Porcupine Tree – Anesthetize
kscope (2010)
(20 Stücke, 130 Minuten Spielzeit, Bonus ca. 30 Minuten)

Mir geht es in dieser Rezension weniger darum, das Konzert zu beurteilen. Das ist – kurz gesagt – brillant. Vielmehr möchte ich auf die technische Umsetzung eingehen. „Anesthetize“ gibt es in zwei Varianten: einmal als reine DVD, zum anderen als DVD plus Blu-ray. Der Preisunterschied beträgt z. Z. (22.06.2010) z. B. bei Amazon.de gerade einmal 3 EUR.

Ich hatte das wahre Vergnügen, die Blu-ray über einen Full-HD-Beamer zu betrachten. Und kann vorwegschicken, dass, wenn ich nicht schon damit ausgerüstet wäre, dieses Erlebnis durchaus meine Kaufentscheidung in Richtung Full-HD beeinflussen könnte.

Da ist zum einen der Schnitt: zuerst werden die Kameraeinstellungen in recht raschen Abfolgen gewechselt. Das ist lange nicht so zappelig wie bei einem MTV-Video, und der Schnitt folgt der Dynamik des Konzerts. Bei späteren Songs, die ruhiger sind, wird auch der Schnitt ruhiger – einfach mal auf das tolle „Dark Matter“ achten!


Die Einstellungen reichen von der Totalen, über die einzelnen Musiker bis hin zur Draufsicht auf das Schlagzeug. Auf Steven Wilson sind teilweise alleine drei (!) Kameras gerichtet. Das Booklet bzw. der Abspann zählt insgesamt neun Kameraleute, ich denke, dass die Kamera über dem Schlagzeug noch dazugezählt werden muss. Das aus meiner Sicht absolut Erstaunliche ist aber, dass man während der mehr als zwei Stunden Spielzeit äußerst selten einen Kameramann sieht. Sehr oft filmen diese sich ja gegenseitig. Hier ist es wirklich gelungen, bis auf zwei, drei kurze Szenen, nur das zu filmen, was zählt: die Musiker. Die Szenen, die typischerweise im Hintergrund der PT-Konzerte laufen, werden übrigens nicht in das Konzert hereingeschnitten. Das Publikum wird recht selten gezeigt. Nun ist die Musik von PT ja auch nicht dazu angetan, „abzugehen“. Wenn die Kamera einmal ins Publikum zeigt, sieht man dort auch eher Menschen, die gebannt zusehen und -hören und sich mehr verträumt bewegen.

Die Bildqualität ist wirklich über jeden Zweifel erhaben. In einigen dunklen Szenen ist das Bild ein wenig körnig. Aber es wäre aus meiner Sicht auch sehr seltsam, wenn das nicht so wäre. Wenn ich live im Konzert bin, habe ich ja auch nicht immer die klarste Sicht. Ansonsten sind die Aufnahmen einfach fantastisch. Die Farben sind satt, man möchte förmlich in das dunkle Blau der Bühne mit eintauchen. Auch in den Nahaufnahmen der Musiker bleibt kaum einmal ein Bartstoppel unentdeckt. Unterm Strich muss ich sagen, dass diese Aufnahme für mich eine neue Referenz bei Musik-DVDs darstellt. Es gibt vielleicht von der Bildqualität noch hochwertigere Blu-rays (z.B. Jethro Tulls „Live at Montreux“ oder Gary Moores „Tribute to Phil Lynott“), aber da sind die Lichtverhältnisse auch völlig andere. Das Bild dieser Scheibe versetzt einen direkt in das Konzert.

Der gute Ton darf natürlich ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Man hat die Auswahl zwischen PCM Stereo und dem DTS-HD Master. Beide Einstellungen bringen einen klaren, vollen Ton, aber ich muss sagen, dass die DTS-Variante das Gefühl noch verstärkt, mittendrin zu sein. Der gesamte Raum ist von der Musik erfüllt. Man möchte jubeln!

Bleibt noch die Ausstattung. Hier fange ich mal mit dem Negativen an: Dass das supertolle „FSK ab 0“-Abzeichen auf allen neuen DVD-Covern prangt, ist vielen Ästheten ein Dorn im Auge. Dass sich dieses Sch…ding aber noch nicht einmal ablösen lässt, sondern in das Cover eingedruckt ist, halte ich für eine echte Unverschämtheit. Andererseits schafft es dieses Detail nicht, mir den Gesamteindruck zu vermiesen. Denn die DVD/Blu-ray ist sonst sehr schön aufgemacht – wie ein kleines Buch. In den beiden Umschlagseiten sitzen die Discs fest drin, lassen sich auch herauslösen, ohne Angst zu haben, dass man sie zerbricht. In der Mitte befindet sich dann ein wirklich sehr schönes, geheftetes Booklet, das sich entsprechend leicht durchblättern lässt. Für das Artwork gibt es einen Extrapunkt (um dieses unsägliche FSK-Logo aufzuwiegen). Außerdem besitzt die Blu-ray noch einen schönen Bonus: vier der Hintergrund-Filme des aktuellen Konzerts (Way Out Of Here, My Ashes, Wedding Nails, Strip the Soul / Dot Three) und zusätzlich jenes zu „Nil Recurring“ machen noch einmal rund zusätzliche 30 Minuten aus. Die Bildqualität ist hier nicht ganz so toll: Wedding Nails, Strip the Soul liegen beispielsweise nur im 4:3 Format vor. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass die Videos einzeln angewählt werden müssen und nicht hintereinander laufen. Trotzdem ist es ein Genuss, die Sequenzen so zu sehen. Inhaltlich muss ich mich dann aber doch wieder ein wenig aufregen: gerade „Way Out Of Here“ und „Nil Recurring“ enthalten Szenen, die ein kindliches Gemüt verstören können, so dass „FSK ab 0“ wieder lächerlich ist. Aus erwachsener Sicht ist das sicher ein ästhetischer Leckerbissen, aber einem Kind wollte ich diese Szenen nicht zeigen.

Alles in Allem ist diese Konzert-Blu-ray mit ihren 130 Minuten Laufzeit einfach nur ein Genuss. Und das sage ich auch, weil ich das Album „Fear Of A Blank Planet“ nicht für das Beste halte. Aber PT muss man nun einmal live gesehen haben. Das hier ist die beste Gelegenheit, komplett in das Konzert abzutauchen. Schließlich zeichnet Steven Wilson auch noch für den Sound Mix verantwortlich. Und hier stellt sich wieder einmal die Frage: Wie macht der das? Neben PT bringt er eine Solo CD raus, remixt die alten PT Alben, geht mal mit Aviv Geffen auf Tour, dann wieder mit seiner Band, mixt nebenbei noch das neue Anathema Album ab…

Daher an alle diejenigen, die sich darüber aufregen, dass PT jetzt erst mit Material der „Fear Of The Blank Planet“ – Tour herauskommen: Schaut euch das Ganze mal in Ruhe an! Hier liegt sehr viel im Detail und möchte entdeckt werden.

Hubertus Becker, Juni 2010


 
 

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