Hoenig / Göttsching – Early Water
 

Hoenig / Göttsching – Early Water
MG Art / MIG  made in germany music (1995/2023)
(1 Stück, 48:26 Minuten Spielzeit)

1976 trafen zwei Berliner Musiker aufeinander und planten eine kurze Zusammenarbeit. Bei diesen beiden Musikern handelte es sich zum einen um Michael Hoenig, der gerade an der Veröffentlichung seines Debütalbums „Departure From The Northern Wastland“ arbeitete und im Frühjahr 1975 bei einer Tournee von Tangerine Dream Peter Baumann ersetzte. Er hatte auch einige Konzerte mit Klaus Schulze gespielt, war also kein Unbekannter in der Berliner Elektronikszene. Der andere war Manuel Göttsching, dessen Band Ash Ra Temple pausierte und der ab 1977 sehr beeindruckende Alben als Ashra veröffentlichen sollte.

 

 


Die Beiden schnitten während der Proben für eine geplante gemeinsame Tournee ein Set mit, das 1994 auftauchte und das 1995 auf dem Label Musique Intemporelle des Berliner Elektronikmusikers Bernd Kistenmacher erstmals auf CD erschien. Das Album trug den Namen „Early Water“ und war lange Zeit nicht mehr erhältlich. Am 17.02.2023 wird es beim MIG-Label wiederveröffentlicht.

Michael Hoenig erinnerte sich 1995: „Während ich an dem Album „Departure From The Northern Wasteland“ arbeitete (Anmerkung: das kam 1978 bei Warner heraus), hatte mich Manuel Göttsching gefragt, ob ich mit ihm für einige Konzerte in Frankreich zusammenarbeiten würde, da seine Gruppe gerade eine Winterpause eingelegt hatte. Wir probten drei oder vier Wochen bei mir zu Hause. Eines Abends bekamen wir einen Anruf wegen einer fehlenden Garantie, woraufhin wir beschlossen, die Tournee abzusagen. Nur zum Spaß spielten wir ein letztes Mal eines der geplanten Sets. Obwohl ich mich nicht daran erinnern kann, eine Aufnahmetaste gedrückt zu haben, hat jemand kürzlich ein Revox-Band mit eben diesem Set ausgegraben. Nach einer digitalen Klangarchäologie wurde es soeben unter dem passenden Titel „Early Water“ veröffentlicht.“

Und Manuel Göttsching, der leider in 2022 zu früh verstorben ist, fügte damals hinzu: „Leider wurden einige Konzerttermine nicht rechtzeitig bestätigt und wir mussten die komplette Tournee erst am Tag vor der Abreise nach Frankreich absagen. Dennoch haben wir an diesem Abend unsere letzte Probe „für alle Fälle“ aufgenommen. Es ist ein fließendes, harmonisches Stück geworden, das viel von der optimistischen Stimmung des Jahres 1976 widerspiegelt. In den frühen 1980er Jahren zog Michael nach Los Angeles. Als wir uns im November 1994 wiedertrafen, schlug ich vor, dieses alte Stück von uns zu veröffentlichen. Michael nahm das Originalband mit nach Los Angeles, restaurierte es liebevoll und nun, hier ist es wieder!“

Das Album enthält eine Track mit einer Laufzeit von 48:26 Minuten Spielzeit. Die CD erscheint mit dem gleichen vierseitigen Booklet wie 1995 (lediglich die Schriftarten sind etwas verändert) in einem Jewelcase. Das Booklet enthält englischsprachige Linernotes von Manuel Göttsching.

Die beiden Musiker nehmen die Hörer/innen mit auf einen hypnotischen musikalischen Mahlstrom. Grundlage ist ein pulsierender, teils perlender Sequenzerrhythmus, dessen Taktrate im Verlauf immer mal wieder verschoben bzw. variiert wird. Darauf setzen die Beiden dann herrliche Flächen, Harmonien und Melodiebögen.

Nach gut 11 Minuten spielt Manuel dann zum ersten Mal eine sehr schöne Gitarrenpassage, die schon in Richtung seiner zukünftigen Ashra-Veröffentlichungen weist. Dies wiederholt er später noch mal. Man ist in diesem stetig dahin fließenden Soundgewand förmlich gefangen, denn die Beiden harmonieren perfekt miteinander. Da kann man nur bedauern, dass es 1976 nicht zu einer Tournee des Duos Hoenig / Göttsching gekommen ist und so nicht noch mehr Musik aus dieser Kollaboration mitgeschnitten wurde.

Schon 1995 war es Bernd Kistenmacher und Manuel Göttsching zu verdanken, dass diese wunderbare, zeitlose Musik veröffentlicht wurde. Dank dem deutschen Label MIG ist anno 2023 dieser aus Improvisationen bestehende Mitschnitt endlich wieder erhältlich. Wer das Album bisher nicht besitzt und die Musik der „Berliner Schule“ oder die von Manuel Göttsching/Ashra mag, der muss hier zugreifen.

Stephan Schelle, Februar 2023

 
   

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