Filter-Kaffee - 106
 

Filter-Kaffee - 106
Manikin Records (2024)

(6 Stücke, 75:15 Minuten Spielzeit)

Filter-Kaffee, das sind die beiden Berliner Elektronikmusiker Mario Schönwälder und Frank Rothe. Die Beiden haben im Februar 2024 ihr mittlerweile siebtes gemeinsames Album auf den Markt gebracht. Logischerweise haben sie es „106“ betitelt. Während sie sich auf dem Vorgänger „105“ aus dem Jahr 2021 noch einem Thema, nämlich Steinen, gewidmet hatten, sind es dieses Mal wieder verschiedene Themen, die sie musikalisch umgesetzt haben.

 

 


Die CD kommt in einem sechsseitigen Digipak und enthält sechs Stücke, von denen allein vier die 14-Minute-Marke knacken. Musikalisch wandelt das Duo wieder im Umfeld der „Berliner Schule“, hat aber auch eigene Sounds entwickelt.

Den Anfang macht das 6:54minütige „The Murky Shadow Kingdom Of Hades“ (eine Anspielung auf den Tangerine Dream Titel „The Big Sleep In Search Of Hades“ vom 1976’er „Stratosfear“-Album?). Musikalisch findet sich allerdings - bis auf die Mellotronklänge - keine Verbindung zu dem Stück, wohl aber ist eine musikalische Verwandtschaft zu Tangerine Dream auszumachen. Mit mystischem Glockengeläut beginnt das Stück um dann in einen sehr atmosphärischen Part mit Sequenzerrhythmus überzugehen. Das ist perfekt gemacht und nimmt sofort gefangen, da sich die Harmonien in den Gehörgängen einschmeicheln, während der Rhythmus pulsiert.

Weiter geht es mit dem 15:06minütigen „Den Tilltagande Stromen“, das mit etwas düsteren Klängen beginnt, sich dann aber doch recht schnell in hellere Atmosphären bewegt. Nach etwa einer Minute kommt eine sanfte Harmoniefolge auf, die immer weiterentwickelt wird und mit Effekten versehen ist. Die ersten fünfeinhalb Minuten schwebt das Stück förmlich dahin, bis ein Sequenzerrhythmus sich herausschält, der den Track untermauert und spannend hält. Weitere Sounds und Harmonielinien kommen nach etwas mehr als acht Minuten hinzu und sorgen für ein hypnotisches Flair. Nach gut 10:45 Minuten kommt dann noch ein sehr ungewöhnlicher und bisher nicht gehörter – toller - Rhythmussound auf.

Mit 8:15 Minuten Spielzeit ist „Im Nebel der zerfliessenden Zeit“ der zweitkürzeste Track des Albums. Gestartet wird wieder mit recht mysteriösen Sounds, die zunächst wie eine Fata Morgana wirken und so eine mögliche zerfließende Zeit oder Zeitschleife gut musikalisch umsetzen. Es kommen flächige Harmonien hinzu, ohne aber diese mysteriöse Stimmung aufzuheben. Ein Stück in dem die Beiden Stimmungsbilder zeichnen.

Mysteriös startet dann auch das 15minütige „Kaltwasserhahn“, das erst nach 1:40 Minuten in einen herrlichen Part mit Sequenzerrhythmus und tollen Harmonien und Synthchören, die wieder an Tangerine Dream der Endsiebziger/frühen 80’er Jahre erinnern, wechselt. Dabei bringen sie aber genug eigene Handschrift in diesen Track mit ein. Hier haben sie sich als Gastmusiker den Gitarristen Thomas „Tom“ Köhler hinzu geholt, der den Spirit von Edgar Froese perfekt rüberbringt. Für mich das Highlight des Albums. Ein treibendes Stück das die Herzen der Freunde Sequenzer orientierte Musik höher schlagen lässt.

Mit dem 14:33minütigen „Die Weltmaschine“, das auf einer Maschine des Österreichers Franz Gsellmann basiert, die er im Zeitraum 1958 und 1981 gebaut hat, geht es dann weiter. Die Maschine besitzt zwar keine eigene Funktion ist, hat aber ein Eigenleben und ist ein künstlerisches Objekt. Ein Bild der Maschine ziert das Cover der CD. Die ersten Klänge des Stückes wirken wie der Soundtrack zu einer mystischen Maschinerie. Erst nach gut vier Minuten kommt dann in diese Klanggebilde langsam ein perlendes, rhythmisches Element. Sobald dann noch ein weiterer Sequenzerrhythmus nach etwa fünfeinhalb Minuten addiert wird, wird es wieder hypnotisch und harmonisch. Nach einigen Momenten kommen Harmonien auf, die wieder sehr stark an frühe Tangerine Dream erinnern. Diese Phase zieht sich bis kurz vor Ende hin, wo dann erneut mystische Klänge aufkommen, die den Track beenden.

Den Abschluss bildet dann das 15:16minütige „The River Of Decision“. Der Track startet mit echohaften Klängen und Mellotronsounds. Nach einigen Momenten kommen Synthchöre auf und unterstützen die Klangmysterien der ersten fünf Minuten. Dann startet ein fetter Sequenzerrhythmus, der die nächsten sieben Minuten dominiert. Dies kombinieren sie unter anderem mit einem weiteren, helleren Sequenzerrhythmus um dann nach einigen Momenten eine Mellotronmelodiefolge hinzuzufügen. Auch dieser Track verströmt den Spirit der „Berliner Schule“. Vor allem der fette Sequenzerrhythmus haut einen förmlich um. Sanft klingt das Stück dann aus.

Mit „106“ bewegen sich Mario Schönwälder und Frank Rothe deutlich auf den Spuren der „Berliner Schule“ und hier im Besonderen den 70’er/80’er Jahren von Tangerine Dream. Freunde sequenzerorientierter Elektronikmusik kommen dabei voll auf ihre Kosten.

Stephan Schelle, März 2024

 
   

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