Kontroll-Raum – Gate 23
 

Kontroll-Raum – Gate 23
Manikin Records (2023)

(7 Stücke, 73:11 Minuten Spielzeit)

Kontroll-Raum ist ein weiteres Elektronikprojekt bestehend aus dem Niederländer Bas Broekhuis sowie den beiden Berliner Elektronikmusikern Frank Rothe und Mario Schönwälder. Bereits im Jahr 2021 war ihr Debütalbum „Check In“ sowie der Livemitschnitt „Live @ BYSS“ (letzteres nur digital) erschienen. Rechtzeitig zum E-Live Festival 2023 erschien im Oktober der Nachfolger unter dem Titel „Gate 23“. Drei Stücke des Albums sind live bei den Superbooth-Veranstaltungen in Berlin in den Jahren 2022 und 2023 mitgeschnitten worden. Ein Stück ist bei einer Aufnahmesession in den Niederlanden und die restlichen Stücke im Berliner Studio aufgenommnen worden.

 

 


Neben einer Downloadversion wurde das Album am 14.10.2023 auch als CD in einer limitierten Auflage von 300 Exemplaren veröffentlicht. Mir lag zur Besprechung die CD-Version vor, die in einem sechsseitigen Digipak geliefert wird.

Nach dem Check In geht es jetzt also hinter der Pforte 23 weiter. Das Cover mit einem Bild aus einem herunter gekommen Haus und einer Tür mit der Ziffer 23 sorgt jedenfalls schon mal für erwartungsfrohe Spannung.

Das sich seit vielen Jahren kennende Trio ist gut eingespielt und legt mit dem 11:15minütigen Track „The Runaway“ los. Mysteriös beginnt der Track mit flächigen Harmonien und einigen eingestreuten Effekten. Nach gut fünf Minuten kommen rhythmische Elemente aus dem Sequenzer hinzu und das Trio bewegt sich in einer Mischung aus „Berliner Schule“ und Soundtrack. Das ist atmosphärisch sehr dicht angelegt und bekommt durch weitere perkussive Rhythmen einen gewissen Spannungsgrad. Man hat das Gefühl, als steuere man auf ein besonderes Ereignis zu. Das ist bestens als Soundtrack für einen spannenden Mystery-Thriller geeignet.

Wabernde Klangmotive die ansatzweise an Kraftwerk erinnern, (dieser Ansatz verfliegt aber schnell wieder), weist in den nächsten Track, den 10:16minütigen „Waiting For Departure“. Nach wenigen Momenten kommen Klänge und Harmonien (mit Trompetensounds) auf, die recht luftig und leicht klingen. Nach gut drei Minuten wird es dann etwas rhythmischer. In den Sound haben die Drei auch noch Samples von Lautsprecheransagen gemischt. Dann geht es aber nach etwas mehr als vier Minuten richtig los. Jetzt kommt ein Rhythmus auf, der mich an Eberhard Schoeners 1978’er Album „Flashback“ erinnert. Das passt hier aber ganz hervorragend und gibt den Leadsynthies und Flächen noch mehr Drive.

Mit dem 9:47minütigen „The Impossible Groove“ geht es dann weiter. Nach einem 1:15minütigen mystischen Beginn startet ein Sequenzerrhythmus, der ab Minute Drei durch Drumsounds ergänzt wird. Langsam entwickelt sich das Stück bis dann nach weiteren Momenten Harmonien und Melodielinien hinzugefügt werden. Das hat nun in der Tat einen herrlichen Groove, der durch aufgeschichtete rhythmische Motive sein Volumen bekommt.

Sehr mystisch beginnt auch das 8:46minütige „Rumble @ Bungalowdorf“. Der Track bekommt nach etwa zweieinhalb Minuten durch Melodie und Effekte Esprit und legt dann so richtig ab Minute Vier los. Das hat eine sehr hypnotische Wirkung und besitzt einen leicht loungigen Charakter.

Ein wenig BK&S-Feeling kommt dann im 11:10minütigen Stück „Sparkling“ auf. Repetitive Rhythmen verbinden sich mit Harmonien und flächigen Sounds, die von Effekten immer wieder durchzogen werden. Das perlt angenehm durch den Raum. Den Beginn des 14:20minütigen „It All Starts With The Second Step“ kann ich mir wieder sehr gut als Soundtrack für einen Thriller vorstellen. Da ziehen zunächst leicht bedrohlich und mysteriös wirkende Flächen durch den Raum. Es dauert mehr als vier Minuten bis dann neue, hellere Sounds einen Strukturwechsel einleiten. Nach nicht ganz fünf Minuten wird es dann unwiderstehlich, denn jetzt verweben die Drei atmosphärische Flächen mit Harmoniebögen und Rhythmusmustern. Der Track entwickelt sich immer weiter und nimmt an Dynamik zu. Man wird hier förmlich in einen musikalischen Sog gezogen.

Ans Ende haben Kontroll-Raum dann den 7:24minütigen, rhythmischen Track „Cats, Sheep & Dogs“ gestellt. Da lassen sie so richtig die Sequenzer los. Das hat was von Tangerine Dream trifft auf Jean Michel Jarre.

Auch wenn an der ein oder anderen Stelle Sounds aufkommen, die an Broekhuis, Keller & Schönwälder erinnern (immerhin sind hier zwei Drittel des Trios am Werk), so ist die Musik von Kontroll-Raum doch sehr eigenständig. Vor allem die Struktur der Tracks hat eine ganz eigene Handschrift. Das Trio hat ein ebenbürtiges Album zu ihrem tollen Debütwerk vorgelegt.

Stephan Schelle, November 2023

 
   

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