Gabriel Le Mar – Berlin Guitar Der in Berlin in den 70’er Jahren aufgewachsene und seit den 90'ern in Frankfurt beheimatete Musikproduzent Gabriel Le Mar arbeitete in der Vergangenheit mit zahlreichen bekannten Szenegrößen wie Saafi Brothers, Aural Float, Dr. Motte und Pete Namlook zusammen. Sein musikalisches Spektrum bewegt sich im Umfeld von experimenteller Electronica, Chillout und aktueller Clubmusik. Nach einer ganzen Reihe an Veröffentlichungen ist am 15.05.2021 sein neuestes Werk unter dem Titel „Berlin Guitar“ auf Bandcamp und am 11.06.2021 auf CD erschienen, das nicht nur Freunde der zuvor genannten Stilrichtungen begeistern wird. |
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Ich
habe meine alte Gitarre gefunden, die ich in meiner Berliner Zeit als Kind
in den 70ern rauf und runter gespielt habe. Als junger Künstler in den
80ern, und als wir in den 90ern in die Studios zogen. Ich traf verschiedene
Bands und Künstler und tat mich zusammen, um etwas zu starten. Die
Revolution im Osten war gerade zu Ende. Wir tanzten zu Acid House und
tauchten in die Neo-Hippie-Vibes ein, kamen gerade aus Goa/Indien zurück
und das Wichtigste für uns war die Musik und das gemeinsame Erleben mit
inspirierten Menschen. Die Musik hat uns an ganz besondere Orte geführt und
wir haben unsere Ohren in dunklen Kellern riskiert. Als
ich wieder anfing, meine Berliner Gitarre zu spielen, hatte ich das Gefühl,
zu diesen emotionalen Zuständen zurückzukehren und den Wunsch, ein Album
mit der Gitarre zu produzieren, um diese besondere Energie einzufangen. Mir
wurde klar, dass ich einen riesigen Berg von Erinnerungen mitgenommen hatte,
um Berlin in einem neuen Prozess wiederzuentdecken. Musik aus dem Gedächtnis,
das Experimentieren mit verschiedenen Methoden, um die Dinge auf eine andere
Art und Weise herauszulassen, als ich es vorher getan habe, die
Vergangenheit mit dem Hier und Jetzt zu verschmelzen. Ich flog meinen Ideen
entgegen, beeinflusst von Post Punk, New Wave, Art- und Krautrock,
Psychedelia, Post Disco und Techno. Herausgekommen
ist ein grandioses Werk, das Stile wie die von Manuel Göttsching aka Ashra
aufnimmt, in neue Höhen transformiert und ihnen einen modernen Anstrich
verleiht. Das
Album beginnt mit dem sechsminütigen Stück „Grunewald“. Das klingt als
hätte Gabriel den Stil von Ash Ra (aka Manuel Göttsching) aufgenommen und
ihn in einen modernen und fetten Beat gebettet. Dem folgt das fast siebenminütige
Stück „Mitropa“, das klingt, wie eine moderne Fassung eines New Order
Stückes, was vor allem an den Gitarrensounds liegt. Das Stück fegt einen
wirklich weg. Dann
macht Gabriel mit dem dreiminütigen „Antipop“ recht rockig weiter, das
er wiederum mit einem druckvollen Groove unterlegt hat. Erinnert erneut eine
Spur an Manuel Göttsching aka Ash Ra. Der
5:44minütige Track „SO36“ ist laut Gabriel eine
Uptempo-Fusion von elektronischen Goth Acidhouse Psychedelia Elementen. Das
achtminütige „Silly Love Song“ (nicht zu verwechseln mit dem Song
„Silly Love Songs“ aus der Feder von Paul McCartney) ist ein atmosphärischer
Rocktrack, der am Ende des Albums auch noch in einer ruhigeren Variante
vorliegt. „European
Son“ (3:32 Minuten Spielzeit) ist eine Verbeugung vor Gabriel’s
Lieblingsbands, der britischen New Wave Band Japan, die diesen Song im 1981
veröffentlichte. Gabriel Le Mar hat für sein neues Album eine
Instrumentalversion davon eingespielt. War das Original rhythmisch in Form
einer Dampflok angelegt, so zeigt sich Le Mar’s Version in
D-Zug-Geschwindigkeit. Rhythmisch wirkt das wie eine Fahrt in einem
Hochgeschwindigkeitszug mit leichtem Kraftwerk-Einschlag, ohne aber die
Grundmelodie/-harmonie zu vernachlässigen. Eine klasse Version. Das
siebenminütige Stück „No Closing Time“ beginnt mit einem Rhythmus, der
mich ein wenig an Donna Summer’s „I Feel Love“ erinnert, sich dann
aber in einen pulsierenden Track transformiert. Diesen Nähmaschinenrhythmus
hatte damals Eberhard Schöner für seinen Song „Why Don’t You Answer“
entwickelt, den Sting gesungen hat. Ein Tontechniker nahm ihn dann aber mit
zu Giorgio Moroder, der ihn dann mit dem Donna Summer-Hit weltberühmt
machte. Gabriel Le Mar macht hier aber sein ganz eigenes Ding und lässt ein
hypnotisches Feuerwerk auf die Hörer los. Gabriel
Le Mar schreibt auf Bandcamp zu seinem Stück „Cosmic Ride“ (6:34
Minuten Spielzeit): Indietronic
Acidhouse mit Swing und einem geschmeidig fließenden Fretless-Bass. Der
Name ist eine Anspielung auf die deutschen Künstler der 70er Jahre, die den
Begriff Krautrock nicht wirklich mochten und ihre Musik stattdessen lieber
als Cosmic bezeichneten. Und in der Tat haben einige Sounds und die
repetitiven Rhythmen etwas vom Krautrock der 70’er Jahre, während die
Gitarre mich wieder an Manuel Göttsching erinnert, der in den 70’er viel
beachtete Veröffentlichungen mit Ash Ra und Ash Ra Temple hatte. Auch
das Stück „Below The Surface“ zeigt sich mit Wurzeln im Krautrock,
vermengt sich mit Indierock und wird von einem voluminösen Bassbeat
bestimmt, der durch Mark und Bein geht. Sehr schöne, Hallverzierte
Gitarrenmotive durchziehen dieses Stück, das eine hohe hypnotische
Strahlkraft besitzt. Wem
bei dem Titel des achtminütigen Stückes, „Trippin’ With Ralf +
Florian“, die „Düsseldorfer Schule“ in den Sinn kommt, der liegt
nicht ganz falsch. Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben waren die
beiden Köpfe bei Kraftwerk und veröffentlichten 1973 nach „Kraftwerk“
und „Kraftwerk 2“ das Album „Ralf & Florian“ als Duo. Gabriel
dazu: Den Titel „Trippin’ With
Ralf + Florian“ habe ich gewählt, weil etwas im Groove meines Stückes
mich an die (Autobahn-) Monotonie erinnert, aber eben im „trippin“
Zustand und die Vorstellung, wie und was wohl Ralf + Florian auf Trip
gemacht hätten, finde ich erheiternd und in diesem humorigen Sinne ist es
gemeint (what if).. Gabriel Le Mar hat hier einige Rhythmen eingebaut,
die leichten Kraftwerk-Einfluss besitzen, jedoch viel mehr im Indietronic
Acidhouse verortet sind. Die atmosphärischen, teils funkigen Gitarrenlicks
sorgen dabei wieder für krautig/hypnotische Momente. Ein Hammerteil. Das
6:15minütige Stück „Cause We’re Lovers“ beschreibt Gabriel Le Mar: Acidtechno,
der mit Elementen der 70er Jahre Psychedelia verschmilzt. Singende
E-Gitarren verbinden sich mit einem hypnotisch pulsierenden Techno-Groove
und 303-Baselines, die einen Hauch von Funk dazu liefern. Der Name des
Titels ist ein kleiner (oder klarer) Verweis für Bowie Fans, denn es ist
eine Zeile aus „Heroes“, das er in seiner Berliner Phase schrieb ;-) In
meinem Track ist es musikalisch vielleicht eher die E-Gitarre, die ich mit
dem E-bow spielte. Diesen E-bow sound hörte ich zuerst bei Bowie, aber
nicht in „Heroes“, sondern vom sagenhaften Adrian Belew auf „Station
To Station“ gespielt, in dem er die Gitarre wie eine Dampflock jaulen lässt,
mit langen melodiösen Texturen und reichlich Effekten versehen. Der
Track kommt in der Tat sehr rockig rüber. Den
Abschluss des Albums bildet dann „Silly Love Song (Beatless)“ in einer Länge
von 7:11 Minuten, das insgesamt atmosphärischer angelegt ist und dem der
technoartige Beat entzogen wurde. Der Track besitzt aber immer noch Drive.
Das Bassmotiv erinnert mich dabei teilweise eine Spur an Passagen aus
Grobschnitt’s „Solar Music“. Eine tolle Version. Dem
Berliner Gabriel Le Mar ist mit „Berlin Guitar“ ein herausragendes Album
gelungen, in dem er den Spirit verschiedenster Stile aufnimmt und sie mit
topmodernen Beats versieht. Seine Gitarre sorgt dabei für das besondere
Flair. Die Stücke wirken bei aller Elektronik, alles andere als steril,
vielmehr verbreiten sie ein positives und fröhliches Feeling, bei dem man
sofort das Tanzbein schwingen will. Welch ein Glück, das Gabriel seine alte
Gitarre wieder in die Hände gefallen ist. Der Suchtfaktor dieser Scheibe
ist enorm. Stephan Schelle, August 2021 |
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