Jean-Michel Jarre – Electronica 2 – The Heart Of Noise
 

Jean-Michel Jarre – Electronica 2 – The Heart Of Noise
Columbia / Sony Music (2016)
(
18 Stücke, 74:17 Minuten Spielzeit)

Gut ein halbes Jahr nach dem ersten Teil von Jean-Michel Jarre’s Kollaborationsalbum „Electronica 1 - The Time Machine“ erscheint am 06.05.2016 der zweite Teil unter dem Titel „Electronica 2 - The Heart Of Noise“. Genau wie beim ersten Teil hat es Jarre geschafft wieder zahlreiche Künstler zu einer Zusammenarbeit zu bewegen.

 

 


Dieses Mal sind so illustre Gäste wie The Pet Shop Boys, Primal Scream, Gary Newman, Peaches, Yello, The Orb, Cyndi Lauper sowie Oskarpreisträger Hans Zimmer und der wohl bekannteste Whistleblower der Welt, Edward Snowden, mit von der Partie. Im sechsseitigen Digipack ist auch wieder ein zwölfseitiges Booklet enthalten, das zu jedem der Tracks Infos bereithält.

Bedrohliche, pumpende Klänge starten in „The Heart Of Noise Part 1“, das Jarre zusammen mit Rone aufgenommen hat. Das Stück entwickelt sich schnell in einen sehr hymnischen Track, der Soundtrackqualitäten aufweist. Symphonische Klangfarben vermitteln eine Stimmung wie Vangelis‘ „Chariots Of Fire“. Diesen ersten Track führt Jarre dann nahtlos in „The Heart Of Noise Part 2“ weiter. Daraus macht er eine sehr rhythmische, tranceartige, tanzbare Nummer. Das ist schon mal ein sehr guter Einstieg in das Album.

„Brick England“ entstand zusammen mit The Pet Shop Boys. Hier treffen leicht angehauchte Jarre-Sounds auf den typischen Pet Shop Boys-Stil. Springende Synthiesounds werden in „These Creatures“ von der Stimme von Julia Holter begleitet. Das ist atmosphärischer Pop mit Elektronikeinschlag. Atmosphärisch beginnt auch „As One“, bei dem Primal Scream mitwirkten. Doch nach anderthalb Minuten schält sich ein treibender Dancetrack heraus, der gut abgeht. Im letzten Drittel kommt dann auch noch Vocoder verfremdeter Gesang zum Einsatz. Könnte auf jeder DJ-Party zum Einsatz kommen, hat aber nicht wirklich was von Jarre.

Electropop/Wave kommt dann mit Gary Newman auf, der bei „Here For You“ zum Zuge kommt. Das ist typisch Newman. Symphonisch mit zirpenden Jarre-Sounds wird es dann bei der Zusammenarbeit mit dem deutschen Filmkomponisten Hans Zimmer. Welche Teile der Oskar prämierte Zimmer beigetragen hat, lässt sich nur erahnen. Hier dominieren eindeutig die Klangfarben des Franzosen.

Es ist wahrscheinlich der beste Werbeschachzug, den man für dieses Projekt arrangieren konnte. Edward Snowden ist immer noch sehr präsent, hat sich aber bisher auf keine Anfrage von Künstlern zu einer Mitarbeit hinreißen lassen. In einem Interview mit ihm und Jarre war zu hören, das er Elektronikmusik mag und diese auch gut zum Thema Datenspeicherung und seine Folgen passt. Aus diesem Grund hat er sich bereit erklärt etwas zu der Musik des Stückes „Exit“ beizutragen.

„Ich hatte die Idee, einen schnellen Techno-Track zu kreieren, der die konstante und hektische Sammelsucht nach Daten, und die geradezu besessene Suche nach mehr und mehr Informationen portraitieren sollte. Die Musik verband ich dann mit der vollkommen übergeschnappten Jagd und Verfolgung, um Leute wie Edward Snowden aufzuspüren“, sagt Jarre über „Exit“. Und so mutiert „Exit“ in der Tat in einen pulsierenden Track, der fast ausschließlich aus harter Rhythmik zu bestehen scheint. Snowden selbst hat einige gesprochene Texte im zweiten Teil des sechsminütigen Stückes beigesteuert.

Mit den Beats im von Peaches gesungenen Stück „What You Want“ bewegt sich Jarre dann sogar im Umfeld von Rap. Da wird sich so mancher Elektronikfreund fragen, ob das in den Jarre-Kosmos passt. Sicherlich geht Jarre damit ein Risiko sowie eine kommerzielle Chance ein. „Gisele“, das Jarre mit Sebastien Tellier eingespielt hat, gefällt mir da schon wesentlich besser. Es verbindet typischen Jarre mit modernen Klängen. Durch den Gesang geht aber auch dieses Stück stark in die Poprichtung.

Mit einem Sprachsample beginnt „Switch On Leon“. Das mit The Orb entstandene Stück hat tolle Rhythmen und Harmonien, die immer wieder durch Samples und Effekte durchbrochen werden. Hier wird die Experimentierlust ausgelebt. Eines der Highlights - neben dem eröffnenden Titeltrack (Part 1 und 2) sowie der Nummer mit Hans Zimmer - ist für mich der Track „Why This, Why That And Why?“, das den Spirit von Yello versprüht. Harte Beats kommen dann bei „The Architect“, das zusammen mit Jeff Mills, er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des Detroit Techno, entstanden ist. Auch dieser Track gehört zu den besten des Albums. Der Song „Swipe To The Right“ ist ein schöner Popsong, der von Cyndi Lauper gesungen wird. Hat aber auch nicht wirklich etwas mit Jarre zu tun.

Den Abschluss des Albums bilden dann „Falling Down“, ein Solostück von Jarre, bei dem er selbst singt (durch Vocoder verfremdet) und die zweieinhalbminütige Originalversion von „The Heart Of Noise“, die Jarre allein eingespielt hat.

Jarre hat auf dem zweiten Teil seiner „Electronica“-Reihe den Fokus mehr in Richtung Popmusik ausgelegt. Zeigten sich auf der ersten Ausgabe noch hoch spannende Strömungen unterschiedlichster Elektronikstile, so kommen auf dem aktuellen Album mehr gesungene Tracks zum Tragen, die auch gut in Clubs aufgelegt werden können. Der reine Elektronikpurist sollte hier zunächst Probehören.

Stephan Schelle, April 2016

 
   

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