den Hörer zu Beginn des elfminütigen „Klaustrophilia Part 1“. Nach gut einer Minute kommen dann aber weitere Sounds auf und es entwickelt sich ein Track im Stile von Klaus Schulze, der aber ganz klar Michael’s Handschrift trägt. Herrliche Flächen werden harmonisch zusammengesetzt und nach nicht ganz zwei Minuten mit einem Sequenzerrhythmus versehen. Jetzt wird es melodisch, während sich das Stück immer weiter entwickelt. Nach fünf Minuten kommt dann auch noch Schlagzeug dazu. Vom Aufbau ist Michael da sehr nah an Klaus Schulzes Oeuvre.

Das 19minütige „Part 2“ zeigt sich mit hellen, eingängigen Klangfarben und Mellotron sowie Moog artigen Sounds die sofort ins Ohr gehen. Auch hier lässt Michael dem Track Zeit sich zu entwickeln, in dem neue - manchmal auch etwas dissonante - Klänge, Rhythmen und Harmonien sowie Wechsel in der Dynamik eingebaut werden. Das ist wieder fesselnd gemacht.

In „Part 3“ spendiert Michael dem Track dann einen pulsierenden Sequenzer, der den Unterbau des Stückes darstellt, auf den dann Flächen und Effekte gesetzt werden. Nach etwas mehr als vier Minuten kommt dann ein Schlagzeugrhythmus auf, der die Struktur verändert und weiterführt. Hypnotisch zieht so die Musik durch den Raum. „Part 5“ startet zunächst mit einem futuristisch, perlenden Part, der dann aber nach wenigen Momenten in einen schwebenden Teil übergeht, der nach Spacemusik klingt und sehr entschleunigend wirkt. „Part 6“ ist dagegen orchestraler und wieder rhythmischer angelegt. Teilweise wirkt das auch etwas sakral.

Der zweite Silberling beginnt mit „Part 7“ sehr harmonisch mit weiträumigen Sounds und eindrucksvollen, sanften Sequenzen. Die erste Hälfte vom 25:40minütigen „Part 8“ ist dann etwas experimentell bzw. surreal gehalten. Im zweiten Teil kommen dann weitere Sounds und Rhythmen auf, die ein hypnotisches Bild zeichnen. Dagegen weist „Part 9“ mit seiner 13:19minütigen Spielzeit herrlich perlende Synthieformationen auf, die mit wohligen Flächen und einem ruhigen Rhythmus unterlegt sind. Nach einigen Minuten wird es dann melodisch. Ein klasse Track. „Part 10“ mit seinen ungewöhnlichen Sounds und der wunderbare, melodisch/rhythmische „Part 11“ beschließen dann das Album.

Michael Brückner hat perfekt den Spirit von Klaus Schulze’s Musik der verschiedenen Phasen aufgenommen und ihn in seiner eigenen Art und Weise neu erschaffen. Da klingt nichts nachgespielt, sondern frisch und neu und doch denkt man unwillkürlich bei der Musik auch oftmals an den Elektronik-Pionier, der so maßgebend die „Berliner Schule“ mitgeprägt hat. Ein klasse Album, das man sich auch zulegen sollte, wenn man bereits die Bonustitel mit dem Buch sein Eigen nennt.

Stephan Schelle, Februar 2021

 
   

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