Keller & Schönwälder – Long Distances
 

Keller & Schönwälder – Long Distances
manikin records / da music (2011)
(3 Stücke, 74:54 Minuten Spielzeit)

Die neue CD des Elektronikduos Detlef Keller & Mario Schönwälder ist im September 2011 erschienen und trägt den Titel „Long Distances“. Dieser Titel kann unterschiedlich interpretiert werden, denn es gibt einige Anhaltspunkte bei dieser CD, das man von langen Distanzen sprechen kann. Zum einen ist das wieder mal die lange Laufzeit der CD, die mit gut 75 Minuten fast komplett ausgeschöpft ist und bei der der Hörer über eine lange Distanz gehen muss – in diesem Fall eher gehen darf.

 


Die Länge der CD ist aber für dieses Duo nicht ungewöhnlich und auch die Länge der drei enthaltenen Titel 26:33, 41:11 und 7:10 Minuten ist für Elektronikmusik nichts Neues, daher könnte sich der Titel wohl eher auf die lange Distanz zur Veröffentlichung der letzten Keller & Schönwälder-CD beziehen. Ganze acht Jahre liegen nun schon zwischen „Noir“, die im Jahr 2003 erschien und der aktuellen CD, währenddessen haben sie mit ihrem Projekt Broekhuis, Keller & Schönwälder zahlreiche CDs herausgebracht.

Apropos aktuell, so aktuell ist die Musik gar nicht, denn wie aus dem CD-Innenteil zu erfahren ist, sind die Stücke „Long Distances“ und „September Moods“ schon vor einigen Jahren in Marios Studio während einer langen Session-Nacht entstanden. Noch eine Erklärung für lange Distanzen. Der dritte Titel „Metropolis“ ist live eingespielt und wurde von Fritz Lang’s Stummfilm (siehe da, nicht nur Thorsten Quaeschning hat sich mit seinem Projekt Picture Palace Music von dem Film inspirieren lassen) beeinflusst. Auch hier liegen zwischen der Entstehung Musik und des Films lange zeitliche Distanzen. Aber egal wie man das auch interpretiert, das wichtigste ist die Musik.

Los geht es mit dem 23minütigen Titelstück. Sehr ruhig und flächig beginnt dieses Stück. Die Synthieschwaden ziehen zunächst gemächlich durch den Raum und benebeln die Sinne des Hörers auf sehr angenehme Weise. Das ist der Unterboden, auf dem die beiden ihre Musik aufbauen. Nach etwa fünf Minuten kommt langsam ein Rhythmus auf und der typische „Berliner Schule“-Sound wird erkennbar. Man hört bereits den Sequenzer gemächlich seine Arbeit verrichten. Langsam aber stetig entwickelt sich das Stück und der hypnotische Sound zieht den Hörer immer stärker in seinen Bann. Herrliche Mellotron-Sounds legen sich nun auf den flächigen und rhythmischen Unterboden. Man spürt bei dieser Musik, dass sich die beiden Musiker blind verstehen, denn sie agieren traumwandlerisch mit Melodielinien und Harmoniebögen. Zarte Melodien schneiden sich durch den Raum und versetzen den Hörer in eine angenehm relaxte Stimmung. Zum Ende hin kommen einige Sounds, die an Industrieanlagen erinnern oder eine futuristische, leicht bedrohliche Stimmung erwecken.

Das ist dann auch der nahtlose Übergang zum nächsten Track, dem 41minütigen „Metropolis“. Dieser Track ist das Highlight des Albums – obwohl eigentlich alle Stücke für mich die gleich hohe Qualität aufweisen. In diesem Stück, das zunächst die ruhige Atmosphäre des Openers übernimmt und mit herrlichen Synthiechören glänzen kann, kommt aber ein unglaublicher Rhythmus zum Tragen, der mich völlig wegbeamt. In den ersten Minuten zeigen die beiden wieder ein blindes Verständnis füreinander, denn wunderbare Pianotupfer, die so zart und zerbrechlich klingen, wandeln auf traumwandlerischen Synthieflächen. Da bekommt man schnell eine Gänsehaut.

Gute acht Minuten später kommt dann ein flirrender, fächerartiger Sound hinzu, der schon auf das Kommende hinweist. Nach gut zwölf Minuten Spielzeit ist dann der Sequenzer endlich da und treibt den Track zunächst noch gemächlich voran. Wieder werde ich hypnotisiert durch diesen eindringlichen und stetigen Rhythmus, auf den die Synthielinien wie Balsam ausgebreitet werden. Die Spannung steigt von jedem Ton an immer weiter und entlädt sich schließlich ab Minute 15, ab der sich dann ein galoppierender Rhythmus aus dem Stück herauskristallisiert und das Stück nach vorn treibt. Wow, was für eine Kombination. Auch wenn der Rhythmus einige Minuten abschwillt, so kommt er doch wieder hervor und treibt mich, zusammen mit den unglaublichen Sounds, die die beiden dazu spielen, schier in Ekstase. Ein faszinierendes Stück für das sich allein schon der Kauf dieser CD lohnt.

Auch zwischen „Metropolis“ und dem abschließenden „September Moods“, das eine etwas melancholische Stimmung verbreitet und damit gut zum aufkommenden Herbst passt, wurde eine nahtlose Brücke geschlagen. Die Synthies klingen in diesem Stück wie eine Hommage an Pink Floyd’s „Wish You Were Here“ und Klaus Schulzes Musikstil. Die beiden legen am Ende der CD noch mal einen wohltuenden Schleier auf die Seele des Hörers.

Auch wenn die Musik auf dieser CD nicht taufrisch ist (nur was den Zeitraum der Einspielung betrifft), so bin ich doch froh, das Mario sein Schatzkästchen geöffnet und diese Musik veröffentlicht hat. Für alle Freunde der Sequenzer orientierten Musik ist diese Musik ein Muss. Ein Album, das ich sehr empfehlen kann.

Stephan Schelle, Oktober 2011

 
   

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