Hoenig / Göttsching – Early Water 1976 trafen zwei Berliner Musiker aufeinander und planten eine kurze Zusammenarbeit. Bei diesen beiden Musikern handelte es sich zum einen um Michael Hoenig, der gerade an der Veröffentlichung seines Debütalbums „Departure From The Northern Wastland“ arbeitete und im Frühjahr 1975 bei einer Tournee von Tangerine Dream Peter Baumann ersetzte. Er hatte auch einige Konzerte mit Klaus Schulze gespielt, war also kein Unbekannter in der Berliner Elektronikszene. Der andere war Manuel Göttsching, dessen Band Ash Ra Temple pausierte und der ab 1977 sehr beeindruckende Alben als Ashra veröffentlichen sollte. |
|
|||
Michael
Hoenig erinnerte sich 1995: „Während
ich an dem Album „Departure From The Northern Wasteland“ arbeitete
(Anmerkung: das kam 1978 bei Warner heraus), hatte
mich Manuel Göttsching gefragt, ob ich mit ihm für einige Konzerte in
Frankreich zusammenarbeiten würde, da seine Gruppe gerade eine Winterpause
eingelegt hatte. Wir probten drei oder vier Wochen bei mir zu Hause. Eines
Abends bekamen wir einen Anruf wegen einer fehlenden Garantie, woraufhin wir
beschlossen, die Tournee abzusagen. Nur zum Spaß spielten wir ein letztes
Mal eines der geplanten Sets. Obwohl ich mich nicht daran erinnern kann,
eine Aufnahmetaste gedrückt zu haben, hat jemand kürzlich ein Revox-Band
mit eben diesem Set ausgegraben. Nach einer digitalen Klangarchäologie
wurde es soeben unter dem passenden Titel „Early Water“ veröffentlicht.“
Und
Manuel Göttsching, der leider in 2022 zu früh verstorben ist, fügte
damals hinzu: „Leider wurden einige
Konzerttermine nicht rechtzeitig bestätigt und wir mussten die komplette
Tournee erst am Tag vor der Abreise nach Frankreich absagen. Dennoch haben
wir an diesem Abend unsere letzte Probe „für alle Fälle“ aufgenommen.
Es ist ein fließendes, harmonisches Stück geworden, das viel von der
optimistischen Stimmung des Jahres 1976 widerspiegelt. In den frühen 1980er
Jahren zog Michael nach Los Angeles. Als wir uns im November 1994
wiedertrafen, schlug ich vor, dieses alte Stück von uns zu veröffentlichen.
Michael nahm das Originalband mit nach Los Angeles, restaurierte es
liebevoll und nun, hier ist es wieder!“ Das
Album enthält eine Track mit einer Laufzeit von 48:26 Minuten Spielzeit.
Die CD erscheint mit dem gleichen vierseitigen Booklet wie 1995 (lediglich
die Schriftarten sind etwas verändert) in einem Jewelcase. Das Booklet enthält
englischsprachige Linernotes von Manuel Göttsching. Die
beiden Musiker nehmen die Hörer/innen mit auf einen hypnotischen
musikalischen Mahlstrom. Grundlage ist ein pulsierender, teils perlender
Sequenzerrhythmus, dessen Taktrate im Verlauf immer mal wieder verschoben
bzw. variiert wird. Darauf setzen die Beiden dann herrliche Flächen,
Harmonien und Melodiebögen. Nach
gut 11 Minuten spielt Manuel dann zum ersten Mal eine sehr schöne
Gitarrenpassage, die schon in Richtung seiner zukünftigen Ashra-Veröffentlichungen
weist. Dies wiederholt er später noch mal. Man ist in diesem stetig dahin
fließenden Soundgewand förmlich gefangen, denn die Beiden harmonieren
perfekt miteinander. Da kann man nur bedauern, dass es 1976 nicht zu einer
Tournee des Duos Hoenig / Göttsching gekommen ist und so nicht noch mehr
Musik aus dieser Kollaboration mitgeschnitten wurde. Schon
1995 war es Bernd Kistenmacher und Manuel Göttsching zu verdanken, dass
diese wunderbare, zeitlose Musik veröffentlicht wurde. Dank dem deutschen
Label MIG ist anno 2023 dieser aus Improvisationen bestehende Mitschnitt
endlich wieder erhältlich. Wer das Album bisher nicht besitzt und die Musik
der „Berliner Schule“ oder die von Manuel Göttsching/Ashra mag, der
muss hier zugreifen. Stephan Schelle, Februar 2023 |
||||