Neal Morse – Morsefest 2015
Radiant Records / Metal Blade / Sony Music (2017)

(30 Stücke + Doku, 351 Minuten Spielzeit)

 Die amerikanische Progrock-Ikone Neal Morse veranstaltet seit einigen Jahren jährlich sein Morsefest, bei dem er besondere Konzerte auf die Bühne bringt. Bei der 2015’er Ausgabe, die in Nashville/Tennessee stattfand, hat er sich mächtig ins Zeug gelegt, denn er präsentierte mit „Question“ und „Sola Scriptura“ gleich zwei seiner monumentalen Solowerke bei diesem Festival. Diese stellen allerdings zwei Alben seiner christlich inspirierten Musik dar, was nicht alle Progfans begeistert. Daneben fanden auch noch Stücke von Spock’s Beard und Transatlantic Einzug in die Setlist.

Das Ganze wurde von mehreren Kameras gefilmt und erscheint nun am 24.03.2017 in den Formaten BluRay (2 Disc) und 2DVD + 4CD. Mir lag zur Besprechung die BluRay-Version vor. Sie kommt zwar ohne Booklet aus, dafür sind aber auf der Rückseite des Covers Informationen zur Produktion abgedruckt.


Für die musikalische Umsetzung hatte er nicht nur seine The Neal Morse Band auf der Bühne, sondern verstärkte sich noch um weitere 38 Livemusiker. Hier mal das komplette LineUp, das zeigt mit welchem Aufwand Neal Morse an die Umsetzung dieser Auftritte, die an zwei Nächten in Nashville / Tennessee stattfanden herangegangen ist. Die Stücke wurden drüber hinaus neu arrangiert und gehen dabei über die Studiofassungen hinaus.

The Neal Morse Band

Neal Morse: Vocals, keyboards, guitar
Mike Portnoy: Drums, vocals
Randy George: Bass
Bill Hubauer: Keyboards, vocals
Eric Gillette: Guitars, vocals

Special Guest Musicians

Phil Keaggy: Guitar
Nick D’Virgilio: Drums and Vocals  

Additional Musicians

Nathan Brenton: Cello
Eric Brenton: Violin
Wil Morse: Backing vocals and keyboards
Gabe Klein: Percussion

Background Singers

Debbie Breese, April Zachary, Julie Harrison, Stacie Funk, Amy Pippin

Horn Section

Emmanuel Kalechi: Trumpet
Joe Douglas: Alto Sax
Ben Clark – Trumpet
Nate Heffron - Tenor sax
Oscar Utterstrom: Trombone

Vocal Choir

Gideon Klein (Conductor), Christian Pippin, Bonnie Massie, Wil Morse, Aaron Webb, Brenda Causey, Ashley Morrell, Reva Farmer, Gideon Klein, Dave Klein, Laurie Klein, Jerry Klein, Rosie Klein, Joey Pippin, Ally Smith, Joanie Howard, Kathy O’Keefe, Amber Thompson, Justin Zachary

Neben Schlagzeuger Nick D’Virgilio, Neal’s langjährigem Weggefährten bei Spock’s Beard und der bei den Stücken „At The End Of The Day“ und „Wind At My Back“ hinter der Schießbude bzw. am Mikro agiert, ist noch Philip Tyler Keaggy, ein Gitarrist, Sänger und Komponist moderner christlicher Musik mit von der Partie, der über 50 Musikalben veröffentlichte und bei vielen weiteren Produktionen als Studiomusiker mitgewirkt hat.

Der erste Abend gehörte dem Album „?“ oder auch „Question“. Doch bevor Neal mit der Aufführung des kompletten Albums begann wurden erst einmal fünf Stücke des The Neal Morse-Band-Albums „The Grand Experiment“, mit „Go The Way You Go“ ein Stück vom Spock’s Beard Album „The Light“ und mit „A Whole Norther Trip“ ein Song von Neal’s erstem Soloalbum zelebriert. Und das im wahrsten Sinn des Wortes. Bei diesen ersten Songs ging schon mal ordentlich die Post ab.

Neal Morse, Mike Portnoy und Randy George sind einfach Könner ihres Metiers und bei den Konzerten in bestechender Form. Aber auch Gitarrist Eric Gillette und Keyboarder Bill Hubauer stehen ihnen in Nichts nach. Hier hat sich eine sehr homogene Band um Neal Morse zusammengefügt. Das zeigt sich nicht nur bei den Stücken von „The Grand Experiment“, die in dieser Formation eingespielt wurden, sondern auch beim 14minütigen Spock’s Beard Klassiker „Go The Way You Go“, der 24minütigen Neal Morse-Solonummer „A Whole Northern Trip“ oder dem „Whirlwind Medley“ und natürlich den beiden Morse-Konzeptalben.

„New Jerusalem“ von „The Grand Experiment“ wird in einer wunderbaren Version mit Cello, Bläsersektion und mehrstimmigem Backgroundgesang dargeboten. Dazu begibt sich Neal auch Gitarre spielend ins Publikum und sucht die Nähe zu seinen Fans.

Dann führte er das Album „?“ in voller Länge und in der Reihenfolge der Songs auf, wie sie auf dem Album zu finden sind. Mit einem herrlichen symphonischen Intro und gewaltigen Bildern auf der Videoleinwand, die hier in voller Bildschirmgröße zu bewundern sind, startet er in das Album. „In The Fire“ wird nicht nur fulminant mit visuellen Elementen, einem wuchtigen Arrangement und tollen Soli umgesetzt, sondern auch von den Fans begeistert gefeiert. In „Solid As The Sun“ wird dann Prediger Steve Farmer auf die Bühne geholt, der einige Worte spricht, die wie eine Predigt wirken. Damit unterstreicht Neal den christlichen Ansatz seiner Musik, was vielleicht einige abschrecken wird. Allerdings ist der Auftritt recht kurz. Beim Stück „Glory Of The Lord“ übernimmt dann ein 14stimmiger Chor den Gesang, was dem Stück nicht nur eine weitere sakrale Note, sondern auch ein großes Volumen verleiht.

Am zweiten Abend legten Morse und Mitstreiter gleich mit seinem Album „Sola Scriptura“ los, das er ebenfalls in ganzer Länge aufführte. Sehr sakral mit Mönchsgesang und Kirchenorgel startete die Band in diesen zweiten Abend. Die Akteure legten gleich los wie die Feuerwehr, unterstützt von Bläsersektion, Streichern und Chor. Als weitere visuelle Unterstützung hatte sich Neal mit seiner Tochter Jayda Morse sowie Joanna Pippin zwei Tänzerinnen auf die Bühne geholt, die zu den rockigen Klängen tanzen oder in Mönchskostümen agieren. Das wirkt für meinen Geschmack unpassend.

Intim wird es dann, wenn Neal allein am Bühnenrand im Stück „The Conflict“ Akustikgitarre spielt, um danach in einen Part mit südamerikanischem Flair durch Gitarre und Bläser zu wechseln. Musikalisch ist auch die Umsetzung von „Sola Scriptura“ hervorragend gelungen.

Nach „Sola Scriptura“ geht es dann mit einer Akustikversion (die E-Gitarre ist hier das einzig elektrische Gerät) des Stückes „Waterfall“ von „The Grand Experimente“, bei dem die Band komplett am Bühnenrand agiert und Bill Hubauer am Ende zur Klarinette greift, einer 17minütigen Fassung des Spock’s Beard-Opus „At The End Of The Day“ (vom Album „V“) mit Nick D’Virgilio am Schlagzeug, einer wunderbaren Version von Spock’s Beard’s „Wind At My Back“ vom „Snow“-Album mit Nick D’Virgilio am Mikro und einem 16:37minütigen „Whirlwind Medley“ vom gleichnamigen Transatlantic-Album, bei dem Eric Gillette sehr gut den Gesangspart von Roine Stoldt übernimmt, weiter. Die letzten sieben Minuten zelebriert Neal dann am Mikro, in dem er alle Beteiligten (Musiker, Crew, Veranstalter und Helfer) vorzustellen.

„Morsefest 2015 war eine monumentale Show mit monumentaler Musik und monumentalen Auftritten. Die Studioalben, die wir dieses Mal gespielt haben, sind zwei meiner Lieblingsalben und einige der zusätzlichen Titel haben wir zum ersten Mal live gespielt.“ - Randy George

„Morsefest 2015 war für mich einfach unglaublich. Wir haben QUESTION und SOLA SCRIPTURA sowie eine Menge andere coole Sachen gespielt, mit einem kompletten Chor, Bläsern, orchestraler Percussion, Streichern, Harfenklavier, Cuika und Tänzern. Das Bildmaterial der Videowände war absolut ‘mind blowing’. Alles zusammen, die Atmosphäre der Fans und das Gemeinschaftsgefühl ... das Event war definitiv ein Gipfel meiner Karriere - und ich denke, die DVD und Blu-ray gehören zum Feinsten, das wir jemals produziert haben.“ — Neal Morse

Man kann zu Neal’s christlichen Texten stehen wie man will, musikalisch sind seine Alben qualitativ hochwertig und das zeigt er auch bei den beiden Konzerten. Allerdings nervt sein häufiges Preisen des Herrn doch ganz schön. Der Mitschnitt ist trotz kleiner Location und recht überschaubarem Publikum großes Kino.

Die zwei BluRays umfassende Veröffentlichung bietet neben den beiden Konzertmitschnitten zusätzlich die einstündige Dokumentation „The Door To Another World“, die einen emotionalen und authentischen Einblick hinter die Kulissen des Events gibt. Die Doku enthält Bilder vom Aufbau und von den Proben, aus dem Backstagebereich bei dem Phil Keaggy und Mike Portnoy u. a. Beatles-Nummern singen, privaten Bildern (Neal und Tochter) und lässt alle Musiker zu Wort kommen. Leider können hier keine Untertexte zugeschaltet werden, so dass Englischkenntnisse notwendig sind, um alles aufzunehmen.

Während die Bildqualität außerordentlich gut und auch die Schnittfolge sehr ansprechend fürs Auge ist, liegt der Ton leider nur im Dolby Digital Stereo-Format vor. Hier hätte ich mir eine 5.1 Dolby Surroundversion gewünscht, aber das ist wirklich Stöhnen auf hohem Niveau.

Mit der Veröffentlichung „Morsefest 2015“ hat Neal Morse die Messlatte ganz schön hoch gehängt, denn es ist das bisher monumentalste und umfangreichste, was er bisher veröffentlicht hat und das in einer sehr guten Qualität. Da kann man nur hoffen, dass mit dem „Morsefest 2016“, bei dem Neal zusammen mit seinen alten Weggefährten von Spock’s Beard das Konzeptalbum „Snow“ sowie weitere Stücke in unglaublicher Intensität aufgeführt hat (unter anderem auch 2016 auf der Loreley beim Night Of The Prog Festival) als nächstes ansteht. „Morsefest 2015“ ist jedenfalls eine absolute Empfehlung (nicht nur) für Progfans.

Stephan Schelle, März 2017


 
 

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