Bernd Kistenmacher – Beyond The Deep
 

Bernd Kistenmacher – Beyond The Deep
MellowJet Records (2010)
(6 Stücke, 60:42 Minuten Spielzeit)

Der Berliner Elektronikmusiker Bernd Kistenmacher hatte sich im letzten Jahr eindrucksvoll nach einer achtjährigen Pause mit dem Studioalbum „Celestial Movements“ zurückgemeldet. Nicht ganz ein Jahr ist vergangen und schon legt er den Nachfolger „Beyond The Deep“ nach. Hatte Bernd auf dem letztjährigen Werk einen wahrlich hinreißenden Soundtrack für die Sterne komponiert, so befasst er sich auf dem neuen Album mit den Tiefen der Ozeane.

Es ist schon erstaunlich, dass der Mensch sich immer intensiv mit den Weiten des Alls beschäftigt und mehr über die Sonne und den Mars in Erfahrung bringt, als sich mit den Geheimnissen der größten Fläche des eigenen Planeten, den Ozeanen, zu beschäftigen. Auch macht das Thema sehr nachdenklich, wenn man bedenkt, dass sich vor der amerikanischen Küste derzeit die größte Naturkatastrophe in unserem wichtigen Lebenselement, dem Wasser, abspielt.

 

 


Sehr neugierig war ich, ob es Bernd schafft den modernen Sound, mit dem er auf dem letztjährigen Album überraschte, weiterzuführen. Es sei hier schon mal vorweggenommen, er hat es geschafft und mit „Beyond The Deep“ einen würdigen Nachfolger hingelegt, bei dem ich sogar der Meinung bin, dass er sich noch mal übertroffen hat.

Die sechs Stücke umfassende CD beginnt mit einer neunminütigen „Overture“. Das Stück beginnt mit Geräuschen die ein herannahendes Motorboot, das seinen Ankerplatz einnimmt, darstellen. Sobald das Boot vor Anker liegt, tauchen wir auch gleich ein in die schimmernde Unterwasserwelt. Das wird mit Rauschen, so als würde man unter Wasser abtauchen und einer Art Walgesang sowie bedrohlichen, basslastigen Synthiesounds suggeriert. Ein sehr stimmungsvoller Beginn. Dann setzen ein Sound und eine Melodie ein, die sehr hymnisch klingen und eine gewisse Nähe zu dem großen Griechen Vangelis zulassen. Ein toller, unter die Haut gehender Track, der einen wahrlich in den Tiefen der Weltmeere schweben lässt. Ich kann förmlich die Fischformationen vor meinen Augen dahin gleiten sehen. Zum Ende hin verlassen wir das Riff wieder mit dem gleichen Boot, mit dem wir eingangs gekommen sind.

Ein träumerisches Wellenrauschen startet in Track Nummer zwei, „Tsunami“. Das was zunächst sehr friedlich klingt (mit Vogelgeschrei) wird aber mit einer Art Synthiesturm aus dem Dornröschenschlaf gerissen. Aus den friedvollen Wellen wird ein heftiges Rauschen und Donnern. Man hat das Gefühl unter Wasser gerissen zu werden und bewusstlos in der Schwerelosigkeit immer weiter dem Meeresboden entgegen zu sinken. Das wird u. a. durch surreal klingende Sounds hervorgerufen. Doch der Track der es gar auf eine Spielzeit von 16 Minuten bringt, bleibt nicht so trostlos. Spätestens wenn der Pianosound einsetzt, wird es fantasievoll. Orchestral, mit vielen Streichersounds geht es weiter, doch so richtig los geht das Stück nach etwas mehr als sechs Minuten, wenn der Rhythmus langsam aufkommt. Dann entwickelt sich dieser Track zu einem wirklichen Highlight. Rhythmus und Flächen werden gekonnt miteinander verwoben. Man hat das Gefühl immer weiter auf einen Höhepunkt zuzusteuern.

Mit „Clayoquot Sound“ kommt dann Tangerine Dream Stimmung auf. Akustikgitarrensound und Synthie geben sich hier die Hand und sorgen für Gänsehaut pur. Diesen Track hätte ich mir sogar in einer ausufernderen Form als in der sechseinhalb Minuten langen Version gewünscht. Eine traumhafte Melodie die sich sofort im Ohr festsetzt, auch wenn sie etwas süßlich ist und das Fernweh in mir hochsteigen lässt.

Es folgt das 14minütige „Lost City“ das auch mit Akustikgitarre und Synthies aufwarten kann und ebenfalls für Gänsehaut sorgt. Dieser Track fügt sich musikalisch nahtlos an „Clayoquot Sound“ an. Hier kombiniert Bernd den Sound von Tangerine Dream und IC-Produktionen wie G.E.N.E. oder ähnlichen Acts. Diese verträumt/verspielte Art hält Bernd über die komplette Länge aufrecht und bringt nach ca. drei Minuten eine Struktur ins Spiel, die ich so beispielsweise von dem hypnotischen Werk Geoffrey Downes’ „The New Dance Orchestra – The Light Program“ her kenne. Vor allem die faszinierenden Drums erinnern sehr stark an dieses Meisterwerk.

„In The Black Smokers Bar“ ist ein sehr getragener Track, der mit tanzbaren Rhythmen aufwartet (ist das eine Mischung aus Bossa Nova und Reggae?). Dazu fügt Bernd eine sehr ansprechende Pianolinie hinzu. Ein sehr relaxter Track mit typischem Kistenmacher- bzw. Schulze-Flair. Den Abschluss bildet dann das fast zehnminütige „Who Will Save The World?“, das wie eine Theatermusik im klassischen Stil wirkt. Hier wird es an der einen oder anderen Stelle recht süßlich, obwohl im späteren Verlauf die Grundmelodie überzeugen kann, hat Bernd meines Erachtens aber den schlechtesten Titel des Albums ans Ende gesetzt.

Bernd hat mit „Beyond The Deep“ nicht nur einen würdigen Nachfolger für sein tolles 2009’er Comebackalbum herausgebracht, er hat den Vorgänger noch übertroffen. Wer Bernds Musik mag, der kann hier bedenkenlos zugreifen. Der Liebhaber guter traditioneller Elektronikmusik wird mit diesem Album eine Stunde lang bestens unterhalten.

Stephan Schelle, Juni 2010

 
   

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