Einstürzende Neubauten – Live At Rockpalast 1990
Mig / made in germany music (2012)
(DVD - 16 Stücke, 71 Minuten Spielzeit + CD 16 Stücke, 71 Minuten)

1980 gründete sich die deutsche Band Einstürzende Neubauten um ihren charismatischen Frontmann Blixa Bargeld. Sie waren zu diesem Zeitpunkt wohl die radikalste Gruppe, was vor allem daran lag, dass sie jegliche musikalische Konventionen über Bord warfen und - vor allem aus Geldmangel - mittels Werkzeuge und Alltagsgerätschaften ihre Klänge erzeugten. Mit diesen Klangcollagen sorgten sie nicht nur für Aufsehen, sondern irritieren auch die „normalen“ Hörgewohnheiten.

Zehn Jahre später standen sie auf der Bühne der Düsseldorfer Philipshalle. Das Konzert, das sie dort am 24.11.1990 gaben, wurde vom Rockpalast mitgeschnitten und kommt am 09.11.2012 (22 Jahre später) als DVD/CD-Version bei mig auf den Markt. Ich muss gestehen, dass ich nie viel mit dieser Art von Klangbildung anfangen konnte und auch heute wirkt diese Musik sehr verstörend auf mich, daher folgen einige Auszüge aus dem Pressetext:


Ihre zu Beginn noch vorherrschende destruktive und nihilistische Grundhaltung entsprach zwar dem Zeitgeist des Post-Punk der frühen 80er Jahre, jedoch konnte die Umsetzung radikaler nicht sein: Schlagwerker F.M. Einheit malträtierte die Bühne mit einer Bohrmaschine, Kopf und Sänger Blixa Bargeld spielte die Gitarre in frühen Tagen gerne mit einem Rasierapparat. Wenn es Parallelen gab, dann allenfalls zur Musique concrète.

Doch schon sehr bald, von ihrer stetig wachsenden Fangemeinde fast unbemerkt, verfeinerte sich das Bild: Vergleiche zu britischen, auf Ölfässern trommelnden Epigonen wie Test Department oder SPK lehnte Blixa Bargeld schon sehr früh ab und wunderte sich bereits in einem mit mir geführten Interview von 1985 darüber, warum man die Parallelen zu Gruppen wie den Ton, Steine, Scherben so sträflich übersehen würde.

In der Tat schafften es die Neubauten sehr schnell, dem puren Industrial-Klischee durch Individualität, Raffinesse und vor allem lyrischen Gehalt zu entfliehen. Auch ohne schmetterndes Metal vermochten es die Neubauten schon auf ihren Alben „Die Zeichnungen des Patienten O.T.“ oder „5 auf der nach oben offenen Richterskala“ bedrückende, filigrane und sphärische Klangbilder zu schaffen („Armenia“, „Kein Bestandteil sein“).

Blixa Bargelds Faszination für die deutsche archaische Sprache, zu erleben u.a. in dem Song „Ein Stuhl in der Hölle“ (einen Text, den Bargeld in einem Buch mit alten Küchenlieder gefunden hat) waren auf ihrem 1989er Album „Haus der Lüge“, das auch den Nukleus dieses Rockpalast-Konzert bildet, unüberhörbar.

Die Einstürzenden Neubauten benutzen die Sprache ganz bewusst völlig anders als andere Bands jener Zeit. Die deutsche Sprache wurde erweitert, indem auf ihre Ursprünge zurückgegriffen wird.

Blixa Bargeld formulierte es 1989 so: „Ich liebe die deutsche Sprache, aber manchmal ist sie mir zu eng. Manchmal ist es nötig, Worte neu zu beugen und manchmal ist es nötig, auf Worte zurück zu greifen, die in ihrer Assoziation nicht so vorbelastet sind. Ein Wort wie „Liebe“ kann man nicht gebrauchen, das ist das beste Beispiel. Es ist ein Fußabtreter, vorbelastet mit tausend Assoziationen, die noch nicht mal bei jedem Menschen gleich sind.“

Die DVD zeigt die Band in der Besetzung Blixa Bargeld (Gitarren, Gesang, Keyboards), Alexander Hacke (Gitarre), N.U. Unruh (Perkussion), F.M. Einheit (Perkussion) und Mark Chung (Bass). Neben der DVD sind die Stücke ebenfalls auf beigefügter CD enthalten. Das Filmformat liegt in 4:3 und der Ton in PCM Stereo vor.

Auch wenn die Einstürzenden Neubauten zum Zeitpunkt dieses Konzertes am Wendepunkt zu etwas kommerzielleren Klängen standen, so zeigen sie dennoch einen sehr verstörenden und avantgardistisch/punkigen Auftritt. Sicherlich ist hier wieder ein Zeitdokument auf DVD erschienen, für „Normalkonsumenten“ stellt die DVD/CD aber schon eine Herausforderung dar.

Stephan Schelle, November 2012


 
 

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